Aufsätze

"Die Banken und ihre Aufsicht - Freiheit durch Dialog"

"Banken in die Schranken" - das war eine der zentralen Forderungen der Occupy-Bewegung. Aber auch darüber hinaus hat der öffentliche Unmut über das (Fehl-)Handeln "der" Banken (besser: einzelner prominenter Banker) angesichts der Skandale der letzten Jahre (zuletzt um die Libor-Manipulationen) nicht nachgelassen. Wie weit kann daher - das Generalthema der Tagung aufgreifend - die Freiheit der Banken gehen? Welche Grenzen müssen durch Regulierung gesetzt werden? Ich möchte diese Fragestellung zunächst kurz grundsätzlich behandeln und dann sowohl auf die Regeln der Bankenaufsicht als auch deren Umsetzung im Kontakt zwischen Aufsehern und Banken eingehen.

Lassen Sie uns zunächst mit dem Begriff der "Freiheit" starten. Ihre Rolle wird von von Hayek folgendermaßen beschrieben: "Freiheit ist wesentlich, um Raum für das Unvorhersehbare und Unvoraussagbare zu lassen. Wir wollen sie, weil wir gelernt haben, von ihr die Gelegenheit zur Verwirklichung vieler unserer Ziele zu erwarten. Weil jeder Einzelne so wenig weiß und insbesondere, weil wir selten wissen, wer von uns etwas am besten weiß, vertrauen wir darauf, dass die unabhängigen und wettbewerblichen Bemühungen vieler die Dinge hervorbringen, die wir wünschen werden, wenn wir sie sehen." Ausgehend vom beschränkten Wissen waren Freiheit und Wettbewerb für den Österreicher die wichtigsten Mittel, damit sich die Menschen selbst verwirklichen können und gesellschaftlicher Fortschritt möglich ist.

Effektivität und Effizienz der Regulierung

Wer diese Gedanken zu Ende führt, wird skeptisch gegenüber staatlichen Beschränkungen der Freiheit. Er beginnt zu zweifeln, dass die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft allein einem von Menschen erdachten Plan folgen kann. Es wächst vielmehr die Überzeugung, dass die größten Errungenschaften der Zivilisation auch das Produkt von "spontanen Ordnungen" sind, die viele vermutlich als eine Unordnung betrachten. Dies ist die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite der Medaille wird durch immerwährende Krisen des kapitalistischen Systems beschrieben, die dann Politiker, aber auch weite Teile der Öffentlichkeit nach staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen rufen lassen. In diesem Zusammenhang verdient es Aufmerksamkeit, dass der ehemalige Bundespräsident, Horst Köhler, am 31. Januar dieses Jahres einen Vortrag im schwäbischen Herrenberg mit den Worten begann: "Sahra Wagenknecht hat recht." Er bezog sich mit dieser zunächst erstaunlichen Äußerung auf ein Interview von Frau Wagenknecht zu Jahresbeginn im Spiegel, in dem sie die Ideen des Ordoliberalismus mit dem Wahlkampfprogramm ihrer Partei verknüpfte.

Und Horst Köhler fuhr fort: "Der westliche Kapitalismus, verstanden als ein auf Märkte, Wettbewerb und Privateigentum gegründetes Wirtschaftssystem hat auf den internationalen Finanzmärkten eine Art von Zerstörung hervorgebracht, die kreativ höchstens im Sinne von findig war, aber nicht im Sinne von schöpferisch, das heißt nachhaltig Werte schaffend, die Produktionsmenge und den Wohlstand der Nation mehrend. Im Gegenteil: die Zerstörung, die von den Finanzmärkten ausgegangen ist und weiter auszugehen droht, wenn das Ziel einer wirksameren Regulierung verfehlt wird, sie bedroht die zukünftige Prosperität des Westens und seine demokratische Legitimität. Entsprechend intensiv sollten wir alle uns für das entstandene Problem und seine Lösungen interessieren und einsetzen."

Was ist, um die Worte Köhlers aufzunehmen, unter einer "wirksamen Regulierung" zu verstehen? Auch hier lohnt sich der Blick auf von Hayek. Er fordert: "Der Staat muss Rahmenbedingungen setzen, die das reibungslose Funktionieren des Marktgeschehens auch in Krisenzeiten gewährleisten. Die Aufgabe der Regierung ist die des Wartungspersonals einer Fabrik, da ihr Zweck nicht ist, bestimmte Leistungen oder Produkte hervorzubringen, die von Bürgern konsumiert werden sollen, sondern eher dafür zu sorgen, dass der Mechanismus, der die Produktion dieser Güter und Dienstleistungen regelt, in arbeitsfähigem Zustand erhalten bleibt."

Insofern ist die nicht auszuschließende Gefahr von Systemkrisen der eigentliche Aufsetzpunkt der Regulierung der Kreditwirtschaft. Verschiedene Regulierungsalternativen sind abzuwägen anhand von zwei Kriterien:

1. Effektivität: Inwiefern eignen sich die Maßnahmen zur Verhinderung von Systemkrisen?

2. Effizienz: Welche der Alternativen bildet die bestmögliche Kombination aus

a) unternehmerischer Freiheit, also den Möglichkeiten zur Ausübung von Unternehmerfunktionen und der Verwertung von Wissen über Märkte, sowie

b) unternehmerischer Verantwortung (Haftungsprinzip)?

Zu starke Kumulation, zu hohes Tempo der Regulierung

Soweit die Theorie. Schauen wir auf die Realität, so muss man zunächst festhalten, dass infolge der Finanzkrise nun wirklich nicht davon gesprochen werden kann, es sei im Bereich der Regulierung der Finanzmärkte nichts oder quantitativ zu wenig passiert. Beschreibt man nur die wichtigsten der in diesem Jahr abgeschlossenen oder weiter vorangetriebenen Regulierungsvorhaben, so muss man nennen: Umsetzung von Basel III, Trennbankengesetz, Neuregelung der Aufsichtskompetenzen in der "Bankenunion", Sanierungs- und Abwicklungsregime für Banken, Begrenzung von Schattenbanken, Finanztransaktionssteuer und so weiter.

Meine Vorredner sind bereits auf einzelne dieser Projekte eingegangen. Sie alle lassen sich in einer Stand-alone-Sicht - mehr oder weniger - rechtfertigen. Bedenklich aber sind Kumulation und Tempo der Regulierung. Das lässt sich am Beispiel der Leverage Ratio verdeutlichen: Statt abzuwarten, wie die gerade erst durchgeführte Reform der an Risikoklassen orientierten Eigenkapitalunterlegung wirkt, wird von Teilen der Politik eine einfache, an der Bilanzsumme oder dem Geschäftsvolumen ansetzende Eigenkapitalnorm (Leverage Ratio) als zusätzliche aufsichtliche Kennziffer gefordert. Und diejenigen, denen dieses "Schutzniveau" auch noch nicht reicht, plädieren für die Verankerung von Trennbanken auf europäischer Ebene oder zusätzlichen Schutzwällen für das Retailbanking gegenüber dem per se als gefährlicher geltenden Investment Banking.

Leverage Ratio als zusätzliche Kennziffer problematisch

Bleiben wir exemplarisch bei der Leverage Ratio, die auch von Teilen der Wissenschaft präferiert wird. Martin Hellwig stellt in seinem Buch "Des Bankers neue Kleider" die mit internen Berechnungsverfahren verbundenen Modellrisiken heraus und fordert eine deutlich höhere, nicht-risikosensitive Eigenkapitalquote von 20 bis 30 Prozent. Hierin sieht er keine Überbelastung der Kreditinstitute, da deren Fremdkapitalkosten bei verbesserter Eigenkapitalausstattung sinken würden. Insofern blieben - nach der traditionellen Modigliani-Miller-These - ihre Gesamtkapitalkosten konstant. Dies setzt jedoch streng genommen den vollkommenen Kapitalmarkt voraus, auf dem zum einen vollständige Bonitätstransparenz herrscht und Kapitalgeber zum anderen ausreichende Disziplinierungsanreize (und -fähigkeiten) besitzen. Hellwig fordert daher die Abschaffung impliziter Staatsgarantien für Banken, eine Beschränkung expliziter Garantien aus Einlagensicherungen und eine Ausweitung von Disziplinierungsanreizen durch Pflichtwandelanleihen und so weiter.

Mittlerweile planen die US-Regulatoren eine verbindliche Leverage Ratio von sechs Prozent, in der Schweiz wird über Werte zwischen sechs und zehn Prozent diskutiert. Bei der Umsetzung von Basel III in der Europäischen Union hat man auf drei Prozent abgestellt, die Leverage Ratio allerdings kurz vor der Verabschiedung des Pakets von einer hart einzuhaltenden Quote auf eine zumindest bis 2015 lediglich zu publizierende Kennzahl herabgestuft. In der Tat weichen die bilanziellen von den regulatorischen Eigenkapitalquoten derzeit erheblich ab. Nach einer Untersuchung der amerikanischen FDIC wurden im ersten Quartal 2013 bei der Deutschen Bank 15,13 Prozent für die Kernkapitalquote und nur 1,63 Prozent für die Leverage Ratio ausgewiesen.

Hier stößt man jedoch schon an das erste mit der Leverage Ratio verbundene Problem. Die Bilanzsummen (oder Geschäftsvolumina) der Banken unterscheiden sich je nach Rechnungslegungsstandard (HGB, IFRS, US-GAAP) erheblich. Ein Grund für Abweichungen sind etwa der Einbezug und die Verrechnungsmöglichkeiten beziehungsweise -zwänge für Derivate. Deshalb formulierte die Vize-Präsidentin der Deutschen Bundesbank, Sabine Lautenschläger, auch: "Entweder habe ich eine einfach konzipierte Leverage Ratio, dann ist sie aber nicht vergleichbar - und wenig wert. Oder ich habe eine vergleichbare Leverage Ratio; dann muss ich aber einigen Aufwand betreiben, um eine 'saubere' Kennzahl zu ermitteln."

Fehlanreize durch neue Kennzahl

Aber einmal angenommen, diese Probleme könnten gelöst werden: Inwiefern sollte - über die "elegante Schlichtheit" hinaus - eine nicht-risikoorientierte Leverage Ratio dem risikosensitiven Ansatz überlegen sein, der doch gerade als größter Fortschritt bei der Einführung von Basel II bezeichnet wurde? Warum wird vor dem Problem der Risikomessung und -kontrolle kapituliert? Hier wird immer wieder darauf verwiesen, dass Staatsanleihen in Basel II und zukünftig auch III mit einem Nullgewicht versehen seien, was sich ökonomisch nicht rechtfertigen ließe. Diese und andere Inkonsistenzen beziehungsweise bewusste politische (Fehl-)Entscheidungen seien dafür verantwortlich, dass Risikoaktiva einerseits und Bilanzsumme andererseits bei vielen Kreditinstituten dramatisch auseinanderfielen - bei der Deutschen Bank Ende März 2013 im Verhältnis 325 Milliarden Euro zu 2033 Milliarden Euro.

Diese Schwäche ließe sich - bei entsprechendem politischen Willen - leicht ausmerzen. Aus diesem Grund allein brauchte man keine neue Kennziffer, die parallel in die Steuerung eines Kreditinstituts eingebunden werden muss und von der unter Umständen Fehlanreize ausgehen. Denn für "risikoarme" Banken ergibt sich dann ebenso wie für "risikoreiche" Institute die Pflicht, den genannten Mindestbetrag an Eigenkapital zu unterhalten und durch Eingehen entsprechender Risiken auch die erforderlichen Eigenkapitalkosten zu erwirtschaften. Und schließlich zur Höhe der Leverage Ratio. Nun ist es eine Binsenweisheit, dass manche Banken in der Krise offenbar zu wenig Eigenkapital vorhielten, aber wie viel sollte es denn sein? Hellwig fordert - wie gesagt - 20 bis 30 Prozent: "Wir orientieren uns an dem, was es vor dem Ersten Weltkrieg gab, also bevor der Staat den Wunsch entdeckte, von Banken finanziert zu werden und bevor es staatliche Sicherungssysteme für Bankgläubiger gab. Im Jahr 1913 haben sich die deutschen Banken im Durchschnitt zu 22 Prozent aus eigenen Mitteln finanziert." Doch schaut man genauer hin, stellen sich die Dinge differenzierter dar. Schon die Eigenkapitalquoten der Berliner Großbanken streuten 1913 von 15,5 Prozent (Deutsche Bank) über 18,7 Prozent (Dresdner Bank) bis zu 21 Prozent (Commerzbank). Bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken lag die durchschnittliche Eigenkapitalquote nur bei knapp fünf Prozent beziehungsweise gut elf Prozent. Hieraus lässt sich wohl keine "optimale" Quote ableiten.

Notwendig: Stückwerkansatz und allgemeine Ordnungsregeln

Die Wirtschaftsweise Claudia Buch nimmt eine Anleihe in der Realwirtschaft: "Einen Hinweis liefert auch die Eigenkapitalquote von Industrieunternehmen, die bei etwa 25 Prozent liegt." Doch Banken haben nun einmal ganz andere Geschäftsmodelle als realwirtschaftliche Unternehmen, und es käme niemand auf die Idee, zum Beispiel von einem Beratungs-, also Dienstleistungsunternehmen die gleiche Eigenkapitalquote wie von einem Maschinenbauer zu erwarten. Von der Frage der Cashflow-Stabilität über In formations- und Anreizprobleme zwischen unterschiedlichen Kapitalgebern sowie zwischen Eigentümern und Management bis hin zu steuerlichen Aspekten: Die Frage der "richtigen" Ausstattung mit Eigenkapital ist offenbar keine einfach zu beantwortende. Viele Faktoren spielen eine Rolle, die nicht alle in dieselbe Richtung wirken. Von daher ist es überhaupt erstaunlich, dass im Gegensatz zu Industrieunternehmen der Staat sich zutrauen soll, bei Banken anstelle eines Marktresultats einen Wert für die Eigenkapitalquote festzulegen.

Gegenüber der derzeitigen Regulierung ist demnach eine schlicht höhere aufsichtsrechtliche Eigenkapitalquote kein Fortschritt - weder im Konzept der risikoorientierten Eigenkapitalunterlegung noch in Form der Leverage Ratio. Beide wollen "Puffer" schaffen, um Risiken im Krisenfall aufzufangen, setzen damit aber viel zu spät in der Wirkungskette an. Es wäre so, als wenn man als Konsequenz aus der Zahl der Verkehrstoten ganz auf größere und schneller auslösende Airbags setzen würde: Unfälle würden dadurch wohl kaum vermieden. Aber unabhängig davon, dass die Einführung einer Leverage Ratio sachlich höchst problematisch wäre, würde sie auch die Regulierungsdichte weiter erhöhen. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Regulierungskonzepte (Eigenkapitalpuffer risikogewichtet oder gerade nicht?) würden unverbunden nebeneinander gestellt.

Daraus leiten sich zwei Forderungen ab: Erstens müssen neuen gesetzlichen Vorschriften des Staates im Rahmen der Bankenpolitik Auswirkungsstudien vorausgehen, wie es im Pharmabereich für die Hersteller von Medikamenten selbstverständlich ist: Gründlichkeit vor Schnelligkeit! Geboten ist eine "Politik der kleinen Schritte" im Sinne eines Trial-and-error-Verfahrens, oder, um mit Karl Popper zu sprechen, der "Stückwerkansatz". Gerade weil das menschliche Wissen lückenhaft ist ("Die Zukunft ist offen"), empfiehlt sich ein insoweit demütiger, immer wieder korrigierbarer Weg des Sichvortastens. Alles andere - so die bekannte Formulierung von von Hayek - ist "Anmaßung von Wissen." Stückwerkansatz heißt nicht Konzeptionslosigkeit, sondern das andauernde Infragestellen der verfolgten Konzepte. Verbesserungsvorschläge müssen im Kleinen ansetzen und Stück für Stück zu einem wünschenswerten Zustand führen. Defizite müssen identifiziert und schrittweise minimiert werden.

In der Bankenregulierung ist der Komplexitätsgrad - nicht zuletzt durch die gerade erfolgte Umsetzung von Basel III in Europa - mittlerweile so hoch geworden, dass die Effizienz einer präventiven Kontrolle des Finanzsystems durch staatliche Aufsichtsbehörden drastisch reduziert wurde. Da aber auch weite Teile der Finanzmärkte nicht disziplinieren können (mangelndes ökonomisches Allgemeinwissen) oder wollen (fehlende Disziplinierungsanreize angesichts zum Beispiel staatlicher Garantien für Einlagen) droht ein Kontrollvakuum. Daher muss die Regulierung - zweitens - prinzipienorientierter ausgestaltet und auf ihren materiellen Kern hin konzentriert werden. Weitere diskretionäre Staatseingriffe erhöhen die Systemrisiken nämlich eher, statt sie zu verringern und haben zudem negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Insofern brauchen wir mehr allgemeine Ordnungsregeln und weniger detaillierte Prozessregulierungen.

Rolle der qualitativen Aufsicht stärken

Die im jetzigen Basel-III-Prozess eher ein Schattendasein fristende zweite Baseler Säule bietet hierfür - richtig verstanden - zahlreiche Ansatzpunkte in Form der qualitativen Aufsicht. Da niemand weiß, wann und in welcher Form die nächste Krise kommt, ist eine adäquate Infrastruktur des Risikomanagements von Banken (Menschen, Systeme, Prozesse) der beste Krisenschutz. Hier die evolutorische Weiterentwicklung von Risikomess- und -steuerungssystemen in den Banken zuzulassen, zugleich aber Mindeststandards durchzusetzen - dies ist indes viel mühsamer als das schlichte "Abhaken" einer Eigenkapitalquote. Das wäre alles andere als so schlicht wie die Leverage Ratio, aber wirkungsvoller.

Die zweite Baseler Säule ist derjenige Bereich der Regulierung, in dem nicht alles "mit dem Zollstock nachgemessen" werden kann - daher ja auch die Bezeichnung "qualitative" Aufsicht. Hierbei kommt es in besonderem Maße auf den Austausch zwischen Aufsehern und Beaufsichtigten an, damit das jeweilige Kreditinstitut "gerecht" beurteilt wird. Gefragt ist also eine angemessene Form dessen, was ich "Aufsichtskommunikation" nennen möchte. Sie umschließt den Informationsaustausch zwischen Banken und Aufsicht - natürlich in beide Richtungen! Zugegeben, dies ist ein "weiches" Thema, aber mein Eindruck ist, dass wir in der Diskussion über Basel III den Fokus viel zu stark auf die Kalibrierung von Regeln, quantitativen Normen und Kennzahlen gelegt, aber die Frage der Beziehung zwischen Banken und ihren Aufsehern weitgehend ausgeklammert haben. Doch nur in einer funktionierenden Beziehung - wenn auch einer hoheitlich geprägten - kann die Regulierung mit Leben gefüllt werden.

Wie ist es nun um die Aufsichtskommunikation bestellt? Sieht man von einer norwegischen Studie ab, liegen dazu international kaum Untersuchungen vor. Hierzulande haben wir im Bochumer Institut für Kreditund Finanzwirtschaft 2006 gemeinsam mit dem DIW im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen repräsentativ erhoben, wie die deutschen Kreditinstitute die Aufsicht beurteilen und diese Untersuchung 2010 wiederholt (ohne Auftrag und Kooperationspartner). Eines der wichtigsten Resultate war, dass die Banken die Gesamtqualität der Aufsicht nach der Krise (noch) schlechter als zuvor einstuften. Um die Gründe hierfür eingehender zu hinterfragen und zugleich die Perspektive der Aufseher zu berücksichtigen, haben wir in diesem Jahr eine Studie mit verändertem Design aufgesetzt. In rund zweistündigen Tiefeninterviews mit Vorständen aus Sparkassen und Genossenschaftsbanken unterschied licher Größenordnungen wurden mit der Critical Incident Technique 630 Vorkommnisse identifiziert, die einen Deutungsbeitrag zur Qualität der Bankenaufsicht leisten oder Aufschlüsse über die Beziehung zwischen Banken und Aufsicht geben. Anschließend wurden zwei Workshops mit Führungspersonal aus Bundesbank und BaFin durchgeführt.

Klemme bei Aufsichtskommunikation

Als Kernergebnis aus der laufenden Endauswertung der Studie schält sich bereits heraus: Zwischen den Banken und ihren Aufsehern besteht eine Kommunikationsklemme derart, dass die Aufsichtsprozesse, -formate und -ergebnisse sehr unterschiedlich erlebt beziehungsweise bewertet werden. Wie beim Finanzamt oder auch an der Universität: Selbst- und Fremdbild werden gerade in hoheitlichen "Geschäftsbeziehungen" niemals vollständig übereinstimmen, aber hier erfahren wir sehr deutliche Unterschiede, ohne darüber urteilen zu können oder wollen, welche Seite "recht hat". Im Einzelnen fallen vor allem folgende Einschätzungen mit Blick auf die qualitative Aufsicht auseinander:

Strategie der Aufsicht: Während die Aufsicht betont, anstelle von Detailprüfungen verstärkt die Geschäftsmodelle von Banken zu hinterfragen und dies als Erleichterung einstuft, sehen gerade dies viele Banker als Einmischung in die ihnen obliegende Strategiebestimmung. Im Übrigen unterstellen viele Vorstände den Aufsehern, ihr Geschäftsmodell nicht richtig zu verstehen.

Aufsichtsgespräche: Will die Aufsicht gerade aus der Abweichung von Plan- und Ist-Zahlen auf einer Meta-Ebene Aussagen zur Managementkompetenz ableiten, stufen dies viele Vorstände als zu große Planungsgläubigkeit ein. Wer könne denn schon die nächsten drei Jahre wirklich voraussehen? Manche Vorstände geben an, ihre internen Ziele für die Aufsicht extra umzuformulieren, um Rückfragen aus dem Weg zu gehen.

Sonderprüfungen nach § 44 KWG: Hier streuen schon die Eindrücke auf Bankenseite. Während ein Teil der Banker "Inquisitoren" erlebt haben will, beurteilt ein anderer Teil die Aufseher als Dienstleister, die man sich sogar in kürzeren Frequenzen in der Bank wünscht, um von ihren Erfahrungen im Quervergleich mit anderen Instituten profitieren zu können. Die Aufsicht beklagt, dass die Branche zu wenig erkenne, dass die Behörden ihre Prioritäten nicht immer frei setzen könnten, sondern diese teilweise politisch vorgegeben würden.

Prüfungsergebnisse und Feedback: Banken beklagen, dass sie kein oder ein viel zu dürftiges Feedback von der Aufsicht bekämen, mitunter fielen auch die Eindrücke aus Abschlussgesprächen einerseits und die Feststellungen in Prüfungsbescheiden andererseits deutlich auseinander. Die Aufseher verweisen auf die klaren Unterschiede zwischen Sachverhaltsfeststellungen (zumeist durch die Bundesbank) und den anschließenden Bewertungen (letztlich durch die BaFin) und betonen den produktiven Nutzen dieses Vieraugenprinzips.

Wie schon in unserer Voruntersuchung, identifizieren wir indes bei den Bankvorständen zwei "Typen", die sich in ihrer Einstellung zur qualitativen Aufsicht deutlich voneinander unterscheiden. Während die "Apostel" ihre Handlungsfreiheit in diesem Regulierungsformat schätzen, beklagen die "Skeptiker" vor allem den zwangsläufig spiegelbildlichen Beurteilungsspielraum der Aufsicht. Kommunikationsprobleme ergeben sich dann, wenn die Aufsicht, die den Apostel im Sinne von "Bankunternehmer" präferiert, auf den Skeptiker in Form eines "Checklisten-Typs" trifft, der sich möglichst detaillierte Vorgaben wünscht, die er nur "abhaken" muss. Sehen die Apostel den Vorbereitungsaufwand insbesondere für die jährlichen Aufsichtsgespräche als sehr begrenzt an, weil man die meisten Auswertungen ohnehin für die eigenen Steuerungsaufgaben benötige, beklagen die Skeptiker "erdrückende" Informationsanforderungen. Bemühen sich die Unternehmer darum, aktiv eigene Themen in die Aufsichtsgespräche einzubringen, wird dies von den Checklisten-Bankern tunlichst vermieden. Dabei wünscht sich die Aufsicht, Informationen von Banken proaktiver zu bekommen, beklagt jedoch, trotz entsprechender Abfragen im Vorfeld kaum Themenvorschläge von den Banken zu erhalten.

Von der unternehmerischen Finanzkommunikation lernen

Diese jüngsten Befunde decken sich insofern mit denen aus unseren Untersuchungen zur Finanzkommunikation im Mittelstand. Hier sind - spiegelbildlich zur Beziehung zwischen den Banken und ihren Aufsehern - die Kreditinstitute die Informationsempfänger. In den Studien zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Unterschied zwischen dem im Mittel sehr guten Eigenbild der Unternehmer von der Qua lität ihrer Finanzkommunikation gegenüber den Banken und dem deutlich schlechteren Fremdbild auf Seiten der Financiers. Dies gilt umgekehrt ebenso für die Themenbereiche Beratungsqualität, Feedback durch die Banken, Unterstützung der Mittelständler, bei denen sich die Banker deutlich besser einschätzen als ihre Kunden dies tun. Und auch die Zweiteilung in Apostel und Skeptiker unter den mittelständischen Unternehmern lässt sich statistisch valide nachweisen, je nach ihrer Bereitschaft zur Offenheit, der Wertschätzung gegenüber der Finanzkommunikation, der dort an den Tag gelegten Zielorientierung und den eingesetzten Ressourcen für diesen Bereich.

Mit Blick auf die Finanzkommunikation wurden in diesem Jahr ebenfalls Tiefeninterviews geführt, und zwar mit solchen Mittelständlern (und ihren Hausbanken), die sich zuvor als Best Practice auf diesem Feld erwiesen hatten. Was andere Unternehmen daraus lernen können, gilt ebenso für den Umgang der Bank mit der Aufsicht - und umgekehrt. Bereits übertragen auf diese Beziehung heißt das: Natürlich ist auch hier Vertrauen der Schlüsselfaktor der Beziehungen. Es ergibt sich zuvorderst aus einer nachhaltig durch Transparenz und Verlässlichkeit geprägten Philosophie als erster Säule der Kommunikation der Bank gegenüber der Aufsicht. Da man dieses Vertrauen gerade in Krisenzeiten benötigt, wenn sich Kennzahlen einmal verschlechtern, muss man nachhaltig aktiv Informationen bereitstellen. Die Aufsichtskommunikation kann nur glaubwürdig sein, wenn sie zur jeweiligen Bank (Größe, Geschäftsmodell, Anteilseigner und so weiter) und ihren Aufsehern passt (Fit als zweite Säule). So, wie sich die Produkte und Leistungen einer Bank durch besondere Merkmale von denen der Konkurrenz unterscheiden müssen, sollte auch jede Aufsichtskommunikation in bestimmter Weise einzigartig sein - durch die Personen, die Botschaften, die Formate und so weiter. Sie muss somit wie im Produktverkauf von dem Geist getragen sein, einen "Kunden" zu gewinnen, aus der Sicht der Regulatoren gedacht werden.

Neben Philosophie und Fit kommt es auf die richtige Technik der Aufsichtskommunikation an (3. Säule). Dabei sind die passenden Inhalte auszuwählen. Im Mittelpunkt stehen natürlich "harte Fakten", wie die Entwicklung von Bilanz und GuV im Jahresverlauf, Investitions- und Finanzpläne und so weiter. Eine gute Aufsichtskommunikation zeichnet sich aber dadurch aus, dass die nackten Zahlen durch eine qualitative Berichterstattung ergänzt werden ("Quäntchen Prosa"). Dabei sollten zum Beispiel das Geschäftsmodell der Bank, ihre Konkurrenzumgebung und Marktposition erläutert, die Brücke von den Rahmenbedingungen der Branche zu den eigenen Zahlen geschlagen, unterschiedliche Zukunftsszenarien durchgespielt und wichtige Innovationen bei den Produkten oder in den Abläufen des Kreditinstituts vorgestellt werden.

Aufsichtskommunikation funktioniert nicht von heute auf morgen, sie braucht Vorlauf und bedarf der kontinuierlichen Weiterentwicklung. Dies erfordert allerdings auch Verbesserungen auf Seiten der Aufseher: eine klarere Formulierung der Anforderungen an den Informationsaustausch, bedarfsgerechtere Lösungen sowie eine engagiertere Unterstützung der Kreditinstitute. Vor allem das qualifizierte Feedback an die Gesprächspartner in den Banken ist von hoher Bedeutung. Durch die Quervergleiche der Aufsicht können die Vorstände ein besseres Gefühl für Benchmarks erhalten. Natürlich ist Aufsicht etwas anderes als Beratung, aber ein Stück mehr "Navigationshilfe", wäre nützlich.

Nur durch Verbesserungen auf beiden Seiten kann also verhindert werden, dass sich die derzeitige Kommunikationsklemme zu einer noch gravierenderen Beziehungsstörung auswächst. Und, ja: In einer hoheitlichen Beziehung ist die Wahrung kritischer Distanz unerlässlich. Aber Praktika und Hospitanzen in beide Richtungen können hier Vorbehalte abbauen und das Verständnis für die andere Seite erhöhen.

Wir haben unsere Ergebnisse - wie gesagt - aus den Gesprächen mit Vorständen aus Sparkassen und Volksbanken abgeleitet. Wie ein erst vor gut einer Woche veröffentlichter Bericht der Group of Thirty nahelegt, ist auch für den Kontakt zwischen den Boards der dort fokussierten systemrelevanten Institute und den Aufsehern - laut Titel - "A new paradigm" notwendig, nämlich im Sinne einer "engeren, offeneren, vertrauensvolleren Kommunikation und Kooperation zur Vermeidung von Überraschungen". Der G30 geht es um weiche Faktoren, nicht um das Abhaken von Kästchen auf einer Liste von einzuhaltenden Richtlinien. In zahlreichen Instituten ist viel zu wenig Aufmerksamkeit darauf verwendet worden, die Kultur zu reformieren. Kultur ist eine Frage des Verhaltens. Sie äußert sich darin, wie sich Individuen und Gruppen verhalten, selbst wenn sie nicht beobachtet werden.

Zu den nun vorgelegten Forderungen gehört, dass den Boards von systemrelevanten Finanzinstituten Mitglieder angehören, die in ständigem Austausch mit Mitgliedern der Aufsichtsbehörde stehen und damit vertraut sind, was für deren Arbeit wichtig ist. Entscheidend für proaktive, vertrauensvoll geführte Gespräche sei, dass dort Mitglieder für Diskussionen mit den Aufsehern ausreichend vorbereitet sind.

Weniger Barock und mehr Bauhaus

Zusammenfassend liegen mir zwei Dinge besonders am Herzen: Die Regulierung der Kreditwirtschaft stellt derzeit - positiv gesprochen - ein sehr facettenreiches Bild dar. Viele Einzelmaßnahmen wurden und werden mit hohem Tempo, vielfach aber nicht miteinander abgestimmt, international uneinheitlich und ohne ausreichende theoretische Begründung beziehungsweise empirische Basis ergriffen. Nach der erfolgten Umsetzung von Basel III ist aber jetzt der richtige Zeitpunkt für eine regulatorische Atempause gekommen. Statt zu fragen: "Was muss noch reguliert werden?" müsste die Frage lauten: "Ist die bestehende Regulierung effektiv und effizient?". Auswirkungsstudien sind notwendig! Es sollte das Ziel sein, den Katalog der Regulierungsmaßnahmen deutlich zu entschlacken, um die Komplexität zu verringern. Natürlich wird die Bankenregulierung niemals auf einen "Bierdeckel" passen, aber "weniger Barock und mehr Bauhaus" wäre notwendig. Wenn sich tatsächlich Regulierungslücken zeigen, dann sollten diese im Sinne des Popperschen Stückwerkansatzes mit der Politik der kleinen Schritte geschlossen werden.

In der derzeitigen Kommunikation zwischen den Banken und ihren Aufsehern liegt - ebenfalls positiv gesprochen - Optimierungspotenzial. Dies zu heben ist für die Stabilität des Finanzsystems mindestens so bedeutend wie die Weiterentwicklung der Eigenkapital- und Liquiditätsregeln. Daher muss die zweite Baseler Säule aus ihrem Schattendasein befreit werden. Hier findet ein Großteil des Austausches zwischen Banken und Aufsicht statt und hier darf es deshalb auch nicht zu einer Quantifizierung der qualitativen Aufsicht (= Checklisten) kommen. Der offene Dialog zwischen den Beteiligten, das Bemühen der Banken und der Aufseher, ihr Vorgehen transparenter zu machen, schafft erst das für die Krisenprävention nötige Vertrauen.

In unseren Interviews mit dem Mittelstand sagte ein Unternehmer: "Finanzkommunikation ist ein wichtiger Baustein, meine eigene Freiheit zu sichern." Mit der Aufsichtskommunikation ist es meines Erachtens genauso. Ein von mir gefordertes Weniger an Regeln - insofern mehr unternehmerische Freiheit der Banken - muss mit der Verantwortung zum Dialog einhergehen. Freiheit kostet etwas, sie erfordert Investitionen! Nur durch Wissensaustausch anstelle von starren Normen - und so kehren wir zu von Hayek zurück - hält man sich alle Möglichkeiten offen, auf Unvorhersehbares und Unvoraussagbares zu reagieren. Lassen sie mich daher den Titel der heutigen Veranstaltung "Die Banken und die Freiheit" leicht umformulieren zu "Die Banken und ihre Aufsicht - Freiheit durch Dialog".

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 59. Kreditpolitischen Tagung "Die Banken und die Freiheit" der ZfgK am 8. November 2013.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Prof. Dr. Stephan Paul , Lehrstuhl für Finanzierung und Kreditwirtschaft , Ruhr Universität Bochum
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