Finanzdienstleistungen im digitalen Wandel

Interview mit Andreas Senger

Andreas Senger

Die Senger-Gruppe ist seit mehr als 60 Jahren in der Autobranche tätig. Heute zählt sie zu den großen Automobilhandelsunternehmen in Deutschland. Im Jahr 2015 wurden mit 2 584 Mitarbeitern in 48 Betriebsstätten 29 549 Fahrzeuge der Marken Mercedes-Benz, Volkswagen, Volkswagen-Nutzfahrzeuge, Audi, Porsche Skoda, Smart, Seat, Peugeot und MAN verkauft. Davon waren 14 446 Neuwagen und 15 103 Gebrauchtwagen.
 

Heute erwirtschaftet die Senger-Gruppe einen Umsatz von rund 1,2 Milliarden Euro. Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?

Wir investieren in zusammenhängende Marktgebiete, nicht in einzelne Autohäuser. Eine konsequente Kostenorientierung durch standardisierte und bewährte Prozesse ist unsere Stärke. Die Nutzung von zentralen, gebündelten Kompetenzen erzielt Einspareffekte, genauso wie durch gebündelten, zentralen Einkauf. Was an einem Standort funktioniert, klappt in der Regel auch an anderen Standorten. Man muss Synergieeffekte heben. Wir verfügen über ein sehr gutes Markenportfolio mit einer guten Gewichtung von Premium- und Volumenmarken.

Die Standardisierung von Prozessen erfordert ja einen Mehreinsatz an Informationstechnologie. Was finanzieren Sie hier?

Wir investieren zum Beispiel aktuell in die Einführung und Optimierung von Dokumenten-Management-Systemen mit fest hinterlegten Workflows, in Verfahrensdokumentationen und in die erforderliche Hardware, zum Beispiel konkret in den Rollout von Accesspoints und in die Bandbreitenverdoppelung, das MPLS-Netz.

Die Vermittlung von Leasing, Finanzierung sowie Versicherungen bietet attraktive Verdienstmöglichkeiten. Bitte erläutern Sie den Stellenwert dieser Ertragsquelle für Ihr Unternehmen.

Die Provisionen und Bonifikationen aus dem Vermittlungsgeschäft sind sehr wichtige Ergebnistreiber und machen je nach Marke bis zu elf Prozent Anteil am Fahrzeugbruttogewinn aus. Sie sind für uns unverzichtbar und noch deutlich ausbaufähig.

Welche Unterschiede gibt es beim Einsatz von Finanzdienstleistungen zwischen Volumen- und Premiummarken?

Aktuell sind bei den Volumenherstellern der Verkaufsdruck und damit die Unterstützungsleistung größer als bei den Premiummarken. Grundsätzlich sehe ich hier aber keine unterschiedlichen Chancen - diese würde ich gleich verteilt sehen.

Gibt es solche Unterschiede zwischen dem Verkauf von Neu- und Gebrauchtwagen?

Die Herstellerunterstützung im Neuwagengeschäft ist größer - im Gebrauchtwagenbereich wird oftmals mit erheblichen Händlerbeteiligungen gerechnet.

Welche Rolle spielen Financial Services, also Finanzierungen und Versicherungen, für die Kundenbindung?

Financial Services spielen eine große Rolle und bieten gute Chancen in der Kundenbindung. Wir erreichen dadurch eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für Folgegeschäfte, und die Servicebindung sichert das Werkstattgeschäft.

Was bestimmt die Auswahl Ihrer Finanzierungspartner?

Die Zusammenarbeit mit den Herstellern gibt die Partner im Wesentlichen vor. Vielfach werden Verkaufsförderungsaktionen mit den Finanzierungsangeboten gekoppelt.

Und wie sieht das im Gebrauchtwagengeschäft aus?

Das spiegelt sich auch hier wider, da wir thematisch sehr stark die Gebrauchtwagenmarken der Hersteller bespielen: "WeltAuto", "Gebrauchtwagen :plus", "Junge Sterne" und so weiter.

Welche Rolle spielt die monatliche Kredit- oder Leasing-Rate im Kundengespräch?

Wichtig ist das Herunterbrechen des Preises auf Monatsraten, um somit auch bereits optisch geringere Einstiegsschwellen zu schaffen. Zusätzliche Ausstattung kostet dann "nur" die monatliche Differenz. Dieses Vorgehen trägt der Überlegung Rechnung, das beim Kunden für Mobilität verfügbare Budget zur Entscheidung heranzuziehen. Der Kunde zahlt für die Nutzung, nicht für den Besitz.

Bei Auslauf des Finanzierungsvertrages steht der Kunde vor wichtigen Entscheidungen: neues Auto, neue Finanzierung. Wie organisieren Sie das "end of term"-Geschäft?

Wir erstellen Finanzierungs-/Leasing-Auslauflisten zur Vorbereitung der Kundenansprache. Die Verkaufschancen werden im CRM-System angelegt, durch die Verkäufer bearbeitet und durch Verkaufsleiter gesteuert und geprüft.

Autonahe Dienstleistungen werden oft im Paket angeboten. Was halten Sie von diesen Pauschalarrangements?

Solche Flatrates werden von uns zwar aktiv in der Kommunikation genutzt, aber es handelt sich um Produkte der zweiten Linie. Das heißt, sie werden dann angesprochen, wenn der Kunde am Tisch sitzt. Diese Pakete machen immer dann Sinn, wenn eine Vorteilhaftigkeit deutlich erkennbar ist. Insbesondere auch beim Quereinstieg während eines Serviceaufenthaltes. Dazu muss das Personal geschult werden, es müssen Freiräume zum Angebot geschaffen werden, und die Pakete müssen einfach buchbar sein. Diese Arrangements leisten sicherlich einen wertvollen Beitrag zur Werkstattauslastung und zum Ertrag.

Die Kunden erwarten umfassende Informationen zum Fahrzeug, Finanzierungen und zu Versicherungen. Ist der Verkaufsberater manchmal überfordert?

Hier ist zu prüfen, welche Rolle elektronische Hilfsmittel bei der Interaktion mit dem Kunden spielen können. Derzeit sind diese noch viel zu kompliziert und zu langwierig. Es gibt zu viele wiederkehrende Abfragen, zu viele Bearbeitungsfenster, Doppeleingaben, kaum Schnittstellen zum vorhandenen DMS, also dem Dealer Management System. Die Systeme müssen wesentlich einfacher und zum integralen Bestandteil des Verkäuferarbeitsplatzes werden; am besten mit Pflichteingaben.

Viele Kunden wollen den Kauf von Fahrzeug und Finanzdienstleistungen online abwickeln. Welche Rolle spielt das Internet für Ihr Haus?

Der Internetauftritt hat in diesem Zusammenhang eine hohe Bedeutung. Vielfach werden zusätzliche Dienstleistungen zwar kommuniziert - aber es fehlen Clickto-Action-Buttons. Viele Hersteller-Tools sind noch zu schwerfällig oder werden nur zum Teil zur Verfügung gestellt. Oft fehlen Widgets zur Einbindung in die eigenen Webseiten. Wir leiten den Kunden nur sehr ungerne auf eine andere Plattform weiter - wir möchten die Kundenschnittstelle behalten.

Auf Facebook ist Auto-Senger in Rheine mit 1810 Likes beurteilt.1) Wie wichtig ist Ihnen Social Media?

Das ist nur ein Teil der Wahrheit, denn wir bauen lokale beziehungsweise regionale Communities auf. Momentan vereint die Senger-Gruppe auf allen Facebook-Accounts insgesamt circa 4 500 Likes. Die Bedeutung dieser Kontakte steigt für uns, da wir perfekte Zielgruppenansteuerungen über Profile einsetzen. Zukünftig werden wir auch Pinterest und Instagram nutzen. Dadurch gibt es für unsere Werbebotschaften viel weniger Streuverluste, und die Kosten dieser Medien sind im Vergleich zu anderen Kanälen relativ günstig. Das Thema Auto ist immer in einem nicht unerheblichen Maße emotional und daher wertvoller Content für Postings.

Fintechs versuchen sich zwischen Autohaus und Kunden zu schieben? Wie wehren Sie sich?

Wir stärken unseren eigenen Webauftritt. Im nächsten Monat wollen wir unsere neue Website ausrollen. Wir werden in die Nutzung von Unique Content investieren und zum Beispiel eine eigene Ankaufplattform aufbauen. Unsere vorrangige Aufgabe besteht darin, näher am Kunden zu sein, um höhere Conversions zu erzielen. Zusätzlich wünschen wir uns eine engere Zusammenarbeit mit Herstellern, um unser Geschäftsmodell zu stärken.

Wann kommt bei Ihnen der virtuelle Showroom à la Rockar (Hyundai) zum Einsatz? Hat das reale Autohaus überhaupt noch eine Zukunft?

Ja, Fahrzeuge sind emotionale Produkte. Noch sind wir nicht beim Verkauf von reinen Kilometern angekommen. Entwicklungen in Richtung virtuelle Showrooms sind zwar angedacht, aber das reale Autohaus bietet Mehrwerte, die ein virtuelles nicht bieten kann. Eine Online-Abbildung des kompletten Vermarktungs- oder Ankaufprozesses ist vorstellbar und geplant. Dazu braucht es noch eine Menge Akzeptanz auf Kundenseite. Viel wichtiger ist zurzeit das qualifizierte, lückenlose Abholen der Kunden aus der Online-Welt und die Überführung in die Offline-Welt. Dazu werden zum Beispiel an unseren Point of Sales spezielle Lounge-Bereiche mit digitalen Displays eingerichtet.

Welche Rolle spielen Langzeit- und Kurzzeitmiete für Ihr Geschäft?

Wir liefern Fahrzeuge an diese Partner. Das Interesse an reiner Mobilität wird größer, damit auch an diesen Geschäftsmodellen. Wir treten mit Captives und Non-Captives im Rent-Bereich an den Markt. Die Auslastung ist vielversprechend, der Bedarf ist da.

Meinungsforscher sehen das Auto nur noch als ein Modul in der Verknüpfung unterschiedlicher Mobilitätsangebote. Ändert sich Ihr Geschäftsmodell?

Es ist immer noch ein großer Wunsch, ein Fahrzeug zu besitzen, aber sein Stellenwert sinkt, insbesondere bei den jüngeren Menschen. Mobilität ist überall schnell und bequem verfügbar. Wir werden eventuell zukünftig weniger Autos und mehr Kilometer verkaufen. Außerdem ist der Einfluss des autonomen Fahrens, von Assistenzsystemen, Verkehrskonzepten, alternativen Antrieben et cetera abzuwarten.

Herr Senger, was sind Ihre drei größten unternehmerischen Herausforderungen?

Erstens: Mittel- bis langfristige Perspektiven erkennen und operative Umsetzungen dieser im Hinblick auf Tragfähigkeit gewährleisten. Zweitens: Die Hoheit über die Kundenschnittstellen behalten und mit eigenen Entwicklungen und enger Herstellerkooperation verteidigen. Und schließlich die originären Wertschöpfungen des Automobilhandels sichern und ausbauen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Prof. Dr. Frank Stenner, Redaktionsbeirat FLF.

1) Stand 16. März 2016.

Andreas Senger ist geschäftsführender Gesellschafter der Senger Group GmbH in Rheine. Der Diplom-Ingenieur führt das familiär geprägte Unternehmen in zweiter Generation. Ehrenamtlich betätigt er sich im Vorstand des ZdK, Zentralverband deutsches Kraftfahrzeuggewerbe, und als Mitglied im Verband der Mercedes-Benz-Vertreter (VMB).
Prof. Dr. Frank Stenner , Honorarprofessor und Lehrbeauftragter , Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen
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