Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand - Beispiel Autobanken

Captives stehen vor Paradigmenwechsel

Prof. Dr. Frank Stenner Quelle: Prof. Dr. Frank Stenner

Im anhaltenden Niedrigzinsumfeld stehen die Banken unter erheblichem Druck: Die Ertragslage aller deutschen Institute verschlechterte sich in den Kerngeschäftsfeldern. Dies betrifft gleichermaßen die Autobanken, die zudem mit den großen Zukunftstrends "CASE" gezwungen sind, ihre bislang hochprofitablen Geschäftsmodelle zu verändern. Der Anpassungsbedarf für Kundenbeziehung, Leistungsprogramm, Vertriebswege, Prozessstrukturen und strategische Ausrichtung ist enorm, wie der Beitrag ausführt. (Red.)

Die Europäische Bankenaufsicht (European Banking Authority, EBA) hatte bereits 2014 die Leitlinien zum aufsichtlichen Überprüfungs- und Überwachungsprozess (Supervisory Review and Evaluation Process, SREP) veröffentlicht.1

Die Aufsicht beurteilt seither im Zusammenhang mit der dort verankerten Geschäftsmodellanalyse (Business Model Analysis) auch Geschäfts- und Strategierisiken. Im Kern geht es um die aktuelle und künftige Tragfähigkeit des Geschäftsmodells:

  • Die aktuelle Tragfähigkeit bezieht sich auf die Erzielung ausreichender Erträge in den nächsten zwölf Monaten, wobei für die Beurteilung unterschiedliche Kennziffern (zum Beispiel Return on Equity, ROE; Cost of Equity; Return on Risk Adjusted Capital, RORAC), die Fundingstruktur und der Risikoappetit herangezogen werden. Bezogen auf die der deutschen Aufsicht unterliegenden Less Significant Institutes (LSI) werden dies voraussichtlich die beiden Kennzahlen Return on Assets und die Cost Income Ratio (CIR) sein.
  • Die Nachhaltigkeit und damit die künftige Tragfähigkeit ist gegeben, wenn in den (mindestens) nächsten drei Jahren ausreichende Erträge erzielt werden, wobei entsprechende strategische Pläne und Planungsrechnungen vorzulegen sind; auch wird der Risikogehalt der Strategie untersucht.

Es ist von daher auch nicht überraschend, dass die von der deutschen Bankenaufsicht erwarteten Anforderungen der Europäischen Zentralbank (EZB) hinsichtlich der Ausgestaltung des internen Prozesses zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit (ICAAP)2 der LSI in deren neues Konzept zur Beurteilung der Risikotragfähigkeit einfließen:3 Zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit hat jedes Institut in der sogenannten normativen Perspektive eine Kapitalplanung über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren zu erstellen.

Die Aufsicht prüft das aktuelle Geschäftsmodell quantitativ (zum Beispiel Ertragsquellen, Ertragskonzentrationen) und qualitativ (zum Beispiel externe und interne Abhängigkeiten, Wettbewerbsstärke), die Anfälligkeit des Geschäftsmodells und darüber hinaus die zukunftsgerichtete Strategie samt strategischen Erfolgsfaktoren und die damit verbundenen Planungsrechnungen.

Bereits 2016 hatte die EZB in Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden die wesentlichen Risiken herausgearbeitet - die größte Bedeutung kam dabei den Geschäftsmodell- und Ertragsrisiken zu.4 Auch für das Jahr 2018 zählen diese Risiken zu den vier Prioritätsbereichen der europäischen Aufsicht:5

  • Geschäftsmodelle und Bestimmungsfaktoren der Ertragskraft,
  • Kreditrisiko,
  • Risikomanagement,
  • Aktivitäten mit mehreren Risikodimensionen.

Und weiter: "Die Geschäftsmodelle und Ertragstreiber der Banken stellen 2018 weiterhin einen Hauptschwerpunkt der EZB-Bankenaufsicht dar. Die Aktivitäten werden sich auf die Prüfung der Rentabilitätsentwicklung von Banken im aktuellen Umfeld und auf die Beurteilung der Auswirkungen von Zinsänderungsrisiken auf Banken konzentrieren".

Die Stabilität und Tragfähigkeit des Geschäftsmodells steht überdies in sehr engem Zusammenhang mit den in AT 4.2 Ziffer 1 Mindestanforderungen an das Risikomanagement (Ma-Risk) verankerten Anforderungen an eine nachhaltige Geschäftsstrategie, für die auch die Maßnahmen zur Erreichung der strategischen Ziele darzustellen sind. Insbesondere sind bei der Festlegung und Adjustierung der Geschäftsstrategie externe Einflussfaktoren, wie beispielsweise geändertes Nachfrageverhalten und Strukturbrüche in der Marktentwicklung, aber auch interne Einflussfaktoren, wie etwa die Quantität und Qualität der personellen und technisch-organisatorischen Ressourcen, um auf externe Einflüsse reagieren zu können, zu berücksichtigen. Weiter führt der oben zitierte Hinweis "Beurteilung der Auswirkungen von Zinsänderungsrisiken auf Banken" direkt auf die modifizierten Anforderungen an die Steuerung des Zinsänderungsrisikos im Anlagebuch auf die einschlägigen Regelungen in BTR 3.2 MaRisk.

Nicht zuletzt haben die letzten Niedrigzinsumfragen (NZU) von Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den erwarteten Rückgang der Gesamtkapitalrentabilität unter dem Planszenario und damit den erheblichen Druck aufgezeigt, unter dem die Banken im anhaltenden Niedrigzinsumfeld stehen. Dieser Punkt ist offensichtlich in engem Zusammenhang mit der beschriebenen SREP-Business-Model-Analysis zu sehen. Ergänzend zur Niedrigzinsumfrage hatte die Aufsicht 2017 eine Profitabilitätsumfrage gestartet, von der über die befragten Institute zwar die Frageninhalte, nicht aber die Auswertungsergebnisse bekannt sind.6 Bundesbank und BaFin hatten im Rahmen einer Pressekonferenz7 und zusätzlich im Bundesbank-Monatsbericht September 20178 die NZU-Ergebnisse 2017 veröffentlicht. Eine wenig überraschende Kernbotschaft lautete, dass das derzeitige Niedrigzinsumfeld insbesondere kleine und mittelgroße Institute mit einem überwiegend zinsabhängigen Geschäftsmodell erheblich belastet.

Geschäftsmodelle und Strukturbrüche

Nach wie vor ist der Zinsüberschuss mit einem Anteil von 71,2 Prozent an den operativen Erträgen die dominierende Ertragsquelle deutscher Institute. Insbesondere das Geschäftsmodell der Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit dem Fokus auf dem traditionellen Kreditgeschäft, speziell der langfristigen Wohnimmobilienkredite, einer ausgeprägten Fristentransformation und einem hohen Anteil an Sichteinlagen inländischer privater Haushalte leidet unter dem Niedrigzinsumfeld. Der Druck auf die aktuellen Geschäftsmodelle kommt auch in der Analyse der Bundesbank zur Ertragslage der deutschen Institute im Jahr 2016 zum Ausdruck.

Die Ertragslage aller deutschen Institute, also nicht nur der LSI, verschlechterte sich in den Kerngeschäftsfeldern: Beispielsweise sank der Zins- und Provisionsüberschuss 2016 gegenüber dem Vorjahr um 5,4 Milliarden Euro auf 120,9 Milliarden Euro. Die Cost Income Ratio (CIR) lag zwar etwas verbessert bei 69,2 Prozent, ist aus Sicht der Bundesbank aber insbesondere im internationalen Vergleich sehr hoch. Die in der NZU befragten Institute rechnen für die nächsten Jahre zudem mit einer sich verschlechternden CIR, auch wenn sie versuchen, mit Kostensenkungen gegenzusteuern. Diese sind zwar unverzichtbar, aber sie vermögen die sinkenden Margen nur bedingt abzufedern. Die sogenannten "anderen Verwaltungsaufwendungen", zu denen unter anderem die Aufwendungen für die Unterhaltung des Filialnetzes zählen, bewegten sich auf Vorjahresniveau. Die Aufsicht folgert daraus, dass der intensive Filialabbau10 vor allem bei Primärinstituten nur begrenzt kostensenkend wirkte.

Trotz der ungünstigen Niedrigzinseffekte stieg der Jahresüberschuss vor Steuern über alle deutschen Institute im Jahr 2016 um 4,6 Prozent auf 27,8 Milliarden Euro. Dieser Anstieg lässt sich allerdings durch verschiedene positive Sondereffekte erklären. So wirkte das günstige gesamtwirtschaftliche Umfeld gegenläufig: Sparkassen und Genossenschaftsbanken konnten Teile der Risikovorsorge für erwartete Kreditausfälle aus den Vorjahren auflösen und dadurch positive Bewertungsergebnisse erzielen. Die aktuellen Wertberichtigungsquoten lagen deutlich unter dem langjährigen Mittel. Bei einigen Instituten wirkte sich auch der positive Einmaleffekt durch die geänderten Abzinsungsregeln für Pensionsverpflichtungen aus.

Den gestiegenen Jahresüberschuss haben die Institute überwiegend zur Stärkung ihrer Eigenkapitalbasis genutzt: Das bilanzielle Eigenkapital aggregiert über alle deutschen Banken erhöhte sich um 11,4 Milliarden Euro.

Strukturbrüche am Beispiel Autobanken

Die strategischen und operativen Reaktionen der Institute und Sparkassen auf den "Druck auf die Geschäftsmodelle" sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Immerhin gelang es vielen LSI-Instituten, den Rückgang im zinstragenden Geschäft durch das Provisionsgeschäft in einem nicht unbeträchtlichen Umfang zu kompensieren. Indessen dürfte das Drehen an der Gebührenschraube kaum mehr ausweitbar sein.11 Somit stellt sich die Frage nach dem Zuschnitt des Geschäftsmodells, zumal die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Bankgeschäft zu erheblichen Strukturbrüchen führen werden.12

Vor Veränderungen im Geschäftsmodell stehen aber nicht nur die oben angesprochenen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, sondern auch die traditionell von hohen Margen erfolgsverwöhnten Autobanken. Bei den oftmals treffend als "Captives" bezeichneten Instituten ist das Geschäftsmodell unmittelbar mit der Absatzmarktsituation des Konzerns verbunden. So hat das gute Geschäft der Fahrzeughersteller im Jahr 2017 auch das Geschäft der herstellerverbundenen Finanzdienstleister noch einmal beflügelt, zumal die Bereitschaft der Kunden groß ist, die nächste Fahrzeuganschaffung über eine Kredit- oder Leasing-Finanzierung zu tätigen.

Doch vor dem Hintergrund der großen Zukunftstrends unter dem Kürzel "CASE" (Connected, Autonom, Shared, Electric), die die gesamte Automobilwirtschaft auf den Kopf zu stellen drohen, sind die Autobanken gezwungen, ihre bislang hochprofitablen Geschäftsmodelle zu verändern.13 Der Anpassungsdruck auf Kundenbeziehung, Leistungsprogramm, Vertriebswege, Prozessstrukturen und strategische Ausrichtung ist enorm, wie im Folgenden gezeigt wird.

Entwicklung der Neuzulassungen

Als Spezialfinanzierer der Automobilwirtschaft atmet das Geschäft der Autobanken mit dem Neuwagengeschäft der Hersteller. Unter dem CASE-Szenario gehen Schätzungen davon aus, dass im Jahr 2030 rund 95 Prozent der neuzugelassenen Fahrzeuge zumindest teilweise elektrisch fahren werden.14

Die geänderte Nutzungsart, die steigende Nutzungsintensität und ein schnellerer Innovationszyklus dieser Fahrzeuge im Vergleich zu den aktuellen Modellen lassen für die großen Märkte Europa, USA und China höhere Neuzulassungen erwarten (siehe Abbildung 1). Damit ist die Basis für ein weiter wachsendes Geschäftsvolumen der Finanzsparten der Hersteller gelegt.

Auswirkungen auf die Regulierung

Ein wachsendes Geschäftsvolumen hat aber auch Schattenseiten. Wie alle Kreditinstitute müssen die Autobanken im operativen Geschäft zahlreiche Auflagen der Bankenaufsicht erfüllen. Darüber hinaus ist das Risiko der Systemrelevanz zu beachten: Je größer ein Kreditinstitut, desto größer sind die Konsequenzen für die Volkswirtschaft, sollte das Institut insolvent werden. Diesen Zusammenhang lehrt die globale Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009.

Daher werden systemrelevante Autobanken, so etwa die Volkswagenbank, einer besonderen Überwachung durch die EZB unterworfen. Der damit verbundene höhere Regulierungsaufwand ist den Vorteilen einer Ausweitung des Geschäftes gegenüberzustellen. Das Niedrigzinsumfeld und der intensive Wettbewerb bieten kaum Spielräume, zusätzlichen exogenen Kostendruck aufzufangen.

Als mögliche Gegenmaßnahme sind Organisationsänderungen vorstellbar, die das aufsichtsrelevante Kredit- und Einlagengeschäft in dem Mantel einer Bank bündeln und das nicht der Aufsicht unterworfene Geschäft, wie zum Beispiel die zukunftsträchtigen Dienstleistungen rund um das Auto und die alternativen Mobilitätsdienstleistungen, in eine separate Organisationseinheit im Konzern auslagern. So wurde im Jahr 2017 die Volkswagenbank aus der Holding der Volkswagen Financial Services AG herausgezogen und direkt an die Volkswagen AG gehängt.15 Autobanken, die an der "Kippe" zur Systemrelevanz stehen, werden alles daran setzen, den Schwellenwert möglichst nicht zu überschreiten.

Veränderungen der Nachfrage

Das veränderte Nutzerverhalten der Kunden macht die dauerhafte Anschaffung eines Automobils als Statussymbol weniger attraktiv - der Kunde wählt bei Bedarf lieber passende, zeitlich begrenzte Mobilitätslösungen. Dort greifen zunehmend Mietangebote oder intermodale Kombinationen unterschiedlicher Verkehrsträger (Pkw, Fahrrad, Bus, Bahn, ÖPNV). Die wachsende Beliebtheit solcher Mobilitätslösungen zeigt sich etwa bei Daimler Financial Services im Jahr 2017: Rund 17,8 Millionen Kunden lösten bei Car2Go, Moovel und Mytaxi rund 100 Millionen Transaktionen aus, ein Anstieg um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.16

Der Fahrzeugnutzer ist im CASE-Szenario nicht mehr identisch mit dem Fahrzeugeigentümer. Dieser für die traditionelle Fahrzeugfinanzierung typische Zusammenhang wird abgelöst von der Mehrfachnutzung eines Fahrzeugs durch unterschiedliche Kunden: Sie zahlen jeweils nur für die tatsächliche Nutzung der Fahrzeuge nach Kilometerleistung und/ oder Zeitdauer. Eigentümer der Fahrzeuge sind eher gewerbliche Fuhrparkmanager, wie etwa Car2Go, DriveNow oder Flinkster. Das wird auch die Risikostrukturen im Vertragsportfolio der Autobanken verändern: Viele überschaubare Individualrisiken werden von wenigen, aber größeren Flottenrisiken verdrängt. Die Granularität der Portfolien sinkt.

Dieser Trend wird sich auf die Ausgestaltung des Customer Relationship Managements (CRM), Großkunde statt Einzelkunde, auf die Annahmeentscheidung des Kreditantrags (Gefahr des Klumpenrisikos), die Gestaltung der Vertragskonditionen und das Vorhalten von Risikokapital zur Abfederung unerwarteter Kreditausfälle auswirken.

Im CASE-Szenario funktioniert das vernetzte Fahrzeug vor allem als technische Plattform für neue digitale und telematische Dienste, das Auto wird zum rollenden Computer. Dynamische Stauprognosen, ortsbasierte Empfehlungen und Echtzeit-Wartungsinformationen sind dafür gute Beispiele.

Auch das Auffinden eines Parkplatzes, dessen Reservierung und die abschließende bargeldlose Bezahlung per App und eine minutengenaue Echtzeit-Abrechnung für die Fahrzeugnutzung sowie für fahrerspezifische Tarife in der "Payasyoudrive" sind heute schon möglich, sofern der Nutzer mit der Weitergabe seiner persönlichen Daten einverstanden ist.

Veränderungen des Angebots

Wenn das Fahrzeug schließlich völlig autonom fährt, werden neue Dienstleistungen in der passiven Fahrzeit möglich. Kommunikation und Datenaustausch für Büro- oder Infotainment-Anwendungen, wie Videokonferenzen oder das Streaming von Präsentationen, Musik oder Filmen entwickeln sich zu Standarderwartungen der Automobilkundschaft.17

Die komfortable, digitale Ausgestaltung der Fahrgastzelle wird in diesem Umfeld für die Kauf- oder Nutzungsentscheidung wichtiger als die PS-Zahl des Motors. Sie dient dazu, die Aufenthaltsqualität im Fahrzeug während Stauzeiten zu verbessern beziehungsweise die Wartezeit als "Arbeits-, Informations-, Kommunikations- oder Entertainment-Zeit"18 zu nutzen. Dieser Trend beschleunigt sich durch die Einführung des 5G-Standards im Mobilfunk, verbunden mit einer integrierten Telematik-Schnittstelle auf Grundlage der sogenannten "eCall-Technology". Dann können die pauschalen Zahlungen für das Fahrzeug sowohl alle Kosten der automobilen Mobilität, als auch der Nutzung etwa von Spotify- oder Netflix-Angeboten flexibel abdecken. Die Beherrschung der "Car Connectivity" wird im CASE-Szenario also zum differenzierenden Wettbewerbsfaktor.19

Management der Leasing-Restwerte

Eine treffende Prognose des Fahrzeugwertes am Ende der Vertragslaufzeit und ein effizientes Management des damit verbundenen Vermarktungsrisikos sind Kernkompetenzen der Autobanken und zentraler Baustein jeder Ratenkalkulation beziehungsweise des Pricing von Finanzierungs-, Leasing- und Mietverträgen. Die typischen Restwerttreiber, wie Alter, Kilometerleistung und Fahrzeugzustand, sind im CASE-Szenario um weitere Einflussgrößen zu ergänzen. Sie resultieren aus der Elektrifizierung des Antriebs, den rechnergesteuerten Komponenten des Fahrzeugs und ihren vielfältigen digitalen Anwendungen.

Schon heute können über 100 Kleinstcomputer in einem einzigen Fahrzeug verbaut sein. Wie das Smartphone unterliegen diese kürzeren Innovationszyklen als die Entwicklung eines Nachfolgemodells im traditionellen Fahrzeugbau. Es ist leicht nachvollziehbar, dass unter diesen Bedingungen die nachlassende Speicherkapazität der Batterie oder eine überholte Softwareanwendung den Wert des Fahrzeugs mindern können. Auf der anderen Seite sind ferngesteuerte Softwareaktualisierung - sogenannte "Over-The-Air-Updates" - denkbar, die zu einer schnellen und flexiblen Restwertstabilisierung beitragen.

Veränderungen der Vertriebswege

Digitale Lösungen schaffen neue Wettbewerber, auch in der Fahrzeugfinanzierung. Denn die Kunden wollen den Prozess von Anfrage über Bonitätsprüfung, Legitimation und Unterschrift bis zur Auszahlung beziehungsweise Fahrzeugübernahme schnell und möglichst ohne Medienbrüche abschließen.

Einen Best-practice-Ansatz verfolgt zum Beispiel Sixt Leasing.20 Unter verschiedenen Fahrzeugmarken entscheidet sich der Kunde für sein Wunschmodell. Ob er sich das leisten kann, sagt ihm die Monatsrate für eine Kredit- oder Leasing- Finanzierung, die das System zu voreingestellten Konditionen bei frei wählbaren Vertragslaufzeiten oder Fahrleistungen errechnet. Bei der individuellen Konfiguration des Fahrzeugs hinsichtlich Ausstattung, Motorisierung et cetera passt sich die Monatsrate automatisch an.

Die Fahrzeugübernahme erfolgt wahlweise beim Hersteller, im Autohaus oder direkt am Wohnort des Kunden. Ergänzend werden Serviceleistungen und Kfz-Versicherungspakete angeboten, die bei Annahme durch den Kunden ebenfalls in die Monatsrate der Finanzierung eingeschlossen werden. Die Abfrage des Angebots erfolgt online, und der Kunde erhält alle erforderlichen Unterlagen unmittelbar per E-Mail, inklusive Verbraucherkreditinformationen. Solche digitalen Vertriebswege zerschneiden den direkten Draht zwischen Kunde und Autohaus, öffnen das Finanzierungsgeschäft für Wettbewerber und gefährden das bewährte Geschäftsmodell der Herstellerbanken.

Digitalisierung der Geschäftsprozesse

Das aktuelle Geschäftsmodell der Herstellerbanken zeichnet sich durch sehr effiziente Prozesse aus. Mit der industriellen Organisation der Abläufe, dem Verzicht auf ein flächendeckendes Filialnetz, dem umfassenden Einsatz von IT-Lösungen und der Nutzung von Skaleneffekten aus einer fokussierten Produktpalette erzielen sie Bestwerte bei den Cost Income Ratios (CIR), so etwa RCI Banque mit einer CIR von 32,1 Prozent21 und Volkswagenbank von 38,7 Prozent.22

Die Digitalisierung eröffnet weitere Chancen. Von einer Steigerung des Onlineverkaufs, der damit verbundenen Optimierung der Vertriebskosten und von einer Verschlankung der IT-Systemlandschaft verspricht sich die Finanzsparte von Volkswagen bis 2025 eine Produktivitätssteigerung um 50 Prozent.23 Dabei zählen nicht nur ansprechende Apps auf dem Smartphone der Kunden, sondern vor allem durchgängige Echtzeit-Prozesse zwischen Front- und Back-Office. Aus Kundensicht sind Schnelligkeit und Transparenz Trumpf. So sollte im Onlinebanking die ausgelöste Umbuchung sofort zu sehen sein und nicht erst nach dem Buchungslauf am nächsten Tag.

Allerdings müssen manche Banken häufig noch mit großrechnerbasierten Altsystemen zurechtkommen. Und das bedeutet nicht nur hohe Wartungskosten, geringe Flexibilität bei der Installation innovativer Softwarelösungen, sondern oft auch langsame Antwortzeiten, überflüssige Arbeitsschritte und personalintensive Datenaufbereitung. Je komplexer die Prozesse, umso anfälliger sind sie für Fehler. Deren Nachbearbeitung wiederum verlängert die Reaktionszeiten zum Kunden und löst weitere Kosten aus. Man schätzt, dass rund 60 Prozent der Kundenbeschwerden ihren Ursprung im Back-Office haben.24

Neben neuen Produktideen und veränderten Managementmethoden sind daher technische Innovationen in den Geschäftsprozessen unumgänglich. Nicht zuletzt hat die Aufsicht vor kurzem die Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT (BAIT) verordnet. In diesem Kontext sind aber nicht nur die aufsichtsrechtlichen Anforderungen abzudecken. Vielmehr steht das Geschäftsmodell insgesamt vor einem großen technischen Anpassungsdruck. Wer zu langsam ist, der könnte schon bald von den agilen Fintechs überholt werden.

Strategische Bedeutung der Autobanken

Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass sich die Finanzsparten der Hersteller dem Paradigmenwechsel in der Automobilwirtschaft nicht entziehen können. Die anstehenden Veränderungen werden sich massiv auf das traditionell margenstarke Finanzierungs- und Leasing-Geschäft auswirken, das mit einem Anteil von bis zu 50 Prozent am globalen Fahrzeugabsatz heute ein maßgeblicher Katalysator für den Markterfolg des gesamten Konzerns ist (siehe Abbildung 2, Seite 128).

Gegenüber dem aktuellen Geschäftsmodell wächst im CASE-Szenario das Volumen an Neuzulassungen und bildet eine starke Basis für den zukünftigen Erfolg, doch der Trend zum "Sharing" wird die Zahl und die Intensität der Kundenkontakte noch mehr beschleunigen. Haben sich die Geschäftsprozesse bisher an der Fahrgestellnummer des Fahrzeugs orientiert - ein Kunde kauft oder finanziert ein Fahrzeug -, so sind jetzt die Kundendaten einer Vielzahl von Nutzern eines Fahrzeuges auszuwerten, eine echte "Big Data"-Herausforderung. Es liegt an den Autobanken, den direkten Draht zum Kunden zu sichern.

Präferenzen der Nutzer kennen

Wie die Beispiele des Ride-Sharing (Uber, Lyft) und des Carsharing (Car2Go, DriveNow) verdeutlichen, sind dafür neue, vor allem digitale Angebote notwendig, um die Präferenzen der Nutzer zu erfahren, ihre Loyalität zu gewinnen und Cross-Selling-Maßnahmen einzuleiten. Die Kunden wollen den Kaufprozess möglichst ohne Medienbrüche abschließen. Dazu sind neue Vertriebskanäle zu entwickeln, die das Online-Geschäft und das bewährte Offline-Geschäft über den Autohandel verzahnen. Eine rechtzeitige Neuausrichtung des Geschäftsmodells ist angesichts seiner Profitabilität von zentraler Bedeutung für fast alle Autokonzerne.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Geschäftsmodelle der Banken - wie auch die der anderen Branchen - auf dem Prüfstand stehen. Es sollte gar nicht aufsichtsrechtlicher Vorgaben bedürfen, sich dem Anpassungsdruck zu stellen. Denn wer nicht umsichtig und schnell reagiert, läuft Gefahr aus dem Wettbewerb auszuscheiden.

1) Vgl. EBA/GL/2014/13. Damit betrifft der SREP unmittelbar nur die von der EZB beaufsichtigten Institute in den 27 EU-Ländern, mittelbar bildet er aber auch die Grundlage für das deutsche Aufsichtsrecht und damit auch die nationale Prüfungspraxis. Vgl. zum SREP auch Wimmer: EBA-SREP und die Folgen für die MaRisk, in: FLF 1/2015, S.17-21.

2) ICAAP steht für Internal Capital Adequacy Assessment Process.

3) Es liegt aktuell in der zweiten Konsultationsfassung unter der Bezeichnung "Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung ("ICAAP") - Neuausrichtung" vor.

4) Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 1/2016: Die Aufsicht über die weniger bedeutenden Institute im einheitlichen europäischen Aufsichtsmechanismus, S.63.

5) Vgl. "EZB-Bankenaufsicht: Prioritäten des SSM im Jahr 2018", abrufbar unter: www.bankingsupervision.europa.eu/press.

6) Vgl. Alfes/Wimmer: Ergebnisse der Niedrigzinsumfrage: Licht und Schatten bei den deutschen Banken, msgGillardon News 3/2017, S.4-9.

7) Vgl. www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen

8) Vgl. Deutsche Bundesbank Monatsbericht 9/2017, S.57 f.

9) Vgl. Deutsche Bundesbank Monatsbericht 9/2017, S.52-64.

10) Vgl. Wimmer: Filialnetz der Banken - quo vadis? Ansätze zur Optimierung der Filialstruktur, in: FLF 6/2017, S.200-205 zur Methodik bei Filialbeurteilungen.

11) So konnte im Sparkassensektor der Rückgang in der Zinsmarge durch das Provisionsgeschäft nahezu kompensiert werden; vgl. Börsenzeitung vom 8. März 2018.

12) Vgl. Bahlinger, T.: Private Geldanlagen lassen sich vollständig digitalisieren, in: Die Bank 1/2018, S.28-33.

13) Vgl. Stenner, F.: "CASE" verändert auch das Geschäftsmodell der Autobanken", abrufbar unter : www.financebusiness.afb.de.

14) PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC (2017-2018). Five trends transforming the Automotive Industry. Abrufbar unter: www.pwc.com.

15) Vgl. Geschäftsbericht Volkswagen Financial Services AG 2017.

16) Vgl. Daimler Pressemitteilung vom 1. Februar 2018.

17) Vgl. Rammler, St.: Volk ohne Wagen, Streitschrift für Mobilität, Frankfurt am Main 2017, S. 87.

18) Vgl. Rammler, St.: Ebenda.

19) Vgl. McKinsey Company: Connected Car, automotive value chain unbound 2015.

20) Vgl. dazu www.sixt.de.

21) Vgl. RCI Bank, Pressemitteilung vom 19. Februar 2018.

22) Vgl. Volkswagen Bank GmbH, Geschäftsbericht 2017, S.9.

23) Vgl. Volkswagen Financial Services AG, Braunschweig/Frankfurt am Main, Pressemitteilung vom 19. März 2018.

24) Vgl. Cap Gemini Consulting: Digitizing the Banking Back Office 2013.

DIE AUTOREN
Prof. Dr. Frank Stenner, Pullach,ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen für Automobile Finanzdienstleistungen und Risikomanagement sowie Herausgeber des Handbuchs "Automobilbanken - Finanzdienstleistungen für Mobilität".
 
Prof. Dr. Konrad Wimmer, Ismaning,ist Executive Consultant bei der msgGillardon AG. Er war Professor für Bank-, Investitions- und Finanzwirtschaft an der Hochschule Neu-Ulm.
Prof. Dr. Frank Stenner , Honorarprofessor und Lehrbeauftragter , Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen
Prof. Dr. Konrad Wimmer , Executive Partner Research & Strategische Themen , msg for banking ag, Frankfurt am Main

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