FACTORING

Factoring im Europäischen Wirtschaftsraum

Regulatorischer Rahmen für grenzüberschreitende Aktivitäten

Wolf Stumpf, Foto: Noerr LLP

Factoring ist in Deutschland eine Finanzdienstleistung im Sinne des § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 9 KWG. Das Erbringen von Finanzdienstleistungen - und damit auch des Factoring - erfordert nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG dann eine Erlaubnis, wenn es "im Inland" geschieht. Bei grenzüberschreitendem Geschäft ist es wichtig, sich die Regulierungen für Factoring im Europäischen Wirtschaftsraum genauer anzuschauen. Die ist alles andere als einheitlich. Die Autoren geben einen Überblick, worauf Factoring-Gesellschaften achten müssen. (Red.)

Angesichts globaler Lieferketten und der Exportstärke der deutschen Wirtschaft treten in den vergangenen Jahren verstärkt Konstellationen auf, in denen ein in Deutschland ansässiger Factoring-Anbieter Forderungen eines im (europäischen) Ausland ansässigen Forderungsverkäufers ankaufen soll. Dies wirft regelmäßig zivilrechtliche Fragen auf, etwa nach den Voraussetzungen einer wirksamen Abtretung für ausländischem Recht unterliegende Forderungen.1) Indes ist bei Auslandsaktivitäten nicht nur ausländisches Zivil- und Insolvenzrecht zu bedenken, da auch regulatorische Beschränkungen nach dem Sitzrecht des Factoring-Kunden zu berücksichtigen sein können. Der Beitrag soll für diese Thematik sensibilisieren und - selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit - Einblicke in die Erfahrungen der Unterzeichner zum grenzüberschreitenden Factoring im Europäischen Wirtschaftsraum aus Deutschland heraus und nach Deutschland herein geben.

Ausgangslage

Die Regulierung für Factoring im Europäischen Wirtschaftsraum ist uneinheitlich. Die EU gleicht hier eher einem "Flickenteppich":

In einigen Ländern der Europäischen Union unterliegt Factoring - anders als in Deutschland - keiner spezifischen Erlaubnispflicht durch die jeweilige Banken-/Finanzmarktaufsicht. Dies gilt beispielsweise für Großbritannien, wo für den Betrieb von Factoring weder eine Bankerlaubnis/gesonderte Erlaubnis erforderlich ist noch eine unmittelbare Regulierung der Factoring-Tätigkeit besteht. Ähnlich liberal sind die Rahmenbedingungen für das Factoring etwa in Irland, Polen und Dänemark.

In anderen Ländern hingegen besteht eine strikte Regulierung auch für das Factoring-Geschäft. So etwa in Österreich: Dort stellt das "echte" Factoring ein "Bankgeschäft" gemäß § 1 Abs. 1 Z. 16 Bankwesengesetz (BWG) dar; fraglich ist hier hingegen, ob der bloße Ankauf von Forderungen ohne deren Einzug (etwa bei unmittelbarem Weiterverkauf im Wege des Re-Factoring) als Bankgeschäft zu qualifizieren ist.2)

In Frankreich unterliegt das echte und unechte Factoring gleichermaßen der Regulierung und ist Kreditinstituten oder einer "Société de financement" vorbehalten. Der Ankauf noch nicht fälliger Forderungen wird in der französischen Rechtsprechung als Kreditgeschäft bewertet.3)

In Italien gibt es ein eigenes Factoring-Gesetz (GesetzNr.52vom21.02.1991), die hierunter fallenden Transaktionen unterliegen dem italienischen Bankgesetz T.U.B. ("Testo unico bancario" indica D.Lgs.n. 385).

In Portugal definiert das Factoring Dekret 171/95 vom 18. Juli 1995 Factoring als Kauf kurzfristiger Forderungen aus Lieferung und Leistung im internen oder externen Markt zu Finanzierungszwecken. Die Erbringung dieser Dienstleistung bedarf der Erlaubnis der Bank von Portugal und ist Banken beziehungsweise diesen gleichgestellten Unternehmen vorbehalten, vergleiche § 8 des portugiesischen Bankgesetzes (Dekret 298/92 vom 31.12. 1992).

Der europarechtliche Rahmen

Eine Antwort auf die Frage, ob beziehungsweise wie in Deutschland ansässige Factoring-Institute im Europäischen Wirtschaftsraum aktiv werden können, ergibt sich aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der unter anderem die Grundfreiheiten regelt. Hierzu gehört neben der Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV auch die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV. Die Niederlassungsfreiheit des Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV umfasst das Recht zur Gründung von Niederlassung in Form von Tochtergesellschaften, Zweigniederlassungen und Agenturen.

Verschiedene Kategorien des Dienstleistungsverkehrs: Die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV lässt sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH in drei Kategorien unterteilen:4)

- Aktiver Dienstleistungsverkehr: Marktzugang durch Geschäftsbesucher des Anbieters im Ausland (das heißt Besuche beim ausländischen Kunden);

- Korrespondenzdienstleistungsverkehr: Grenzüberschreitende Erbringung durch den Anbieter (das heißt Kontakt zum ausländischen Kunden per Internet, Telefon, Post, gegebenenfalls Dritte);

- Passiver Dienstleistungsverkehr: Nutzung durch den im Ausland ansässigen Kunden, der seinerseits die Grenze zum im Inland ansässigen Anbieter überschreitet.

Artikel 33, Artikel 34 CRD IV i.V.m. der Liste in Anhang I: Art. 33 CRD IV ist eine der Kernvorschriften des europäischen Binnenmarkts im Bank- und Finanzdienstleistungsbereich. Art. 33 CRD IV legt als umzusetzende Vorgabe an die Mitgliedsstaaten fest, dass alle nach der Liste in Anhang I der CRD IV unter die gegenseitige Anerkennung fallenden Dienstleistungen von jedem CRR-Kreditinstitut mit Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum in allen Mitgliedstaaten sowohl über eine Zweigniederlassung als auch im Wege des Dienstleistungsverkehrs ausgeübt werden können. Art. 34 CRD IV erweitert dies auf Finanzinstitute, die Tochterunternehmen eines CRR Institutes sind und die dort näher genannten Voraussetzungen erfüllen. Zu den in der Liste des Anhangs 1 festgelegten Dienstleistungen gehört gemäß der Nr. 2 auch das "Factoring mit und ohne Rückgriff".

Dieses Prinzip wird auch als "Europäischer Pass" bezeichnet. Der Europäische Pass bezeichnet also die Berechtigung eines Instituts, in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums ohne Erlaubnis eine Zweigniederlassung zu betreiben oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen zu erbringen.5)

Der Europäische Pass für das Factoring

Zu unterscheiden ist die Nutzung des Europäischen Passes durch deutsche Factoring-Institute und durch in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums ansässige Anbieter, die auf dem deutschen Markt Factoring aktiv anbieten wollen.

Nutzung durch deutsche Factoring-Institute: Mit Verabschiedung des Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes6) können deutsche Factoring-Institute die Erleichterungen des Europäischen Passes für ihre grenzüberschreitenden Dienstleistungen nutzen.7)

Für die Erlangung des Europäischen Passes müssen deutsche Factoring-Institute die Voraussetzungen der §§ 24a Abs. 3a, 53b Abs. 7 S. 1 Nr. 7 KWG erfüllen. Diese sind:

- das Factoring-Institut muss ein Tochterunternehmen eines CRR-Kreditinstituts oder ein gemeinsames Tochterunternehmen mehrere CRR-Kreditinstitute sein,

- seine Satzung muss die beabsichtigte Tätigkeit gestatten,

- das oder die Mutterunternehmen muss/müssen in dem Staat, in dem das Factoring-Institut seinen Sitz hat, als CRR-Kreditinstitut zugelassen sein,

- die Tätigkeiten, die das Factoring-Unternehmen ausübt, müssen auch im Herkunftsmitgliedstaat betrieben werden,

- das oder die Mutterunternehmen muss/müssen mindestens 90 vom Hundert der Stimmrechte des Factoring-Instituts halten,

- das oder die Mutterunternehmen muss/müssen gegenüber den zuständigen Stellen des Herkunftsmitgliedstaates des Factoring-Instituts die umsichtige Geschäftsführung des Unternehmens glaubhaft gemacht und sich mit Zustimmung dieser zuständigen Stellen des Herkunftsmitgliedstaates gegebenen falls gesamtschuldnerisch für die vom Factoring-Institut eingegangenen Verpflichtungen verbürgt haben und

- das Factoring-Institut ist in die Beaufsichtigung des Mutterunternehmens auf konsolidierter Basis einbezogen.

In der Praxis ist der Nutzen dieser Möglichkeit für die meisten deutschen Factoring-Institute jedoch eher gering. Die meisten Anbieter scheitern daran, dass sie kein Tochterunternehmen eines CRR-Kreditinstituts sind beziehungsweise das Mutterunternehmen nicht zugleich in dem Staat, in dem das Factoring-Institut seinen Sitz hat, als CRR-Kreditinstitut zugelassen ist. In der Praxis profitieren daher nach wie vor nur wenige deutsche Factoring-Institute vom Europäischen Pass.

Sind die Voraussetzungen der §§ 24a Abs. 3c, § 53b Abs. 7 S. 1 Nr. 1- 7 KWG jedoch erfüllt, trifft das Factoring-Institut eine Anzeigepflicht nach § 24a Abs. 3 KWG. Hiernach ist die Absicht, im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs in einem anderen Staat des EWR Bankgeschäfte oder Finanzgeschäfte (wozu auch das Factoring gehört) zu betreiben, anzeigepflichtig. Zu übermitteln sind:

- der Name des Staates, in dem die grenzüberschreitende Dienstleistung erbracht werden soll,

- ein Geschäftsplan mit Angabe der beabsichtigten Tätigkeiten und

- die Angabe, ob in diesem Staat vertraglich gebundene Vermittler, die ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, herangezogen werden sollen sowie deren Namen.

Die Frage, welche Dienstleistung anzeigepflichtig ist und wann genau diese Anzeige erfolgen muss, ist mit Blick auf die Sanktionierung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit gemäß § 56 Abs. 2 Nr. lit. k) KWG bedeutsam. Hiernach handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig den in § 24a KWG enthaltenen Anzeigepflichten zuwiderhandelt, indem er eine Anzeige nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erstattet. Nicht rechtzeitig ist die Anzeige, wenn sie nicht unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, erfolgt.8)

§ 24a Abs. 3 KWG stellt seinem Wortlaut nach auf die "Absicht" ab, Finanzdienstleistungen in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums zu erbringen. Dies erscheint jedoch zu früh, da in diesem Verfahrensstadium etwa der gemäß § 24a Abs. 3 KWG mit der Anzeige einzureichende Geschäftsplan oftmals noch gar nicht vorliegen dürfte. Die besseren Argumente sprechen deshalb dafür, dass die Anzeigepflicht erst mit Vorliegen des Geschäftsplans ausgelöst wird.9)

Mag der Wortlaut der Vorschrift zur Ermittlung des für die Anzeige maßgeblichen Zeitpunkts noch hilfreich sein, so bietet er für die Abgrenzung, welche Tätigkeit anzeigepflichtig ist und welche nicht, keinen Anhaltspunkt. Hier dürften vielmehr die genannten Kategorien des Dienstleistungsverkehrs eine Rolle spielen, insbesondere die Abgrenzung zwischen aktivem und passivem Dienstleistungsverkehr.

Allein die Durchführung eines Factoring-Vertrages durch ein deutsches Factoring-Institut im Inland auf Initiative eines ausländischen Forderungsverkäufers stellt grundsätzlich noch keine anzeigepflichtige Dienstleistung dar.10) Denn in diesem Fall fehlt es bereits an Absicht und darauf aufbauender Aktivität des Factoring-Instituts im Ausland. Ein typischer Fall ist etwa die Ansprache des Factors durch die in einem anderen Land des Europäischen Wirtschaftsraums ansässige Tochtergesellschaft eines deutschen Factoring-Kunden, die nunmehr als weitere Konzerngesellschaft in das Factoring einbezogen werden soll.

Indes ist auch in diesen Fällen vorsorglich abzuklären, wie dies von der Bankenaufsicht im Sitzland des ausländischen Factoring-Kunden bewertet wird. Ob eine anzeigepflichtige Tätigkeit auch dann besteht, wenn das Factoring-Institut Werbung für in anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums ansässige Kunden betreiben möchte, ist wiederum schwerer zu beantworten und bedarf einer Prüfung im Einzelfall; die Grenze zur anzeigepflichtigen Tätigkeit dürfte jedenfalls dort zumindest "gestreift" werden, wo die aktive Werbung derart spezifisch und konkret für einen speziellen Kunden gestaltet ist, dass das Factoring-Institut sich seinerseits faktisch hiervon nicht mehr lösen kann.

Anzumerken ist allerdings, dass die Ansichten der Mitgliedsstaaten hierzu recht unterschiedlich sind, so dass vorsorglich stets auch eine Klärung nach dem Aufsichtsrecht des Sitzrechtes des potentiellen Factoring-Kunden erfolgen sollte.

Die über die BaFin an die jeweils nationale Aufsicht zu stellende Anzeige muss weitere Formalien erfüllen, beispielsweise eine Übersetzung in die Amtssprache des Aufnahmestaates.11)

Ausländische Factoring-Anbieter im deutschen Markt: Factoring-Anbieter mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums können über eine Zweigstelle oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs ohne Erlaubnis durch die BaFin nach Maßgabe von § 53b Abs. 7 Nr. 1-7 KWG das Factoring anbieten. Auch hier kommt es entscheidend darauf an, ob die Muttergesellschaft im gleichen Land als CRR-Kreditinstitut zugelassen ist. Die Zahl der Anbieter, welche diese Chance nutzen, ist nach Wahrnehmung der Verfasser größer als die Zahl deutscher Factoring-Institute, die ihrerseits den Europäischen Pass für Auslandsaktivitäten nutzen.

Passive Dienstleistungsfreiheit

Die meisten deutschen Factoring-Institute nutzen daher für grenzüberschreitende Factoring-Aktivitäten im Europäischen Wirtschaftsraum die passive Dienstleistungsfreiheit. Obschon diese einen Unterfall der in § 56 AEUV garantierten Dienstleistungsfreiheit darstellt, wird die Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Dienstleistungsfreiheit in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich vorgenommen. Nach unserer Erfahrung existiert jedoch in allen Ländern kaum einschlägige Verwaltungs- oder Gerichtspraxis mit konkretem Bezug auf das Factoring.

Die Grenzen in der Praxis anderer ausgewählter Mitgliedsstaaten: Anzumerken ist, dass es zur passiven Dienstleistungsfreiheit und Factoring oftmals keinerlei Verwaltungspraxis oder Gerichtsentscheidungen gibt beziehungsweise die Entscheidungen/ Verwaltungspraxis zu anderen Finanzprodukten als nicht übertragbar angesehen wird. Tendenziell werden die Grenzen der passiven Dienstleistungsfreiheit jedoch eher eng gezogen:

- Das französische Recht stellt vor allem darauf ab, welchen konkreten Bezug die Vertragsdurchführung zu Frankreich hat (etwa Vertragsunterzeichnung in Frankreich, Auszahlung der Forderungskaufpreise in Frankreich). Aus Sicht der Autorité de Contrôle Prudentiel et de Résolution stellt vor allem die Wahl französischen Rechts ein für die Überschreitung der passiven Dienstleistungsfreiheit sprechendes Kriterium dar. In der Anbahnung mit französischen Factoring-Kunden sollte daher dokumentiert werden, dass die Initiative von diesen ausging. Ebenso empfiehlt sich die Vertragsdurchführung in Deutschland (einschließlich der Auszahlung der Forderungskaufpreise auf ein in Deutschland geführtes Konto). Denkbar ist beispielsweise, dass der Forderungsverkauf durch die in Deutschland ansässige Muttergesellschaft in Vollmacht für die französische Tochtergesellschaft erfolgt.

- Offizielle Verlautbarungen der italienischen Bankenaufsicht gibt es leider nicht. Das Bewerben von Factoring durch ein deutsches Factoring-Institut in Italien könnte - selbst in eng lischer Sprache - als Werbung für Finanzdienstleistungen gewertet wer den. Eine Ausnahme könnte allenfalls dann gelten, wenn der potentielle Factoring-Kunde ausdrücklich hierum gebeten hat. Sämtliche Aktivitäten zur Vertragsvorbereitung (due diligence) und der -durchführung sollten außerhalb Italiens erfolgen.

- Nach Einschätzung österreichischer Juristen kann der Erwerb von Forderungen von der österreichischen Tochtergesellschaft eines deutschen Konzerns durch ein deutsches Factoring-Institut von der passiven Dienstleistungsfreiheit durchaus gedeckt sein. Empfohlen wird, dass der Vertragsschluss auf Initiative des österreichischen Kunden/die Kontaktvermittlung durch die deutsche Muttergesellschaft dokumentiert werden. Aus Gründen der Transparenz sollte das deutsche Factoring-Institut zudem offenlegen, dass es über keine Erlaubnis nach dem BWG verfügt, sich aber gleichzeitig zur Einhaltung des Bankgeheimnisses nach § 38 BWG verpflichten (was aus deutschrechtlicher Sicht wiederum problematisch sein könnte, da das Bankgeheimnis nach deutschem Recht lediglich zivilrechtlicher/gewohnheitsrechtlicher Natur ist).

- Ähnlich "liberal" ist die Einschätzung zum ungarischen Recht. Sofern ein ungarischer Factoring-Kunde explizit auf ein spezifisches deutsches Factoring-Institut zugeht, um einen Factoring-Vertrag abzuschließen, bedarf diese Dienstleistung keine Anzeige bei der ungarischen Aufsichtsbehörde. Eine grenzüberschreitende Dienstleistung, die nicht mehr von der passiven Dienstleistungsfreiheit gedeckt ist, soll hingegen dann vorliegen, wenn der ausländische Finanzdienstleister seine Homepage auch in ungarischer Sprache veröffentlicht hat; nach unserer Beratungspraxis kann ein solches Risiko bereits dann bestehen, wenn das deutsche Factoring-Institut Teil einer internationalen Bankengruppe ist, die in Ungarn mit einem lizensierten Institut vertreten ist, über dessen in ungarischer Sprache gehaltene Homepage jedoch eine Verlinkung zur Website des deutschen Factoring-Anbieters erfolgt ist.

- Nach portugiesischer Lesart der passiven Dienstleistungsfreiheit kommt es vor allem darauf an, dass die Initiative vom in Portugal ansässigen Factoring-Kunden ausgeht und die Vertragsdurchführung im Ausland erfolgt.

Aus Sicht eines deutschen Factoring-Anbieters, der im Wege der passiven Dienstleistungsfreiheit in anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums ansässige Factoring-Kunden anbinden möchte, empfiehlt sich angesichts dieser vagen Orientierungspunkte die folgende Vorgehensweise:

- Klärung, ob und gegebenenfalls welcher Regulierung Factoring im Zielland unterliegt. Dabei ist darauf zu achten, dass der Tatbestand des Factoring nicht mit dem Factoring-Tatbestand des § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 9 KWG identisch sein muss; insbesondere das unechte Factoring wird teilweise als Kreditgeschäft eingeordnet. Eine möglichst präzise Beschreibung des beabsichtigen Modells erleichtert dabei für den ausländischen Juristen die Subsumption. Es sollten daher insbesondere folgende Angaben vorliegen: Laufzeit und Herkunft der angekauften Forderungen, Ankauf mit/ ohne Regress, Rückkaufmöglichkeiten, Beteiligung von Verbrauchern am Geschäft, Abwicklung des Vertrages in Deutschland, Vertragssprache, Unterzeichnungsort et cetera;

- Klärung, ob Verwaltungspraxis/Gerichtsentscheidungen zur passiven Dienstleistungsfreiheit zu Finanzdienstleistungen (insbesondere Factoring) existieren, welche Kriterien für die Qualifizierung einer Tätigkeit als von der passiven Dienstleistungsfreiheit gedeckt herangezogen werden und welche (straf- und zivilrechtlichen) Sanktionen ein Verstoß gegen eine bestehende Regulierung nach sich zieht;

- Klärung, welche alternativen Gestaltungen sich anbieten können (zum Beispiel Verkauf der Forderungen mittels Vollmacht der deutschen Muttergesellschaft oder Verkauf der Forderungen im Konzern an einen in Deutschland ansässigen Rechtsträger et cetera).

Bei der Vertragsgestaltung sollten etwaige Erkenntnisse zum regulatorischen Rahmen im Sitzland des Factoring-Kunden proaktiv berücksichtigt werden; so kann etwa die in der deutschen Vertragsgestaltung übliche Sicherungsabtretung (nicht angekaufter) Forderungen mit Blick auf den Erlaubnisvorbehalt für das besicherte Darlehensgeschäft im Einzelfall kritisch sein.

Die passive Dienstleistungsfreiheit aus Sicht des deutschen Rechts: Für ausländische Factoring-Anbieter, die gegebenenfalls für in Deutschland ansässige Tochtergesellschaften eines in ihrem Sitzland ansässigen Factoring-Kunden Factoring anbieten wollen, stellt sich ebenfalls die Frage nach der Reichweite der passiven Dienstleistungsfreiheit. Aus Sicht der deutschen Praxis gilt, dass Geschäfte, die aufgrund der Initiative des Kunden zustande gekommen sind, keine Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 S. 1 KWG begründen; Hintergrund hierfür ist die passive Dienstleistungsfreiheit, also das Recht der im Inland ansässigen Personen und Unternehmen, aus eigener Initiative Dienstleistungen eines ausländischen Anbieters nachzufragen.12) Die BaFin hat Hinweise zur Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG i.V.m. § 1 Abs. 1 und 1a KWG von grenzüberschreitend betriebenen Bankgeschäften und/oder grenzüberschreitend erbrachten Finanzdienstleistungen (Stand: 4/2005) veröffentlicht, die unter www.bafin.de abrufbar sind. Danach ist eine Erlaubnis gemäß § 32 KWG nicht nur erforderlich, wenn der ausländische Anbieter im Inland eine Niederlassung oder Zweigstelle betreibt, sondern auch dann, wenn sich der ausländische Anbieter vom Ausland aus "zielgerichtet an den Markt wendet", um im Inland "wiederholt und geschäftsmäßig" Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen anzubieten.13)

Zusammenfassung

Den Europäischen Pass können viele deutsche Factoring-Anbieter für Auslandsaktivitäten im Europäischen Wirtschaftsraum oftmals nicht nutzen. Die passive Dienstleistungsfreiheit kann hier im Einzelfall einen Weg für Geschäfte mit Auslandsbezug eröffnen. Allerdings ist vorab eine Klärung der oftmals komplexen Rechtslage erforderlich.

Hierzu bedarf es einer möglichst konkreten Beschreibung des jeweiligen Geschäfts und des Bewusstseins, dass im Ausland der Begriff des Factorings anders definiert sein kann als in Deutschland. Zu wünschen wäre eine einheitliche Interpretation der passiven Dienstleistungsfreiheit im Europäischen Wirtschaftsraum, um Anbietern mehr Rechtssicherheit und Kostenersparnis zu verschaffen.

Fußnoten

1) Zum grenzüberschreitenden Factoring vgl. z. B. Wolf Stumpf, Grenzüberschreitende Forderungsabtretungen, FLF 2018, 111.

2) Vgl. dazu etwa Waldherr/Ressnik/Schneckenleitner in Dellinger, BWG Kommentar (8. Lfg. 2016) § 1 Rn. 155.

3) Vgl. Cour de Cassation, Entscheidung vom 20.2.1984 (Az.: 83-90.738).

4) Boos/Fischer/Schulte-Mattler/Vahldiek, 5. Auflage 2016, KWG § 53b Rn. 192.

5) Vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-HdB, 3. Abschnitt, Einlagen- und Kreditgeschäft, 18. Kapitel. Sonstige Finanzierungsgeschäfte - Leasing, Factoring und Forfaiting § 102 Rn. 85.

6) BGBl. I 2014, 934.

7) Hildner/Völker in: Krüger, Handbuch Factoringrecht, 2017, § 6 Rn. 73.

8) Erbs/Kohlhaas/Häberle, 224. EL März 2019, KWG § 24a Rn. 7.

9) So auch Erbs/Kohlhaas/Häberle, a.o.O.

10) Boos/Fischer/Schulte-Mattler/Braun, 5. Auflage 2016, KWG § 24a Rn. 47, wonach die Leistungserbringung im eigenen Sitzland auf Initiative ausländischer Kunden grundsätzlich nicht als anzeigepflichtige Dienstleistung angesehen wird.

11) Böhm in: Krüger, Handbuch Factoringrecht, 2017, § 9 Rn. 96.

12) Boos/Fischer/Schulte-Mattler/Vahldiek, 5. Auflage 2016, KWG § 53 Rn. 162.

13) Boos/Fischer/Schulte-Mattler/Fischer/Müller, 5. Aufl. 2016, KWG § 32 Rn. 21

WOLF STUMPF ist Rechtsanwalt und Partner der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Bank- und Prozessrecht, Compliance und Geldwäscheprävention. Seit 1999 bei der europäischen Wirtschaftskanzlei verantwortet er die Beratung von Factoring-Unternehmen.
E-Mail: wolf.stumpf[at]noerr[dot]com
 
RUHAN NEFIZ ist Rechtsanwältin in der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Finanzierungs- und Prozessrecht; insbesondere berät sie Factoring-Gesellschaften in finanzierungsrechtlichen Fragestellungen.
E-Mail: ruhan.nefiz[at]noerr[dot]com
Wolf Stumpf , Rechtsanwalt und Partner , Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB, Frankfurt am Main
Ruhan Nefiz , Rechtsanwältin in der internationalen Sozietät Noerr LLP, Frankfurt am Main

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