BANKING

Covid-19-Sondergesetzgebung im Fokus

Auswirkungen auf Verbraucherdarlehen

Wolf Stumpf, Foto: Noerr LLP

Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen von Covid-19 umfasst beachtliche Eingriffe in die Vertragsverhältnisse zwischen Darlehensgeber und -nehmer. Während Verbraucher eine Atempause bekommen, wird die Kreditwirtschaft stark belastet. Finanzierer werden mit einem dreimonatigen Liquiditätsausfall sowie einem erheblichen organisatorischen Mehraufwand konfrontiert. Der Beitrag gibt einen ersten Überblick über die Wohltaten des Gesetzgebers und zeigt Handlungsoptionen für Kreditgeber mit dem Ziel, die Belastungen so gering als möglich zu halten, auf. (Red.)

Das am 27. März 2020 verkündete Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht1) beinhaltet in Artikel 240 § 3 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) erhebliche Eingriffe in bestehende Vertragsverhältnisse zwischen Darlehensgebern und Verbrauchern.

Der sachliche Anwendungsbereich des Artikels 240 § 3 Absatz 1 EGBGB bezieht sich auf Verbraucherdarlehensverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern im Sinne des § 491 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und umfasst sowohl Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge (§ 491 Absatz 2 BGB) als auch Immobiliar-Darlehensverträge (§ 491 Absatz 3 BGB). In zeitlicher Hinsicht ist die Regelung ausschließlich anwendbar auf Verbraucherdarlehensverträge, die vor dem 15. März 2020 geschlossen wurden.2)

Gesetzliche Stundung

Kernstück der Regelungen ist die Stundung von vor dem 1. Juli 2020 fällig gewordenen Ansprüchen des Darlehensgebers. Die Stundung bezieht sich auf teilweise oder vollständige Darlehensrückzahlungen bei (teil-)endfälligen Darlehen sowie auf die während der Vertragslaufzeit anfallenden, regelmäßig monatlich zu erbringenden Zins- und Tilgungsleistungen mit Fälligkeit zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 (Artikel 240 § 3 Absatz 1 Satz 1 EGBGB). Die Stundungswirkung erfasst zunächst die zwischen dem 1. April 2020 und 30. Juni 2020 fällig werdenden Ansprüche, kann aber durch Rechtsverordnung auf Ansprüche, die bis zum 30. September 2020 fällig werden, ausgedehnt werden (Artikel 240 § 4 Absatz 1 Nummer 3 EGBGB). Erfüllt der Verbraucher die Ansprüche ganz oder teilweise, entfällt insoweit auch die Stundungswirkung (Artikel 240 § 3 Absatz 1 Satz 4 EGBGB).

Die Gesetzliche Stundung der Ansprüche aus Verbraucherdarlehensverträgen unterliegt aber auch diverser Anforderungen:

- Voraussetzungen: Um von der gesetzlichen Stundung profitieren zu können, müssen zum einen die Einnahmeausfälle aufgrund der Pandemie erfolgen. Der Darlehensnehmer muss von sich aus auf den Kreditgeber zugehen und sich auf die Stundung berufen. Dabei obliegt ihm grundsätzlich Darlegung und Beweis, dass er aufgrund der Covid-19-Pandemie Einnahmeausfälle hat.3) Insoweit wird der Darlehensnehmer gehalten sein, aussagekräftige Unterlagen vorzulegen.

Zum anderen muss eine Unzumutbarkeit der Leistungserbringung vorliegen. Die Darlehensnehmer müssen belegen können, dass ihnen durch diese Einnahmeausfälle die Erbringung der geschuldeten Leistungen nicht mehr zumutbar ist. Von der Unzumutbarkeit wird ausgegangen, wenn dem Darlehensnehmer ansonsten nicht mehr die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um seinen Lebensunterhalt und den seiner Unterhaltsberechtigten zu bestreiten (Artikel 240 § 3 Absatz 1 EGBGB). Wann dies genau der Fall ist, lässt das Gesetz offen, maßgeblich ist also der Einzelfall.

Der Gesetzgeber hat es sich an dieser entscheidenden "Stellschraube" etwas zu leicht gemacht. Offen bleibt nämlich, wie viel der Darlehensnehmer selbst von seinem Vermögen noch einsetzen muss, bevor er auf die Stundung zurückgreifen kann. Insoweit ist - eingedenk des Umstandes, dass die Folgen der Covid-19-Pandemie nicht einseitig auf die Kreditwirtschaft abgewälzt werden sollen - eine strenge Prüfung erforderlich. Diese stellt zwar durchaus auch auf den Einzelfall ab, fordert aber auch den Einsatz eigener Mittel des Darlehensnehmers ein, denn letztlich ähnelt die Stundung funktional einer Sozialleistung, die ebenfalls regelmäßig "gedeckelt" ist und mitunter den Einsatz eigenen Vermögens des Leistungsbeziehers verlangt.

Eine weitere offene Frage ist, welche von mehreren Darlehen gestundet werden, wenn ein Verbraucher diverse Darlehensverbindlichkeiten hat. Hier wird er regelmäßig einen Teil unter Wahrung seines Lebensstandards weiterführen können und mag bei einem Teil wohlmöglich auf die Stundung angewiesen sein. Es erscheint unbillig, dem Darlehensnehmer insoweit ein Auswahlermessen des zu stundenden Darlehens einzuräumen. Eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 742 BGB liegt anstelle dessen nahe. Die gesetzliche Stundung bewirkt somit das Hinausschieben der Anspruchsfälligkeit und verhindert im Stundungszeitraum den Eintritt des Schuldnerverzugs. Die Vertragsparteien können gemäß Artikel 240 § 3 Absatz 2 EGBGB ausdrücklich von dieser gesetzlichen Stundungsregelung abweichende Vereinbarungen, insbesondere über mögliche Teilleistungen, Zins- und Tilgungsanpassungen oder Umschuldungen, treffen.

- Gesprächsangebot und Vertragsverlängerung: Darlehensgeber und Darlehensnehmer sollen gemäß Artikel 240 § 3 Absatz 4 EGBGB die Stundungszeit zudem nutzen, ein Gespräch über die Möglichkeit einer einverständlichen Regelung zu führen. Hierbei soll der Darlehensgeber auch mögliche Hilfs- und Überbrückungsmaßnahmen anbieten.4) Ziel des Gespräches soll es sein, einen Weg zu finden, die vertragliche Beziehung angesichts der Krise auf eine tragfähige Grundlage zu stellen.5)

Kommt keine einverständliche Regelung für den Zeitraum nach dem 30. Juni 2020 zustande, verlängert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate (Artikel 240 § 3 Absatz 5 Satz 1 EGBGB). Durch Rechtsverordnung kann die Verlängerung der Vertragslaufzeit auf bis zu zwölf Monate ausgedehnt werden (Artikel 240 § 4 Absatz 1 Nummer 3 EGBGB).

- Anspruch auf Stundungszinsen: Zu dem wirtschaftlich bedeutenden Punkt, ob der Darlehensgeber für die Überlassung des Kapitals während der dreimonatigen gesetzlichen Stundungsphase Stundungszinsen verlangen kann, ist weder Gesetz noch Gesetzesbegründung etwas zu entnehmen. Dies überrascht, gilt doch der Grundsatz, dass die Kapitalüberlassung im Wirtschaftsverkehr in der Regel gegen Entgelt erfolgt.6) Es spricht deshalb viel für einen Anspruch des Darlehensgebers auf Zahlung von Stundungszinsen. Dieses Ergebnis wird auch durch den Rechtsgedanken des § 612 Absatz 1 BGB gestützt, wonach eine Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Zudem wird - trotz der Regelung des Artikel 240 § 3 Absatz 6 EGBGB - durch die neuen Regelungen massiv in die Grundrechte des Darlehensgebers eingegriffen.7)

Überdies dürfte eine unentgeltliche Überlassung auch unter Berücksichtigung des bezweckten Verbraucherschutzes nicht erforderlich sein. So ist zwar erklärtes Ziel des Gesetzgebers, den Verbraucher kurzfristig bei einem finanziellen Engpass zu unterstützen, dies erfordert jedoch nicht die entgeltfreie Gewährung eines Vermögensvorteils. Artikel 240 § 3 Absatz 5 EGBGB ist deshalb unter Berücksichtigung des notwendigen Schutzes für Darlehensnehmer einerseits und der verfassungsrechtlich verbürgten Rechte der Darlehensgeber andererseits dahingehend auszulegen, dass in der vom Gesetzgeber angeordneten Verlängerung der Vertragslaufzeit um drei Monate auch die Pflicht zur Vergütung der Kapitalüberlassung seitens des Darlehensnehmers fortbesteht. Der Darlehensnehmer bleibt also auch für die durch die Stundungsperiode um drei Monate verlängerte Vertragslaufzeit zur Zahlung von Zinsen verpflichtet.

Ausschluss von Kündigungsrechten

Zusätzlich zur Stundung enthält Artikel 240 § 3 Absatz 3 EGBGB einen befristeten Ausschluss der Kündigungsrechte des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs oder wegen einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Darlehensnehmers. Von diesem Kündigungsschutz kann zu Lasten des Verbrauchers nicht abgewichen werden.8)

Nicht nachvollziehbar ist, dass der Gesetzgeber auch die Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen hat, soweit sie darauf fußt, dass sich die Werthaltigkeit einer Sicherheit für das Darlehen verschlechtert hat. Mit dem Ziel, dem von der Covid-19-Pandemie beeinträchtigten Darlehensnehmer (kurzfristig) "Luft zu verschaffen", lässt sich diese weitere Beschneidung der Rechte des Darlehensgebers nicht ohne Weiteres begründen. Es erscheint daher geboten, die Beschränkung des Kündigungsrechts teleologisch auf solche Fälle zu reduzieren, in denen sich die Werthaltigkeit der Sicherheit unmittelbar durch die Covid-19-Pandemie verschlechtert hat. Insbesondere bei Grundpfandrechten wird dies fraglich sein.

Unzumutbarkeit gesetzlicher Regelungen

Gemäß Artikel 240 § 3 Absatz 6 EGBGB kommen die oben beschriebenen Schutzmaßnahmen für Darlehensnehmer dann nicht in Betracht, wenn die Fortführung des Darlehensverhältnisses für den Darlehensgeber unzumutbar ist. Da es sich beim Rechtsbegriff der Unzumutbarkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, bedarf es einer einzelfallbezogenen Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien.

Der Gesetzesbegründung lässt sich jedoch entnehmen, dass der Gesetzgeber hier sehr hohe Hürden vor Augen zu haben scheint wie etwa betrügerisches Verhalten.9)

Praktische Umsetzung

Die neuen Regelungen konfrontieren die Darlehensgeber mit einem erheblichen Mehraufwand und beachtlichen Kosten, deren Ausmaß selbst der Gesetzgeber nicht zu beurteilen vermag.10) Dies betrifft neben dem einzelfallbezogenen Prüfungsaufwand, ob der Verbraucher jeweils die Voraussetzungen einer Stundung erfüllt, insbesondere die vom Gesetzgeber gewünschten Gespräche mit den Darlehensnehmern. Des Weiteren sind auch die Zusendung von Abschriften der gegebenenfalls geänderten Vertragsurkunden sowie die buchungstechnische Abbildung der Stundungen und Vertragsverlängerungen umfasst.

Es empfiehlt sich daher, nach kritischer Prüfung des Vorliegens der gesetzlichen Stundungsvoraussetzungen, den Darlehensnehmer auf vertragliche Anpassungsmöglichkeiten pro aktiv anzusprechen und eine abweichende Vereinbarung in Bezug auf die gesetzliche Stundungswirkung zu treffen, etwa über Teilleistungen, Zins- und Tilgungsanpassungen sowie Umschuldungen. Dies hat den Vorteil, dass Stundungswirkung und Vertragsverlängerung buchungstechnisch nicht abgebildet werden müssen und eine Auseinandersetzung darüber, ob die längere Kapitalüberlassung entgeltfrei ist, vermieden wird.

Um die organisatorische Belastung des Darlehensgebers zu senken, sollte überdies darüber nachgedacht werden, in der Individualvereinbarung einen Verzicht des Darlehensnehmers aufzunehmen, dass ihm - wie von Artikel 240 § 3 Absatz 5 Satz 3 EGBGB grundsätzlich vorgesehen - eine Abschrift des Darlehensvertrages zur Verfügung gestellt wird, in der die vereinbarten Vertragsänderungen berücksichtigt sind. Für die Zulässigkeit eines solchen Verzichts spricht, dass das Gesetz eine individualvertragliche Abbedingung nicht verbietet.

Fußnoten

1) BGBl. 2020 I 569 ff.

2) BT-Drs. 19/18110, S. 38.

3) BT-Drs. 19/18110, S. 38.

4) BT-Drs. 19/18110, S. 40.

5) BT-Drs. 19/18110, S. 39.

6) MüKo/Berger, Kommentar zum BGB, § 488 Rn. 55.

7) BT-Drs. 19/18110, S. 40.

8) BT-Drs. 19/18110, S. 39.

9) BT-Drs. 19/18110, S. 40.

10) BT-Drs. 19/18110, S. 6.

WOLF STUMPF ist Rechtsanwalt und Partner der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Bank- und Prozessrecht, Compliance und Geldwäscheprävention. Seit 1999 bei der europäischen Wirtschaftskanzlei verantwortet er die Beratung von Factoring-Unternehmen.
 
LAURA FRITSCH ist Rechtsanwältin und Senior Associate in der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Bereich Bank- und Kapitalmarktrecht. Sie vertritt Banken und Finanzdienstleister außergerichtlich und gerichtlich in allen Fragen rund um die Finanzierung mit einem Fokus auf Factoring.
Wolf Stumpf , Rechtsanwalt und Partner , Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB, Frankfurt am Main
Laura Fritsch , Rechtsanwältin und Senior Associate in der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main.

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X