"Insgesamt sind Krisenjahre bekanntlich gute Jahre für Factoring"

Michael Menke erklärt, warum Factoring in schwierigen Zeiten standfest bleibt

Michael Menke, Foto: M. Menke

Rückblick auf 2020: Herr Menke, inwieweit hat die Corona-Krise die Branche getroffen?

Bisher schlägt sich Factoring sehr tapfer und deutlich besser als erwartet. Trotz der Corona-Pandemie konnte Factoring im 1. Halbjahr 2020 nicht nur die deutsche Wirtschaft mit dem notwendigen Finanzierungsbedarf stärken, sondern legte sogar zu: Die Umsätze der Mitglieder des Deutschen Factoring-Verbands e. V. konnten - trotz massiver Auswirkungen der Pandemie auf die nationale und internationale Wirtschaft - von 132,8 Milliarden Euro auf 134,9 Milliarden Euro zu legen. Das entspricht einem Plus von 1,6 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum im 1. Halbjahr 2019.

Factoring konnte dabei, wie schon in der Finanzkrise 2009, seine stabilisierende Funktion durch sofort zur Verfügung stehende Liquidität beweisen.

Diese Zahlen sind maßgeblich für den kompletten deutschen Factoring-Markt, da die Mitglieder des Verbandes rund 98 Prozent des gesamten verbandlich organisierten Factoring-Volumens in Deutschland bedienen. Sie zeigen dabei auch, dass die Maßnahmen der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Warenkreditversicherern fruchten und zu Stabilität in den Lieferketten durch Aufrechterhaltung der Finanzierungen durch Factoring beigetragen haben.

Auf welche Weise konnten der Deutsche Factoring-Verband und seine Mitglieder Factoring-Kunden besonders helfen, durch die Krise zu kommen?

Wir haben bereits zum Start des ersten Lockdowns im März dieses Jahres unsere ersten Stellungnahmen in Sachen Warenkreditversicherung an verschiedene Ministerien geschickt. Hier waren wir schneller als die meisten anderen und konnten uns ganz vorn in der Meinungsbildung positionieren.

Zudem enthielt ja das "Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht" unter anderem ein weitreichendes Moratorium für Leistungs- und Zahlungspflichten für von der Covid-19-Pandemie betroffene Verbraucher oder Kleinstunternehmen, welches bis Jahresmitte 2020 galt. (Nur) diese Schuldner erhielten in Form eines Leistungsverweigerungsrechts einen Aufschub für alle Leistungs- und Zahlungspflichten bei "wesentlichen Dauerschuldverhältnissen", die vor dem 8. März 2020 geschlossen wurden. "Wesentliche Dauerschuldverhältnisse" sind dabei indes nur solche, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind, wie zum Beispiel Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder die Wasserver- und -entsorgung. Der überwiegende Teil factorabler Forderungen war damit schlicht überhaupt nicht betroffen, anders als andere Finanzdienstleistungen. Ein wichtiger Grund, wieso unsere Mitglieder von entsprechenden Stundungs- oder Nichtzahlungsanfragen weitgehend unbelastet waren. Auch hier waren wir sehr frühzeitig und ersichtlich erfolgreich unterwegs.

Unsere Mitglieder informieren wir intern und exklusiv regelmäßig in sogenannten "Corona Updates" über die aktuellen Entwicklungen im Rahmen der pandemiebedingten Ausnahme- und Krisensituation, die für die Factoring-Branche relevant sein können. Das beinhaltet auch coronabedingte gesetzgeberische Maßnahmen und aufsichtsrechtliche Folgen, schwerpunktmäßig national, aber auch international.

Welche Chancen ergeben sich durch die Krise für die Factoring-Branche?

Der Verband wurde im positiven Sinne aufgrund der frühzeitigen und umfassenden Aktivitäten wahrgenommen, sowohl in den Medien als auch von anderen Verbänden, aber auch von potenziell neuen Mitgliedern. Dies führte zu weiteren Anfragen an den Verband. Die Vernetzung und Intensivierung des Austauschs mit anderen Verbänden, gerade und bewusst auch aus dem Nichtfinanzbereich, hat dabei dazu geführt, dass die Wahrnehmung und Bedeutung von Factoring als Mittelstandsfinanzierung und Mittel zur Aufrechterhaltung der nationalen aber auch internationalen Wertschöpfungsketten gerade in der Krise verstärkt wurde. Dies wird auch weitere mögliche Kunden auf die Mitglieder des Verbandes als potenzielle Anbieter und Dienstleister aufmerksam gemacht haben, was ein schöner Nebenerfolg ist.

Es war auch erfreulich zu bemerken, dass wir bei bestimmten Ministerien, bei denen wir in den letzten Jahren mangels akuter Themen nicht aktiv waren, noch präsent waren. Und zum Teil auch mit den gleichen Ansprechpartnern sofort wieder in den Dialog eintreten konnten. Die Meinungsführerschaft des Deutschen Factoring-Verbandes mit einer Marktabdeckung von rund 98 Prozent des verbandlich organisierten Factoring-Volumens konnte weiter gestärkt werden.

Wie sind Sie in der Verbandsarbeit mit der Krise umgegangen?

Die Coronavirus-Krise hat natürlich Herausforderungen für die Mitgliedsunternehmen einerseits und auch für die Verbandsarbeit andererseits mit sich gebracht. Am Anfang herrschte allgemein eine große Unsicherheit, was unter anderem zu vermehrten Anfragen und einem erhöhten Arbeitsaufwand bei der Geschäftsstelle führte. Auch die politischen beziehungsweise gesetzlichen Maßnahmen mussten kurzfristig aufgearbeitet und die für die Branche erforderlichen Schritte eingeleitet werden.

Wir hatten unser Büro in Berlin bereits in der 12. Kalenderwoche, also ab dem 16. März 2020, aus dem Regierungsviertel vorsorglich "evakuiert" und arbeiten seitdem dezentral. Hierbei war von Vorteil, dass im Jahre 2019 aufgrund von Umbaumaßnahmen im Büro bereits lange vor Corona umfassende externe Bürolösungen implementiert worden waren, auf welche dann sofort und ohne weiteren Ausbau der Technik umgestellt werden konnte. Wir mussten also unsere Digitalisierung nicht auf die Schnelle neu aufbauen. Alle Mitarbeiter waren zuvor bereits mit mobiler Technik ausgestattet. Dieses Back-up-System bewährt sich bis heute und wird aktuell noch weiter ausgebaut und verstärkt, auch für Zeiten nach Corona. Viele der Mitglieder hatten auf diese Weise anfangs überhaupt nicht bemerkt, dass das Büro nicht mehr klassisch besetzt war.

Die Mitgliederversammlung im Mai musste leider physisch abgesagt werden, konnte aber unter Berücksichtigung des Pandemie-Gesetzes in Form eines schriftlichen Umlaufverfahrens erfolgen, auch mit Wahlen. Zudem finden Seminare und Kolloquien - letztere wie immer nur für Mitglieder des Verbandes exklusiv - online statt. Wir planen für 2021 zwar noch eine physische Mitgliederversammlung, sind aber auch wieder darauf vorbereitet, anhand der verlängerten Regularien des Pandemie-Gesetzes für Verbände auch in 2021 wieder im schriftlichen Umlaufverfahren zu agieren.

Insgesamt konnten wir im Verband auch positive Auswirkungen der Pandemie verzeichnen: Der Wegfall der Dienstreisen wurde in Teilen sogar als Entlastung angesehen. Und auch nach Corona dürfte dauerhaft eine Verlagerung von klassischen Präsenzveranstaltungen in Richtung Online-Meetings erhalten bleiben.

Für welche Themen haben Sie sich in Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsträgern besonders eingesetzt?

Hier gab und gibt es viel: Neben den bereits genannten Moratoriums-Nichtbetroffenheiten, hatten wir uns bereits Mitte März 2020 dafür eingesetzt, dass die Liquiditätsversorgung in Lieferketten durch eine staatliche Absicherung der Warenkreditversicherungen (WKV) sichergestellt wird. Das mündete Mitte April erfreulicherweise in der Vereinbarung des sogenannten WKV-Schutzschirms in Höhe von 30 Milliarden Euro zwischen der Bundesregierung und den Kreditversicherern. Hierdurch konnten Kreditversicherer ihren Kunden weiterhin Limite im Umfang von rund 400 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, was sich letztlich auch positiv auf die Factoring-Umsätze im ersten Halbjahr ausgewirkt hat. Der Schutzschirm ist aktuell noch bis Ende des Jahres 2020 befristet, aber wir setzen uns für eine Prolongation ein und sehen bereits erste vorsichtige, aber positive Anzeichen in dieser Hinsicht.

Auch im insolvenzrechtlichen Bereich wurden von staatlicher Seite verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise abzufangen. Allen voran die temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die unter anderem mit dem Schutz von Anbietern von "fresh money" vor späteren insolvenzrechtlichen Anfechtungen einhergeht. Hier haben wir uns für eine weite Auslegung dieses Anbieterkreises eingesetzt, sodass auch über Factoring zur Verfügung gestellte neue Liquidität von diesem Schutz profitieren kann.

Unser Verband hat sich 2020 aber natürlich auch weiterhin mit Gesetzgebungsvorhaben und politischen Themen befasst, die auch unabhängig von der Corona-Krise existieren: Neben verschiedenen Entwicklungen auf EU- und nationaler Ebene, zum Beispiel im Bereich der Geldwäscheprävention und des Risikomanagements, befindet sich die Umsetzung der bereits Mitte 2019 verkündeten EU-Restrukturierungsrichtlinie mit dem Gesetzgebungsverfahren zum Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) aktuell in der entscheidenden Phase. Unser Verband setzt sich hierbei vor allem für bestimmte factoring-spezifische Klarstellungen im Bereich der mit dem neuen Restrukturierungsverfahren verbundenen Maßnahmen ein. Um so ein besseres Gleichgewicht zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen herzustellen und sicherzustellen, dass Factoring auch in Zeiten von Krise, Restrukturierung und Sanierung eines Unternehmens eine für alle Beteiligten sinnvoll einsetzbare Option bleibt. Dieses Thema bleibt uns sicher noch eine Weile erhalten.

Ausblick auf 2021: Was erwarten Sie im kommenden Jahr?

Wir warten zunächst die Gesamtjahreszahlen ab. Ob sich die unerwartet guten Zahlen des 1. Halbjahres 2020 fortsetzen, bleibt abzuwarten. Die Entwicklungen scheinen im Markt sehr unterschiedlich gewesen zu sein: Während viele branchenbedingte Einbrüche hatten, zum Beispiel im Automobilsektor, haben andere best-ever-Ergebnisse geliefert und zeigen überproportionales Wachstum. Diese Kluft war weiter als in normalen Jahren. Insgesamt sind Krisenjahre bekanntlich gute Jahre für Factoring. Auch in 2009 hatte es zwar einen Einbruch gegeben, danach (2010) stieg der Umsatz aber bereits wieder um über 37 Prozent deutlich an.

Die Konsolidierung der Factoring-Anbieter wird wohl dennoch weiter voranschreiten und zeigte sich auch in 2020: Während zum Anfang des Jahres noch 184 Anbieter bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht registriert waren, sind es jetzt nur noch 180. Factoring als modernes Finanzierungsinstrument wird perspektivisch seine Marktbedeutung eher festigen beziehungsweise weiter ausbauen.

Eine zunächst im Frühjahr durchgeführte Konjunkturabfrage zeigte eher düstere Ergebnisse. Aber eine erneute Abfrage im Sommer zeigte ein seitens der Mitglieder dann schon wieder etwas aufgehelltes Bild, obwohl immer noch Auswirkungen der Pandemie zu erkennen sind und natürlich zu beachten ist, dass diese Umfrage weit vor dem aktuellen zweiten Lockdown erfolgte. So sahen im Sommer rund 28 Prozent der Mitglieder fast unverändert zur Abfrage im April 2020 "gute" oder bessere Aussichten für das noch laufende Jahr voraus, erfreuliche knapp 28 Prozent sahen "befriedigende" Aussichten (plus acht Prozent), über 39 Prozent (fast unverändert) sahen nur "ausreichende" Tendenzen voraus. Erfreulich ist, dass "mangelhafte" oder gar "ungenügende" Aussichten im Sommer nur noch von gut vier Prozent (gegenüber fast 13 Prozent im April) der Mitglieder gesehen wurden.

Ist die Branche für das nächste Jahr gewappnet?

Factoring-Unternehmen sind flexibel, schon aufgrund der - im Gegensatz zu anderen Finanzdienstleistungen - nur sehr kurzen Forderungslaufzeiten von aktuell rund 40,7 Tagen (Jahresbericht Deutscher Factoring-Verband 2019). Sie können daher ihr Portfolio deutlich schneller anpassen und gegebenenfalls umstrukturieren, wenn Krisen wie die Corona-Pandemie anstehen. Und sie können auch in der Krise punktgenauer kreditorisch steuern, das ist ja gerade auch der Vorteil gegenüber der klassischen Bankenfinanzierung. Die weitere Entwicklung im Factoring wird dabei nicht unmaßgeblich davon abhängen, ob nahtlos eine Verlängerung des bisherigen WKV-Schutzschirms auch in 2021 gelingt und wie es mit dem Auslaufen des Schutzschirms nun mutmaßlich zum 30. Juni 2021 wirtschaftlich aussieht.

Auch das Thema der "Bugwelle" potenziell insolventer, aber staatlicherseits mit vielen Mitteln am Leben gehaltener Unternehmen, deren Bilanzkennzahlen sich in Teilen aufgrund der Corona-Krise massiv verschlechtert haben (sogenannte Zombieunternehmen), wird Factoring, wie die gesamte Wirtschaft, sicher über 2021 hinaus noch begleiten. Wir sind aber tendenziell hoffnungsvoll, dass die Factoring-Branche insgesamt gestärkt aus der Krise herauskommen wird, wie auch schon 2009/2010. Vor dem Hintergrund einiger Negativschlagzeilen aus dem Gesundheits-Factoring steht dies natürlich unter dem Vorbehalt, dass sich hier keine aufsichtsrechtlichen Kollateralschäden für die gesamte Branche ergeben.

Michael Menke ist seit vielen Jahren Mitglied des Vorstands und seit 2019 Vorstandssprecher des Deutschen Factoring-Verbands e.V., Berlin. Seit 2002 ist er als Geschäftsführer bei der PB Factoring GmbH in Bonn tätig.
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