Aufsätze

Arbeitsteilung im Finanzverbund - die Rolle des BVR

Die verbreitete These, dass die Stärken eines Menschen zugleich auch seine Schwächen sind, lässt sich auch auf Unternehmen und Unternehmensgruppen anwenden. Sie bietet einen guten Ansatz, Entwicklungsmöglichkeiten zu analysieren.

Autonomie und Netzwerk

Der wesentliche komparative Vorteil der Gruppe der Volksbanken und Raiffeisenbanken ist das auf ihrer Rechtsform beruhende Geschäftsmodell des dezentralen Unternehmertums. Es fußt auf der Autonomie der 1 285 Volksbanken, Raiffeisenbanken und Spezialinstitute. Die damit verbundene relative Kleinzelligkeit wird über das Netzwerk des Verbundes ergänzt. Die Vorteile des dezentralen unternehmerischen Engagements werden durch bestmögliche, gebündelt erstellte Produkte und Dienstleistungen gestärkt. Allerdings beinhaltet das Verhältnis von Produzenten und Abnehmern ein permanentes Konfliktpotenzial im Leistungsbereich und bei der Verständigung über die gemeinsamen, über das bilaterale Verhältnis hinausgehenden Ziele.

Das Netzwerk des Finanzverbundes sorgt für eine gemeinsame Risikoabfederung und Interessenvertretung für die gesamte Gruppe. Angesichts der Tatsache, dass erfolgreiches Unternehmertum immer auch ein gewisses Maß an Eigenwilligkeit voraussetzt, stellt das hohe Anforderungen an die Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse. Damit sind die Leitlinien für die Rolle des BVR im Rahmen der Arbeitsteilung im Finanzverbund gezogen (Abbildung 1).

Für Diskussionsbedarf sorgte und sorgt immer noch der Beschluss der Mitgliederversammlung vom Dezember 2004 zur Rolle des BVR als strategisches Kompetenzzentrum der Gruppe. Das mag zunächst an der Dehnbarkeit des Begriffs Strategie liegen. Die mit ihm verbundenen Assoziationen sind häufig von den griechischen Wurzeln des Wortes - stratos (Heer), agein (Führen) geprägt. So denken manche an Caesar oder Napoleon, notfalls Clausewitz, und die Amplitude der Phantasien und Emotionen ist groß. Mit der Strategiearbeit in Unternehmen und im genossenschaftlichen Finanzverbund haben solche Vorstellungen nichts zu tun. Hier bedeutet Strategie die systematische, auf Ziele ausgerichtete Entwicklung von Konzepten für die relevanten Geschäftsfelder und ihr Abgleich zu einer stimmigen Gesamtstrategie.

Mit der Zuweisung der Funktion als strategisches Kompetenzzentrum an den BVR und der Etablierung geschäftsfeldspezifischer Fachräte haben die Mitglieder des BVR sich eine entsprechende Plattform geschaffen (Abbildung 2).

Natürlich bleibt die Hoheit über die Implementierung der jeweiligen strategischen Bausteine bei der selbstständigen Bank vor Ort. Auch die strategische Kompetenz der Verbundunternehmen muss von diesen weiterhin selbstständig wahrgenommen werden. Zur Orientierung und Abstimmung brauchen jedoch alle Beteiligten ein institutionalisiertes Gremium, weshalb die Fachräte mit Vertretern aller für das jeweilige Geschäftsfeld relevanten Unternehmen des Finanzverbundes besetzt sind. Die Mehrheit in den Fachräten liegt immer bei den Ortsbankenvertretern. Die in dem so konzipierten Strategieprozess enthaltenen Überschneidungen und Klärungsbedarfe sind nur eine Bestätigung der Notwendigkeit dieses Konzeptes.

Fachratskonzept

Auch die Reform der Sicherungseinrichtung zur Erfüllung der Funktion der Existenz- und Stabilitätssicherung der Gruppe hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Mit dem nach Bonität gestaffelten Beitrag und der Möglichkeit, dass jede Bank die Auswirkungen ihrer Maßnahmen auf die Klassifizierung selber nachvollziehen kann, wurden systemkonforme, dem Unternehmertum der Volksbanken und Raiffeisenbanken entsprechende Anreize mit einem entsprechenden Instrumentarium gesetzt, die zur positiven Entwicklung der Gruppe maßgeblich beigetragen haben.

Hinzu kommen die Erfolge der Sicherungseinrichtung bei der Prävention von Fehlentwicklungen. Unter Verwendung der von den Fachräten erarbeiteten Konzepte gelingt es zunehmend, die Risiko- und Ertragsstrukturen der Mitgliedsbanken mit unterdurchschnittlicher Bonität zu verbessern. Bemerkenswert ist die gute Zusammenarbeit mit den Vorständen dieser Banken und den gebietszuständigen regionalen Prüfungsverbänden.

Selbstbestimmung und Kooperation

Der damit erreichte, mit einem erstklassigen externen Rating bestätigte Ansehensgewinn nutzt dem Finanzverbund nachhaltig bei der Vertretung seiner Interessen. Hierfür bietet die gestraffte Corporate-Gov-ernance-Struktur des BVR mit den Organen Vorstand, Verwaltungsrat, Verbandsrat und Mitgliederversammlung eine effiziente Form der repräsentativen Demokratie, in der die Interessenlagen der Organisation transparent entwickelt werden.

Die Fortentwicklung der Struktur des genossenschaftlichen Finanzverbundes zeigt, dass die Mitglieder des BVR sich der Tatsache bewusst sind, dass ihre großen Stärken der Dezentralität und unternehmerischen Autonomie am besten dann zur Entfaltung gelangen, wenn es ihnen gelingt, die damit scheinbar korrelierenden Schwächen auszugleichen. Neben der Selbstbestimmung ist auch die Kooperation eine tragende Säule der genossenschaftlichen Philosophie.

Vertrackterweise sind aber philosophische Grundlagen und entsprechende Strukturen noch immer nicht hinreichend für eine zukunftsgerichtete Bewältigung der inneren Widersprüche einer Organisation. Entscheidend ist die Art, in der die sie tragenden Menschen mit ihnen umgehen. Als Vereinigung aller Mitglieder des genossenschaftlichen Finanzverbunds mit ihren zum Teil heterogenen Interessen ist es letztlich die Rolle des BVR, dafür zu sorgen, dass die Stärken der Gruppe ausgebaut werden. Mit entgegenstehenden Eigenarten muss so umgegangen werden, dass sowohl für das einzelne Mitglied als auch für die gesamte Gruppe das Management und der Ausgleich partikularer Reibungspunkte zu einem Gesamterfolg wird.

Wie gesagt - jede Stärke birgt die Möglichkeit einer Schwäche in sich. Es gilt, aus diesem Widerspruch produktive Reibungen mit zukunftsgerichteten Ergebnissen zu erzeugen.

Dr. Christopher Pleister , Vorsitzender, Appeal Panel, Single Resolution Board, Brüssel
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