Aufsätze

Aussichten 2013 - Alles halb so wild?

Groß war das Erstaunen bei vielen Beobachtern, nachdem der Schlussstrich unter das Kapitalmarktjahr 2012 gezogen worden war. Entgegen aller Katastrophenmeldungen über China-Schwäche, Euro-Kollaps oder US-Finanzstreit stand aus deutscher Sicht in den meisten Anlageklassen doch ein sattes Plus: Deutsche Aktien erwirtschafteten einen Ertrag von gut 26 Prozent, der weltweite Markt stieg fast 13 Prozent (MSCI). Deutsche Staatsanleihen wiesen über alle Laufzeiten einen Gesamtertrag von knapp fünf Prozent aus, auch Hochzinsanleihen konnten sich sehen lassen. 2012 erlebte trotz der rückläufigen Dynamik in der zweiten Jahreshälfte insgesamt eine positive Wachstumsüberraschung gegenüber den anfänglichen Erwartungen.

Und auch die Politik machte Fortschritte, die von einigen Beobachtern nicht mehr für möglich gehalten worden waren. So gab es etwa kritische Weichenstellungen in der Euro-Krise: Die Europäische Zentralbank warf ihr ganzes Gewicht in die Waagschale, um den selbstzerstörerischen Prozess der Euro-Erosion zu stoppen. Die europäischen Politiker gaben mit den Entscheidungen zur weiteren finanziellen Rettung Griechenlands sowie dem engeren Zusammenschluss Richtung Bankenunion Anlass zu einer Neubewertung des bis dahin als immer wackeliger angesehenen Euro-Projekts. Nach fünf Jahren Finanzmarktkrise stellt sich die Frage, ob diese Ergebnisse den sprichwörtlichen Silberstreif am Horizont darstellen oder ob die Krise eher eine Pause macht.

Krisenausläufer

Prinzipiell waren die Herausforderungen zu Beginn der Finanzkrise für alle westlichen Industrieländer dieselben: Überschuldung in verschiedenen Wirtschaftssektoren muss abgebaut werden, damit wieder Zukunftsvertrauen aufkommen kann. Beim Abbau von Verschuldung darf aber die wirtschaftliche Aktivität nicht allzu sehr einbrechen, und die finanzielle Stabilität muss gewahrt bleiben. Als Instrumente stehen hierfür zur Verfügung die Geldund Finanzpolitik, Eingriffe in den Finanzsektor sowie Reformen der Rahmenbedingungen für die Realwirtschaft.

Die USA sind bislang am weitesten mit dieser Bewältigung vorangeschritten. Die USA haben die aggressivste Kombination aus expansiver Geldpolitik, expansiver Finanzpolitik (die allerdings seit Längerem bereits wieder abklingt) und energischer Bilanzbereinigung bei Finanzinstitutionen umgesetzt. Angesichts der am Arbeitsmarkt, bei der Verschuldung der privaten Haushalte oder am Häusermarkt sich langsam einstellenden Erfolge wäre es fahrlässig, wenn die Politik diese Strategie nun aufgeben würde. Diese Einstellung ist auch aus dem Verhalten der US-Politiker im mittlerweile epischen Fiskalstreit abzulesen: Obwohl die ideologischen Gräben bei der Bestimmung der staatlichen Rolle im Wirtschaftsleben nicht überwunden werden können, ist zu Jahresbeginn der ganz große Knall wieder einmal vermieden worden. Insgesamt bleibt es durch die "fiskalische Klippe" wohl bei einem moderaten negativen Impuls für die US-Wirtschaft von gut einem halben Prozentpunkt. Das reicht aber immer noch für eine weitere BIP-Dynamik von gut 2,0 Prozent im Jahr 2013 und 2,7 Prozent in 2014.

Krisenstrategie in Euroland neu fokussiert

In Euroland stehen den Mitgliedstaaten finanzielle Ressourcen wie beim US-Zentralstaat nicht zur Verfügung. Aus diesem Grund müssen die Länder eine restriktivere Finanzpolitik betreiben, bei gleichermaßen extrem expansiver Geldpolitik der EZB. Die Bilanzbereinigung kommt in vielen Teilen der Währungsunion allerdings nur schleppend voran. Aus diesen Gründen sowie wegen der Ängste um die Gemeinschaftswährung pendelt Euroland insgesamt seit dem Jahr 2011 zwischen Rezession und Stagnation. Das bleibt auch 2013 so, mehr als Stagnation (minus 0,1 Prozent beim Euro-BIP) ist nicht drin. Selbst wenn 2014 die Aktivität wieder anzieht (1,0 Prozent), sind dies in Euroland jedoch auf lange Zeit nicht die Wachstumsraten wie vor der Krise.

Parallel hierzu muss in Euroland noch die institutionelle Krise rund um den Euro bekämpft werden. Die bereits im Vorjahr eingeschlagene Krisenstrategie in Euroland wurde in 2012 fortgesetzt. Sie baut grundsätzlich weiter auf das Maastricht-Prinzip der internen Anpassung an Ungleichgewichte innerhalb der Krisenländer. Dabei geht es insbesondere um den Abbau von Verschuldung und die Verbesserung von Schuldentragfähigkeit. Um Verschuldung abzubauen oder sie besser tragen zu können, gibt es prinzipiell drei Wege: Weniger ausgeben (Austerität), mehr einnehmen (Wachstum) oder auf Forderungen verzichten (Schuldenschnitt, -erlass).

Abwärtsspirale vermeiden

Alle diese Instrumente sind in der europäischen Schuldenkrise bisher zur Anwendung gekommen. Insbesondere die Staatsausgaben sind in allen Krisenländern in bisher nicht dagewesenem Umfang zurückgeführt worden. Zwar sind die staatlichen Defizitquoten weiterhin hoch, dies aber vor allem wegen des weggebrochenen BIP. Die tatsächlichen Konsolidierungsanstrengungen kann man an den zyk lisch bereinigten Primärsalden erkennen. Für immerhin drei Peripherieländer würden sich bei normaler Konjunkturlage Überschüsse ergeben: Italien, Griechenland und Portugal. Während Italien sich hierbei kaum anstrengen musste, waren die Konsolidierungsbemühungen in Griechenland (minus 13,9 Prozentpunkte) und Portugal (minus 7,4 Prozentpunkte) zwischen 2009 und 2012 immens.

Dieser Sparkurs darf jedoch nicht so weit gehen, dass er in eine unkontrollierbare Abwärtsspirale bei der wirtschaftlichen Aktivität führt, Griechenland bildet hier das abschreckende Beispiel, bei dem diese Entwicklung unvermeidbar war und den Preis für die weitere Mitgliedschaft im Euro darstellt. Um diese Gefahren für die anderen Mitgliedstaaten zu verringern, hat sich im letzten Jahr die Krisenstrategie in Euroland neu fokussiert: Wurde bislang das Schwergewicht auf Sparmaßnahmen gelegt, so versucht die Troika nun, die Anpassungsstrategie quartalsweise neu auszutarieren, eine schwächere BIP-Entwicklung wird richtigerweise nicht mehr mit neuen Sparprogrammen beantwortet. Nüchtern betrachtet muss man feststellen, dass die Herausforderungen weiterhin enorm sind und dass alle eingesetzten Instrumente nicht überfordert werden dürfen.

Finanzsysteme noch kriseninfiziert

Trotz aller Fortschritte drängt sich die Diagnose auf, dass sich selbst fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise die Kapitalmärkte - zumindest der meisten westlichen Volkswirtschaften - immer noch fest im Griff ihrer Ausläufer stecken. Aus dem Schock über das Ausmaß der Verwerfungen und ihrer Weiterungen innerhalb der europäischen Währungsunion ist eine "Krise als Dauerzustand" geworden. An den Finanzmärkten hat sich ein neuer Normalzustand herausgebildet, der auf Jahre hinaus anhalten wird. Darunter finden sich Eigenschaften, wie sie vor der Krise teilweise als unvorstellbar gegolten haben:

- Zinsen nahe bei Null, teilweise negative Nominalzinsen,

- Zentralbankgeldmengen wachsen mit zweistelligen Raten,

- Notenbanken halten hohe Bestände an Staatsanleihen und verleihen Geld gegen teilweise riskante private Schuldtitel,

- Industriestaaten leihen Industriestaaten Geld,

- Bankbilanzen schrumpfen.

Diese Entwicklungen sind die Kennzeichen einer anhaltenden Schuldenkrise: Das grundlegende Problem der Finanzmärkte stellen weiterhin die hohen Altlasten an Verschuldung aus der Zeit vor der Finanzkrise dar. Daher besteht die vordringliche wirtschaftspolitische Aufgabe darin, wieder Vertrauen in die finanzielle Stabilität - des privaten Sektors wie der staatlichen Haushalte - aufzubauen. Dies wird jedoch viel Zeit benötigen, sodass die genannten Umstände wohl noch viele Jahre zum ständigen Finanzmarktumfeld gehören werden. Finanzkrisenbekämpfung benötigt Zeit - meistens mehr als man sich vorstellen mag.

Viele Marktteilnehmer erwarten deutlich höhere Inflationsraten, da dies in der Vergangenheit häufig eine Strategie zur Bewältigung insbesondere von hohen Staatsschulden gewesen ist. Diese Strategie ist jedoch heute nicht mehr effektiv. Die europäischen Staaten sind derzeit relativ kurzfristig verschuldet. Alle vier bis sechs Jahre müssen die Staaten ihre gesamte Staatsverschuldung durchschnittlich neu anschluss finanzieren. Steigende Inflationsraten machen sich dabei in steigenden Inflationsprämien im Zins bemerkbar. Die entlastenden Effekte durch eine reale Entwertung der Schulden sind daher stark gedämpft: Inflation lohnt sich nicht mehr als Entschuldungsstrategie. Abgesehen davon sind hohe Inflationsraten politisch nicht durchzusetzen, insbesondere in Deutschland. Hohe Inflationsraten können die Staatsschulden nicht mildern und sind politisch nicht durchsetzbar.

Konstellation negativer Realzinsen

Es gibt allerdings auch bei moderaten Inflationsraten eine Möglichkeit zur Entlastung der großen Schuldner: nämlich die nominalen Zinsen extrem niedrig zu gestalten, sodass sie unter die Inflationsrate fallen. Dann entwertet sich der reale Wert der Schulden. Leider auch der von Vermögen. Dies ist die Situation, wie sie etwa seit Beginn des vergangenen Jahres in Deutschland herrscht. Da das deutsche Geldvermögen zum größten Teil in sichere Anlageformen mit extrem niedriger Verzinsung gebunden ist, ergeben sich hier reale Wertverluste, die pro Jahr 50 Milliarden Euro leicht übersteigen können.

Diese Konstellation negativer Realzinsen ist deswegen politisch durchsetzbar, weil sie schwierig zu durchschauen ist und nur sehr allmählich wirkt. Sie ist schwierig zu durchschauen, weil sie auf dem wirtschaftspsychologischen Phänomen der Geldillusion beruht: Anleger schauen zum Jahresende auf ihre Einlagen und stellen fest, dass diese unverändert vorhanden sind, wenn auch fast ohne Zinsertrag. Sie wähnen ihr Geld sicher. Dass inzwischen der Preisindex für die Lebenshaltung um zwei Prozent oder sogar mehr gestiegen ist, bringen sie nicht in Zusammenhang zu ihrem Geldvermögen. Die reale Entwertung wird nicht bemerkt, auch deswegen nicht, weil sie jedes Jahr nur moderat stattfindet.

Die deutschen Anleger starren wie das Kaninchen vor der Schlange auf die monatlichen Inflationsraten und warten, wann endlich die Fünf vor dem Komma auftaucht. Dabei merken sie nicht, dass hinter ihrem Rücken das Vermögen durch den trägen Elefanten der negativen Realzinsen langsam niedergetrampelt wird.

Diese politökonomische Erklärung ist bei Weitem nicht die einzige für die gegenwärtige Niedrigzinslandschaft. Eine andere benutzt die derzeitigen Wachstumsaussichten der westlichen Volkswirtschaften. Ausgehend von der Überlegung, dass sich das reale Zinsniveau dauerhaft nicht allzu weit vom mittelfristigen Wachstumspotenzial entfernen kann, sind die Zinsaussichten ebenfalls trübe.

Gerade die südeuropäischen Volkswirtschaften bieten ausreichend Anschauungsmaterial für die realwirtschaftlichen Schwierigkeiten nach Finanzkrisen. Zwar sind einige Regionen Eurolands hiervon weniger betroffen, trotzdem gestalten sich die Wachstumsperspektiven für Euroland als Ganzes nicht besonders rosig. Eng mit dieser These ist auch die Beobachtung des Sparüberschusses verbunden, den manche Ökonomen weltweit betrachtet schon vor der Finanzkrise ausgemacht hatten und als Erklärung für das unnatürlich niedrige Zinsniveau heranziehen. Auch an dieser Argumentation hat sich kaum etwas geändert.

Anhaltende Niedrigzinsphase

Insbesondere für Euroland ist daher zu erwarten, dass die ausgeprägte Niedrigzinsphase in den kommenden Jahren anhält. Und im Gegensatz zu 2012 wird im laufenden Jahr in vielen Anlageklassen der Gesamtertrag eher bescheiden ausfallen. Für den Finanzsektor wird diese Umgebung eine extreme Herausforderung darstellen.

Im Bereich der Vermögensverwaltung ist die Hinwendung zu Sachwerten sowie eng an realwirtschaftlichen Projekten orientierten Anlagen bereits ein erkennbarer Trend. Dazu geraten Anlageregionen mit einem höheren realen Wachstumspotenzial verstärkt in den Fokus. Allerdings ist damit zu rechnen, dass jede Sparte des Finanzsektors, ob Kreditgeschäft, Vermögensverwaltung oder Versicherung eigene Gegenstrategien entwickeln wird, da die Bedeutung von Zins und Zinsstruktur für die jeweiligen Geschäftsmodelle unterschiedlich sind und regulative Vorgaben Patentrezepte über alle Bereiche verbieten.

Dr. Ulrich Kater , Chefvolkswirt , DekaBank - Deutsche Girozentrale, Frankfurt am Main
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