FACTORING

Insolvenzantrag - was nun?

Wie Factoring einen Beitrag zum Turnaround eines Unternehmens leisten kann

Marko Dupor, Foto: Bibby Financial Services

Unternehmen, die in Insolvenz geraten, brauchen eine kluge Finanzierungsstrategie. In dieser Lage wirken die Factoring-Vorteile besonders, da die Liquidität gestärkt und eine Betriebsfortführung finanziell gesichert werden kann. Ein tragfähiges Geschäftsmodell vorausgesetzt, sollten als Ursache für die Zahlungsunfähigkeit Liquiditätsengpässe vorliegen. Welche Rahmenbedingungen beim Insolvenz-Factoring zu beachten sind und wie Factorer eine Zusammenarbeit für Bestands- und Neukunden prüfen können, beschreibt dieser Beitrag. (Red.)

Die Vorteile von Factoring sind bekannt: Innerhalb von ein bis zwei Werktagen erhalten Unternehmen von ihrem Factoring-Anbieter den Großteil ihrer Rechnungsbeträge und sind dadurch unabhängiger von Zahlungszielen oder dem Zahlungsverhalten ihrer Kunden. Dass diese Vorteile das Factoring gerade für Unternehmen in der Krise interessant machen, gerät jedoch oft in Vergessenheit. Dabei sind die Vorteile noch größer: Factoring sichert die Betriebsfortführung finanziell ab, und die Liquidität wird zudem dauerhaft gestärkt.

So werden immer wieder neue Gelder für die Umsetzung von Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Für viele Unternehmen bietet sich dadurch erst die Möglichkeit einer Reorganisation und eines Neustarts am Markt.

Vorteil gegenüber dem Sanierungskredit

Für insolvente Unternehmen gilt außerdem als entscheidender Vorteil, dass für den Factor vorrangig die Verität der ausstehenden Forderungen maßgeblich ist, um ein Unternehmen als Kunden aufzunehmen. Daher sind bankenunabhängige Factoring-Dienstleister, die durch spezielle Ausnahmeregelungen bezüglich der allgemeingültigen aufsichtsrechtlichen Anforderungen über einen anderen Handlungsspielraum verfügen, in der Regel wesentlich dynamischere Finanzierungspartner als Banken. Sie fokussieren sich nicht ausschließlich auf die Bonität eines Unternehmens, sondern prüfen vor allem den Wahrheitsgehalt der Rechnung, meist über Abliefernachweise oder eine stichprobenartige Prüfung direkt beim Abnehmer via Telefon oder E-Mail.

Im Gegensatz zu einem Sanierungskredit einer Bank, die sich in ihrer Bewertung im Regelfall eher an Passiva wie etwa der Eigenkapitalquote orientiert, müssen beim Factoring also keine oder wenige zusätzliche Sicherheiten zur Verfügung gestellt werden. Hinzu kommt, dass im Insolvenzverfahren die eigene Hausbank oft der Hauptgläubiger ist und somit nicht berechtigt, weitere Kreditlinien anzubieten.

Auslagerung des Debitorenmanagements

Oft herrscht die allgemeine Auffassung, dass im Laufe des Insolvenzverfahrens überall dort eingespart werden muss, wo es nur geht. Für Kooperationen mit externen Dienstleistern lautet die Devise also in der Regel: Alles, was im Unternehmen selbst abgewickelt werden kann, sollte auch innerhalb des Unternehmens bleiben. Deshalb kann die Zusammenarbeit mit einem Factoring-Anbieter im Insolvenz verfahren vielen als ein unnötiger Kostenpunkt erscheinen. Dabei ist es eben eines der stärksten Argumente für Factoring, dass die Unternehmensentscheider dabei komplexe Aufgaben wie etwa das Debitorenmanagement auslagern können. Aus Unternehmenssicht ist dies ein guter Anreiz, trotz eines Insolvenzverfahrens den bisher bestehenden Factoring-Vertrag weiter laufen zu lassen beziehungsweise sich einen entsprechenden Dienstleister ins Boot zu holen.

Insbesondere das Modell des Full-Service-Factoring, bei dem zugleich die Rechnungen, das Ausfallrisiko, das Debitorenmanagement und das Mahnwesen vom Factor übernommen werden, ermöglicht beim Unternehmen eine vollständige Entlastung von administrativen Aufgaben. Damit gelangen die Unternehmenslenker an wichtige Ressourcen, bekommen den Kopf frei für andere Arbeitsfelder und können sich in dieser schwierigen Zeit ganz auf einen erfolgreichen Turnaround konzentrieren.

Um im Insolvenzfall einen Factoring-Vertrag abschließen zu können, der sich sowohl für das betroffene Unternehmen als auch für den Factor als vorteilhaft erweist, sind einige Grundvoraussetzungen und wichtige Schritte zu beachten. Die Rahmenbedingungen, in denen die Kooperation stattfindet, sollten für alle Seiten klar sein, um diese schließlich gleichermaßen zufriedenzustellen und vor allem gegen etwaige Risiken abzusichern.

Kooperation mit gewissem Risiko

Aus Sicht des Factors ist Insolvenz-Factoring ein zweischneidiges Schwert. Zum einen stellen insolvente Unternehmen mit ihrem Bedarf an schnellen Finanzierungslösungen ein Marktsegment dar, das bedingt durch den Mehraufwand mit lukrativen Gebühren einhergeht, zum anderen birgt Insolvenz-Factoring eine Reihe betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Risiken, die beim Factoring eines gesunden Unternehmens in dieser Form nicht bestehen.

Ganz allgemein muss der Factor hinterfragen, wieso der (vorläufige) Insolvenzverwalter überhaupt eine Zusammenarbeit in Erwägung zieht. Grund hierfür könnte nämlich auch eine Masseunzulänglichkeit sein. In solchen Fällen sollte seitens des Factors grundsätzlich die wirtschaftliche Rentabilität der möglichen Zusammenarbeit geprüft werden. Denn selbst wenn die Ansprüche des Factors nach Insolvenzeröffnung Teil der Masseverbindlichkeiten sind, nützt dies nichts, wenn Masseunzulänglichkeit vorliegt beziehungsweise angezeigt wurde und die Massegläubiger nicht vollständig befriedigt werden können. Deshalb ist Insolvenz-Factoring nur in Fällen anzuraten, bei denen primär Liquiditätsengpässe die Ursache für die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens sind, dieses aber prinzipiell ein tragfähiges Geschäftsmodell vorweisen kann.

Ob wirklich eine Masseunzulänglichkeit vorliegt beziehungsweise droht, lässt sich allerdings nur schwer überprüfen. Dazu muss sich der Factor weitgehend auf die Aussagen des Insolvenzverwalters verlassen. Ein gutes Vertrauensverhältnis zum Kunden kann ebenso eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, die Risiken einer Vertragsfortführung abzuwägen.

Zusätzlich wird ein Factoring-Vertrag erst mit einer entsprechenden Laufzeit profitabel. Die möglicherweise kurze Kooperationsdauer muss also dringend in die Kalkulation der Factoring-Gebühr einfließen. Ist mit einer raschen Stilllegung des Unternehmens zu rechnen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kooperation von Vorteil ist. Ein solcher Fall wäre nicht risikoadäquat. Entsprechend sollte man dann von einer Zusammenarbeit absehen.

Diese und einige weitere Risikofaktoren gilt es besonders zu beachten, sollte man sich als Factoring-Anbieter dazu entscheiden, das eigene Portfolio um Insolvenz-Factoring zu erweitern. Vor allem gibt es aber ein bestimmtes branchenübliches Prozedere und einige Rahmenbedingungen, die Factoring-Anbietern bekannt sein sollten.

Rahmenbedingungen für Insolvenz-Factoring

Wird ein vorläufiges Insolvenzverfahren eingeleitet, und signalisiert der vorläufige Insolvenzverwalter sein grundsätzliches Interesse an einer Fortführung des Factoring-Vertrages, muss der Factor prüfen, ob er von dem ihm in der Regel zustehenden außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch macht. Entscheidet er sich für eine Fortführung des Factoring-Vertrags, ist das Aufsetzen eines entsprechenden Fortführungsvertrages unumgänglich. Die Laufzeit ist dabei individuell zu vereinbaren. Aus Sicht des Factors muss dabei sichergestellt werden, dass für seine erbrachten Leistungen zudem eine angemessene und risikoadäquate Vergütung erfolgt. Da ein möglicher Ausgang eines Insolvenzverfahrens auch immer das endgültige Aus des Unternehmens bedeuten kann, ist dieser Schritt von höchster Relevanz.

Dabei ist an dieser Stelle anzumerken, dass das insolvente Unternehmen streng genommen gar nicht über eine mögliche Zusammenarbeit entscheidet. Sobald ein vorläufiges Insolvenzverfahren eingeleitet wird und ein in der Regel sogenannter "schwacher" Insolvenzverwalter bestellt ist, bedarf die Kooperation des insolventen Unternehmens mit dem Factor nämlich der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Dieser ist also die zentrale Figur, wenn es um die Frage geht, welche betriebswirtschaftlichen Schritte im Interesse des Unternehmens und seiner Gläubiger sind und dementsprechend auch, welche Dienstleistungen ein Unternehmen im vorläufigen Insolvenzverfahren noch in Anspruch nehmen sollte.

Forderungen als Masseverbindlichkeiten

Für den Factor ist es von zentraler Bedeutung, darauf hinzuwirken, dass die Ansprüche aus dem Factoring-Vertrag, die ab seiner Fortführung im Stadium des vorläufigen Insolvenzverfahrens entstehen, bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht nur als einfache Forderungen, sondern als sogenannte Masseverbindlichkeiten definiert werden. Diese sind dann aus der Insolvenzmasse vorrangig zu befriedigen. In der Praxis geschieht dies durch eine Einzelermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht. Der Factor wird ein besonderes Augenmerk darauf zu richten haben, dass in dem entsprechenden Beschluss des Insolvenzgerichts genau bezeichnet wird, auf welche Verpflichtungen sich die Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Eingehung als Masseverbindlichkeiten erstreckt.

Ist diese Hürde genommen, kann die Vereinbarung zur Fortführung der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden und der vorläufigen Insolvenzverwaltung unterzeichnet werden. Sollte der bisher bestehende Factoring-Vertrag bereits gekündigt sein, müsste ein neuer Vertrag aufgesetzt werden. Die Vertragslaufzeit wäre in diesem Falle bis zur Eröffnung des eigentlichen Insolvenzverfahrens begrenzt.

Im nächsten Schritt muss die vorläufige Insolvenzverwaltung den jeweiligen Debitoren schriftlich bestätigen, dass weiterhin schuldbefreiende Zahlungen an den Factoring-Dienstleister getätigt werden können. Dadurch herrscht Klarheit auf allen Seiten, wer wofür der richtige Ansprechpartner ist und welche Zahlungswege im rechtlich außergewöhnlichen Zustand eines Insolvenzverfahrens einzuhalten sind.

Offenes Factoring-Verfahren

Eine zentrale Rahmenbedingung für ein erfolgreiches Insolvenz-Factoring ist die Entscheidung für ein offenes Factoring-Verfahren. Denn im Gegensatz zum stillen Verfahren können hier Forderungen und Gegenforderungen direkt beim Debitor abgeprüft werden. Wichtig ist hierbei, dass Factor und (vorläufiger) Insolvenzverwalter gegenüber den Debitoren klar und koordiniert kommunizieren, welche Forderungen wem gehören. Denn vielfach verhängen Debitoren zunächst einen Zahlungsstopp, wenn sie von einem Insolvenzverfahren erfahren. Sprechen Factor und Insolvenzverwalter mit einer Stimme, kann dieses Problem häufig schnell entschärft werden.

Schließlich sollte noch ein neuer Buchungskreis eingerichtet werden, um Verrechnungen der Salden zu vermeiden. Dies ist vor allem für die Insolvenzverwaltung von großer Bedeutung, da ansonsten Ansprüche des Factoring-Anbieters sowohl vor Beginn der Insolvenzmaßnahmen als auch danach verrechnet würden.

Im Anschluss kann der gewohnte Factoring-Prozess so lange durchgeführt werden, bis das Insolvenzverfahren im Idealfall mit einem Turnaround endet. Sollte dies gelingen, profitiert auch der Factor, da seine Dienstleistungen in den meisten Fällen auch weiterhin in Anspruch genommen werden. In den vergangenen Jahren hat Bibby Financial Services mehrfach Kunden durch Insolvenzverfahren hindurch begleitet und dabei einige gemeinsame Erfolgsmomente erlebt. Beispielsweise gab es einen Kunden aus der Speditionsbranche, mit dem der Factoring-Anbieter im Sommer 2015 die Zusammenarbeit aufgenommen hat. Anfang 2017 musste das Speditionsunternehmen dann einen Insolvenzantrag stellen. Gemeinsam mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter entschied man sich damals, weiter zu factorn, da der Grund für die Insolvenz nicht etwa eine Massearmut war, sondern rein auf Liquiditätsengpässe zurückzuführen war.

Während Bibby Financial Services also wie gewohnt seine Leistungen ausführte, konnte der Kunde gemeinsam mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter so viele Aktiva veräußern, dass schlussendlich im Frühsommer 2017 der Turnaround geschafft wurde. Es konnte ein neues Unternehmen gegründet und die gesamte Be legschaft übernommen werden. Das neue Unternehmen zählt noch heute zum Kundenstamm des Factoring-Anbieters.

Insolvente Neukunden

Ein besonderer Fall des Insolvenz-Factorings ist der Einstieg des Factors erst nach der Einleitung des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Zwar ist dieses Geschäftsmodell aufgrund des Mehraufwands und der damit einhergehenden höheren Factoring-Gebühren finanziell attraktiv, aufgrund besonderer Risiken im Vergleich zum Insolvenz-Factoring bei Bestandskunden jedoch relativ wenig verbreitet.

Dafür lassen sich hauptsächlich zwei Gründe identifizieren. Zunächst spielt das Vertrauensverhältnis zwischen Factor und Kunde, das vornehmlich auf Erfahrungswerten basiert, eine ganz entscheidende Rolle. Diese Erfahrungswerte fehlen bei einem insolventen Neukunden.

Insolvenz-Factoring als Neugeschäft birgt also ein entsprechend höheres Risiko, da sich Aspekte wie Zahlungsmoral, Transparenz, aber auch die Debitorenqualität nur schwierig aus den dem Factor zur Verfügung stehenden Dokumenten ableiten lassen. Somit erhöht sich die Gefahr, dass auf Debitorenseite noch Gegenforderungen bestehen, die schlussendlich aufgerechnet werden müssen. Das ist ein Risiko, das durch die gute Kenntnis der Debitoren bei Bestandskunden nicht in dieser Ausprägung besteht. Daher muss also zwischen dem wirtschaftlichen Potenzial einer Kooperation und dem damit einhergehenden Risiko sorgfältig abgewogen werden.

Ein weiterer Grund, warum der Einstieg eines Factoring-Dienstleisters nach Einleitung des vorläufigen Insolvenzverfahrens ein so seltenes Phänomen darstellt, ist schlicht die weitreichende Unbekanntheit der Vorteile von Insolvenz-Factoring auf Seiten der Insolvenzverwalter. An dieser Stelle könnte es für Factoring-Anbieter durchaus ratsam sein, Insolvenz-Factoring gezielter bei Insolvenzverwaltern zu bewerben, damit sie es als weiteres Instrument zur Überwindung von Liquiditätsengpässen in ihr Repertoire aufnehmen.

Dieses Argument spricht für sich: Die vielleicht größte Attraktivität bei Neukunden im Insolvenzverfahren aus Sicht des Factors ist, dass man - sofern man gemeinsam den endgültigen Bankrott ab wenden konnte - einen frisch sanierten Bestandskunden gewonnen hat, zu dem man im Laufe des Verfahrens ein großes Vertrauensverhältnis aufgebaut hat.

MARKO DUPOR ist Geschäftsführer Marktfolge bei Bibby Financial Services GmbH, Düsseldorf.
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