Aufsätze

25 Jahre Dax - ein Plädoyer für eine bessere Aktienkultur in Deutschland

Der Dax feiert das erste Vierteljahrhundert seiner Geschichte - einer Erfolgsgeschichte. Das ist ohne jeden Zweifel ein Grund zur Gratulation an seine Erfinder und Träger. Der Dax hat sich seit den ersten Anfängen schnell als der am stärksten genutzte und beachtete Aktienindex etabliert, der die Entwicklung des deutschen Aktienmarktes für Privatanleger und professionelle Investoren gleichermaßen widerspiegelt. Für die breite Öffentlichkeit ist der Dax die dominierende Marke, ja quasi das "Gesicht" des Aktienmarktes in Deutschland. Neutrale Urheberschaft Die Gründe für diesen Erfolg sind vielfältig. Natürlich gab es auch vor dem Siegeszug des Dax durch die Wirtschaftsteile und Börsennachrichten bereits Aktienindizes, die die Wertentwicklung deutscher Aktien maßen - und aus methodischer Sicht waren dies durchaus keine schlechten Indizes. Eines war ihnen allerdings gemeinsam: sie waren nicht "neutral", denn sie wurden überwiegend entweder von einem Kreditinstitut oder einer Zeitung berechnet. Das erschwerte es den anderen Medien, sich in der Berichterstattung auf diese Indizes "der Konkurrenz" zu beziehen. Auch in der Anlageberatung nahmen die Banken natürlich nur ungern Bezug auf Indizes, die von der Konkurrenz berechnet wurden. Der Dax schloss, da von der Deutschen Börse berechnet, mit dieser neutralen Urheberschaft eine wesentliche Lücke und setzte sich im Wettbewerb um Aufmerksamkeit schnell durch. Seine fortschritt liche, auch heute noch moderne Konstruktion als Free-Float-gewichteter Performance-Index, der die komplette Wertentwicklung der großen Standardwerte einschließlich der Dividendenzahlungen misst, tat ein Übriges für den Erfolg des neuen Index, der bald zu einer ganzen Index-Familie ausgebaut wurde. Nicht ganz so erfreulich wie die Rezeption des Index in der Öffentlichkeit war zum Teil seine Entwicklung. So musste er mehrfach - 1987, ab 2000 und erneut ab 2007 - starke Rückschläge hinnehmen. Dem Renommee des Index hat dies zu Recht nicht geschadet, denn seine Grundfunktion, die Wertentwicklung der großen Standardwerte in einer einzigen fokussierten Maßzahl zuverlässig abzubilden, hat er erfüllt. Dies gilt aber nicht für die ihm zugrunde liegenden Aktien, denn das Image der Aktie ist - zumindest in Deutschland - viel schlechter, als sie es verdient hat. Die einhellige Annahme des Dax als Wertbarometer hat leider nicht zu einer ebenso einhelligen Akzeptanz der Aktie als Anlageform geführt. Das ist mehr als bedauerlich, es ist geradezu schädlich und gefährlich für unsere Volkswirtschaft. Plädoyer für die Aktie Das Jubiläum des Dax bietet deshalb einmal mehr Anlass und Gelegenheit, ein Plädoyer für die Anlageform und das Finanzierungsinstrument Aktie zu halten, denn man müsste die Aktie erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe. Das ihr zugrunde liegende Prinzip - das "Prinzip Aktie" - ist ebenso einfach wie genial. Im Kern besagt es nicht anderes, als dass viele Anleger kleinere oder größere Beträge beisteuern, um gemeinsam eine große Investition zu finanzieren. Ohne die hierdurch ermöglichten Innovationen und Investitionen hätten beispielsweise die Eisenbahnlinien im 19. Jahrhundert nie finanziert werden können, mit der Folge, dass die gesamte industrielle Revolution nie stattgefunden hätte. Auch heute ist der Kapitalbedarf der arbeitsteiligen Wirtschaft mit Großunternehmen in der Automobil- oder Chemieindustrie so gewaltig, dass eine Finanzierung ohne Aktie undenkbar wäre. Der Wohlstand unserer Volkswirtschaft beruht auf der Aktie. Dies schließt unser hochentwickeltes und leistungsfähiges Sozialsystem ausdrücklich mit ein: Ohne die von den Aktiengesellschaften und ihren Mitarbeitern erbrachte Wertschöpfung wäre auch unser Sozialstaat undenkbar. Verbreitete Aktienabstinenz Bei all ihren Vorteilen müsste die Aktie sich höchster Beliebtheit bei Anlegern, Unternehmen, Politik und Gesellschaft erfreuen. Dem ist jedoch nicht so. Deutschland ist auch nach 25 Jahren Dax immer noch kein "Land der Aktionäre" und nur begrenzt ein "Land der Aktiengesellschaften". Die Ursachen für die verbreitete Aktienabstinenz sind natürlich nicht beim Dax oder seiner Berechnungsmethodik zu suchen. Sein Verlauf vermag allerdings zumindest ansatzweise zu erklären, warum die deutschen Privatanleger sich so zurückhaltend gegenüber der Aktie verhalten. Vergleichsweise niedrige Börsenkapitalisierung Rund 4,2 Millionen Anleger halten direkt Aktien; das entspricht 6,5 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren. 5,1 Prozent des Geldvermögens der Deutschen ist in Aktien angelegt. Im Durchschnitt kommen sie auf ein Depotvolumen von 29 120 Euro. Allerdings ist das Aktienvermögen sehr ungleich verteilt. Die Hälfte aller Aktiendepots enthält nach aktuellen Angaben der Bundesbank weniger als 8600 Euro. Auch auf der Finanzierungsseite wird die Aktie in Deutschland nicht so intensiv genutzt, wie es in unser aller Interesse liegt. Börsengänge finden seit der Subprime-Krise und dem Konkurs von Lehman Brothers kaum noch statt. Kapitalerhöhungen bereits börsennotierter Aktiengesellschaften sind zwar erfolgreich, doch für eine kapitalintensive und auf Innovationen angewiesene Wirtschaft wie die deutsche ist dies auf Dauer nicht ausreichend. Unternehmen finanzieren sich in anderen Ländern viel stärker über Aktienemissionen, während in Deutschland andere Quellen, unter anderem der klassische Bank kredit, stark genutzt werden: Die Börsenkapitalisierung - der Gesamtwert aller börsennotierten Aktien - liegt in Deutschland bei rund 40 Prozent des Brutto inlandsprodukts, in Japan bei über 75 Prozent, in den USA bei über 100 Prozent und in Großbritannien sogar über 150 Prozent. Schlechte Reputation In Politik und Gesellschaft ist die Aktie und mit ihr die Institution der Börse ebenfalls nicht ausreichend anerkannt. Die Ursachen für die aktuelle Euro-Krise und die vorangegangene Subprime-Krise werden von vielen Politikern, aber auch einem Teil der Medien oft allzu pauschalisiert "der Börse", "den Märkten" oder "den Spekulanten" zugeschrieben. Aktie und Börse haben in weiten Kreisen eine schlechte Reputation, und ihr tatsächlicher oder bei intensiverer Nutzung möglicher Nutzen wird verkannt. Die Gründe für diese schlechte Reputation sind vielfältig. Ein Schlüsselfaktor liegt in der Abstraktheit und Komplexität der Themen rund um Finanzmärkte und der Schwierigkeit, sie allgemeinverständlich zu erklären. Menschen tendieren dazu, alles abzulehnen, was sie nicht verstehen und ihnen bedrohlich erscheint. Nur wirkliches Verständnis schafft die notwendige gesellschaftliche und politische Akzeptanz von Kapitalmärkten. Dieses Verständnis zu schaffen, ist eine Daueraufgabe - auch, aber nicht nur für das Deutsche Aktieninstitut. Es liegt im Interesse aller am Finanzmarkt beteiligten Akteure, ihr Handeln besser zu erklären. Daneben ist zu konzedieren, dass es im Finanzbereich Entwicklungen gibt, deren negative Aspekte nicht verschwinden, auch wenn man sie deutlicher erklärt und besser versteht. Einige Beispiele: Aktienkurse sind eben volatil und schwanken in Abhängigkeit von vielen Faktoren. Manche Manager oder Mitarbeiter erliegen trotz aller gesetzlichen Vorschriften der Versuchung, Insiderwissen auszunutzen. Betrüger nutzen immer wieder die Gutgläubigkeit privater Anleger aus und vertreiben Schneeballsysteme, an denen niemand verdient außer ihnen selbst. Fieberthermometer nicht schuld an Grippe All dies trägt nicht zur Reputation von Finanzmarkt, Aktie und Börse bei, selbst wenn zum Beispiel bei Schneeballsystemen weder Aktie noch Börse genutzt werden, sondern obskure Steuersparmodelle oder Ähnliches. Dieses Beispiel zeigt, wie Fehlverhalten und Fehlverständnis sich unheilvoll ergänzen und vermischen können. Was ist nun zu tun, um eine bessere Akzeptanz der Aktie zu erreichen? Angesichts des komplexen Ursachenbündels ist auch ein ganzes Bündel von Maßnahmen erforderlich. Die Liste beginnt bei der Beseitigung der doppelten Besteuerung der Aktienfinanzierung auf Unternehmens- und Anlegerebene und reicht über eine behutsame Fortentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen (was auch die eine oder andere Bereinigung beinhalten kann) bis hin zur intensiveren Nutzung der Aktie als Instrument der ergänzenden privaten Altersvorsorge. Das sind aber alles eher technische Maßnahmen, die auf einer grundsätzlich positiven Einstellung fußen müssen: Der Kapitalmarkt ist, obwohl oft suggeriert, nicht die Ursache aller Probleme. Oft werden Probleme anderer Genese aber an den Kapitalmärkten, etwa an Börsenkursen und konzentriert im Index, erstmals für eine größere Öffentlichkeit sichtbar. Das Fieberthermometer trägt keine Schuld an der Grippe! Ordnungspolitische Hilfestellung erwünscht Die Grundüberzeugung, die Voraussetzung für eine tragfähige und nachhaltige Aktienkultur ist, lautet: Die Unternehmen am Finanzplatz stellen Lösungen für wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme bereit. Dafür brauchen sie ordnungspolitische Hilfestellung durch die Politik in Form angemessener Rahmenbedingungen. Nur dann können Aktie, Börse und die Unternehmen am Finanzplatz ihre Stärken voll zur Geltung bringen. Der Dax stellt auch 25 Jahre nach seiner Einführung ein modernes und aktuelles Ins trument zur Messung der Wertentwicklungen der großen börsennotierten Unternehmen dar. Methodisch ist er nach wie vor auf dem Stand der Zeit, und er repräsentiert ohne Frage "die deutsche Börse" - in der weitestgehenden Auslegung dieses Begriffes. Nun gilt es, der dahinterstehenden Aktie eine höhere Aufmerksamkeit und - vor allem durch mehr Bildung - eine bessere Reputation zu verschaffen. Dies zu erreichen, ist eine Aufgabe für alle Marktteilnehmer und liegt in unser aller Interesse.

Dr. Christine Bortenlänger , Geschäftsführende Vorständin , Deutsches Aktieninstitut e. V., Frankfurt am Main
Dr. Franz-Josef Leven , Stellvertretender Geschäftsführer , Deutsches Aktieninstitut, Frankfurt am Main
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