"Wir kommen verhältnismäßig gut durch die Krise" Interview mit Bernd Renz

Bernd Renz, Foto: Targobank AG

Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie samt ihrer Auswirkung auf das Firmenkundengeschäft, steht der Factoring-Chef der Targobank AG der FLF im Interview Rede und Antwort. Die Factoring-Branche ist zwar Teil der Lösung, wenn es um (coronabedingte) Liquiditätsengpässe geht, doch auch sie unterliegt Umsatzrückgängen und der generellen Ungewissheit in Zukunftsfragen. Die Situation der Factoring-Anbieter ist stabil, aber dennoch flankiert von einigen wirtschaftlichen und juristischen Unwägbarkeiten. (Red.)

Herr Renz, würden Sie die Aussage von Politikern, dass wir bisher sehr gut durch die Corona-Krise gekommen sind und die Wirtschaft brummt, unterschreiben?

Ich glaube, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern bis dato recht gut durch die Krise gekommen sind. Klar, in einer solchen Ausnahmesituation läuft nicht alles rund. Sehr ärgerlich ist, dass wir nach über einem Jahr Pandemie noch immer keine belastbare Digitalstrategie im Bildungsbereich installieren konnten oder die Corona-Warn-App ihren Zweck noch nicht gänzlich erfüllen kann.

Aber es ist auch vieles richtiggemacht worden. Die Möglichkeit zur Kurzarbeit, milliardenschwere Hilfsprogramme, der Rettungsschirm für die Kreditversicherer - all das konnte sicherlich viele Insolvenzen für den Augenblick verhindern. Fraglich ist nur, ob das nachhaltig war oder die Insolvenzen nur aufgeschoben wurden. Es ist keine Überraschung, dass sich die innovativen, gesunden und vorausschauend gemanagten Firmen haben behaupten können. Für Betriebe, die bereits vor Corona in einer Schieflage waren, hat sich die Situation deutlich verschlechtert. Von einer brummenden Wirtschaft würde ich zum jetzigen Zeitpunkt definitiv nicht sprechen wollen. Meine Befürchtung ist vielmehr, dass die Anzahl der Zombie-Unternehmen zugenommen hat.

Wie äußert sich die derzeit angespannte Situation im Factoring?

Ich würde für unsere Branche nicht unbedingt von einer angespannten Situation sprechen. Klar, auch wir sehen einen Umsatzrückgang, was aber normal ist, da unsere Kunden weniger Umsatz machen, damit auch weniger Forderungen entstehen und dementsprechend verkauft werden können. Gleichzeitig wird weniger Liquidität von den Kunden in Anspruch genommen als das in der Vergangenheit der Fall war. Damit ist die Einnahmenseite natürlich angespannter, da auch gleichzeitig die Risiken für Ausfälle und Forderungsverluste steigen. Wer aber seine Risiken und die Kostensituation im Griff hat und auf eine gesicherte Refinanzierung blickt, sieht auch eine Menge Optionen und Chancen.

Angeschlagene Unternehmen profitieren vom Factoring?

Ja, ganz klar. Sobald die Umsätze bei den Unternehmen wieder steigen, wird der Liquiditätsbedarf zunehmen und die Factoring-Branche - welche auf die Werthaltigkeit der Assets abzielt und weniger auf die Bonität - schneller in der Lage sein, neue Finanzierungen zu strukturieren. Wachstum bedeutet Liquiditätsbedarf und somit automatisch Wachstum für unsere Branche.

Droht Deutschland aus Ihrer Sicht eine Insolvenzwelle?

Ich gehe davon aus, dass bei einem steigenden Bruttoinlandsprodukt (BIP) und einem zunehmenden Liquiditätsbedarf auch die Zahl der Insolvenzen ansteigen wird. Die von Corona beeinflussten 2020er-Bilanzen sowie eine unsichere Planung für 2021 machen alle Finanzierungslösungen, die die Bonität des Kunden zum zentralen Parameter machen, zur Herausforderung.

Warum sollten Kunden gerade jetzt auf Factoring setzen?

Das Statistische Bundesamt rechnet für 2021 mit einem BIP-Anstieg von 5,3 Prozent. Sollte sich dieses Wachstum einstellen, wird Liquidität benötigt. Factoring hat den klaren Vorteil, dass der Factor nicht ausschließlich auf die Bonität des Kunden zielt, sondern stärker auf die Verität der Forderungen. Dies hilft in schwierigen Zeiten, neue Factoring-Linien zu genehmigen beziehungsweise die Zusammenarbeit mit Bestandskunden zu verlängern oder auszubauen.

Wir haben in der Vergangenheit immer wieder beobachten können, dass die Insolvenzen erst am Ende einer Rezession stiegen. Daher raten wir allen Unternehmen, sich ein Liquiditätspolster anzulegen. Cash is King, das gilt gerade in kaum planbaren Zeiten. Nur mit genügend Liquidität kann ich schnell auf Veränderungen reagieren.

Was bedeuten drohende Insolvenzen für die Risikosituation des Factors?

Für die Factoring-Branche gibt es zwei Risikofelder. Erstens der Forderungsverkäufer wird insolvent. Dieses Risiko wird dadurch mitigiert, dass wir nur Forderungen kaufen, bei denen die Leistung bereits erbracht wurde und auch sonst keine Vereinbarungen bestehen, welche den Abnehmer dazu bringen, seine Verbindlichkeiten gegenüber dem insolventen Lieferanten beziehungsweise Forderungsverkäufer zu begleichen.

Das zweite Risiko ist die Insolvenz des Abnehmers. Im echten Factoring trägt der Factor dieses Risiko zu 100 Prozent. Steigende Insolvenzzahlen führen daher automatisch zu steigenden Forderungsausfällen bei den Factoring-Gesellschaften. Diese sind zwar in der Regel rückversichert, die Selbstbeteiligung und der unversicherte Teil müssen aber natürlich getragen werden.

In welchen Bereichen ist das Ausfallrisiko am größten beziehungsweise geringsten?

Ich würde die Frage nicht unbedingt entlang von Branchen beantworten wollen. Sicherlich gibt es Bereiche wie die Reisebranche, das Gastronomiegewerbe oder den Einzelhandel, die insgesamt stärker betroffen sind. Das sind aber nicht unbedingt Branchen mit einem hohen Factoring-Anteil. Wer sich vor der Krise schon in einer Schieflage befand, hat es sicherlich schwer.

Innovationskraft, genügend Liquidität, unternehmerischer Mut und Kreativität haben vielen Unternehmern geholfen, gut durch die Krise zu kommen. Daher sehe ich die Eigenkapitalausstattung sowie die Liquiditätsreserven als wichtigere Kriterien an als nur die Branche.

Wie sieht die Prognose für die nächsten Jahre aus?

Grundsätzlich ist es für den Factor kein Problem, wenn die Kunden weniger Umsatz machen. Weniger Umsatz bedeutet weniger Forderungen. Gleichzeitig bedeutet weniger Umsatz aber auch weniger Liquiditätsbedarf. Wir nehmen an, dass diese Unternehmen nach der Krise auf ihr altes Niveau kommen.

Die Frage ist nur, wann das sein wird. Momentan steigen die Inzidenzzahlen und der Lockdown wurde verlängert. Eine nachhaltige Strategie, die eine Perspektive über die Impfkampagne hinaus gibt, ist zurzeit nicht zu erkennen. Daher fällt es schwer einzuschätzen, ab wann sich das Leben wieder normalisiert und ob die Prognose von plus 5,3 Prozent beim BIP eintreten wird.

Welche Folgen hat das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (StaRUG)?

Mit dem StaRUG hat der Gesetzgeber erstmalig einen Rechtsrahmen für eine Sanierung außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens geschaffen. Damit soll die Lücke zwischen Sanierung und Insolvenz geschlossen werden. Ob das helfen wird und wie viele Unternehmen diese Form der Sanierung nutzen, muss man abwarten.

Ich sehe derzeit keine relevante Veränderung für die Factoring-Branche, auch wenn das Gesetz durchaus hätte klarer formuliert werden können. Aufgrund der Absicherung der Forderungen durch Warenkreditversicherer sollten sich die Auswirkungen insbesondere im Verhältnis zum Debitor überschaubar gestalten. Zudem muss sich noch zeigen, wie das StaRUG angenommen wird.

Welche anderen Themen sind derzeit besonders relevant?

Es bleibt abzuwarten, ob die Ereignisse rund um die Insolvenz des Rezeptabrechners AvP sowie die Entwicklungen bezüglich der Greensill Bank regulatorische Veränderungen bringen. Da deren Geschäftsmodelle aber nicht mit klassischem Factoring zu vergleichen sind, gehen wir davon aus, dass es hier erstmal nicht zu Anpassungen kommt. Außerdem gibt es Länder, in denen Factoring ausschließlich von Vollbanken betrieben werden darf, die durch das jeweilige Kreditwesengesetz (KWG) reguliert sind. Die KWG-Light-Regelung in Deutschland ist ein Kompromiss - aus meiner Sicht aber ein guter.

Solange beim Factoring nur werthaltige Forderungen finanziert werden, bei denen die Leistung bereits erbracht wurde, und die Ausfallrisiken auf der Abnehmerseite rückversichert sind sowie die Eigenkapitalregeln eingehalten werden, ist der Factoring-Anbieter keinen klassischen Kreditrisiken ausgesetzt. Wir als Targobank AG haben eine Zulassung als Vollbank und sehen daher etwaige Veränderungen gelassen.

Wann hoffen Sie, wieder von Wachstum zu profitieren?

Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil sie stark von der weltweiten Pandemieentwicklung abhängig ist. Ich glaube aber kaum, dass die globale und damit auch die deutsche Wirtschaft vor dem dritten Quartal wieder spürbar Fahrt aufnehmen werden. Man darf darüber hinaus auch die anderen weltwirtschaftlichen Unwägbarkeiten nicht vergessen, wie beispielsweise die Auswirkungen des Brexits oder die Veränderungen nach den amerikanischen Präsidentschaftswahlen.

Bernd Renz arbeitet seit fast 15 Jahren für die Targobank AG. Seit 2018 verantwortet er den Vertrieb Factoring in Deutschland.
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