Vorschlag für eine Europäische Währungsverfassung zur Implementierung einer neuen Geldordnung

Dr. Timm Gudehus, Hamburg, und Dr. Christopher Mensching, Rechtsanwalt, Lüneburg - Wenn gewohnte Instrumente nicht (mehr) die gewünschten Wirkungen erzielen, werden oft ganz neue Überlegungen angestellt oder alte Erkenntnisse in Erinnerung gerufen. In diesem Sinne hat die Geldpolitik der großen Notenbanken als Reaktion auf die Finanzkrise in den vergangenen Jahren zu den viel zitierten unkonventionellen Maßnahmen gegriffen. Es ist in Wissenschaft und Praxis aber auch viel darüber nachgedacht worden, welche geldpolitischen Gedanken aufgegriffen und im Lichte der heutigen Anforderungen verfeinert und weiterentwickelt werden könnten. Zu den Ergebnissen dieser Debatte gehört auch das Vollgeldkonzept, das das alleinige Recht zur Schöpfung von gesetzlichem Geld in allen Erscheinungsformen den Zentralbanken überlassen will. In der Schweiz gibt es dazu eigens eine Vollgeldinitiative. Ob ein solcher Ansatz in einer globalisierten Welt voller Interdependenzen Aussicht auf Umsetzung hat, wenn die großen Zentralbanken nicht mitziehen, darf bezweifelt werden. Die Autoren bauen aber auf Überzeugungsarbeit und stellen als Element einer neuen Geldordnung eine Europäische Währungsverfassung zur Diskussion. (Red.)

Geld ist eine Lizenz zur Nutzung als Zahlungsmittel zur rechtsverbindlichen Erfüllung monetärer Forderungen. In einem Rechtsstaat sollte daher gesetzlich festgelegt sein, welche Institutionen Geld in welcher Form und Menge erzeugen dürfen, wie das Geld in den Verkehr gebracht wird, welche Bedingungen für den Geldumlauf gelten und in welchen Bereichen das gesetzliche Geld allein zulässiges Zahlungsmittel ist.

Viele nationale und europäische Gesetze und Verordnungen

Heute gibt es keine Legaldefinition des Geldes und keine explizite Währungsverfassung. Die Vorstellungen vom Geld, die bestehenden Gesetze und deren Begrifflichkeiten sind vom herkömmlichen Bargeld geprägt. Das als allgemeines Zahlungsmittel vorherrschende Giralgeld auf Konten bei Banken, Sparkassen und sonstigen Kreditinstituten ist rechtlich weitgehend ungeregelt. Die Regelungen des bestehenden Geldsystems sind unvollständig, widersprüchlich, missverständlich, intransparent und mehrdeutig. Sie sind auf viele nationale und europäische Gesetze und Verordnungen verteilt.1)

Die bestehende Rechtsunsicherheit könnte durch eine Europäische Währungsverfassung beendet werden, die die Ziele, Grundsätze und wesentlichen Punkte einer neuen Geldordnung für die Europäische Währungsunion regelt. Mit diesem Beitrag wird ein Vorschlag für eine solche Europäische Währungsverfassung präsentiert und zur Diskussion gestellt. Damit soll eine neue Geldordnung implementiert werden, die auf der Vollgeldreform von Joseph Huber und deren Vorläufern beruht.2) Die Vorschläge für eine neue Geldordnung und deren Implementierung durch eine Währungsverfassung sind vor dem Hintergrund der immer noch virulenten und nach wie vor ungelösten Banken- und Staatsschuldenkrise hoch aktuell.

Heutiges Geldsystem: Das heutige Geldsystem ist gekennzeichnet durch zwei getrennte Geldmärkte, die über die Geschäftsbanken miteinander verbunden sind, den Interbankengeldmarkt und den Nichtbankengeldmarkt: Auf dem Interbankengeldmarkt leihen und verleihen private und öffentliche Geschäftsbanken untereinander Zentralbankbuchgeld, das sie sich auf Kredit oder durch Verkauf von Wertpapieren bei der Zentralbank beschaffen und jederzeit in Bargeld, also in Münzen und Banknoten, umtauschen können. Zentralbankbuchgeld ist kein Zahlungsmittel für Nichtbanken und kann daher von den Nichtbanken nicht zum Kauf von Gütern und Leistungen der Realwirtschaft verwendet werden. Auf dem Nichtbankengeldmarkt leihen und verleihen Haushalte, Unternehmen und andere Nichtbanken untereinander und über die Geschäftsbanken Bargeld und Giralgeld.

Im bestehenden Geldsystem beschränkt sich das Geldmonopol (Geldregal) der Zentralbank auf das Bargeld3) und das Zentralbankbuchgeld, das heißt die Guthaben auf den Zentralbankkonten. Das heute vorherrschende Zahlungsmittel ist jedoch das Giralgeld, das sind die Guthaben auf den Girokonten bei Geschäftsbanken.

Dualität des Giralgeldes

Für die Kontoinhaber ist das Girokontoguthaben eine jederzeit verfügbare Geldeinlage, für die Geschäftsbank ist es eine jederzeit fällige Verbindlichkeit gegenüber den Kontoinhabern. Giralgeld ist also zugleich Zahlungsmittel, das heißt Geld, und Zahlungsverpflichtung, das heißt Kredit. Diese Dualität des Giralgeldes ist die Ursache von Rechtsunsicherheit, Missverständnissen und anderen Problemen des heutigen Geldsystems.

Giralgeld kann von den Geschäftsbanken in einer Menge erzeugt werden, die weit über ihre Kontoguthaben bei der Zentralbank hinausgeht. Die Girokontenguthaben können daher nicht jederzeit vollständig in Bargeld ausgezahlt oder auf Konten bei anderen Geschäftsbanken übertragen werden. Sie sind nur begrenzt verfügbar und nicht vollständig liquide. Bei einer Insolvenz mehrerer Großbanken ist das Giralgeld wegen der unzureichenden Einlagensicherungseinrichtungen und Bankensicherungsfonds nur teilweise gesichert. So beträgt die geplante Höhe des Bankenabwicklungsfonds der Eurostaaten mit 55 Milliarden Euro weniger als 1 Prozent des Giralgeldbestands.

Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken

Die Giralgeldschöpfung vollzieht sich, indem die Geschäftsbanken Kredite auf Girokonten bereitstellen oder Wertpapiere und Sachwerte mittels Gutschrift des Kaufpreises auf den Girokonten der Veräußerer erwerben. Die Giralgeldschöpfung wird heute durch sehr geringe Mindestreserven und lockere Eigenkapitalvorschriften kaum noch eingeschränkt. Sie wird begrenzt durch die Liquiditätsvorschriften der Bankenaufsicht und die Risikobereitschaft der Geschäftsbanken sowie durch die Kreditnachfrage und die Kreditsicherheiten der Bankkunden. Durch den Erlös von Kreditzinsen für das selbst erzeugte Giralgeld und Einsparung von Refinanzierungszinsen erzielen die Geschäftsbanken laufend beträchtliche sekundäre Geldschöpfungsgewinne.4)

Neue Geldordnung: Um die Schwächen und Probleme des heutigen Geldsystems zu beseitigen, wird eine neue Geldordnung benötigt, die folgende Forderungen erfüllt:

- Rechtsverbindliche Definition des Geldes und der Geldmenge,

- Trennung von Geld und Kredit,

- Gesetzlich garantierte Sicherheit und uneingeschränkte Verfügbarkeit des Geldes,

- Geldschöpfungsmonopol der Zentralbank,

- Keine Geldschöpfung und Geldschöpfungsgewinne der Geschäftsbanken,

- Sicherung des Geldwertes durch Begrenzung von Geldschöpfung und Geldmenge,

- Dämpfung extremer Konjunkturzyklen und Finanzmarktschwankungen,

- Entschuldung und Befreiung des Staates vom Zwang zur Neuverschuldung,

- Rechtssicherheit durch transparente, widerspruchsfreie und eindeutige Regelungen.

Diese Anforderungen lassen sich durch eine neue Geldordnung5) erfüllen, die aus der Vollgeldordnung von J. Huber6), dem 100-Prozent-Money-Konzept7) von H. Simons und I. Fisher, dem sogenannten Chicago-Plan8) und anderen Vorschlägen9) entwickelt wurde.

In der neuen Geldordnung ist das Zentralbankgeld alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel. Auf dem Nichtbankengeldmarkt wird zwischen Banken und Nichtbanken mit dem gleichen Zentralbankgeld gehandelt wie auf dem Interbankengeldmarkt. Die Zentralbank hat mit dem umfassenden Geldregal das alleinige Recht zur Schöpfung von gesetzlichem Geld in allen Erscheinungsformen. Sie beschließt die Schöpfung von zusätzlichem Geld und regelt die Verkehrsgeldmenge, das heißt die im Verkehr befindliche Geldmenge, deren Wachstum auf das reale Wirtschaftswachstum im Währungsgebiet begrenzt ist.

Zentralbank als Garant eines ordnungsgemäßen Zahlungsverkehrs

Das staatliche Geld wird von der Zentralbank in den Erscheinungsformen Bargeld (Münzen und Banknoten) und Buchgeld erzeugt. Es wird langfristig und irreversibel durch Gewinnausschüttungen an den Staat in den allgemeinen Zahlungsverkehr gebracht. Kurzzeitig und reversibel kann die Verkehrsgeldmenge durch Kauf und Verkauf von Offenmarktpapieren, durch Überziehungskredite an Banken und Staat sowie durch andere geldpolitische Instrumente verändert werden.

Das Zentralbankbuchgeld der Banken ebenso wie der Nichtbanken wird auf Geldkonten verbucht, die von hierfür zugelassenen Geldbanken außerhalb ihrer Bilanzen - ähnlich wie Wertpapierdepots - verwaltet werden. Es ist damit vollständig gesichert und für die Eigentümer unbegrenzt verfügbar. Die Zentralbank überwacht den ordnungsgemäßen Zahlungsverkehr und garantiert den Umtausch von Buchgeld in Bargeld und umgekehrt.

Die Einführung der neuen Geldordnung ist im Prinzip recht einfach: Die bestehenden Girokonten werden aus den Bankbilanzen ausgegliedert und in Geldkonten mit Zentralbankbuchgeld umgewandelt. Dadurch geschieht mit dem privat geschöpften Giralgeld das Gleiche wie vor über hundert Jahren mit den privat ausgegebenen Banknoten, die damals durch staatliche Banknoten ersetzt wurden.

Neue Bilanzierung des Geldes

Mit der neuen Geldordnung wird nur das Geld "verstaatlicht", nicht aber die Banken. Private und öffentliche Geschäftsbanken können als Geldbanken die Geldkonten ihrer Kunden verwalten sowie als Zahlungsdienstleister, Kreditgeber und Finanzdienstleister weiterhin die herkömmlichen Bankgeschäfte betreiben. Sie können jedoch wie andere Wirtschaftsteilnehmer nur mit Geld arbeiten, das sich bar in der Kasse oder unbar auf ihren eigenen Geldkonten befindet, das sie also selbst eingenommen, am Geldmarkt oder von Kunden aufgenommen oder als Eigenkapital eingebracht haben.

Um Geld und Kredit zu trennen, wird mit Einführung der neuen Geldordnung die Bilanzierung des Geldes umgestellt: Bargeld und Buchgeld werden in Zukunft - wie bisher nur die Münzen - in den Bilanzen der Zentralbanken wie auch der Geschäftsbanken als Aktivum verbucht. Damit wird Geld bei den Banken, Zentralbanken und Nichtbanken auf die gleiche transparente Art und Weise gebucht.10)

Mit der Umstellung der Girokonten in Geldkonten werden die jetzigen Verbindlichkeiten der Geschäftsbanken gegenüber den Kontoinhabern zu Umwandlungskrediten der Zentralbank an die Geschäftsbanken, die nach und nach getilgt werden müssen. Bei der Zentralbank ergeben sich aus der neuen Bilanzierung des Geldes als Aktivum Umwandlungs- und Umstellungsgewinne in Höhe des gesamten umgewandelten Giralgeldbestands plus des umgewandelten Gesamtbestands des Zentralbankbuchgeldes und der zukünftig ebenfalls als Aktivum bilanzierten Banknoten. Mit diesen einmalig eintretenden Gewinnen ist eine deutliche Senkung der Staatsverschuldung möglich, zum Beispiel im Euroraum bei einer Umstellung im Jahr 2012 von über 100 Prozent auf unter 20 Prozent des BIP.11)

Vertrauen in eine weisungsunabhängige Zentralbank

Danach ergeben sich aus der Anpassung der Geldmenge an das Wirtschaftswachstum weitere Geldschöpfungsgewinne, die eine Entlastung der Staatshaushalte oder Steuersenkungen ermöglichen.

Vorschlag einer Europäischen Währungsverfassung: Die Forderung nach Rechtssicherheit der Geldordnung wird durch eine Europäische Währungsverfassung erfüllt, in der die Ziele, Grundsätze und wesentlichen Punkte der neuen Geldordnung für die Europäische Währungsunion geregelt sind. Sie regelt auch den Übergang zur neuen Geldordnung und die notwendige Änderung der Geldbilanzierung.

Essenziell für die Akzeptanz der neuen Geldordnung ist das allgemeine Vertrauen in die Fähigkeit einer von den Regierungen weisungsunabhängigen Zentralbank, den Geldwert zu sichern und nicht mehr neues Geld zu schaffen als für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung erforderlich ist. Daher müssen die Aufgaben, Handlungsmöglichkeiten und Ziele der Zentralbank in einer Währungsverfassung unmissverständlich und verbindlich festgelegt werden. Geregelt werden müssen insbesondere die rechtliche Stellung der EZB und NZB, die Rangstufe der Geldwertsicherung sowie die Verpflichtung der Zentralbank zu finanz- und wirtschaftspolitischer Neutralität.

Mit der Neuformulierung einer konsistenten Währungsverfassung als Vorarbeit zur Implementierung einer neuen Geldordnung wird Neuland betreten. Die Veröffentlichung eines ersten Textvorschlags soll die Fachwelt zur Diskussion und Mitarbeit anregen.

Ein Textvorschlag für eine Europäische Währungsverfassung sowie weitere Erläuterungen und Begründungen wie auch offene Fragen sind in der Langfassung dieses Beitrags zu finden, die unter www.kreditwesen.de unter Eingabe der Autorennamen, des Stichwortes "Europäische Währungsverfassung" oder unter dem QR-Code abrufbar ist.

Fußnoten

1) Literatur und Quellen siehe Langfassung dieses Beitrags (abrufbar unter www.kreditwesen.de)

2) J. Huber, Monetäre Modernisierung, Zur Zukunft der Geldordnung: Vollgeld und Monetative, 4. Auflage., Metropolis, Marburg 2014; H. Chr. Binswanger et al., Die Vollgeld-Reform, Wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können, Edition Zeitpunkt, Solothurn 2012. Weitere Literatur siehe Langfassung.

3) Die Bundesrepublik Deutschland hat zwar auch nach der Einführung des Euro das alleinige Recht, Münzen auszugeben (vgl. Art. 128 Abs. 2 AEUV). Das jährliche Emissionsvolumen der einzelnen teilnehmenden Mitgliedsstaaten unterliegt aber der Genehmigung durch die EZB.

4) Es handelt sich somit um "Zinsseigniorage" und nicht um originäre Seigniorage, also die Differenz zwischen Erzeugungskosten und Nominalwert des neu geschaffenen Geldes.

5) T. Gudehus, Notwendigkeit, Regelungen und Konsequenzen einer neuen Geldordnung, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 63 Jg., Heft 1/2014, S. 74 bis 106.

6) Siehe Fn. 2.

7) H. C. Simons, 100 Per-Cent Liquid, Leitartikel, The Wall Street Journal 1934; I. Fisher, 100%-Money, 1935, (Übersetzung K. Karwat, 100-Prozent-Geld, Verlag für Sozialökonomie, Kiel 2007).

8) M. Friedman, A Program for Monetary Stability, New York 1960; R. Gödde, Der Chicago-Plan, WISU, 14. Jahrgang, Heft 11, November 1985, S. 525ff.

9) M. Allais, L'Impôt sur le capital et la réforme monétaire, Hermann Éditeurs des Sciences et des Arts, Paris 1977 (Nouvelle édition 1988); R. Gocht, Kritische Betrachtungen zur nationalen und internationalen Geldordnung, Duncker & Humblot, Berlin 1975 (2. Auflage 2011).

10) Literatur siehe Langfassung.

11) T. Gudehus, Dynamische Märkte, Grundlagen und Anwendungen der analytischen Ökonomie, Tab. 19.1, Kap. 19, Neue Geldordnung, Springer Gabler, Berlin Heidelberg New York, 2015.

Dr. Timm Gudehus , Unternehmensberater, Hamburg
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