RECHT

EuGH zum Drittwirkungsstatut

Auf Urteil folgen Unklarheiten

Wolf Stumpf, Foto: Noerr LLP

Die Rom I-VO regelt die vertraglichen Schuldverhältnisse des internationalen Privatrechts der Europäischen Union. Seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 2009 sind viele Fragen offen. Eine davon betrifft die Drittwirkung der Forderungsabtretung. Der Europäische Gerichtshof hat hierzu im Oktober 2019 eine Entscheidung getroffen: Die Drittwirkung darf nicht durch Rückgriff auf Artikel 14 Rom I-VO beantwortet werden. Die Autoren untersuchen in diesem Beitrag, was das Urteil konkret für die deutsche Rechtsprechung bedeutet. (Red.)

Während die europäische Rechtssetzung zur Stärkung des Binnenmarktes stetig voranschreitet, ist seit Inkrafttreten der Verordnung Nr. 593/20081) des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) vor etwas mehr als zehn Jahren zur Frage der Drittwirkung bei der Forderungsabtretung nur wenig geschehen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einer Entscheidung vom 9. Oktober 2019 - C 548/18-2) klargestellt, dass die Frage der Drittwirkung jedenfalls nicht durch Rückgriff auf Artikel 14 Rom I-VO beantwortet werden kann.

Will ein Factor eine Forderung ankaufen, stellen sich verschiedene Fragen.

Grenzüberschreitende Forderungsabtretung

Die Kernaspekte sind:

- Nach welchem Recht können Zessionar und Zedent die Forderung übertragen?

- Welches Recht bestimmt das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner?

- Nach welcher Rechtsordnung bestimmt sich das Verhältnis zu Dritten?

Fragen rund um die grenzüberschreitende Forderungsabtretung sind innerhalb der Europäischen Union in Artikel 14 Rom I-VO geregelt. Jedoch gibt diese Vorschrift nur teilweise eine Antwort:

- Artikel 14 Absatz 1 Rom I-VO erfasst das Verhältnis zwischen Zessionar und Zedent. Während nach bislang in Deutschland vorherrschender Meinung Zessionar und Zedent das Recht für die dingliche Wirkung der Forderungsabtretung im Binnenverhältnis frei wählen konnten, scheint die Europäische Kommission dies im Entwurf ihrer Verordnung über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht in Frage zu stellen.3)

- Artikel 14 Absatz 2 Rom I-VO regelt im Wesentlichen das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner. Hiernach ist das Forderungsstatut maßgeblich für "ihre Übertragbarkeit, das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner, die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehalten werden kann, und die befreiende Wirkung einer Leistung durch den Schuldner." In den Anwendungsbereich des Artikel 14 Absatz 2 Rom I-VO fällt beispielsweise ein zwischen Zedenten und Schuldner vereinbartes Abtretungsverbot.4)

- Unklar ist jedoch, wie die Frage der Drittwirkung zu beantworten ist. Hierunter wird letztlich die Frage verstanden, wer im Verhältnis zu Dritten Inhaber einer abgetretenen Forderung ist.5) Diese Dritten sind in aller Regel Gläubiger des Zedenten, die die abgetretene Forderung vollstrecken; also die Insolvenzmasse des Zedenten, vertreten durch den Insolvenzverwalter, oder im Falle der Mehrfachzession weiterer Zessionare, denen dieselbe Forderung vom Zedenten abgetreten wurde.6) Ausdrücklich wird das Verhältnis zu Dritten in Artikel 14 Rom I-VO nicht angesprochen. Die Rom I-VO erwähnt diese Thematik nur an einer Stelle - in ihrem Artikel 17 ist festgehalten, dass die Europäische Kommission einen Bericht, "ob die Übertragung einer Forderung Dritten entgegengehalten werden kann", vorzulegen und gegebenenfalls "ein[en] Vorschlag zur Änderung der [RomI- Verordnung] sowie eine Folgenabschätzung der einzuführenden Bestimmungen" beizufügen hatte. Sowohl für Factoring-Transaktionen als auch für die Verbriefung von Forderungen kommt dieser Frage erhebliche Bedeutung zu.

Europäische Kommission lässt sich Zeit

Die Europäische Kommission ließ sich hiermit ausgiebig Zeit und legte diesen Bericht erst am 29. September 2016 dem Europäischen Parlament vor. Hierin kam sie zu der Erkenntnis, dass es mangels einheitlicher Kollisionsnormen zur Drittwirkung einer Regelung durch den Europäischen Gesetzgeber bedürfe. Die Umsetzung dieser Erkenntnis in konkrete Vorschläge dauerte wiederum fast 1,5 Jahre und mündete in den Entwurf einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht (KOM[2018] 96 endgültig).

Hierin schlug die Kommission vor, dass die Drittwirkung von Forderungsübertragungen grundsätzlich dem Recht des Staates unterliegen könnte, in dem der Zedent seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für den Bereich der Forderungsverbriefung sah der Entwurf eine Bereichsausnahme in Form eines beschränkten Wahlrechts vor; Zedent und Zessionar sollen als das für die Drittwirkung der Forderungsübertragung maßgebliche Recht das Forderungsstatut wählen können. Damit entsprach die Europäische Kommission einem Wunsch der britischen Finanzwirtschaft.7) Nach wie vor ist der Verordnungsentwurf nicht in Kraft.

Lösungskonzepte aus Sicht des deutschen Rechts

Aus Sicht des deutschen Rechts ist diese Situation besonders misslich. Denn die bis zum Inkrafttreten der Rom I-VO im Jahr 2009 geltende nationale Regelung des Artikel 33 Absatz 2 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) hob der Gesetzgeber auf. Die Rechtsprechung stellte gemäß dieser Vorschrift für Abtretung einer Forderung insgesamt auf das Forderungsstatut ab; Artikel 33 Absatz 2 EGBGB erfasste demgemäß das Verhältnis zum Schuldner und auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Zession sonstigen Dritten, insbesondere Gläubigern des Zedenten oder dem Insolvenzverwalter über das Vermögen des Zedenten, entgegengehalten werden konnte.8)

Ob diese Rechtsprechung auch heute noch - trotz Aufhebung des Artikel 33 Absatz 2 EGBGB - Gültigkeit beanspruchen kann, ist umstritten. So wird die Frage diskutiert, ob die in Artikel 33 Absatz 2 EGBGB ergangene Rechtsprechung (Abstellen auf das Forderungsstatut) quasi auf gewohnheitsrechtlicher Basis weiter Anwendung finden kann,9) bis der Europäische Gesetzgeber die Lücke der Rom I-VO geschlossen hat. Nach anderer Ansicht soll die Drittwirkung unter Rückgriff auf Artikel 14 Rom I-VO geschlossen werden - entweder durch Rückgriff auf das zwischen Zedent und Zessionar gewählte Recht (Artikel 14 Absatz 1 Rom I-VO) oder das Forderungsstatut (Artikel 14 Absatz 2 Rom I-VO).10) Eine dritte Ansicht wiederum stellt auf das am Sitz des Zedenten maßgebliche Recht ab.11)

Aus Sicht der Verfasser ist die Anknüpfung an den Sitz des Zedenten vorzugswürdig. Hierdurch wird nicht nur ein Gleichlauf mit dem Insolvenzstatut bei Insolvenz des Zedenten erreicht, sondern darüber hinaus Rechtssicherheit geschaffen, da der Zedentensitz für alle Parteien ohne Weiteres zu erkennen ist. Das Forderungsstatut mag zwar im Falle ausdrücklicher Rechtswahl von Zedent und Schuldner gemäß Artikel 3 Absatz 1 Rom I-VO ebenso leicht festzustellen sein; fehlt eine Rechtswahl, gestaltet sich dies hingegen wesentlich schwieriger. Die in Artikel 4 Rom Absatz 1 littera a) - h) Rom I-VO genannten Kriterien bieten hierfür zwar eine Orientierung, schaffen aber beispielsweise für den Fall der Vorausabtretung künftiger Forderungen keine Klarheit.

Zu beachten ist jedoch - egal auf welche Ansicht man letztlich abstellt -, dass die in Deutschland vertretenen Ansichten teils nicht mit den Auffassungen in anderen Staaten der Europäischen Union übereinstimmen. Tatsächlich ist der Meinungskanon zu der Drittwirkung (und teils sogar zur Frage, welche Aspekte unter Artikel 14 Absatz 1 Rom I-VO oder unter Absatz 2 zu subsumieren sind) vielfältig.

Vorlagebeschluss des OLG Saarbrücken

Während das Thema der Drittwirkung beim Europäischen Parlament, Europäischem Rat und Europäischer Kommission scheinbar erneut in den Hintergrund getreten ist und sich derweil die Rechtswissenschaft über das "richtige" Konzept für die Anknüpfung der Drittwirkung "streitet", musste sich der EuGH aufgrund eines Vorlagebeschlusses des Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken vom 8. August 201812) mit der Frage befassen, ob Artikel 14 Rom-VO auf die Drittwirkung (direkt oder entsprechend) anwendbar ist. In dem beim OLG Saarbrücken anhängigen Rechtsstreit stritten infolge einer Mehrfachzession derselben Luxemburger Recht unterliegenden Forderung zwei Forderungsprätendenten darüber, wem von beiden die Zahlung des Schuldners auf diese Forderung zustand.

Das OLG Saarbrücken verwies in seinem Vorlagebeschluss zunächst auf die unterschiedlichen Ansichten in der deutschen Rechtswissenschaft, wie die Drittwirkung der Forderungsabtretung zu bestimmen sei und bat den EuGH um Klärung, ob Artikel 14 Rom I-VO nicht doch (zumindest entsprechend) anwendbar sein könne. Der EuGH sah jedoch keinen Grund, dem OLG Saarbrücken zur Hilfe zu eilen. Vielmehr stellte er fest, dass Artikel 14 Rom I-VO die Frage der Drittwirkung nicht regelte und verwarf auch eine entsprechende Anwendung der Norm. Denn das Fehlen einer entsprechenden Kollisionsnorm beruhe "auf einer bewussten Entscheidung des Unionsgesetzgebers."13) Demgemäß fiel das OLG Saarbrücken auf die von ihm im Vorlagebeschluss zitierte Vielfalt der verschiedenen Rechtsansichten in Deutschland zurück.

Bedeutung der Entscheidung des EuGH

Die Entscheidung des EuGH fördert aus Sicht des deutschen Rechts keine neuen Erkenntnisse zutage. Bereits bislang entsprach es der in Deutschland vorherrschenden Ansicht, dass die Rom I-VO die Frage der Drittwirkung nicht regelt.14) Im vielstimmigen Kanon der Lösungsansätze dürfte die Entscheidung jedoch vor allem diejenigen schwächen, die bislang unter Rückgriff auf das zwischen Zessionar und Zedent gemäß Artikel 14 Absatz 1 Rom I-VO vereinbarte Recht zurückgreifen oder gemäß Artikel 14 Absatz 2 Rom I-VO auf das Forderungsstatut zurückgreifen wollten.15) Allerdings ließe sich der Rückgriff auf das Forderungsstatut auch ohne Bezugnahme auf Artikel 14 Absatz 2 Rom I-VO begründen.

Solange die Verordnung zur Drittwirkung nicht in Kraft ist, werden die auf nationaler und internationaler Ebene geführten Diskussionen weitergehen. Die Entscheidung des EuGH hat nur insoweit Klarheit gebracht, dass unklar ist, wie die Frage der Drittwirkung letztlich zu beantworten ist. Klar ist hingegen, wer Schuld daran trägt - der Unionsgesetzgeber, der sich der Lückenschließung über Jahre hinweg verweigert hat. Für Factoring-Transaktionen mit Auslandsbezug ist damit nichts gewonnen. Für diese bleibt es wie bisher bei einem mit erheblichen Kosten verbundenen Prüfungsaufwand. Hinsichtlich Assed-Backed-Securities-Strukturen, bei denen in der Vergangenheit oftmals eine Lösung über die Anknüpfung an Artikel 14 Absatz 1 oder 2 Rom I-VO gesucht wurde, stellen sich nunmehr ähnliche Herausforderungen.

Fußnoten

1) Siehe Original-Verordnung unter https://eurlex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=uriserv:OJ.L_.2008.177.01.0006.01.DEU

2) EuGH NJW 2019, 3368.

3) Vgl. dazu Stumpf/Nefiz Grenzüberschreitende Forderungsabtretungen FLF 2018, 111 f.

4) MüKoBGB/Martiny, 7. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 14 Rn. 28; Ferrari IntVertragsR/Kieninger, 3. Aufl. 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 14 Rn.

5) Hübner, Die Drittwirkung der Abtretung im IPR, ZEuP 2019, 41, 48.

6) Ferrari IntVertragsR/Kieninger, 3. Aufl. 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 14 Rn.

7) Vgl. dazu Müller, Drittwirkungen der Forderungsübertragung "zum Dritten!", EuZW 2018, 522, 527.

8) BGHZ 111, 376. 379 f; BGH RIW 2004, 857.

9) Vgl. MüKoBGB/Martiny, 7. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 14 Rn. 20; kritisch Ferrari IntVertragsR/ Kieninger, 3. Aufl. 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 14 Rn. 12.

10) Vgl. die ausführliche Darstellung der verschiedenen Ansichten bei Staudinger/Hausmann (2016) ROM-I-VO Art 14, Rn. 55 ff.

11) Ferrari IntVertragsR/Kieninger, 3. Aufl. 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 14 Rn.

12. 12) OLG Saarbrücken, Vorlagebeschluss vom 8.8.2019, - 4 U 109/17 -, ZIP 2019, 437.

13) EuGH NJW 2019, 3368, 3369.

14) MüKoBGB/Martiny, 7. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 14 Rn. 20.

15) Kieninger, Das auf die Drittwirkungen der Abtretung anwendbare Recht - der EuGH spielt den Ball zurück nach Deutschland, NJW 2919, 3353, 3355.

WOLF STUMPF ist Rechtsanwalt und Partner der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Bank- und Prozessrecht, Compliance und Geldwäscheprävention. Seit 1999 bei der europäischen Wirtschaftskanzlei verantwortet er die Beratung von Factoring-Unternehmen.
E-Mail: wolf.stumpf[at]noerr[dot]com
 
RUHAN NEFIZ ist Rechtsanwältin in der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Finanzierungs- und Prozessrecht; insbesondere berät sie Factoring-Gesellschaften in finanzierungsrechtlichen Fragestellungen.
E-Mail: ruhan.nefiz[at]noerr[dot]com
Wolf Stumpf , Rechtsanwalt und Partner , Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB, Frankfurt am Main
Ruhan Nefiz , Rechtsanwältin in der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main

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