DIGITALISIERUNG

IT-Strategie: Wegweiser zu einer leistungsfähigen Bankplattform

Traditionelle Geldinstitute müssen sich anpassen

Kay Wossidlo, Foto: Katrin Denkewitz

Digitales Banking wird bereits in wenigen Jahren einen signifikanten Marktanteil erreichen. Die traditionellen Filialbanken müssen ihre IT-Systeme dringend umrüsten, um nicht aus dem Wettbewerb verdrängt zu werden. Die Autoren wissen, was der Finanzkunde des 21. Jahrhunderts erwartet und was den Kreditinstituten fehlt. Vor diesem Hintergrund erläutern sie, welche Veränderungen auf Banken zukommen und wie diese am besten gemeistert werden können. (Red.)

Bis 2025 wird erwartet, dass Neobanken in der Europäischen Union einen Marktanteil von 20 Prozent erreichen. In fünf Jahren bereits regeln bis zu 85 Millionen EU-Verbraucher ihre Finanzen also über eine Software, die von keinem der etablierten Institute stammt. Banken, die mithalten wollen, müssen deshalb zwingend ihre Legacy-IT ablösen oder erneuern.

Legacy-IT bremst Banken aus

Veraltete IT-Systeme sind das größte Problem, das vor allem deutsche Banken heute haben. Jede zweite Bankplattform arbeitet noch mit einem Kernbanksystem (CBS), das vor zehn oder mehr Jahren eingeführt worden ist, in einer Zeit, in der Banking noch in Filialen stattgefunden hat. All das, was sich auf die Institute, ihr Geschäft und die IT besonders stark ausgewirkt hat, datiert jedoch auf die Zeit danach. Das gilt beispielsweise für die gesetzlichen Vorgaben, die sich seit der Finanzkrise 2008/2009 stetig verschärft und dabei schließlich auch auf die IT-Systeme ausgewirkt haben. Häufig haben sich die Institute damit beholfen, relativ nah am Kernbanksystem notwendige Erweiterungen umzusetzen, sodass sich das CBS wie eine Krake in nahezu alle Bereiche der IT-Landschaft fortentwickeln konnte und deshalb ein klarer Schnitt heute umso schwerer fällt.

Weil die Banken ihr CBS wie eine Entwicklungs- oder Programmierplattform genutzt haben, müssen sie seit Jahren immer mehr Geld in die Hand nehmen für Lizenzen, Betrieb und Entwicklung. Wegen des Alters dieser Monolithen fehlen Integrationsmöglichkeiten, um Daten mit anderen Systemen, etwa von Partnern, effizient auszutauschen oder von einer anderen Software aus direkt auf das CBS zuzugreifen. Darum müssen viele Banken immer noch wie in den 90er Jahren tagsüber gesammelte Aufträge nachts buchen. Im Echtzeit-Zeitalter ist das kein geringes Problem. Digitale Angreifer machen sich das zunutze und überzeugen ihre Kunden mit Angeboten, die sich nahezu in Echtzeit und vielfach vom Smartphone aus steuern lassen. Schon das Onboarding ist einfach, gerade bei Smartphone-Banken, die bereits in wenigen Minuten ein Girokonto eröffnen.

Die drei großen K - Kundenbedürfnisse, Kosten und (vor allem digitale) Konkurrenz - lassen die Margen schmelzen. Deutschlands Banken trifft es dabei besonders hart. Bei der Deutschen Bank etwa liegen die Kosten inzwischen deutlich über den Einnahmen. Dieses Verhältnis, ausgedrückt in der Cost Income Ratio (CIR), pendelt derzeit bei 110 Prozent. Branchenweit, also über alle der drei Säulen - Privatbanken, Sparkassen, Genossenschaften - hinweg, liegt die CIR bei ebenfalls hohen 75 Prozent. Zudem erwirtschaften die Institute nur noch eine Rendite von rund einem Prozent auf das Eigenkapital, so wenig wie seit der letzten Finanzkrise nicht mehr. Zum Vergleich: Schwedens Banken wenden nur 50 Cent für jeden umgesetzten Euro auf und erzielen 15 Prozent Rendite. Junge und modern aufgestellte Direktbanken sind - auch in Deutschland - vergleichbar profitabel.

Hinzu kommt, dass die Gewinnsumme im deutschen Markt seit Jahren schrumpft und heute um ein Viertel niedriger liegt als noch vor zehn Jahren. Dieser Trend lässt sich nur dann umkehren, wenn die Institute sowohl ihre Kosten senken wie auch die Erträge steigern. Ein Vorgehen, das nur eines dieser beiden Ziele verfolgt, dürfte nicht mehr ausreichen, um langfristig zu überleben. Das zeigt auch ein Blick auf die Zahlen im internationalen Vergleich. Während die deutschen Banken den Anschluss zu den europäischen Wettbewerbern verlieren, verliert der europäische Finanzmarkt das Rennen gegen den US-amerikanischen. Die Großbanken jenseits des Atlantiks sind inzwischen mehr als doppelt so profitabel wie die europäischen Institute.

Fünf Kriterien für die Bankplattform

Die wirtschaftliche Stärke der US-amerikanischen Banken lässt sich neben einer etwas anderen Rettungspolitik nach der Lehman-Pleite auch maßgeblich auf bessere IT-Konzepte zurückführen, in die Goldman Sachs und Co. schon vor Jahren investiert haben. Diese Plattformen ermöglichen, Partner schnell zu integrieren, flexibel und günstig Änderungen durchzuführen und viele Abläufe automatisch abzuwickeln. Viele deutsche Institute dagegen haben gehofft, mit homöopathischen Eingriffen dasselbe zu erreichen, ähnlich wie bei den ersten Regulierungswellen. Doch das hat sich inzwischen als großer Irrtum erwiesen (vergleiche Abbildung 1).

Vielmehr folgen aus dem veränderten Marktumfeld völlig neue Aufgaben für die IT, die weder Legacy-Systeme noch "One size fits all"-Standardlösungen erfüllen können. Beispielsweise wollen sich Kunden in einer Filiale abschließend beraten lassen oder den Vertrag zeichnen, nachdem sie eine Finanzierung online bereits berechnet haben - aber alle relevanten Daten nochmals eingeben? Das ist auch keine Option. Also brauchen die Berater in der Filiale ein System, das einmal eingegebene Informationen auf allen Kanälen verfügbar macht. Ein neues Vertriebs-Frontend sorgt zudem dafür, dass individuelle Ansprachen möglich sind. Zugleich müssen sich die Systeme leicht anpassen lassen, damit kleine Änderungen nicht sofort dazu führen, dass die gesamte IT stillsteht. Diese Anforderungen gliedern sich in die folgenden fünf Handlungsfelder:

- Geschäftsmodell: Produkte und Dienste sollen sich durch die IT problemlos abbilden lassen können. Zudem dürfen neue Angebote die bestehenden nicht kannibalisieren.

- Modularität: Weil nicht jede fachliche Änderung das gesamte System betrifft, soll die IT bestenfalls aus flexiblen Modulen bestehen und kein monolithisches System darstellen. So lassen sich die Einzelteile unabhängig voneinander anpassen und livesetzen.

- Integrierbarkeit: Kaum eine Bank wird künftig sämtliche Angebote selbst entwickeln. Viele Funktionen und Dienste sollen auch von Partnern stammen dürfen, wie Fintechs, oder für andere bereitgestellt werden können, wie White-Label-Produkte.

- Legacy & Cloud: Neue Betriebsmodelle für die wichtigsten IT-Systeme sorgen dafür, dass die Kosten sinken. Gleichzeitig lassen sie sich leichter skalieren, weil beispielsweise bei Hochlast zusätzliche Ressourcen aus der Cloud zugeschaltet werden können.

- Automatisierung: Die IT der Zukunft übernimmt schon bald einen hohen Anteil der Wertschöpfung gänzlich allein. Big Data und Künstliche Intelligenz helfen dabei, Prozesse weitestgehend automatisiert end-to-end abzuwickeln.

Derzeit tun sich Banken nach eigener Einschätzung besonders schwer damit, andere Dienste zu integrieren beziehungsweise selbst entwickelte Dienste bereitzustellen. Der Grund: die komplexen und schwer integrierbaren Funktionalitäten des CBS. Die monolithische Struktur verhindert, dass einzelne Komponenten schnell erweitert oder anderen Banken als Shared Service angeboten werden können. Interessanterweise geben die Institute jedoch an, dass sie bei den ausgesprochen wichtigen Kriterien Automatisierung und Modularität bereits sehr weit seien. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass sich diese Einschätzungen darauf beziehen, wie gut das jeweilige Thema innerhalb der gegebenen Grenzen umgesetzt worden ist. Immerhin sind gerade einmal 28 Prozent der Banken mit der Performance ihres CBS zufrieden.

Vom Anwender zum Entwickler

Viele der digitalen Angreifer, insbesondere die Smartphone-Banken, ziehen ihre Kraft aus der Gnade später Geburt. Weil sie keine schweren Legacy-Systeme mit sich herumtragen, wirken sie agil und sind in der Lage, auch in kürzester Zeit neue Funktionen anzubieten und Partnerangebote aufzuschalten. In diesem "Lego-Prinzip" steckt der entscheidende Vorteil, den die IT-Architektur von Fintechs, US-amerikanischen Tech-Konzernen und Smartphone-Banken darstellt: Sie erlaubt, selbst Software zu entwickeln und beschränkt die IT-Abteilungen nicht darauf, als Anwender an einem eingekauften IT-System herumzudoktern. Die wesentliche Aufgabe besteht also darin, von einem monolithischen zu einem verteilten System zu gelangen.

Damit das gelingt, empfiehlt sich zunächst, die bestehende Bankplattform zu analysieren und dabei drei Bereiche zu unterscheiden: Kundeninteraktionen, Service-Interaktionen und das CBS. Die ersten beiden Bestandteile der Plattform machen das Nutzererlebnis aus. Sie sorgen dafür, dass sich eine Bank von anderen im Wettbewerb unterscheidet. Sie bestimmen das "Look & Feel" sowie Umfang und Qualität des Angebots. Alles, was der Kunde unmittelbar nutzt und was wettbewerbsdifferenzierend ist, sollte die Bank selbst entwickeln. Services wie Peer2Peer Payment, Instant Payments, Kartenfunktionen oder das Video-Ident für die Kontoeröffnung lassen sich modular einbinden. Bei den nicht im Wettbewerb relevanten Komponenten hat sich ein "Best of Breed"-Ansatz bewährt.

"Best of Breed" bedeutet, sich aus den am Markt verfügbaren Software-Lösungen zu bedienen und sich nicht auf ein einziges System festzulegen ("Best of Suite"). Vielmehr geht es darum, den für Kunden nicht sichtbaren Maschinenraum kostengünstig zu betreiben. Einzelne Systeme lassen sich per IT-Outsourcing betreiben. Ganze Funktionen wie Rechnungs- oder Meldewesen auszulagern (Business Process Outsourcing), kann sich ebenfalls auszahlen. Entscheidend ist, dass die Bank zu einem Zielbild bezüglich Produkten und Abläufen gelangt, das sie umsetzen möchte und mit dem sie profitabel am Markt agieren kann. Idealerweise bildet das CBS künftig nur noch den absoluten Kern des Geschäftsmodells ab. Alle anderen Funktionen entstehen anschließend um diesen entschlackten Kern herum.

Die Sarkophag-Methode

In der Praxis dürfte für viele Banken jedoch ausgeschlossen sein, die gesamte Legacy-IT sofort abzuschalten und die gewünschte Zielarchitektur auf einen Schlag einzuführen. Doch wo am besten anfangen? Bewährt hat sich die sogenannte "Sarkophag-Methode".

Die Idee: Fachbereiche und IT versuchen gemeinsam, die bestehende IT-Landschaft so zu entflechten, dass ein CBS-Kern als tatsächliche Essenz des Core Bankings erstmal übrig bleibt. Um diesen Sarkophag herum entstehen dann die unmittelbar wertschöpfenden Funktionen, die in der gewünschten Zielarchitektur das Wesen des Geschäfts ausmachen sollen. Das ist deshalb wichtig, weil unbedingt zu verhindern ist, eine bereits ausdifferenzierte Komplexität eins zu eins zu übertragen und so Sonder locken oder Überbleibsel aus der Vergangenheit in das neue System zu übertragen. Ein bereinigtes Portfolio, das sich von kaum mehr nachgefragten Produkten verabschiedet, schützt vor dieser Falle.

Die Sarkophag-Methode hilft zudem dabei, den tatsächlich benötigten Umfang zu bestimmen, den das CBS in der künftigen Zielarchitektur einnehmen soll. Schließlich deckt das CBS später nur einen Teilbereich der Bankplattform ab. In seiner kleinsten Ausprägung braucht das CBS nicht mehr zu sein als eine Registrierkasse, die zusätzlich den Bestand führt. Welchen Platz das CBS innerhalb der Bankplattform einnimmt, hängt jedoch von der gewählten Software und dem abzubildenden Geschäftsmodell ab. Im besten Fall ist das CBS so eng gefasst, dass es als Modul weitgehend unabhängig ist von anderen fachlichen Domänen, die durch jeweils eigene Module gekapselt werden. Die Zeit für das konkrete Architekturdesign sollte sich jede Bank nehmen.

Der Faktor Zeit ist nicht zu unterschätzen. Tatsächlich kann die Modularisierung dazu verleiten, mit einzelnen Teilprojekten zu beginnen, bevor die spätere Zielarchitektur und das CBS durchdacht sind. Wer anfangs zu wenig Zeit für ein solides und tragfähiges Zielbild sowie die Auswahl der einzelnen Komponenten einplant, riskiert beispielsweise, dass die für einen bankfachlichen Prozess gewählte Software inkompatibel zu anderen Bestandteilen der späteren Bankplattform ist. Von der Longlist über die Shortlist bis zu einem Proof of Concept vergehen erfahrungsgemäß zwischen sechs und neun Monaten - und auch das gelingt nur dann, wenn Zielvision und Strategie bereits feststehen.

Behutsam vorgehen

Führungskräfte und Projektleiter sollten sich auf realistische leistbare Releasepakete verständigen, die sich einerseits gut umsetzen lassen und andererseits keine Hürde für die kurzfristige Umsetzung von Innovationen darstellen. Die Vorstellung, dass Banken die Zeit dafür haben, sich über mehrere Jahre einzuschließen, um am ganz großen Wurf zu arbeiten, wird sich mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit als falsch erweisen. Zunächst geht es darum, sich gerade zu Beginn der Transformation vergleichsweise leicht zu erreichende Meilensteine vorzunehmen, da diese Phase auch dazu dient, dass sich die Teams finden und sich an die Projektarbeit gewöhnen und gleichzeitig sichtbare Erfolge innerhalb der Bank zu erzielen.

Darüber hinaus hat sich bewährt, zuerst solche Produkte auf die neue Plattform zu bringen, von denen nur kleinere Kundengruppen betroffen sind. Das ermöglicht eine höhere Fehlertoleranz und überführt den schlimmstenfalls zu erwartenden "Fallout" durch Beschwerden in ein kalkulierbares Risiko. Konkret: Der Zahlungsverkehr scheidet als Pilotprojekt aus. Insgesamt geht es darum, für ein ausgewogenes Transformationstempo zu sorgen, damit sich Routine einstellen kann und die beteiligten Projektteams lernen, selbstsicher mit der neuen Situation umzugehen.

Ganzheitlich und zügig handeln

Eine Bankplattform neu auszurichten und das CBS auszutauschen, betrifft nahezu alle Bereiche einer Bank und damit einen großen Stab an Mitarbeitern. Legacy-Systeme abzuschalten ist deshalb eine Entscheidung, die neben der IT-Architektur auch die Organisation selbst verändert. Sich dieser Aufgabe zu stellen, ist für die Banken jedoch unumgänglich. Die digitale Konkurrenz ist zu schnell darin, eventuell Lücken zu schließen, als dass die etablierten Institute länger warten könnten. Vorstände müssen handeln.

KAY WOSSIDLO ist Partner bei Senacor Technologies. Der Diplom-Kaufmann engagiert sich außerdem im Digital-Think-Tank Münchner Kreis.
 
DR. FLORIAN SPRINGER ist Partner bei Senacor Technologies und verantwortet komplexe IT-Transformationen. Darüber hinaus leitet er das Kompetenzcenter Bankplattform 2.0.
Kay Wossidlo , Partner bei Senacor Technologies
Dr. Florian Springer , Partner bei Senacor Technologies

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