AUFSICHT

Neue Anforderungen an die Risikotragfähigkeit

RTF-Leitfaden und ICAAP-Grundsätze

Prof. Dr. Konrad Wimmer, Foto: msgGillardon

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Erwartungen an den ICAAP (Internal Capital Adequacy Assessment Process) bei bedeutenden Instituten veröffentlicht. Die von der deutschen Bankenaufsicht erwarteten Anforderungen der EZB hinsichtlich der ICAAP-Ausgestaltung der weniger bedeutenden Institute sind in den Leitfaden zur Risikotragfähigkeit (RTF) vom Mai 2018 eingeflossen. Der Beitrag gibt einen Überblick zu den Neuerungen und stellt sieben Grundsätze zur Ausgestaltung des ICAAP vor. (Red.)

Der Single Supervisory Mechanism (SSM) und der Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) der European Banking Authority (EBA) haben sich erheblich auf die bankaufsichtliche Beurteilung der bankinternen Risikotragfähigkeitskonzepte ausgewirkt. Die Erwartungen der Europäischen Zentralbank (EZB) an den ICAAP (Internal Capital Adequacy Assessment Process) bei den unmittelbar von ihr beaufsichtigten bedeutenden Instituten (Significant Instituts, SIs), sind dem ICAAP-Leitfaden zu entnehmen,1) denen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei der Neugestaltung ihres Risikotragfähigkeitsleitfadens Rechnung getragen hat. Letzterer gilt für die von ihr unmittelbar beaufsichtigten weniger bedeutenden Institute (Less Significant Instituts, LSIs).2)

Der neue Leitfaden der BaFin dient letztlich der Harmonisierung der deutschen Ausgestaltung der Risikotragfähigkeit (RTF) mit den europäischen Leitlinien. Er verordnet dem ICAAP der EZB folgend die Implementierung der ökonomisch und normativen Perspektive als parallelen Steuerungsansatz. Zwar dürfen die LSI die bisher praxisüblichen Going-Concern-Ansätze übergangsweise bis auf Weiteres nutzen. Angesichts fehlender konkreter Umsetzungsfristen machte die BaFin unmissverständlich den dringenden Handlungsbedarf für Banken bei Nutzung der Interimslösung klar, denn diese "sollten sich aber schon heute Gedanken darüber machen, wie die neuen Ansätze sinnvoll in eigene Risikotragfähigkeitskonzepte transformiert werden können".3)

Die Neuausrichtung des Leitfadens wirkt sich auch auf zentrale Elemente der Banksteuerung aus, zum Beispiel infolge der Interdependenzen auf den Strategie- und Planungsprozess der Gesamtbank, oder auf das Limitsystem.4) Der Risikotragfähigkeitsleitfaden weist folgenden Aufbau auf:

- Einleitung,

- Grundsätze aufsichtlicher Beurteilung,

- Ziele und Grundsätze ICAAP,

- Normative Perspektive,

- Ökonomische Perspektive,

- Stresstests,

- Steuerungsaspekte beider Perspektiven,

- Annex zu den bisherigen Going-Concern-Ansätzen.

Steuerungsansatz erweitert

Hervorzuheben ist die geforderte parallele Abbildung der normativen und der ökonomischen Perspektive. Im Unterschied dazu gab es bisher prinzipiell vier Möglichkeiten, die Risikotragfähigkeit abzubilden. Der Going-Concern-Ansatz und der Liquidationsansatz konnten jeweils mit der Gewinn- und Verlustrechnung-orientierten oder der wertorientierten Sicht verknüpft werden.

Der Leitfaden bringt im Unterschied zu den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) nicht Mindestanforderungen der Aufsicht zum Ausdruck. Vielmehr wird in den einzelnen Kapiteln die grundsätzliche Erwartung der Aufsicht beschrieben, von der dann proportional abgewichen werden kann.

Die normative Perspektive erstreckt sich über die Gesamtheit aller auf eine Kapitaldeckung von Risiken abzielenden regulatorischen und aufsichtlichen Anforderungen. Aus der regulatorischen Perspektive kann die Bank somit fortgeführt werden und damit ist zugleich das in AT 4.1 Tz. 2 Erl. MaRisk vorgegebene Fortführungsziel erfüllt. Die normative Perspektive erweitert und präzisiert die Kapitalplanung im Vergleich zu den MaRisk.5) So muss das Institut gewährleisten, dass die SREP-Gesamtkapitalanforderung (Total SREP Capital Requirements - TSCR) auch unter adversen Bedingungen eingehalten wird.

Die ökonomische Perspektive sorgt losgelöst von regulatorischen Vorgaben dafür, dass die wertorientiert ermittelte Risikodeckungsmasse die Summe der abzudeckenden Risiken übersteigt.

Auch die MaRisk geben den Instituten schon länger in AT 4.1. Ziffer 2 vor, bei den Verfahren zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit sowohl das Ziel der Institutsfortführung als auch den Schutz der Gläubiger vor Verlusten aus ökonomischer beziehungsweise wertorientierter Sicht angemessen zu berücksichtigen.6)

Der ICAAP umfasst alle Verfahren, Methoden und Prozesse, die eine ausreichende Kapitaldeckung sämtlicher mit Blick auf die Vermögenslage (inklusive Kapitalausstattung), die Ertragslage oder die Liquiditätslage wesentlichen Risiken sicherstellen, die im Rahmen der hinlänglich bekannten Risikoinventur identifiziert werden.

Der interne Prozess zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit7) erstreckt sich jetzt explizit auf ein Risikotragfähigkeitskonzept samt einer RTF-Rechnung und einer Kapitalplanung sowie ergänzenden Stresstests gleichermaßen. Auch muss der Strategieprozess mit den Risikosteuerungs- und -controllingprozessen verbunden werden (Tz. 16)8) .

Ziel der ICAAP-Ausgestaltung ist die jederzeitige Sicherstellung der Risikotragfähigkeit, die letztlich immer die langfristige Unternehmensfortführung gewährleisten muss. Insofern kommt es wie in der Unternehmensbewertung auf den Substanz- und Ertragswert des Instituts gleichermaßen an (Tz. 15).

Ausgestaltung der Risikotragfähigkeit

Abbildung 1 zeigt die beiden Perspektiven der Risikotragfähigkeit im Überblick. Nachfolgend werden sie ausführlich dargestellt.

In der normative Perspektive müssen alle regulatorischen und aufsichtlichen Anforderungen erfüllt werden. Diese betreffen insbesondere die Kapitalanforderungen (Kernkapital, SREP-Gesamtkapital, kombinierte Pufferanforderung, Eigenmittelzielkennziffer) und die Kapitalstrukturanforderungen, wie zum Beispiel die Großkreditgrenzen oder die Leverage Ratio (Tz. 22).

Das normativ definierte Risikodeckungspotenzial setzt sich aus den regulatorischen Eigenmitteln zusammen. Zur klassischen Säule-1-Anforderung, die sich auf das Ergänzungs- und Kernkapital erstreckt, treten die Anforderung aus dem Säule-1-Plus-Ansatz nach SREP (Pillar 2 Requirement, P2R) sowie weitere Kapitalbestandteile, die die Aufsicht zur Abdeckung von aufsichtlichen Kapitalanforderungen und -erwartungen anerkennt ("Stresstestzuschlag" der Eigenmittelzielkennziffer, Pillar 2 Guidance, P2G, und die § 340 f HGB Reserven (siehe Abbildung 2, Seite 40, sowie die Anforderungen an die LSI im Jahr 2017 in Abbildung 3, Seite 40).

Bisher rechneten die meisten Institute, die den Going-Concern-Ansatz verfolgten, den vorsichtig ermittelten Plangewinn in die Risikodeckungsmassen ein. Nach Annex Tz. 3 ist dies bei Fortführung des Going-Concern-Ansatzes auch künftig möglich und zwar auch für die mindestens dreijährige Kapitalplanung.

Bezüglich der Risikoartenquantifizierung gilt: Sie richtet sich für Adressrisiken, Marktpreisrisiken und operationelle Risiken an den rechtlichen Anforderungen der CRR aus; der Risikohorizont beträgt damit konsequenterweise ein Jahr (Tz. 29). Daraus folgt zugleich die Notwendigkeit der rollierenden RTF-Betrachtung. Ein offener Punkt ist wohl die Anforderung, wesentliche Risiken, die ausschließlich in der ökonomischen Betrachtung ab bildbar sind auch in die normative Perspektive einfließen zu lassen. Beispielhaft nennt der RTF-Leitfaden Migrationsrisiken oder die verlustfreie Bewertung im Anlagebuch. Diese Risiken sind folglich bei der Planung der zukünftigen GuV-, Eigenmittel- und TREA-Belastungen (Total Risk Exposure Amount - TREA) vorzusehen (Tz. 30).

Tz. 32 ff. präzisieren die enge Verbindung der Kapitalplanung mit der strategischen Planung. Letztere soll die Veränderungen des Markt- und Wettbewerbsumfelds sowie bindende rechtliche beziehungsweise regulatorische Anpassungen im Planszenario abbilden.

Die Kapitalplanung unterscheidet wie bisher zwischen dem Planszenario und dem adversen Szenario. Im Planszenario sind explizit alle Kapitalanforderungen inklusive der Eigenmittelzielkennziffer zu erfüllen. Im adversen Szenario muss demgegenüber "nur" die SREP-Gesamtkapitalanforderung (Total SREP Capital Requirements - TSCR) eingehalten werden, das heißt der P2G-Zuschlag und die kombinierte Kapitalpufferanforderung nach § 10 i Abs. 1 KWG dürfen gerissen werden. Abbildung 4, Seite 41, zeigt die einzuhaltenden Anforderungen.

Ökonomische Perspektive

Hier erfolgen die Risikoquantifizierung und die Risikodeckungspotenzialermittlung ökonomisch, das heißt sie basieren auf der bankintern verwendeten Methodik und sind folglich unabhängig von der handelsrechtlichen Rechnungslegung und den regulatorischen Vorgaben. Das Konfidenzniveau soll unter Berücksichtigung aller Parameter konservativ festgelegt werden analog zur Säule 1. Erwartet wird damit ein Konfidenzniveau von 99,9 Prozent wie bei der aufsichtlichen Kreditrisikomessung.9)

Die Ermittlung des Risikodeckungspotenzials zielt auf die statische barwertige Ermittlung aller Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und außerbilanzieller Positionen. Erträge des geplanten Neugeschäfts dürfen daher grundsätzlich nicht angesetzt werden. Erwartete Verluste müssen analog zur bisherigen Vorgehensweise beim Liquidationsansatz abgezogen werden.

Die Risikoquantifizierung erstreckt sich sowohl auf erwartete als auch unerwartete Verluste. An dieser Stelle kann man den im Leitfaden mehrfach eingearbeiteten Proportionalitätsgrundsatz besonders deutlich herausstellen:

Die Quantifizierung des Unternehmensbarwerts kann auch vereinfacht erfolgen. So darf das ökonomische Risikodeckungspotenzial (RDP) bestimmt werden, indem das bilanzielle Eigenkapital um stille Lasten reduziert und um stille Reserven erhöht wird. Sehr kleine und wenig komplexe Institute dürfen diese vereinfachte Unternehmensbarwertermittlung verbinden mit einer vereinfachten Risikoberechnung, indem die aufsichtlichen Risikowerte der Säule 1 ergänzt werden, beispielsweise durch die Zinsschockauswirkung beim Zinsänderungsrisiko gemäß dem Säule 1-Plus- Ansatz.10)

Dieser Leitfaden benennt sieben Grundsätze, die an dieser Stelle kurz aufgelistet werden sollen. Sie sind in Deutschland in die MaRisk und den neuen RTF-Leitfaden eingeflossen.

Grundsätze des ICAAP-Leitfadens der EZB

Grundsatz 1: Das Leitungsorgan ist für eine solide Governance des ICAAP verantwortlich. Das Leitungsorgan beurteilt jährlich die Angemessenheit der Kapitalausstattung und genehmigt die Kernelemente des ICAAP. Hierzu rechnen insbesondere die Governance-Struktur, die Regelungen zu internen Dokumentationen, die Methodik für die Beurteilung der Angemessenheit der Kapitalausstattung, den Risikoidentifizierungsprozess und Umfang wesentlicher Risiken, die Risikoquantifizierungsmethoden sowie die Annahmen und Parameter zur Risikomessung (zum Beispiel Zeithorizont, Konfidenzniveau, Haltedauer).

Grundsatz 2: Der ICAAP ist integraler Bestandteil des Gesamtsteuerungsrahmens. Das Leitungsorgan muss für eine solide und wirksame ICAAP-Gesamtarchitektur sorgen, die auch die Angemessenheit der Kapitalausstattung sicherstellt und zwar sowohl kürzerfristig (bis ein Jahr) als auch längerfristig (mindestens drei Jahre). Auch sind die Interdependenzen beispielsweise zwischen Geschäfts- und Risikostrategien und den Kapitalplänen, den Risikoidentifizierungsprozessen, den Limitsystemen und den Risikoquantifizierungsmethoden aufzuzeigen.

Grundsatz 3: Der ICAAP trägt wesentlich zum Fortbestand der Institute bei, indem er die Angemessenheit ihrer Kapitalausstattung aus der ökonomischen und normativen internen Perspektive darstellt.

Grundsatz 4: Alle wesentlichen Risiken werden im ICAAP identifiziert und berücksichtigt. Mindestens einmal jährlich sind alle wesentlichen Risiken zu identifizieren (Risikoinventar als Ergebnis).

Grundsatz 5: Das interne Kapital ist von hoher Qualität und klar definiert. Die Institute können in der internen Sicht eine für sie passende Definition wählen, das heißt sie können beispielsweise ausschließlich der ökonomischen Bewertung folgen ("Nettobarwertmodell") oder die regulatorischen Eigenmittel als Ausgangsbasis wählen.

Grundsatz 6: Die ICAAP-Annahmen und die Risikoquantifizierungsmethoden sind angemessen, konsistent und werden unabhängig validiert. Das Konfidenzniveau der ökonomischen Perspektive sollte (mindestens) dem Niveau der Modelle der Säule 1 entsprechen (99,9 Prozent). Maßgeblich ist dabei die Gesamtsicht über alle Annahmen und Parameter.

Grundsatz 7: Regelmäßige Stresstests sollen die Überlebensfähigkeit bei widrigen Entwicklungen sicherstellen. Das Stresstestprogramm soll beide Perspektiven abdecken; ihre Ausgestaltung soll bei der Formulierung plausibler adverser Szenarien auf die Schwachstellen des Instituts abstellen.

Bewertung der Neuregelung

Die beiden Perspektiven bieten sich ergänzende unterschiedliche Blickwinkel auf die Risikotragfähigkeit der Institute - diese Vorgabe findet sich übrigens auch bei der Quantifizierung des Zinsänderungsrisikos im Anlagebuch.11) Der neue RTF-Leitfaden schafft erfreulicherweise die bisherige Doppelunterlegung der Risiken mit Eigenmitteln - einerseits nach der Säule-1-Plus und andererseits nach der Säule 2 - ab. Auch führt die Neuausrichtung des RTF-Leitfadens zu einer besseren Verzahnung der Kapitalplanung mit der Risikotragfähigkeit und einer Aufwertung des Planungsprozesses der Institute. Nicht einfach umsetzbar ist die im Leitfaden explizit geforderte Verknüpfung der ökonomischen mit der normativen Perspektive, um eine einheitliche Steuerung zu gewährleisten. Dies betrifft zum Beispiel das Zinsänderungsrisiko im Bankbuch mit der sogenannten verlustfreien Bewertung des Bankbuchs nach dem Rechnungslegungsstandard des Bankenfachausschusses des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. IDW RS BFA 3 n.F., das in die adversen Szenarien im Kapitalplanungsprozess einfließen soll. Hier gilt es erst noch, praxisgerechte Lösungen zu erarbeiten.12) Nicht zuletzt deshalb sollten die Institute den mit der Umsetzung des neuen RTF-Leitfadens verbundenen Arbeitsaufwand rechtzeitig einplanen und geeignete Maßnahmen und entsprechende Projekte (wie zum Beispiel die Ablösung des Going-Concern-Ansatzes oder die Intensivierung der Kapitalplanung) frühzeitig aufsetzen.

Fußnoten

1) Vgl. www.bankingsupervision.europa.eu/.

2) Vgl. www.bafin.de, veröffentlicht am 24. Mai 2018 unter dem Titel "Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung ("ICAAP") - Neuausrichtung.

3) Zitat aus dem Anschreiben der BaFin zum neuen RTF-Leitfaden an die Verbände der Kreditwirtschaft (siehe www.bafin.de, 24. Mai 2018).

4) Vgl. Schilling/Schneeloch, Neuausrichtung, in: BI 01/2019, Seite 20.

5) AT 4.1. Tz. 11 MaRisk.

6) Vgl. auch die MaRisk-Anforderungen zu den Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch (BTR 2.3 Ma-Risk) - beide Ansätze sind zu implementieren. Ebenso der in FN 1 erwähnte EZB-Leitfaden zum ICCAP, Seite 33.

7) Vgl. § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 KWG.

8) Textziffern (Tz.) ohne nähere Bezeichnung beziehen sich auf den RTF-Leitfaden.

9) Vgl. Internal Ratings Based Approach IRBA nach CRR.

10) Vgl. Abbildung im RTF-Leitfaden nach Tz. 49.

11) BTR 2.3 Tz. 6 MaRisk.

12) EZB-Leitfaden zum ICAAP: www.bankingsupervision.europa.eu/, Seite 22-27.

PROF. DR. KONRAD WIMMER ist Executive Consultant bei der msgGillardon AG, Ismaning.
E-Mail: konrad.wimmer[at]msg-gillardon[dot]de
Prof. Dr. Konrad Wimmer , Executive Partner Research & Strategische Themen , msg for banking ag, Frankfurt am Main

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