Aufsätze

Copulas im Risikomanagement

Modellierung von Abhängigkeiten in der Bankpraxis: Bei verschiedenen
finanzwirtschaftlichen Fragestellungen ist die Modellierung von
Abhängigkeiten zwischen den Risikofaktoren eines Portfolios eine
zentrale Herausforderung.1) Als aktuell sehr bedeutende Anforderung
ist die Ermittlung des Gesamtbankrisikoprofils nach AT 4.1 MaRisk
hervorzuheben. Hier sind die verschiedenen Risikoarten (insbesondere
Marktpreisrisiken, Adressrisiken, Liquiditätsrisiken und operationelle
Risiken) zum Gesamtrisiko des Kreditinstituts zu aggregieren,
beziehungsweise es ist als differenziertere Information die Verteilung
der möglichen Werte der Gesamtbank bezogen auf einen Risikohorizont zu
ermitteln.
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Zusammenführung der einzelnen Risikowerte
\
Mit der Quantifizierung des Gesamtrisikoprofils ist somit die zentrale
Frage der geeigneten Zusammenführung der einzelnen Risikowerte
verbunden, zum Beispiel des CVaR des Kreditbuches (Haltedauer
üblicherweise ein Jahr, Konfidenzniveau zum Beispiel 99,5 Prozent) mit
dem VaR des Zinsbuchs (Haltedauer zum Beispiel drei Monate,
Konfidenzniveau zum Beispiel 95 Prozent). Alternativ können direkt die
Chancen-Risiko-Verteilungen je Risikoart zusammengeführt werden.2)
Neben der einheitlichen Skalierung der Haltedauer sowie des
Konfidenzniveaus ist zu klären, wie Korrelationen beziehungsweise
allgemeine Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Risikoarten
Berücksichtigung finden können: Bei einer bloßen Addition von
VaR-Werten (wie aktuell in der Bankpraxis bisweilen als
"Lösungsansatz" beobachtbar) blieben die Diversifikationspotenziale
zwischen den Risikokategorien unberücksichtigt. Neben der Ableitung
des Gesamtbankrisikoprofils kann man als weitere wichtige Beispiele
nennen:
\
- Ermittlung des Gesamtbankrisikos im Rahmen der strategischen
Asset-Allokation: Bei der strategischen Asset-Allokation wird ein
Optimierungsproblem gelöst, bei dem die Zielfunktion in der Regel eine
Ertrags-Risiko-Relation ist. Die Ermittlung des Gesamtbankrisikos im
Rahmen des Optimierungsproblems ist methodisch analog zur
Fragestellung der Ermittlung des Gesamtbankprofils.
\
- Ermittlung der Adressrisikoverteilung und des Credit-Value-at-Risk
(CVaR): Jedes CVaR-Modell hat als Hauptbestandteil ein
Korrelationsmodell, bei dem simultan Risikofaktoren simuliert werden,
um das systematische Risiko im Adressrisikoportfolio zu modellieren.
\
- Ermittlung der Modellpreise von CDO-Tranchen: Während die obigen
Fragen die Risikomessung betreffen, ist eine Preisermittlung für
Kreditderivate eine Bewertungsfrage. Jedoch liegen diesen Instrumenten
Portfolios zugrunde, so dass die Adressrisikoverteilung des zugrunde
liegenden Portfolios (Underlying) und deren Entwicklung im Zeitverlauf
in die Bewertung integriert werden muss.3)
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Aggregation von Verteilungen mittels Faltung und Limitationen
\
Im nächsten Abschnitt wird zunächst auf die Thematik der Aggregation
von einzelnen Verteilungen zu einer Gesamtverteilung eingegangen. Im
anschließenden Abschnitt wird dann explizit auf die Co-pula-Funktionen
eingegangen, die die "Spielregeln" für die Modellierung der
Abhängigkeit zwischen den Verteilungen sind.
\
Das Basisverfahren zur Aggregation von Verteilungen zu einer
Gesamtverteilung wird in der Mathematik als Faltung bezeichnet. Die
Bedeutung der einzelnen Verteilung ist zum Verständnis des Verfahrens
irrelevant. Die einzelnen Verteilungen können zum Beispiel die
Randverteilungen der Risikoarten (Adressenrisiko, Marktpreisrisiko,
...) oder aber einzelner Kreditnehmer oder Emittenten im Rahmen eines
CVaR-Modells sein.
\
Die Grundidee der Faltung zeigt das folgende Beispiel. Gegeben seien
die Häufigkeitsverteilungen für die Risikoarten X (zum Beispiel
Zinsänderungsrisiko) und Y (zum Beispiel Aktienkursrisiko)4). Die
Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt der entsprechenden
Wertänderungen seien PX, PY (Abbildung 1).
\
Bildet man nun alle gemeinsam möglichen Kombinationen, (zum Beispiel
den Eintritt von X = 0 und Y = -2) so erhält man Abbildung 2.
Graphisch resultiert ein Gebirge (Abbildung 3).
\
Zur Ermittlung der eigentlich gewünschten Verteilung der
Wertkonsequenzen müssen alle Wertkombinationen zur Zielgröße Z (Z = X
+ Y) addiert werden. Bei der Faltung werden die Koordinaten der Paare
addiert und im Fall, dass verschiedene Kombinationen zum selben
Summenwert führen (zum Beispiel 2 = 0 + 2 und 2 = 2 + 0), aufsummiert
(Abbildung 4).
\
Betrachtet man das obige Beispiel, wäre mit der Faltung eine einfache
Methode gefunden, die es ermöglicht einzelne Randverteilungen zu einer
Gesamtverteilung zusammenzuführen. Eine Grenze des Verfahrens ist,
dass es nur im Fall der Unabhängigkeit angewendet werden kann. Des
Weiteren stößt das kombinatorische Auswerten im Falle von Verteilungen
mit vielen Stützstellen (dies ist im Fall der Verteilungen für
Adressenrisiken oder Marktpreisrisiken gegeben) und bei gleichzeitigem
Vorliegen von mehreren Risikoarten (zum Beispiel zehn Assetklassen in
der strategischen Asset-Allokation) schnell an kombinatorische
Grenzen.
\
Ausweg: Simulationsbasierte Copula-Modelle
\
In der Praxis wird das Aggregationsproblem in folgenden vier Schritten
gelöst.
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Schritt 1 - Simulation gleichverteilter Zufallszahlen (Eigentliches
Copula-Modell): Es werden mittels einer Monte-Car-lo-Simulation je
Szenario (zum Beispiel 20 000) abhängige, gleichverteilte
Zufallszahlen für alle Risikoarten (zum Beispiel Zins- und
Adressrisiko) generiert.
\
Schritt 2 - Quantil-Mapping5) (Randverteilungen): Es erfolgt ein
Abgleich der jeweiligen gleichverteilten Zufallszahl mit dem zu dieser
Wahrscheinlichkeit gehörigen Quantil (= Wertänderung) der jeweiligen
Randverteilung.
\
Schritt 3 - Addition der Ergebnisse (Gesamtbankrisiko): Je
Simulationsszenario werden die Simulationsergebnisse je Risikoart
addiert.
\
Schritt 4: Auswertung der Gesamtverteilung: Es wird die
Häufigkeitsverteilung für die Gesamtbank auf Basis aller Szenarien
ermittelt.
\
Auf Schritt 1 und die Copula-Funktionen als Grundlage der
Abhängigkeitsmodellierung wird erst im nächsten Abschnitt eingegangen.
An dieser Stelle wird der Vorgang einfach als das Werfen von
abhängigen Konfidenzniveaus für die Risikoarten aufgefasst. Die
Abbildung 5 illustriert das Quantil-Mapping aus Schritt 2.
\
Beim Quantil-Mapping wird die in Schritt 1 geworfene abhängige
Zufallszahl (Konfidenzniveau) mit dem Konfidenzniveau der zugehörigen
Randverteilungen verglichen. Im Beispiel wird als 21
Prozent-Konfidenzniveau ein Verlust von 0, 8 Euro ermittelt. In
Schritt 3 werden je Szenario zufällige Wertänderungen erzeugt und
addiert, um die gesamte Wertänderung des Portfolios zu ermitteln. In
Schritt 4 wird die Häufigkeitsverteilung anhand der simulierten
Szenarien ausgewertet. Die Schritte 2 bis 4 haben nichts mit der im
folgenden Kapitel erläuterten Copula-Funktion selbst zu tun.
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Copula-Funktionen - Definition und Logik
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Eine Copula-Funktion beschreibt die funktionale Abhängigkeit zwischen
verschiedenen Zufallsvariablen, die durch (Rand-)Verteilungen
repräsentiert werden. Der Ansatz der Copula-Funktion wurde 1959 von
Sklar, A. in der Wahrscheinlichkeitstheorie eingeführt.
\
Formal sind Copula-Funktionen multivariate Verteilungsfunktionen,
deren Randverteilungen gleichverteilt sind.6) Mittels
Copula-Funktionen können beliebig verteilte Zufallsvariablen mit
beliebigen Abhängigkeitsstrukturen zu neuen gemeinsamen
Verteilungsfunktionen verknüpft werden (Abbildung 6).
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Nutzen und Arten von Copula-Funktionen
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Nutzen im Hinblick auf Aggregation von Risiken sind:7)
\
- Risikoarten/Risikofaktoren müssen im Hinblick auf die Aggregation
nicht als normalverteilt angenommen werden. Es sind beliebige
Verteilungen zulässig.
\
- Die Abhängigkeit zwischen den Risikoarten/Risikofaktoren muss nicht
mittels linearer Abhängigkeit abgebildet werden.
\
Anzumerken ist, dass die Technik der Co-pula-Funktionen zwar bereits
seit geraumer Zeit in den Kreditrisikomodellen angewendet wird und
dort etabliert ist, dies aber wohl nur den Fachspezialisten bewusst
war. So liegt sowohl in Credit-Metrics8) als auch in CPV Direkt eine
so genannte Gauß- oder Normal-Copula zur Modellierung der
Korrelationen zugrunde.
\
Es gibt zwei Hauptklassen von Copula-Funktionen. Zum einen die
elliptischen Co-pula-Funktionen. Zu diesen zählen die zurzeit in der
Praxis am meisten genannten Copula-Funktionen, die Normal- oder
Gauß-Copula und die t- oder Student-Copula. Beides sind so genannte
implizite Co-pula-Funktionen, da es keine einfache geschlossene Form
für diese Copulas gibt.
\
Die andere Klasse von Copulas, die so genannten archimedischen
Copulas, werden in der bankpraktischen Literatur gegenwärtig noch kaum
betrachtet. Im Gegensatz zu den elliptischen Copulas können mit ihnen
auch asymmetrische Abhängigkeiten in den Rändern der Verteilungen
abgebildet werden.
\
Normal-Copula: Die Simulation der abhängigen gleichverteilten
Zufallszahlen für Schritt 1 mit der Normal-Copula erfolgt unter
Anwendung einer Umwandlung in korrelierte standardnormalverteilte
Zufallszahlen mittels der Cholesky-Faktorisierung und anschließender
Rücktransformation. Die Abbildung 7 illustriert die
Transformationsschritte der Normal-Copula.
\
t-Copula: Mittels der t- oder Student-Co-pula-Funktion gelingt es,
stärkere Abhängigkeiten zwischen extremen Ereignissen abzubilden.
Somit können gemeinsame starke Marktbewegungen in Realität besser als
durch die Normal-Copula erfasst werden. Wie die Normal-Copula weist
auch die t-Copula ein symmetrisches Abhängigkeitsverhalten auf.9) Die
t-Copula hat zusätzlich zur Korrelation einen weiteren Parameter, den
so genannten Freiheitsgrad. Die Abbildung 8 illustriert den Effekt der
Teilabhängigkeit bei mittels Normal- und t-Copula simulierten
Zufallszahlen.
\
Die Simulation der abhängigen gleichverteilten Zufallszahlen für
Schritt 1 mit der Student-Copula kann nicht analog erfolgen, es muss
eine zusätzliche Transformation unter Verwendung von
Chi-Quadratverteilten Zufallszahlen erfolgen.
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Clayton-Copula: Die Abbildung 9 illustriert die Simulation abhängiger
gleichverteilter Zufallszahlen, die mit der archimedischen
Clayton-Copula simuliert wurden. Die erste Grafik zeigt die
Clayton-Copula.
\
Im Gegensatz zur Normal- und t-Copula können auch asymmetrische
Abhängigkeiten zwischen den Rändern abgebildet werden. Dies ist dann
relevant, wenn Chancen und Risiken in der Realität nicht symmetrisch
eintreten. Ausführungen zur Simulation von archimedischen Copulas
finden sich in Cherubini et al., 2004.
\
Auswahl der Copula und Schätzung der Parameter: Aufgrund der
Datenverfügbarkeit gilt es, sich gegenwärtig sowohl mit Fragen der
Auswahl der geeigneten Copula wie auch mit der Schätzung der Parameter
(zum Beispiel Maximum Likelihood Methoden) für die jeweilige Copula
auseinander zu setzen. So ist für die Normal-Copula die
Korrelationsmatrix und für die t-Copula zusätzlich der Freiheitsgrad
zu schätzen. Im Hinblick auf die Auswahl der Copula existieren
unterschiedliche statistische Verfahren. Für Details zu den
Fragestellungen sei auf das Buch von Cherubini et al verwiesen.
\
Heuristisch kann man sich im zweidimensionalen Fall bezüglich der
Auswahl der Copula zum Beispiel am empirischen Plot orientieren, um
Rückschlüsse auf Teilabhängigkeiten oder Asymmetrie zu ziehen.
\
Beispiel Gesamtbankrisiko
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Eine zentrale Anwendungsmöglichkeit der Copula-Funktionen ist die
Ermittlung des Gesamtbankrisikos, das zum Beispiel im Rahmen der
Risikotragfähigkeitsanalysen der MaRisk wie auch bei der strategischen
Asset-Allokation benötigt wird. Gegenwärtig wird hierfür häufig das
Verfahren der korrelierten Addition angewandt, das auf
Normalverteilungsannahmen beruht. Beispielhaft wurde für eine fiktive
Bank die Marktpreisrisiko- und die
Addressrisiko-Chancen-Risiko-Verteilung mittels verschiedener
Verfahren im Hinblick auf das Gesamtrisiko zum Konfidenzniveau 99,5
Prozent analysiert.
\
Verglichen wurden die Ergebnisse für eine Korrelation von 30 Prozent
von
\
- Faltung (keine Korrelation),
\
- Korrelierte Addition,
\
- Normal-Copula,
\
- Student-Copula.
\
Die Ergebnisse für den VaR (negative Abweichung von der Erwartung)
sind in der folgenden Abbildung 11 dargestellt.
\
Da die Faltung keine Abhängigkeit berücksichtigt, wird das
Gesamtrisiko unterschätzt. Die korrelierte Addition ist nicht in der
Lage die Schiefe der Verteilungen adäquat abzubilden. Dies wird durch
Anwendung der Normal-Copula erreicht. Das Ergebnis der Student-Copula
ist höher, da durch sie eine stärkere Teilabhängigkeit modelliert
wird.
\
Copula-Funktionen sind gegenwärtig dabei, sich zum Standardverfahren
zur Aggregation von Risiken zu entwickeln. Der einfachste Weg hierbei
ist sicher, zunächst die Normal-Copula anzuwenden. Diese bietet
gegenüber dem Noch-Standard-Verfahren der korrelierten Addition bei
der Gesamtbankrisikoaggregation den Vorteil, bei gleicher und bereits
verfügbarer Inputanforderung (Randverteilung und Korrelation zwischen
den Risikoarten) bessere Ergebnisse zu liefern. Der Einsatz der
Copu-la-Funktionen ist trotz sicherlich noch bestehenden
Forschungsbedarfs (etwa im Hinblick auf die Wahl der "richtigen"
Copula und der Parameterschätzung) gerechtfertigt. Bei der
Kreditrisikomodellierung sind diese Techniken bereits
State-of-the-Art.
\
Literatur
\
Beck, A., Lesko, M., Moderne Ansätze zur Messung von Ertrag und Risiko
der Gesamtbank in: Pfeifer/Ullrich/Wimmer (Hrsg.): MaRisk
Umsetzungsleitfaden, Heidelberg 2006.
\
Beck, A., Lesko, M., Copula-Funktionen zur Ermittlung des
Gesamtbankrisikoprofils, in: Betriebswirtschaftliche Blätter, 05/2006,
Seiten 289 bis 293. Böcker, K./Spielberg, H., Risikoaggregation mit
Copulas, in: Die Bank 08/2005, Seiten 56 bis 59.
\
Cherubini, U., Luciano, E., Vecchiato, W.: Copula Methods in Finance,
Wiley, 2004.
\
Kiesel, R./Lesko, M./Prestele, C., Modellierung von Abhängigkeiten bei
der Bewertung von Verbriefungen, Handbuch Verbriefungen und
Kreditderivate, Poeschel, 2005, Seiten 313 bis 329.
\
Lesko, M./Vorgrimler, S.: Monte-Carlo-Techniken bei modernen
Kreditrisikomodellen - ein Beispiel, Zeitschrift für das gesamte
Kreditwesen, 21/1999.
\
Li, D.X.: On Default Correlation: A Copula Function Approach, in:
Journal of Fixed Income, 9, pp 43-54, 2000.
\
Nelsen, R.B.: An introduction to copulas, volume 139 of Lecture Notes
in Statistics, Springer-Verlag, New York, 1999.
\
O.V., Rundschreiben 18/2005, Mindestanforderungen an das
Risikomanagement.

Prof. Dr. Konrad Wimmer , Executive Consultant , msgGillardon AG
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