Welche Neuausrichtung braucht die Europäische Währungsunion?

Prof. Dr. Renate Ohr, Foto: Arne Bänsch

Die im Gefolge der Finanzkrise zutage tretenden Ungleichgewichte und Schuldenprobleme identifiziert die Autorin als Beleg dafür, dass sich die Heterogenität der Euro-Mitgliedsländer nicht wie von den Protagonisten der Währungsunion erwartet durch eine gemeinsame Währung und Geldpolitik abbaute, sondern die Divergenz eher größer wurde. Der Euro erscheint es ihr gleichwohl wert, ihn als wirtschaftliches und politisches Projekt nicht scheitern zu lassen. Dafür muss aus ihrer Sicht die Zusammensetzung der Währungsgemeinschaft nicht unumkehrbar festgelegt sein. Sie plädiert neben einer disziplinierten staatlichen Haushaltsführung und einer produktivitätsorientierten Lohn- und Preispolitik zur Sicherung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit in allen teilnehmenden Ländern für eine Neuausrichtung mit geregeltem Austrittsmechanismus. Ihre These: Potenziellen Krisenländern zu signalisieren, dass gegebenenfalls auch ein Staatsbankrott eines Landes hingenommen würde, könnte ein Anreiz zur Umsetzung notwendiger nationaler Reformmaßnahmen sein und der EZB wieder die Konzentration auf ihre Kernaufgaben ermöglichen. (Red.)

Zum Jahresbeginn kann der Euro sein 20-jähriges Bestehen feiern. Im Vorfeld der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung gab es viele kritische Stimmen, die betonten, dass die beteiligten Länder keinen sinnvollen oder gar optimalen Raum für eine gemeinsame Währung darstellten.1) Als Folge würden wirtschaftliche und politische Spannungen in der Gemeinschaft auftreten, die den europäischen Integrationsprozess insgesamt gefährden könnten. Die notwendige Homogenität der Mitgliedsländer sollte zwar vor dem Eintritt in die Währungsgemeinschaft durch die Maastrichter Konvergenzkriterien gewährleistet werden, diese erwiesen sich jedoch als unzureichend.

Auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die No-Bailout-Klausel im EU-Vertrag, die für weitere Stabilität nach dem Eintritt in die Eurozone sorgen sollten, versagten. Die sich im Zeitablauf aufbauenden und im Gefolge der weltweiten Finanzkrise endgültig zutage tretenden Ungleichgewichte und Schuldenprobleme waren ein Beweis dafür, dass sich die Heterogenität der Mitgliedsländer (in Hinblick auf wirtschaftliche Strukturen und wirtschaftspolitische Präferenzen) nicht - wie die Protagonisten der Währungsunion erwartet hatten - durch die gemeinsame Währung und die gemeinsame Geldpolitik abbaute, sondern es stattdessen sogar zu weiterer Divergenz in der Währungsgemeinschaft kam.

Ein politisches Projekt

Dass der Euro trotz allem nun seit fast 20 Jahren existiert und zwar für mittlerweile sogar 19 EU-Länder, ist vor allem dem politischen Willen zu verdanken, "alles was nötig ist" zu tun, um dieses Projekt nicht scheitern zu lassen. Damit verbunden sind jedoch eine nicht mehr unpolitische Geldpolitik der EZB, temporär sehr starke wirtschaftliche und politische Spannungen zwischen den Euroländern sowie die Gefahr des Übergangs zu einer Transfer- und Haftungsunion.

Die Europäische Währungsunion war und ist primär ein politisches Projekt.2) Zwar wurde sie mit ökonomischen Vorteilen begründet, insbesondere damit, dass eine gemeinsame Währung den Handel zwischen den Partnern sehr stark intensivieren würde und auch zwischenstaatliche Finanztransaktionen dann nicht mehr durch Wechselkursrisiken behindert seien. Es zeigt sich allerdings, dass für das Funktionieren des Europäischen Binnenmarktes - also für die europäischen Handelsbeziehungen - der Euro nicht maßgeblich entscheidend ist. Der EU-Binnenmarkt funktioniert mit EU-Ländern, die nicht der Eurozone angehören, genauso gut wie zwischen Europartnern.

Auch ist zwar der Außenhandel zwischen den Ländern der Eurozone in den letzten 20 Jahren gestiegen, doch sind die Wirtschaftsbeziehungen zu Nicht-Euroländern deutlich stärker gewachsen als zwischen den Europartnern. Die gemeinsame Währung ist also nicht entscheidend dafür, wie intensiv sich die Handelsverflechtungen entwickeln, sondern es hängt letztlich davon ab, ob expandierende und aufnahmefähige Märkte eingebunden sind, die Export und Import beflügeln. Diese expandierenden Märkte befinden sich aber mittlerweile weniger im Kerneuropa oder gar in der Eurozone, sondern in der (östlichen) EU-Peripherie und in nichteuropäischen Regionen.

Gemeinsame Währung nicht entscheidend für Handelsverflechtungen

Der Vorteil des Wegfalls von Wechselkursrisiken für den internationalen Kapitalverkehr ist prinzipiell unbestritten. In der Europäischen Währungsunion hat er sich allerdings teilweise ins Gegenteil verkehrt, indem die Finanzmärkte den Wegfall der Wechselkursrisiken auch als Auflösung der unterschiedlichen Länderrisiken interpretierten. Hierdurch floss das Kapital zwar zunächst "in die richtige Richtung" (also in die kapitalarmen südeuropäischen Länder), wurde dort jedoch nicht so produktiv verwendet, wie es die ökonomische Theorie eigentlich voraussagt.

Stattdessen konnte es für Konsumzwecke verwendet werden und zu Immobilienblasen führen, ohne dass sich zunächst die Risiken, die damit verbunden sind, in den Kapitalmarktzinsen zeigten. Die No-Bailout-Klausel, die eigentlich die Haftung der Gemeinschaft für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten ausschließt, spiegelte sich also nicht in den Erwartungen der Finanzmärkte, sondern diese vertrauten darauf, dass man das politische Projekt Euro nicht dadurch scheitern lassen würde, dass man gegebenenfalls ein Euroland in den Staatsbankrott geraten ließe.

Das politische Projekt Euro bewirkte also kaum die propagierten wirtschaftlichen Vorteile, sondern löste stattdessen sogar zusätzliche Probleme aus. Die grundlegende Ursache war und ist die Heterogenität der an der gemeinsamen Währung beteiligten Volkswirtschaften, ihre unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen und ihre unterschiedliche Stabilitätsbereitschaft, die keine für alle gleichermaßen optimale einheitliche Geld- und Währungspolitik möglich macht. Da Sanktionen bei stabilitätswidrigem Verhalten nicht umgesetzt wurden, sondern daraus entstehende Verschuldungsprobleme von der Gemeinschaft aufgefangen wurden, drifteten wirtschafts- und finanzpolitische Kontrolle und Haftung auseinander.

Fehlentwicklungen

Die im Gefolge der Finanzkrisen verschiedenster Euroländer beschlossenen vielfältigen Hilfsmaßnahmen (inklusive der umfangreichen Anleihenkäufe der EZB) führten im Endeffekt weniger zu einem Risikoabbau, als vielmehr zu einer Risikoteilung und fördern damit Moral-Hazard-Verhalten, also Fehlanreize zulasten der soliden Europartner. Zudem wird mit den (sich auftürmenden) Target-Salden den unsoliden und/oder wettbewerbsschwachen Staaten quasi eine Art von "Überziehungskredit" ohne Limit und ohne konkrete Rückzahlungsverpflichtung verschafft.

Problematisch wird dies spätestens, sobald ein Land aus der Währungsgemeinschaft ausscheiden will oder soll. Aber kann/darf dies ein Grund sein, "koste es, was es wolle" die Eurozone unverändert zu erhalten? Reformen, wie sie derzeit im Raume stehen (eigenes Eurozonen-Budget, gemeinsame Einlagensicherung, weitere Fonds beim ESM), die letztlich vor allem dazu dienen, die Risikoteilung noch weiter zu forcieren, ändern an der Grundproblematik nichts, sondern sie verschärfen sie nur noch.

Der Euro muss zudem auch im Gesamtzusammenhang mit der Entwicklung der Europäischen Union beurteilt werden. Ein Euro, der letztlich zum Sprengsatz für die gesamte EU wird, kann nicht das Ziel sein. Seit einiger Zeit zeigen sich in der EU zunehmend separatistische Tendenzen - mit dem Brexit als besonders dramatischer Entwicklung und weiteren europafeindlichen, populistischen Bewegungen in verschiedenen Ländern.

Eurorettung nicht auf Kosten der EU

Die für die Gemeinschaft grundsätzlich angestrebte wirtschaftliche Konvergenz ist zwar im Ost-West-Vergleich der Pro-Kopf-Ein kommen tatsächlich festzustellen, doch liegt mittlerweile eine deutliche Nord-Süd-Divergenz der wirtschaftlichen Entwicklungen vor, die Spannungen verursacht und in nicht unwesentlichem Maße durch die gemeinsame Währung bewirkt wurde:3) Ursachen sind (a) reale Wechselkursänderungen, die nicht korrigiert werden (können) und dann hohe Leistungsbilanzungleichgewichte hervorrufen, (b) Zinsen, die nicht mehr die Länderrisiken widerspiegeln und dadurch zu hoher Verschuldung führen, und (c) Hilfen, die falsche Anreize setzen. Auch hier hat der Euro also nicht die gewünschte und von den Protagonisten vorausgesagte positive Wirkung erzielt, sondern das Gegenteil.

Die trotz allem zumeist (noch) dominierende positive Anziehungskraft der EU geht vor allem vom Europäischen Binnenmarkt aus, der ein uneingeschränktes Erfolgsprojekt ist. Die gemeinsame Währung wird dagegen von den Bürgern als nicht so entscheidende Errungenschaft betrachtet.4) Um die Gemeinschaft insgesamt nicht weiter zu destabilisieren, muss daher verhindert werden, dass Schuldenkrisen einzelner Euroländer zwangsweise von anderen Europartnern aufgefangen werden müssen. Dies destabilisiert nämlich nicht nur die Eurozone, sondern im Endeffekt die gesamte Gemeinschaft. Dazu müssen sich die an der Währungsgemeinschaft beteiligten Länder aber an die vertraglich vereinbarten Regeln halten, und es darf den einzelnen Ländern nicht die Verantwortung für eigene strukturelle Reformen abgenommen werden.

Die aktuellen Reformbestrebungen für die Europäische Währungsunion sind durch anhaltende Gegensätze zwischen den Befürwortern einer Stabilitätsunion und jenen einer Fiskalunion geprägt. Der Versuch, Krisen, die durch unterschiedliche Präferenzen und unterschiedliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen bedingt sind, durch "noch mehr Europa" bewältigen zu wollen, überfordert jedoch die heterogene Gemeinschaft auf Dauer. Weder eine Transfergemeinschaft noch die letztendliche Inflationspolitik der EZB können das Grundproblem der strukturellen Heterogenität, der divergierenden Wettbewerbsfähigkeit und der unterschiedlichen Stabilitätsbereitschaft in der Eurozone lösen.

Erfordernisse einer funktionierenden Währungsgemeinschaft

Fakt ist aber, dass der Euro mittlerweile seit 20 Jahren als gemeinsame Währung für eine immer größere Währungsgemeinschaft existiert - und zwar mit einem bisher, trotz aller internen Probleme, relativ stabilen Binnen- und Außenwert. Andererseits gibt es einige Länder, die anscheinend mit den für die gemeinsame Währung vorgesehenen Regeln nicht problemlos leben können oder wollen (Italien als aktuelles Beispiel). Eine funktionierende Währungsgemeinschaft erfordert in den beteiligten Volkswirtschaften schließlich eine disziplinierte staatliche Haushaltsführung und eine produktivitätsorientierte Lohn- und Preispolitik zur Sicherung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit (da Abwertungen nicht mehr möglich sind). Erfolgt dies nicht, so entstehen jene Schuldenkrisen, mit denen die Eurozone seit 2009 befasst ist. Nicht zuletzt die hohen und wieder stark angewachsenen Target-Salden zeigen, dass die Problematik gravierender ökonomischer Ungleichgewichte nach wie vor besteht.

Allerdings scheint es der Euro mittlerweile doch wert, ihn als wirtschaftliches und politisches Projekt nicht scheitern zu lassen, wenn auch die Zusammensetzung der Währungsgemeinschaft nicht unbedingt unumkehrbar festgelegt sein muss. Dazu müsste die Währungsunion aber so reformiert werden, dass nicht-gemeinschaftskonformes Verhalten künftig tatsächlich sanktioniert wird und gegebenenfalls zum (freiwilligen oder zwangsweisen) Austritt aus der Eurozone führen kann.

Das heißt, es sollte für solche Länder, die ihre anhaltende mangelnde Wettbewerbsfähigkeit nicht durch eine interne Abwertung (Lohn- und Preisreduzierung) in den Griff bekommen, die Möglichkeit geben, wieder zu einer eigenen Währung und einer Abwertung dieser Währung überzugehen. Zugleich sollten Länder, die nicht bereit sind, sich an die Verschuldungsregeln zu halten, sich nicht mehr auf eine Unterstützung der Währungspartner verlassen können. Dazu müsste jedoch ein geregelter Austrittsmodus (inklusive einer transparenten Staatsinsolvenzordnung5) ) gefunden werden, der nicht zur Selbstzerstörung der gesamten Eurozone führt. Eine vorab geregelte sinnvolle Vorgabe zur Auflösung der Target-Salden für ein ausscheidendes Land wäre eine wichtige Voraussetzung.

Neuausrichtung

Ein offiziell geregelter Austrittsmodus würde den potenziellen Krisenländern signalisieren, dass gegebenenfalls auch ein Staatsbankrott eines Landes hingenommen würde und verkraftbar erscheint. Dies könnte dann aber auch ein Anreiz zur Umsetzung notwendiger nationaler Reformmaßnahmen im Krisenland sein. Schließlich könnte sich die Europäische Zentralbank dann auch wieder auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, nämlich auf die Versorgung des Euroraums mit hinreichender, aber begrenzter Liquidität - für funktionierende Marktwirtschaften, aber nicht für die Finanzierung von Staatsschulden.

Fußnoten

1) Unter anderem gab es zwei "Manifeste" wirtschaftspolitischer Professoren: "Die währungspolitischen Beschlüsse von Maastricht: Eine Gefahr für Europa" unterzeichnet von 62 deutschen Professoren (FAZ und Zeit am 11. Juni 1992)sowie "Der Euro kommt zu früh" von mehr als 160 Wissenschaftlern (FAZ und Financial Times am 9. Februar 1998).

2) Issing Otmar (2016), On the Relation of Monetary and Political Union, in: Intereconomics, Vol. 51, Nr. 1, S. 16

3) Vgl. Franks Jeffrey et al. (2018), Economic convergence in the Euro Area: Coming together or drifting apart?, IMF Working Paper, WP/18/10; Diaz del Hoyo/E. Dorrucci et al. (2017), Real convergence in the euro area: a long-term perspective, ECB Occasional Paper No. 203.

4) So wird bei Befragungen des Eurobarometers zu den größten Errungenschaften der EU regelmäßig der "freie Verkehr von Personen, Gütern und Dienstleistungen innerhalb der EU" sowie der "Frieden zwischen den Mitgliedstaaten der EU" als die mit großem Abstand wichtigsten Errungenschaften genannt. Weit abgeschlagen folgen sodann auf gleicher Höhe "Studentenaustauschprogramme" und der Euro.

5) Vgl. Busch Berthold/Matthes Jürgen (2015), Regeln für Staatsinsolvenzen im Euroraum, IW-Analysen, Nr. 104.

Prof. Dr. Renate Ohr

Professorin für Volkswirtschaftslehre, Georg-August-Universität Göttingen

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