"Wir sehen keine langfristigen Folgen für die Factoring-Branche"

Michael Ritter zeigt, wie man mit schnellen Reaktionen durch die Krise kommt

Michael Ritter, Foto: BFM

Rückblick auf 2020: Herr Ritter, inwieweit hat die Corona-Krise das mittelständische Factoring getroffen?

Nach unseren bisherigen Erhebungen hat sich der Markt für Factoring im Mittelstand auch unter dem Einfluss von Corona erfreulich robust gezeigt. Im April und Mai gab es pandemiebedingte Rückgänge, im Juni folgte eine Trendwende. So konnten die Mitgliedsunternehmen des Bundesverbands Factoring für den Mittelstand e. V. (BFM) ihre Umsätze im ersten Halbjahr 2020 um 5,3 Prozent steigern - gegenüber 8,7 Prozent im gesamten Geschäftsjahr 2019.

Durch die Entwicklung der Pandemie verzeichnen wir derzeit erneute Rückgänge beim Ankaufvolumen. Auch die Senkung der Mehrwertsteuer um drei Prozent wirkt dabei mit. Insgesamt sind die coronabedingten Effekte je nach Branche sehr unterschiedlich.

Positiv lässt sich festhalten, dass die erhöhten Risiken, die für Factors zu erwarten waren, noch keine Folgen für den Markt hatten. Dies führen wir auch darauf zurück, dass die Stabilisierungsmaßnahmen der Bundesregierung, zum Beispiel durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau, derzeit noch gegen Liquiditätsunterdeckungen in Unternehmen wirken. Ohne Frage werden aber die Insolvenzen im nächsten Jahr zunehmen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Übernahme des Ausfallrisikos, die mit echtem Factoring verbunden ist, an Bedeutung. Viele BFM-Mitglieder berichten uns von zunehmenden Neukundenanfragen.

Auf welche Weise konnten der BFM und seine Mitglieder den Mittelständlern besonders helfen, durch die Krise zu kommen?

In Absprache mit den Warenkreditversicherern konnten wir als Factors längere Zahlungsziele gewähren und eine größere Flexibilität bei überfälligen Rechnungen ermöglichen. Durch eine engere Bonitätsüberwachung der Debitoren haben wir zudem die Sicherheit für unsere Factoring-Kunden erhöht. Immer wieder bewährt sich auch das Netzwerk des BFM. Zum Beispiel über Verbandspartnerschaften werden relevante Geschäftspartner auf kurzem Wege zusammengebracht, was für wertvolle Allianzen sorgt. So haben unsere Mitglieder Zugriff auf spezielle Möglichkeiten der Refinanzierung. Sie berichten übereinstimmend, dass die Refinanzierung ihres eigenen Unternehmens auch in der Krise problemlos verläuft. Damit können sie ihren Kunden weiterhin stabile Finanzierungspartnerschaften anbieten.

Welche Chancen ergeben sich durch die Krise für die Branche?

Factoring wird noch stärker als bisher in der Funktion wahrgenommen, das Risiko von Forderungsausfällen abzusichern. In unserer BFM Factoring-Studie 2019 haben 56 Prozent der Befragten diesen Vorteil von Factoring als wesentlich benannt - vermutlich sind es heute mehr. Besonders stark zählt in Krisenzeiten auch die Verbesserung der Liquiditätssituation, die Factoring-Gesellschaften ermöglichen und derzeit auch über eine intensivere Zusammenarbeit mit den Hausbanken ihrer Kunden herstellen.

Insgesamt wird immer mehr Entscheidern in kleinen und mittleren Unternehmen die Liquiditätsversorgung als Kerndienstleistung bewusst. Das ist eine Chance, unser Modell der bankenunabhängigen Finanzierung noch fester im Mittelstand zu verankern. In unserer Studie sagen 55 Prozent der Entscheider, eine ausgewogene Finanzierung umfasse neben Eigen- und Fremdkapital auch Beteiligungen, Factoring und Leasing. Derzeit werden die Zahlen neu erhoben, auch vor dem Hintergrund der Krisenerfahrungen. Wir sind schon gespannt, wie sich die Einstellung der Finanzentscheider verändert hat, und können Anfang 2021 repräsentative Zahlen vorlegen.

Wie sind Sie in der Verbandsarbeit mit der Krise umgegangen?

Wir haben uns in kurzen Abständen zu den aktuellen Themen abgestimmt, damit unsere Mitglieder immer zeitnah informiert waren. Vor allem die Weitergabe von Erfahrungen anderer Mitglieder zu krisenrelevanten Themen nahm einen großen Anteil ein. Die Rückmeldungen zeigen, dass sich unsere Mitglieder auch durch die Schnelligkeit der Informationsbereitstellung im Verband sicher aufgehoben fühlen. Sehr hilfreich ist das gute menschliche Verhältnis und die offene Kommunikation der Mitglieder untereinander. Dies ließ sich auch aufrechterhalten, als die Verbandskommunikation stärker ins Netz verlegt werden musste und die jährliche Herbsttagung online stattfand.

Einen weiteren Kanal für den Austausch unserer Mitglieder bauen wir über den internen Bereich auf, der gerade in die neue Website des Verbands integriert wird. Über das Netz bekommen die BFM-Mitglieder umfassende Informationsangebote zu aktuellen Themen, etwa zu gesetzlichen Änderungen oder zu Regelungen für die Kurzarbeit, und zunehmend auch Weiterbildungsangebote. Gerade haben wir mit BFM "info.Punkt" ein neues webbasiertes Format eingerichtet, das Expertenwissen für die Praxis bietet. Auch bei den fachlichen Factoring-Themen läuft natürlich der Krisenbezug immer mit.

Für welche Themen haben Sie sich in Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsträgern besonders eingesetzt?

In Zusammenarbeit mit anderen Verbänden haben wir uns mit Erfolg dafür eingesetzt, dass der Bund einen Rettungsschirm für Warenkreditversicherer aufspannt. Zu der Verbändeallianz gehörten außer dem BFM der Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen e. V., der Deutsche Factoring-Verband, der Deutsche Franchiseverband e. V., der Bankenfachverband e. V., der Bundesverband der Freien Berufe e. V. sowie der Verband markenunabhängiger Mobilitäts- und Fuhrparkmanagementgesellschaften e. V. Durch die gemeinsame Initiative konnten im Sinne unserer Kunden die Lieferketten aufrechterhalten werden.

Der Rettungsschirm umfasst Garantien in Höhe von 30 Milliarden Euro, die bis zum Jahresende gelten. Es gibt klare Anzeichen, dass die Laufzeit dieses Kriseninstruments bis zum 30. Juni 2021 verlängert wird. Auf diesen Punkt hatte der BFM auch in einem Schreiben an das Wirtschaftsund Finanzministerium hingewirkt. Ein anderer Schwerpunkt unserer Interessenvertretung liegt auf der Regulatorik. Unser Dialog mit der Aufsicht ist ein andauernder Prozess, auch in der Krise.

Abbildung 1: Veränderung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Deutschland von 2005 bis 2019 und Prognose der Bundesregierung bis 2024 gegenüber Vorjahr Quellen: Bundesregierung, Statistisches Bundesamt; aus Crifbürgel/Actionable Insights

Ausblick auf 2021: Was erwarten Sie im kommenden Jahr?

Wir gehen von einer Erholung im nächsten Jahr aus: allgemein für die Konjunktur, ebenso für die Umsätze unserer Mitglieder. Als Unternehmer haben sie gelernt, auch mit dieser bisher unbekannten Krise umzugehen. Langfristige Folgen für die Factoring-Branche sehen wir daher nicht. Wie stark der Aufschwung 2021 sein wird, ist genauso schwer abzuschätzen wie die Entwicklung der Insolvenzen. Die Wirtschaftsauskunfteien Crif Bürgel und Creditreform, beide Verbandspartner des BFM, haben dazu verschiedene Szenarien erstellt.

Creditreform prognostiziert für das laufende Jahr etwa 16 000 bis 18 000 Insolvenzen und damit weniger als im vergangenen Jahr - Effekte der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht. Für 2021 sei ein deutlicher Anstieg der Insolvenzen auf 24 000 bis 26 000 Fälle zu erwarten. Eine Sonderuntersuchung zeigt, in welchen Branchen die Zahlungsverzögerungen zugenommen haben und damit auch die Risiken für Lieferanten und Kreditgeber. Crif Bürgel hat vier verschiedene Szenarien entwickelt, die Auswirkungen der Corona-Krise auf die deutsche Wirtschaft zeigen. Die Schwankungsbreite bewegt sich von mild bis sehr schwer.

Abbildung 2: Corona-Hilfen, die der Mittelstand 2020 in Anspruch nimmt Quelle: Creditreform/MI-HE2020/04; Alexander Nielsen, Verband der Vereine Creditreform

Ist die Branche für das nächste Jahr gewappnet?

Die mittelständischen Factoring-Gesellschaften des BFM haben sich in der Corona-Krise als zuverlässige und stabile Finanzpartner für ihre Kunden gezeigt. Durch den engen persönlichen Kontakt haben wir seit jeher ein besonderes Verständnis für den Bedarf unserer Kunden, was sich in der Krise auf neue Weise bewährt. Wir fühlen uns für weitere herausfordernde Situationen gewappnet - der Blick liegt auf dem Kundenportfolio. Sicherlich wird eine von Einschränkungen betroffene Branche stärker im Fokus des Factors stehen. Immer mehr zeichnet sich ab, dass es Wachstumsbranchen gibt und Branchen, die stärker unter den Einschränkungen leiden. Liquiditätsbedarf haben bekanntlich beide Gruppen. Für sie werden wir selbstverständlich auch in Zukunft ein unterstützender Partner sein und dabei mit gewohnter Qualität und Berechenbarkeit agieren.

Michael Ritter ist seit April 2019 Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Factoring für den Mittelstand e. V. in Berlin. Im Juli 2014 hat er die Geschäftsführung der Adesion Factoring GmbH übernommen.

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