Leitartikel

Begrenzte Solidarität

Die diversen Standortinitiativen der Finanzbranche haben es derzeit in Deutschland schwer. Auf Bundesebene müht sich die Initiative Finanzstandort Deutschland seit Monaten um eine vernünftige Arbeitsteilung mit dem Zentralen Kreditausschuss. Die Klärung der offenen Fragen der prinzipiell von allen Beteiligten befürworteten Neuausrichtung dauert allerdings länger als das Anfang des laufenden Jahres abzusehen war. Erst dieser Tage hat es einen weiteren Anlauf zur umfassenden Einigung gegeben. Aber von der endgültigen Namensfindung bis hin zur Festlegung der wesentlichen Elemente der künftigen Arbeit wollte niemand der maßgeblich Beteiligten so recht eine Prognose wagen, wie weit das Vorhaben bis zum Erscheinen dieses Heftes möglicherweise doch noch gediehen ist.

Verdächtig still ist es seit Beginn der Finanzkrise auch in den Regionen. Stuttgart beispielsweise hat zwar eine eigene Kommunikationsplattform zur Bündelung der Finanzplatzinteressen, spätestens mit dem Brüsseler Beihilfeverfahren um die dortige Landesbank ist man zumindest im überregionalen Standortmarketing und in der Öffentlichkeitsarbeit für die Finanzindustrie aber ebenso erfolgreich abgetaucht wie die LBBW selbst. In Düsseldorf haben die Landespolitik und die Banken nach all den Verwerfungen rund um die IKB und die WestLB wahrlich andere Gedanken als allzu offensive Promotion für den dortigen Finanzplatz. Die bayerische Landeshauptstadt präsentiert mit der Finanzplatz München Initiative einen gemeinsamen Internetauftritt und listet immerhin 52 Teilnehmer auf. Ein Gesicht des Finanzplatzes nach außen, sucht man bei der vor elf Jahren vom bayerischen Wirtschaftsministerium angeregten und heute organisatorisch bei der Bayerischen Börse angesiedelten fpmi indes vergebens.

Das ist bei Frankfurt Main Finance anders. Dort zeigt das Präsidium mit hochrangigen Vertretern der örtlichen Kreditwirtschaft, der Stadt und der Hessischen Landesregierung durchaus Präsenz in der Öffentlichkeit. Und es gibt neben zwei regelmäßig veröffentlichten Standortindizes auch sonstige kontinuierliche Hinweise auf die günstigen Standortbedingungen. Das alles geschieht in dem begründeten Selbstbewusstsein der internationalen Wahrnehmung. In aller Welt wird Frankfurt ohne jede Diskussion mit dem Finanzplatz Deutschland gleichgesetzt. Am leichtesten tut man sich deshalb in Frankfurt mit dem Hinweis auf die EZB und neuerdings die Ansiedlung des Rates für Systemische Risiken (EIOPA). Aber natürlich dürfen auch die gute Marktposition der Deutschen Börse als einer der weltweit größten Kapitalumschlagsplätze sowie die mit alledem verbundene Anziehungskraft auf viele Auslandsbanken als wichtige Assets im Standortwettbewerb angeführt werden. Nicht zuletzt bleibt die Präsentation der breiten Möglichkeiten der Hochschulausbildung sowie vieler hochkarätiger Veranstaltungen. Auch am Main sind freilich die finanziellen Möglichkeiten der Detailarbeit am Standortmarketing sehr überschaubar, und die Mitglieder sprühen nicht gerade vor Ehrgeiz, sich finanziell und inhaltlich stärker einzubringen. Erst dieser Tage hat die Commerzbank eingeräumt, sich künftig nicht mehr als ordentliches, sondern nur noch als Fördermitglied engagieren zu wollen.

Ein Grund für diese allgemeine Lustlosigkeit der Akteure ist die schwierige Erfolgsmessung und-zuordnung solcher Initiativen. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit kann jedenfalls sehr leicht verschwimmen. Wie will man beispielsweise die Arbeit für eine Region oder ein ganzes Land von sonstigen politischen Initiativen der Wirtschaftsförderung oder auch der Arbeit der IHKs abgrenzen? Nicht minder heikel ist es für die Mitglieder, unter Wettbewerbern das richtige Maß des Engagements zu finden. Wer die Dinge zu stark in die Hand nimmt, läuft stets Gefahr, die ganze Veranstaltung zu dominieren und damit das Misstrauen der anderen zu schüren beziehungsweise diese sogar ernsthaft zu verärgern. Insbesondere die Deutsche Bank sieht sich hierzulande in allen möglichen Interessensvereinigungen bis hin zur Mitarbeit im Bundesverband der privaten Banken immer wieder diesem Verdacht ausgesetzt. Engagiert man sich als anderes Extrem überhaupt nicht in solchen Initiativen und

Verbänden, kann man als Mitläufer dennoch von den positiven Effekten profitieren.

Noch schwerwiegender als diese Gratwanderung über die richtige Dosierung des eigenen Mitteleinsatzes ist die äußerst begrenzte Relevanz der Interessenvertretung in einer mehr und mehr globalisierten Wirtschaftswelt. Wieso sollen die regionalen Börsenplätze in Deutschland ihre Energie darauf verschwenden, die Aufmerksamkeit auf die eigene Finanzregion zu lenken, wenn sich der wahre Wettbewerb, sprich der Großteil der Finanztransaktionen nur noch zwischen wenigen weltweiten Zentren abspielt? Wie soll die IFD eine überzeugende Positionierung beziehungsweise die richtige Arbeitsteilung mit dem Zentralen Kreditausschuss finden, wenn auch dessen Ausrichtung und Aufstellung angesichts der Politikverlagerung nach Europa ebenfalls hochgradig reformbedürftig ist? Kann man von den hiesigen Bankenverbänden ein wirklich geschlossenes Auftreten in Brüssel erwarten, solange sie ihre Ressourcen ganz überwiegend in Berlin konzentrieren und in Brüssel eher als vielstimmiger Chor uneiniger Wettbewerber auftreten? Was nutzt es selbst dem europäischen Parlament, vehement eine Finanztransaktionssteuer zu fordern, wenn die angelsächsische Welt und auch die Emerging Markets sich diesem noch so gut gemeinten Vorhaben nicht anschließen werden? Und was bringt eine mehr oder weniger flächendeckende Umsetzung, wenn dann massenhaft Transaktionen in das unkontrollierte Schattenbankensystem abfließen?

Kurzum, der Wandel der Interessenvertretung für Finanzstandorte hat in Deutschland, Europa und der ganzen Welt auch nicht annähernd mit der Rasanz Schritt gehalten, mit der sich die Gewichte im Finanzmarktgeschehen von den Nationalstaaten auf die ganze Welt beziehungsweise in regulatorischen Fragen von Deutschland nach Europa und darüber hinaus auf die internationalen Gremien wie die G20 und den IWF verschoben haben. Die Schaffung des vieldiskutierten Level Playing Field beziehungsweise die Vermeidung von Regulierungsarbitrage bestimmt damit auf nationaler und internationaler Ebene mehr und mehr die Diskussion um den Standortwettbewerb. Und es gehört zu den vornehmsten Aufgaben der Bundesregierung wie auch der Verantwortlichen anderer Nationalstaaten sowie der verschiedensten Wirtschafts- und Währungsregionen in aller Welt, diese Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen hochzuhalten allerdings nur verbal. Denn in der Praxis ist eine auch nur einigermaßen lückenlose Umsetzung völlig illusorisch, ja geradezu gefährlich. Standortwettbewerb hat es schon immer gegeben, und er wird sich auch in Zukunft nicht vermeiden lassen. Durch die Globalisierung der Finanzströme in Verbindung mit ganz neuen Möglichkeiten der weltweiten Kommunikation ist nur die Verbreitungsgeschwindigkeit für Ideen wie auch Kapital um ein Vielfaches größer geworden als früher und damit auch die Risiken großer Verwerfungen.

Vor diesem Hintergrund alle regulatorischen Vorhaben abblocken zu wollen, die sich nicht gleich auf internationaler Ebene durchsetzen lassen, läuft in den Extremen einerseits auf Nichtstun und andererseits auf völlige Gleichmacherei hinaus. Vielleicht sollte man deshalb auf der großen politischen Bühne bei der Interpretation von so hehren Begriffen wie Level Playing Field und Vermeidung von Regulierungsarbitrage ein Stück weit Abschied vom Absolutheitsanspruch nehmen und sich realistisch mit wenigen, grundsätzlichen Projekten bescheiden, die machbar sind. Basel III ist sicher ein gutes Beispiel für eine solche Rahmensetzung. Darüber hinaus sollte man erst gar nicht der Versuchung unterliegen, alles regeln zu wollen. Wieso sollen die angelsächsischen Länder ihre Finanzplatzusancen nicht tendenziell an ihrer kapitalmarktgetriebenen und von der Händlermentalität geprägten Tradition orientieren, während Kontinentaleuropa im Zweifel stärker die Verbindung von Real- und Finanzwirtschaft betont? Und wieso sollte man den asiatischen wie den anderen aufstrebenden Wirtschaftsmächten nicht eigene Akzente eines pragmatischen Weges zugestehen? Im Zweifel geschieht das ohnehin.

Ob die Risiken und Gefahren für das internationale Finanzsystem auf unterschiedlichen Wegen oder bei weitgehender Gleichschaltung größer sind, ist längst nicht erwiesen. Mögliche Risikopotenziale muss man in beiden Fällen im Auge behalten, unvoreingenommen und offen diskutieren und wenn nötig ausschalten. Die neue, heile und möglichst noch ein für alle Mal fertige Regulierungswelt wird es nicht geben. Das Ringen um ein Optimum im regulatorischen Standortwettbewerb bleibt eine Daueraufgabe.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X