MANAGEMENT

Risikofaktor Fachkräftemangel

Deutsche Finanzchefs mit Sorgenfalten

Dr. Alexander Börsch, Foto: Deloitte

Die Unternehmen schätzen die aktuelle Wirtschaftslage in Deutschland bisher als gut bis sehr gut ein, die Mehrzahl erwartet allerdings eine negative Geschäftsentwicklung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung der Finanzchefs deutscher Großunternehmen von Deloitte. Zu den größten Gefahren zählt demnach der Fachkräftemangel mit der Folge höherer Kosten für die Personalgewinnung. Details der Untersuchung stellt der Beitrag vor. (Red.)

Trotz guter wirtschaftlicher Lage und brummender Konjunktur: Die Gefahr einer Trendwende hierzulande wächst. Das ist ein zentrales Ergebnis der aktuellen Untersuchung "CFO Survey Herbst 2018" von Deloitte.1) Die Untersuchung reflektiert die Einschätzungen und Erwartungen von Finanzchefs deutscher Großunternehmen zu makroökonomischen, unternehmensstrategischen und finanzwirtschaftlichen Themen und wird in einem halbjährlichen Turnus durchgeführt. Dadurch sollen Trends und Trendbrüche identifiziert werden.

An der Herbstbefragung 2018 haben 180 CFOs deutscher Großunternehmen teilgenommen. 56 Prozent der teilnehmenden Unternehmen erzielen einen Umsatz von mehr als 500 Millionen Euro. Bei der Branchenstruktur dominiert die Maschinenbauindustrie mit 15 Prozent, gefolgt von der Konsumgüterindustrie mit 11 und der Automobil-, Chemie-, Bank- und Immobilienbranche mit jeweils 9 Prozent. Demnach bewertet derzeit nahezu jeder Chief Financial Officer (CFO) die aktuelle Wirtschaftslage in Deutschland zwar als gut/sehr gut (96 Prozent). Bei den Aussichten hingegen überwiegt die Zahl der Pessimisten: 18 Prozent der befragten Finanzchefs gehen von einer positiven Geschäftsentwicklung aus, 23 Prozent hingegen von einer negativen.

Was sind die Gründe für die pessimistischen Aussichten? Das Toprisiko, so die Untersuchung, ist aktuell der drohende Fachkräftemangel. Für fast zwei Drittel (65 Prozent) der Befragten stellt er ein hohes Risiko dar. Damit ist der Fachkräftemangel für deutsche CFOs sogar eine größere Gefahr als geopolitische Risiken wie der Handelskonflikt zwischen China und den USA oder auch die Diskussionen zu den Brexit-Verhandlungen. Diese nannten 49 Prozent der Befragten als Bedrohung.

Insgesamt zeigt sich, dass sich nach einer langen Phase des Aufschwungs aktuell der wirtschaftliche Ausblick deutlich verdüstert. Erstmals seit 2012 sind mehr CFOs pessimistisch als optimistisch gestimmt. In diesem Zusammenhang sinkt die Einstellungsbereitschaft leicht, die Investitionsneigung deutlich. Sie fällt für die folgenden zwölf Monate gegenüber dem ersten Halbjahr 2018 um 19 Prozentpunkte auf 28 Prozent.

Die Risikofaktoren, die deutsche Unternehmen zu den höchsten Gefahren zählen, weisen seit einigen Jahren eine hohe Kontinuität auf. So dominieren zum einen die geopolitischen Bedrohungen, zum anderen der Fachkräftemangel. Einen bemerkenswerten Wandel bei diesen beiden Risikofaktoren gab es bei der Umfrage im Frühjahr 2018, als der Fachkräftemangel erstmals als größte Gefahr identifiziert wurde - für fast zwei Drittel (62 Prozent) der befragten CFOs. Etwa 50 Prozent nannten geopolitische Risiken. Mit der aktuellen Untersuchung ist die Differenz auf nun sogar um 16 Prozentpunkte angewachsen.

Auf dem dritten Platz auf der Liste der Risikofaktoren liegen aktuell die steigenden Lohnkosten. Diese haben im Vergleich zur Umfrage im Frühjahr 2018 um 3 Prozentpunkte auf 40 Prozent zugenommen. Es folgt die Gefahr einer schwächeren Inlandsnachfrage mit 34 Prozent. Bei der vorherigen Untersuchung nannten noch 40 Prozent der Befragten diese als Risiko. Es folgen zunehmende Regulierung (33 Prozent), Wechselkursrisiken (32 Prozent) sowie steigenden Rohstoffkosten (31 Prozent).

Höhere Kosten für Personalgewinnung

Dabei ist auffällig, dass das Risiko des Fachkräftemangels schon lange nicht mehr abstrakt ist, sondern die Unternehmen mittlerweile sehr konkret betrifft. Am stärksten beklagen die befragten Finanzentscheider die steigenden Kosten der Personalrekrutierung. Fast drei Viertel (74 Prozent) der Befragten gaben diese als negative Folge an. Zum anderen wirken sich die Schwierigkeiten auf Investitionen und Wachstum aus. Für fast 40 Prozent der Unternehmen resultiert der Fachkräftemangel in entgangenen Wachstumschancen (39 Prozent); für rund ein Viertel (26 Prozent) in geringerer Produktivität und jedes zehnte Unternehmen muss Investitionen verschieben.

Die entgangenen Wachstumschancen zeigen sich besonders im Energie- und im Technologiesektor. In der Energiewirtschaft verschiebt sogar fast jedes zweite Unternehmen (47 Prozent) wegen des Fachkräftemangels Investitionsvorhaben. Aber es gibt auch einen positiven Effekt: Bei vielen Unternehmen rückt das Thema "Employer Branding" zunehmend in den Fokus. 41 Prozent der Befragten erklärten, dass infolge des Fachkräftemangels die Stärkung der Arbeitgebermarke an Bedeutung gewinne.

Der Fachkräftemangel zeigt sich besonders ausgeprägt im Technologie-/ IT-Bereich. Dort spüren ihn die meisten Unternehmen (57 Prozent). Dahinter folgen die Fertigung (36 Prozent) und die Forschung und Entwicklung (24 Prozent). Im Vertrieb sowie der Kundenbetreuung und im Bereich Finanzen/Controlling spürt rund jeder fünfte Befragte (jeweils 21 Prozent) den Fachkräftemangel. Vergleichsweise einfach scheint die Personalgewinnung im Bereich Verwaltung und Einkauf zu sein. Dort gaben nur 7 beziehungsweise 6 Prozent an, einen Fachkräftemangel zu spüren. Am meisten leidet der Handel (80 Prozent), die Energie- und die Konsumgüterindustrie (73 Prozent und 70 Prozent) unter einem Mangel an Tech-Talenten. Die Automobilindustrie scheint zusätzlich noch starke Probleme zu haben, Stellen im Bereich Forschung und Entwicklung zu besetzen (69 Prozent).

Aktuell scheint der Fachkräftemangel so ausgeprägt zu sein, dass es weniger um fehlende Fähigkeiten und Kompetenzen geht, sondern vor allem um einen Mangel an Spezialisten an sich. 44 Prozent der Unternehmen beschreiben ihre Situation auf diese Weise. Fachkräfte mit der notwendigen Berufserfahrung, dem passenden Ausbildungsniveau und technischem Wissen zu finden, ist für viele Unternehmen ebenfalls schwierig. Dies gaben 40 Prozent der befragten CFOs an. Ein passendes Ausbildungsniveau beklagen 34 Prozent, ein angemessenes technisches Wissen 32 Prozent. Weiche Faktoren wie Arbeitsethik (16 Prozent) oder Soft Skills (9 Prozent) nannte hingegen nur eine Minderheit. Ein Blick auf die Detailergebnisse zeigt, dass es an Experten mit technischem Wissen vor allem in der Automobilindustrie und dem Technologiesektor mangelt, während der Immobiliensektor Schwierigkeiten hat, Arbeitnehmer mit dem richtigen Ausbildungsniveau und der notwendigen Berufserfahrung zu finden.

Unternehmerische Strategien

Was können Unternehmen konkret gegen den Fachkräftemangel tun? Die befragten Finanzchefs nutzen hauptsächlich zwei Hebel, um der misslichen Lage zu entkommen. Sie versuchen einerseits das Arbeitsumfeld für Mitarbeiter attraktiver zu gestalten, beispielsweise durch Schulungen und eine Verbesserung der Work-Life- Balance. Diese Maßnahmen gaben 45 Prozent der befragten CFOs als Stellschrauben an.

Zum anderen versuchen Unternehmen, den Automatisierungsgrad zu erhöhen. Dies nannten 44 Prozent. Insofern hat die Automatisierungswelle eine wichtige Ursache in der Arbeitsmarktsituation. Einen höheren Automatisierungsgrad streben vor allem die Autoindustrie und das Bankwesen an. Generell versucht die Autoindustrie, ihren Fachkräftebedarf über viele Maßnahmen zu decken. Sie liegt deutlich über dem Durchschnitt, wenn es um Umschulungen von Mitarbeitern, befristete Anstellungen sowie Recruiting von Mitarbeitern aus dem EU-Ausland oder aus neuen Talent-Pools geht. Auch die Immobilienindustrie ist verhältnismäßig aktiv in den beiden letztgenannten Bereichen und auch die Branche, in der die meisten Unternehmen (48 Prozent) bereit sind, höhere Löhne zu zahlen.

Weitere unternehmerische Maßnahmen, um dem Arbeitskräftebedarf decken zu können, sind befristete Anstellungen. Dies gab rund ein Drittel (27 Prozent) der Studienteilnehmer an. Etwa ein Viertel (24 Prozent) setzt auf die finanzielle Komponente und versucht, über verbesserte Löhne dem Fachkräftemangel zu entgegnen. Relativ wenige Unternehmen wollen hingegen neue Talent-Pools für sich nutzen wie beispielsweise ältere Arbeitnehmer. Dies gaben lediglich 13 Prozent der Befragten an - mit Blick auf den demografischen Wandel definitiv ein Ergebnis, dass noch viel Optimierungspotenzial bietet. 14 Prozent setzen auf das Recruiting von Mitarbeitern aus dem Ausland.

Politische Strategien

Neben den unternehmerischen Strategien sind in den Augen der Befragten auch verschiedene politische Weichenstellungen notwendig, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Höhere Investitionen in Ausbildung sind aus Unternehmenssicht die wichtigste politische Maßnahme in diesem Bereich. Fast drei Viertel (72 Prozent) der CFOs unterstützen dies. Ein Ausbau der Kinderbetreuung, um eine höhere Erwerbsbeteiligung zu ermöglichen, wird als ebenfalls wichtig angesehen. Dies gaben 60 Prozent der Befragten an. Diese beiden Maßnahmen dürften eher langfristig wirken.

Kurzfristig befürworten viele CFOs eine leichtere Einwanderung für qualifizierte außereuropäische Fachkräfte (38 Prozent). Zudem sprach sich ein Drittel für Anreize für den Verbleib älterer Arbeitnehmer im Beschäftigungsverhältnis aus. Rund ein Viertel (24 Prozent) nannte die Förderung und Anerkennung neuer Bildungsformate wie Onlinekurse als geeignete Maßnahme gegen den Fachkräftemangel.

Vor diesem schwierigen wirtschaftlichen Hintergrund beobachten die meisten Unternehmen einen Anstieg der indirekten Kosten im Verhältnis zum Umsatz. Dieser bezieht sich dabei insbesondere auf die Vertriebs- und Verwaltungsgemeinkosten, in leicht abgestufter Form aber auch auf die Produktionsgemeinkosten. 51 Prozent der Befragten verzeichnen einen Anstieg der Vertriebs- und Verwaltungsgemeinkosten, 36 Prozent einen Anstieg der Produktionsgemeinkosten.

Gleichzeitig hat es etwa ein Fünftel der Unternehmen geschafft, diese beiden Kostenarten in den vergangenen drei Jahren zu reduzieren. Höhere Vertriebs- und Verwaltungskosten betreffen dabei fast alle Branchen in ähnlichem Ausmaß - lediglich die chemische Industrie und die Technologiebranche liegen unterhalb, der Handel beträchtlich oberhalb des Durchschnitts. Beim Anstieg der Produktionsgemeinkosten verzeichnen die Maschinenbau- und Industriegüterbranche sowie die Konsumgüterbranche einen geringfügig über durchschnittlichen Anstieg.

Die Gründe für den Kostenanstieg sehen die Unternehmen insbesondere in unternehmensexternen und weniger in internen Faktoren (siehe Abbildung, Seite 43). Zu Ersteren zählen neben den schon angesprochenen Personalkosten, die 79 Prozent der Befragten angaben, auch Regulierungsanforderungen (48 Prozent). Zu den unternehmensinternen Gründen des Gemeinkostenanstiegs zählen einerseits die wachsende organisatorische Komplexität (33 Prozent) und andererseits der steigende Umfang der planenden und steuernden Funktionen (31 Prozent). Diese Gründe spiegeln die weitgehenden Änderungen der Unternehmensstrukturen und der Wert schöpfungsketten in den traditionellen Industriezweigen wider. Insbesondere die Automobilindustrie, die chemische Industrie, die Konsumgüterbranche sowie der Energiesektor sind von dieser Entwicklung betroffen.

Traditionelle Maßnahmen zur Kostensenkung

Für die Optimierung der indirekten Kosten setzen die Unternehmen einen Mix aus eher traditionellen Maßnahmen und innovativen Ansätzen ein, wobei die traditionellen Maßnahmen derzeit dominieren. Die höchste Bedeutung kommt der Prozessstandardisierung zu, die 77 Prozent der befragten CFOs als hoch/sehr hoch erachten. Es folgt die Automatisierung transaktionaler Prozesse, die 53 Prozent nannten. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen früherer CFO Surveys kommt hier auch zunehmend "Robotics Process Automation" (RPA) zum Einsatz.

Im Rahmen der Prozessoptimierung messen darüber hinaus 36 Prozent der Unternehmen dem "Continuous Improvement" eine hohe oder sehr hohe Bedeutung zu, 33 Prozent dem "Lean-Ansatz" und weitere 25 Prozent dem "Demand Management". Der Einsatz von "Cognitive Computing" - einschließlich der Automatisierung von wissensbasierten Prozessen wie zum Beispiel "Forecasting", und des Einsatzes digitaler Agenten beispeilsweise im Help-Desk-Bereich - hat dagegen lediglich für 11 Prozent der Unternehmen eine hohe oder sehr hohe Bedeutung.

Im Rahmen der organisatorischen Maßnahmen kommen der funktionsübergreifenden Zusammenarbeit und der Aufgabenbündelung die höchste Bedeutung zu. 32 Prozent der Befragten sehen darin ein hohes oder sehr hohes Potenzial. Aber auch die klassischen Organisationsmaßnahmen - "Shared Services" und Outsourcing - haben weiterhin eine hohe Bedeutung für die Unternehmen. 31 Prozent messen "Shared Services" eine hohe oder sehr hohe Bedeutung zu, 12 Prozent setzen auf Outsourcing zur Optimierung der indirekten Kosten. 13 Prozent der Studienteilnehmer adressieren neben den Kosten der Ablauf- und Aufbauorganisation auch die sonstigen indirekten Kosten.

Dazu zählen zum Beispiel Gebäude- und Reisekosten. Erkenntnisse aus der Verhaltenswissenschaft machen sich erst wenige Unternehmen zu Nutzen. "Behavioral Nudging" - die Veränderung menschlichen Verhaltens ohne explizite Verbote - kann auch im Zusammenhang mit Kostensenkungen eingesetzt werden. So können beispielsweise Reisekosten dadurch gesenkt werden, dass die Mitarbeiter bei der Reisebuchung auf das kostengünstigere Buchungsverhalten der Kollegen hingewiesen werden.

Unternehmen müssen sich daher auf ein weniger freundliches Umfeld einstellen - sowohl was die generelle Konjunktur wie auch die Kostensituation angeht. Infolge dessen müssen sie resilienter werden und den oftmals in der Öffentlichkeit thematisierten, jetzt konkret greifbaren Fachkräftebedarf strategisch angehen.

Fußnote

1) Die komplette Studie "CFO Survey Herbst 2018" ist abrufbar unter: www2.deloitte.com/de

DR. ALEXANDER BÖRSCH ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland, München.
E-Mail: aboersch[at]deloitte[dot]de
Dr. Alexander Börsch , Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland

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