MANAGEMENT

Neun Thesen zur Arbeitswelt nach Covid-19

Neue Dynamik beim New Work

Timo Brehme, Foto: Wolf Heider-Sawall

Die Arbeitsorganisation im Büro hat sich durch die Corona-Krise verändert. Webinare, Homeoffice und kein persönlicher Kontakt zwischen Kollegen prägen derzeit das Arbeitsbild in vielen Unternehmen. Timo Brehme argumentiert, dass zumindest ein Teil dieser Entwicklungen langfristiger Natur sind. Die Pandemie hat ein nachhaltiges Umdenken hervorgerufen. Allerdings bestehen auch hier Grenzen, gerade in der Finanzbranche. Ein Beitrag über die Möglichkeiten, konventionelle und moderne Arbeitsformen zu mischen. (Red.)

Die Corona-Pandemie beschleunigt auch in der Finanzierungsbranche einen Trend, der schon seit einigen Jahren anhält: Arbeitsplätze werden digitaler, Arbeitswelten offener und multifunktionaler. Selbst wenn Abstandsregeln aktuell für die Zukunft neu definiert werden, befindet sich das klassische Einzelbüro auf dem Rückzug.

Denn: In der zunehmend digitalen Welt liegt der Schlüssel zur Wertschöpfung für Kredit- und Finanzunternehmen wie in anderen Branchen auch in Kommunikation, Kognition und Kreativität. Wo Künstliche Intelligenz und digitale Prozesse an Grenzen stoßen, hat der Mensch einen wichtigeren Platz denn je.

Paradigmenwechsel

Der Weg zurück in die Normalität wird Mitarbeiter und Unternehmen auch in Bezug auf den Arbeitsplatz vor größere Herausforderungen stellen. Die Ausnahmesituation schafft einen Paradigmenwechsel sowohl für Angestellte als auch für Firmen. Beide Seiten werden mit neuen Abläufen konfrontiert, die innerhalb kürzester Zeit adaptiert werden müssen. Diese Notsituation ruft beim Thema New Work eine völlig neue Dynamik hervor und eröffnet die Chance, tradierte Prozesse zu überprüfen und die Arbeitswelt den aktuellen Bedürfnissen und Zielen anzupassen. Potenziale erkennen und nach der Krise für das Unternehmen zu nutzen, lautet die Devise.

Nachfolgend werden neun Thesen erläutert, wie sich Arbeitswelten künftig verändern werden – über Abstandsregeln, Durchlüftungsmemos oder vorgegebene Laufrouten hinaus. Diese lauten enormer Digitalisierungsschub, Denkarbeit braucht motivierende Räume, Virtual Meeting versus Face-to- Face, Homeoffice hat seine Grenzen, Büro als Hub & Home, Herrschaftswissen ade, Möglichkeitsraum statt Einzelzelle, Downsizing des Arbeitsplatzes stößt an seine Grenzen sowie Bewährungsprobe für Co-Working und Desk-Sharing.

Enormer Digitalisierungsschub

Die Corona-Pandemie hat in vielen Unternehmen notgedrungen für einen enormen Digitalisierungsschub gesorgt. Firmen, die sich bisher gescheut haben, den nächsten Digitalisierungsschritt zu gehen, oder bei denen die Dringlichkeit zur Digitalisierung branchenbezogen nicht gegeben war, sind nun gezwungen, sich ernsthaft mit dem Einsatz digitaler Hilfsmittel auseinanderzusetzen.

Bislang ungenutzte Potenziale, ob bei Prozessen, in der Arbeitsverteilung aber auch in der Kommunikation, werden derzeit aufgezeigt und im Optimalfall zukunftsgerichtet überdacht. Die dadurch in Gang gesetzte Dynamik wird in den kommenden Monaten und Jahren eine Vielzahl an Branchen in eine Umbruch- und Aufbruchsstimmung versetzen. Damit einher geht die Chance, teils festgefahrene Abläufe und Strukturen effizienter oder zielgerichteter zu gestalten. Covid-19 fungiert vielfach als Testlauf für eine neue Ära der Digitalisierung.

Denkarbeit braucht motivierende Räume

Denkarbeit von Finanzspezialisten, Steuerberatern, IT-Profis, Wirtschaftsprüfern oder Forderungsmanagern ist umso mehr der Künstlichen Intelligenz, Smart Data und Algorithmen überlegen, je motivierter und zufriedener die qualifizierten Mitarbeiter sind. Das gilt für kleinere Unternehmen der Branche ebenso wie für größere. Neuste Studien und Zahlen belegen: Investitionen in Arbeitswelten sorgen nicht nur für zufriedenere und motivierte Angestellte, sondern sind vor allem ein Hebel für Effizienz.

Die aktuelle Office Analytics-Studie des Fraunhofer-Instituts gibt dem Ansatz recht. Belegungsdichte, Mitarbeiterzufriedenheit und Erfolgsfaktoren sind bei der modernen Bürogestaltung ein kausales Geflecht. Die Ergebnisse der Studie belegen die positive Wechselwirkung zwischen der Zufriedenheit mit der Büroumgebung und verschiedenen Erfolgs-Indizes. Demnach lassen sich signifikante Zusammenhänge zwischen Wohlbefinden, Motivation, Mitarbeiterbindung sowie der Performance am Arbeitsplatz verzeichnen, wenn Personen mit ihrer Büroumgebung zufrieden sind. Ein zufriedener Angestellter arbeitet demnach motivierter und hat mehr Spaß am Job. Mehr Gestaltungsraum ist längst möglich. Durch Prozesse wie Dunkelverarbeitung und neue Speichermöglichkeiten sind mit Aktenordner überfüllte Schränke auf dem Rückzug. Das schafft Platz für mehr Schönheit im Büro.

Virtual Meeting versus Face-to-Face

Die Krise zeigt einmal mehr, dass Meeting nicht gleich Meeting ist. In der Praxis lässt sich gerade deutlich erkennen, für welche Art von Besprechungen sich die Teilnehmenden zwingend von Angesicht zu Angesicht treffen sollten und welche durchaus virtuell stattfinden können. Auch hier ergeben sich wiederum Chancen, die die Unternehmen nach der Krise aktiv nutzen können. Daher sollten Konferenzen ernsthaft auf den Prüfstand gestellt und differenziert werden. Dazu zählt auch die Frage, inwiefern es zielführend ist, zu jeder Routinebesprechung diverse Parteien von unterschiedlichen Standorten an einen Besprechungsort zu schicken. Kosteneffizienz und Zeiteinsparung sprechen für sich. In Bezug auf die Umwelt sind virtuelle Meetings zudem gelebter Klimaschutz.

Besprechungen dagegen, die kreative Prozesse im Team freisetzen sollen, stoßen in Zeiten von Homeoffice meist an ihre Grenzen. Hier bleiben Meetings vor Ort auch in der Zukunft die eindeutig bessere Wahl. Die Zusammenarbeit von Angesicht zu Angesicht ist bei kreativen Prozessen, aber auch in vielen anderen Bereichen, unumgänglich und sollte nicht durch digitale Lösungen substituiert werden. Der persönliche Austausch und die Interaktion bei Treffen vor Ort haben das Potenzial, erheblichen Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen. Diese Begegnungen werden nach der Corona-Krise vermutlich einen höheren Stellenwert erfahren und im besten Fall effektiver ausgeschöpft.

Homeoffice hat seine Grenzen

Homeoffice öffnet vielen Unternehmen die Tür in eine neue Ära des Arbeitens. Unternehmen, die agiles Arbeiten aufgrund der bestehenden Prozesse bisher nicht in Betracht gezogen haben, wurden durch die Umstellung auf das mobile Arbeiten von zu Hause mit neuen Möglichkeiten konfrontiert. Jedoch stößt das Heimbüro als eine der vielen Facetten des agilen Arbeitens unweigerlich an seine Grenzen und muss nicht per se in dieser Form weitergeführt werden. Essenzielle Aspekte wie die informelle Kommunikation und die persönliche Interaktion brechen bei dieser Variante meist gänzlich weg. Daher sollte Homeoffice als eine von zahlreichen Optionen des agilen Arbeitens gesehen werden, die noch nicht genutzte Potenziale des Unternehmens freisetzen kann.

Es gilt nun, eine Bilanz aus den neugewonnenen Erkenntnissen zu ziehen und Chancen individuell für jede Firma zu adaptieren. Besonders für Unternehmen aus der Finanzbranche kann das Homeoffice dann schnell gefährlich oder gar existenzbedrohlich werden, wenn sensible Kundendaten außerhalb des Unternehmens nicht hinreichend geschützt sind oder Mitarbeiter im Homeoffice sorgloser damit umgehen.

Büro als Hub & Home

Nach einigen Wochen der Einschränkung und Isolation ist ersichtlicher denn je, wie wichtig das Büro als sozialer Knotenpunkt für den Austausch sowie als Plattform der Kreativität und Innovation ist. Bei aller Unabhängigkeit, die die Digitalisierung mit sich bringt, suchen Menschen weiterhin Stabilität und Nähe. Der Mensch als soziales Wesen sehnt sich auch in der Arbeitswelt nach einem Ort, der Identifikation stiftet. Eine inspirierende Arbeitsumgebung dient als emotionales Bindemittel zum Unternehmen und steigert das Wohlbefinden.

Der Trend zur Hybridisierung, also zur Schaffung einer Mischform der vorher getrennten Systeme Hub (sozialer Knotenpunkt Büro) und Home (Heim), wird fortschreiten, sodass das Büro zunehmend auch den Bedarf an Zugehörigkeit erfüllen muss. Mitarbeiter werden das Büro und hier insbesondere die Begegnungs- und Kommunikationsflächen neu entdecken und neu bewerten. Der Begriff Büro als Hub & Home ist aus der Forschungskooperation von CSMM und dem ISF Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung entstanden.

Herrschaftswissen ade

Der Umgang mit Corona war besonders in den ersten Wochen deutlich mitgetragen von einem bevölkerungsweiten "Gemeinsam schaffen wir das". Dieses Credo wird auch die Arbeitswelt der Zukunft auf neue Weise prägen. Denn: Die Zentralisierung des Wissens und hierarchische Arbeitsorganisationen haben sich jahrelang im Raumkonzept von Finanzdienstleistern, Unternehmensberatern und Wirtschaftsprüfern widergespiegelt.

Im Finanz- und Kreditwesen stieg mit Unternehmenszugehörigkeit, Expertise und Ansehen oft die Prestigeträchtigkeit des Büros und umgekehrt. Da es in der Branche jedoch immer mehr darum geht, Fachwissen kreativ zu vernetzen und zu beschleunigen, reicht es im 21. Jahrhundert nicht mehr aus, das Knowhow in der Büroaufteilung hierarchisch abzubilden. Auch in der Arbeit gilt mehr denn je: Gemeinsam schaffen wir das. Vorausgesetzt, die Büros verwandeln sich in Möglichkeitsräume.

Möglichkeitsraum statt Einzelzelle

Auch wenn derzeit Vereinzelung und Abstandhalten das allgemeine Bild prägen die bisherige Entwicklung in Richtung Großraumbüro als Möglichkeitsraum, also als Raum der Entfaltung, der Begegnung und der Teamarbeit, wird sich fortsetzen. Was nach Corona mehr denn je gefragt ist, ist die Förderung von Teamgeist und Innovationsfähigkeit. Unternehmen, die marktfähig bleiben wollen, benötigen Raum für Empathie, Kreativität und Erfindergeist. Einzelzellen zum Abarbeiten sind hinderlich.

Dem Raum kommt an dieser Stelle eine Schlüsselrolle zu. Innovationen, die unsere Gesellschaft nachhaltig veränderten, konnten zwar durch die Schaffung von Rahmenbedingungen begünstigt werden. Wie beispielsweise die Entdeckung des Penicillins durch Experimente im Labor und die Zusammensetzung bestimmter Stoffe. Was jedoch nicht geplant werden konnte, war die Erfindung an sich. Der glückliche Zufall, die Serendipität erst ermöglichte die Entdeckung selbst.

Für die Arbeitswelt braucht es daher einen Paradigmenwechsel. Die Devise lautet, weg vom Notwendigkeitsraum hin zu einem Möglichkeitsraum. Das gilt besonders bei Produkten und Dienstleistungen, die durch Disruption herausgefordert werden. Das neuartige Autoabo zeigt, wie schnell das gelernte Leasing auf dem Prüfstand steht. Unternehmen, die agil und disruptiv denken wollen, müssen dies im Grunde bereits bei der architektonischen Planung nicht nur berücksichtigen, sondern forcieren.

Downsizing des Arbeitsplatzes hat Grenzen

Wie zuletzt mehrfach zu lesen war, bereiten die großen US-Banken die Besetzung von Büros mit nur einem Bruchteil der üblichen Personalstärke vor. Ein Teil der Belegschaft soll in die Vorstädte ausgelagert werden. Das mit der Corona-Krise einhergehende Social Distancing wird auch in Bezug auf die Größe des Arbeitsplatzes Einfluss haben. Die kontinuierliche Reduktion der Fläche pro Mitarbeiter wird vorerst einen radikalen Stopp erfahren.

Viele Unternehmen werden zu enge oder zu dicht besetzte Büros überdenken. Im Hinblick auf künftige Krisen werden etliche Firmen die Anzahl der Kollegen in einem Raum verringern beziehungsweise die Abstände zwischen ihnen vergrößern. Aber nicht nur das Abstandsthema wird die Planung neuer Büros maßgeblich beeinflussen. Auch Hygiene wird ein Aspekt sein, der neu in die Bürogestaltung einfließen wird.

Bewährungsprobe für Sharing

Eine Vielzahl an Geschäftsmodellen Auto, Wohnung, Arbeitsplatz, ist über die letzten Jahre auf gemeinschaftliche Nutzung ausgelegt worden. In der aktuellen Krisensituation kommen diese Modelle ins Wanken. Kürzlich noch gehypte Co-Working-Flächen bekommen einen bitteren Beigeschmack. Die Idee des Co-Working, eine dynamische und flexible Fläche zu schaffen, bei der fremde Personen einen Raum teilen, wird bei der Rückkehr aus dem Homeoffice auf eine Bewährungsprobe gestellt werden.

Auch die innerbetriebliche Variante des Desk-Sharing wird eine neue Legitimation im Unternehmen durchlaufen müssen. Nichtsdestoweniger eröffnen sich durch die flexibel nutzbaren Co-Working-Angebote den Unternehmen neue Möglichkeiten: Sie könnten Ergänzungsflächen anmieten, um ihre Mitarbeiter aus den jetzt zu dicht besetzten bisherigen Büros zu verteilen.

TIMO BREHME ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Consulting- und Architekturbüros CSMM mit Standorten in München, Berlin, Frankfurt und Düsseldorf. Zu seinen Schwerpunkten zählt New Work.
E-Mail: pm[at]cs-mm[dot]com
XING
Linkedin

 

Timo Brehme , Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Consulting- und Architekturbüros CSMM
Noch keine Bewertungen vorhanden


X