Aufsätze

Corporate Governance und Mitbestimmung

Versuche, die Mitbestimmung in Deutschland zu reformieren, erinnern an Sisyphos, der kurz vor dem sicher geglaubten Erreichen des Gipfels immer wieder auf der Talsohle mit seiner Arbeit beginnen muss. So war auch das Scheitern der zweiten Biedenkopf-Kommission zur Modernisierung der Unternehmensmitbestimmung gegen Ende des Jahres 2006 der vorläufige Schlusspunkt einer durchaus kontrovers geführten Debatte. Als Resultat bleibt jedoch festzuhalten: Es besteht Stillstand der Rechtspflege, somit bleibt weitgehend alles beim Alten. Nachdem sowohl die Unternehmens- als auch die Gewerkschaftsvertreter ihr Mitwirken aufgekündigt hatten, zementiert der Abschlussbericht der Kommission, abgesehen von ein paar marginalen Änderungen, den derzeitigen Status quo. Dies ist höchst unbefriedigend und verstärkt die Notwendigkeit intensiver Diskussion.

Mitbestimmungslücke der Corporate Governance-Debatte

An der Debatte um eine effiziente Corporate Governance wird geradezu deutlich, welch schwieriges Unterfangen die Reform der Mitbestimmung in Deutschland zu sein scheint. Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex aus dem Jahr 2002 wurden zum ersten Mal in Deutschland Grundsätze für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung börsennotierter Gesellschaften in einem einzigen Regelwerk zusammengefasst.

Dabei war und ist es bis heute politische Vorgabe, den Themenkomplex der Mitbestimmung auf Unternehmensebene außen vor zu lassen.

Dies ist problematisch, da die Mitbestimmung zentral in die Governance-Struktur eines Unternehmens eingreift. Denn der im deutschen Fall häufig paritätisch mitbestimmte - Aufsichtsrat hat bekanntlich die Geschäftsführung des Unternehmens zu überwachen und strategisch zu begleiten. Dabei ist er ausschließlich dem Interesse des Unternehmens verpflichtet.

Stakeholder- versus Shareholder-Interessen

Allerdings handelt es sich bei einem Unternehmen um eine soziale Organisation, die aus Akteuren mit oftmals unterschiedlichen und zum Teil weit divergierender Interessen besteht. Deshalb stellt sich bei dieser recht allgemein formulierten Aufgabe des Aufsichtsrats die Frage, welche Bezugsgruppe die Zielsetzung des Unternehmens definiert.

In der Regel werden in diesem Zusammenhang zwei Ansätze unterschieden. Beim Shareholder-Ansatz steht das Interesse der Eigentümer im Vordergrund, da diese letztendlich mit ihrer Kapitalbeteiligung das unternehmerische Risiko tragen. Im Gegensatz dazu ist aus der Stakeholder-Sicht das Unternehmen eine Gesamteinheit, die explizit gesellschaftliche Funktionen erfüllt und deswegen über die Interessen der Aktionäre hinaus Ansprüche weiterer Personengruppen, insbesondere der Gläubiger und der Arbeitnehmer, bei ihrer strategischen Ausrichtung berücksichtigen soll.

Die Stakeholder-Welt der siebziger Jahre ...

Das Modell paritätisch besetzter Aufsichtsräte folgt eindeutig diesem Stakeholder-Ansatz. Als deutscher Sonderweg sind die bislang unverändert bestehenden Mitbestimmungsregelungen von 1976 nur vor dem Hintergrund der in den siebziger Jahren herrschenden strukturellen Besonderheiten und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verstehen. Damit waren auch die Aufgaben und das Selbstverständnis des Aufsichtsrats seinerzeit durch andere Voraussetzungen geprägt.

Hinzu kam, dass die Gewerkschaften mit einem Organisationsgrad von rund 40 Prozent aller Beschäftigten über eine recht breite Mitgliederbasis verfügten und dementsprechend den Anspruch erhoben hatten, die Interessen eines relativ großen Teils der Arbeitnehmerschaft zu vertreten. So erklärt sich auch die gesetzlich verankerte Präsenz externer Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsräten.

Zugleich waren die deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt. Ein für heutige Verhältnisse hohes durchschnittliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von rund drei Prozent im Jahresdurchschnitt verdeutlicht dies. Die globale Wettbewerbssituation beschränkte sich allerdings in den siebziger Jahren auf Anbieter aus der westlichen Hemisphäre und Japan.

Diese günstigen äußeren Umstände, eine relative Konstanz der maßgeblichen Stake-holder-Gruppen in den großen Firmen und ein vergleichsweise stabiles wirtschaftliches Wachstum, erleichterten den für Deutschland typisch gewordenen konsensorientierten Interessensausgleich zwischen der Kapital- und der Arbeitnehmerseite. Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 ist quasi die gesetzliche Manifestation des "Rheinischen" Kapitalismus.

... befindet sich derzeit in der Auflösung

Die Zeiten dieser Stakeholder-Welt sind inzwischen passé. Die kapitalmäßige Verflechtung zwischen Unternehmen, Banken und Versicherungen ist weitgehend aufgelöst worden. An die Stelle der Finanzdienstleister sind andere, verstärkt auch ausländische Anteilseigner getreten, deren Renditeziele sich fast ausschließlich am Shareholder-Value orientieren.

Damit sind gleichzeitig andere Anforderungen an eine moderne Corporate Governance verbunden. Hierzu gehört auch eine deutlichere Skepsis gegenüber dem deutschen Modell der paritätischen Mitbestimmung. Es werden eine Unterordnung der Aktionärsinteressen gegenüber den Interessen anderer Anspruchsgruppen im Unternehmen sowie erschwerte Entscheidungsprozesse befürchtet. Dass diese Bedenken nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, bestätigt eine empirische Studie von Gary Gorton und Frank A. Schmid. Auch wenn dabei naturgemäß über methodische Mängel gestritten werden kann, weisen beide nach, dass im Zeitraum von 1989 bis 1993 paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit einem Abschlag von durchschnittlich 31 Prozent gegenüber Unternehmen, deren Arbeitnehmer lediglich ein Drittel der Aufsichtsratssitze einnehmen, an der Börse gehandelt werden.1)

Die Mitbestimmung unter Globalisierungsdruck

Eine Umfrage des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus dem vergangenen Jahr bestätigt diesen Befund aus einer etwas anderen Perspektive. Demnach sind für rund 43 Prozent der befragten Kapitalgesellschaften die bestehenden Mitbestimmungsregelungen ein Investitionshindernis für potenzielle Eigenkapitalgeber.2)

Mit den Regelungen der paritätischen Mitbestimmung büßt der deutsche Kapitalmarkt - insbesondere für ausländische Investoren - an Anziehungskraft ein. Zudem ist dieses Modell bei diesen Akteuren ohnehin weitgehend unbekannt. Zwar existieren in zahlreichen Ländern gesellschaftsrechtliche Regelungen, die eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Unternehmen vorschreiben. Die paritätische Aufsichtsratsbesetzung war und ist aber ein deutscher Sonderweg. Das deutsche Mitbestimmungsmodell konnte also nicht überzeugen eine Imitation der Regulierung durch andere Staaten blieb vollständig aus.

Nicht nur die Investorenstruktur auf dem deutschen Kapitalmarkt, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmendaten haben sich seit den siebziger Jahren entscheidend verändert. Der globale Markt hat sich nach der Auflösung der Sowjetunion und dem Erstarken vieler "Emerging Markets" signifikant erweitert. Neben den weitaus günstiger produzierenden Konkurrenten stellen die rasanten technologischen Entwicklungen für viele deutsche Unternehmen eine große Herausforderung dar. Daraus resultiert ein enormer Innovationsdruck, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit auszubauen oder zu erhalten.

Zur Erreichung dieser Zielsetzung muss das Management aber oftmals unpopuläre Entscheidungen treffen, die mit dem Abbau von Arbeitsplätzen einhergehen können. Solche Vorschläge stoßen bei der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat meist auf wenig Gegenliebe. Konsequenz kann sein, dass die Geschäftsführung Notwendigkeiten dieser Art aus Furcht vor der Konfrontation mit der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat auf die lange Bank schiebt.

Das betriebswirtschaftliche Problem wird so aber nicht gelöst. Vielmehr ergeben sich über die Mitbestimmung Anreize für Konsenslösungen, die der Gesamtsituation des Unternehmens und damit sowohl den Eigentümern als auch der Belegschaft schaden können. Insgesamt ergibt sich so nach außen das Bild einer harmonischen Zusammenarbeit im Aufsichtsrat, obwohl ohne Mitbestimmung möglicherweise andere Entscheidungen getroffen würden.

Der mitbestimmte Aufsichtsrat als effizientes Kontrollgremium?

Die effektive Überwachung der Geschäftsleitung erfordert in einer globalisierten Wirtschaft zudem mehr denn je eine hohe Qualifikation und breite internationale Erfahrungen der Aufsichtsratsmitglieder. Während der Deutsche Corporate Governance Kodex explizite Anforderungen an Ausbildung und Erfahrung des Aufsichtsrats stellt, ist es zuweilen schwierig, die Arbeitnehmervertreter an diesen Maßstäben zu messen. In diesem Kontext deckt die bereits zitierte Umfrage des IW Defizite auf. Während die Vertreter der Kapitalseite in den paritätisch mitbestimmten Aufsichtsräten von fast 74 Prozent der befragten Unternehmen als kompetent eingeschätzt werden, bekommen hingegen die Arbeitnehmervertreter dieses Zeugnis nur von etwas weniger als der Hälfte ausgestellt.3)

Die durch die Mitbestimmung künstlich erhöhte Größe des Aufsichtsrats tut ihr Übriges, dass die Kontrollfunktion des gesamten Aufsichtsrats leidet. Immerhin haben im Jahr 2005 von den insgesamt 729 paritätisch mitbestimmten Unternehmen 142 einen 20-köpfigen Aufsichtsrat.4) Getrennte Vorbesprechungen und Absprachen sind die Folge. Die Vertraulichkeit der Beratung ist bei so vielen Mitgliedern kaum noch gegeben, denn wie es sich gezeigt hat: "Einer redet immer". Das muss nicht notwendigerweise ein Vertreter der Arbeitnehmerseite sein, aber es spricht für eine deutliche Verschlankung des Aufsichtsrats.

Weiterhin repräsentieren die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat aufgrund des Wahlmodus bisher lediglich die deutschen Mitarbeiter eines Unternehmens. Im Zeitalter der Globalisierung, in dem die meisten Unternehmen einen Großteil ihrer Belegschaft im Ausland beschäftigen, ist dies ein Anachronismus. Von einer echten Arbeitnehmervertretung kann daher aktuell keine Rede sein.

Ein gewerkschaftliches Legitimationsdefizit

Das Beispiel der Allianz SE zeigt, dass zur Lösung der beiden angesprochenen Probleme - Verkleinerung des Aufsichtsrats und Einbindung ausländischer Arbeitnehmervertreter - bislang nur der Rechtsformwechsel bleibt. Dieser ist allerdings erfolgreich beschritten worden und dürfte Modellcharakter entwickeln.

Die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats ist möglicherweise auch dann eingeschränkt, wenn eine Verlängerung der Vorstandsverträge ansteht. Der Vorstand ist unter Umständen versucht, sich das Wohlwollen der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat mit Versprechungen abzusichern, die möglicherweise zulasten der langfristigen Rentabilität des gesamten Unternehmens gehen.

Die Mitbestimmung muss nicht nur im Kontext globalisierter Märkte, sondern auch vor dem Hintergrund des rückläufigen Mobilisierungspotenzials der Gewerkschaften gesehen werden. In den letzten Jahren beklagen diese einen enormen Mitgliederschwund, der zu einem Absinken des Organisationsgrads auf rund 20 Prozent der aktiven Arbeitnehmer geführt hat. Daraus ergibt sich ein deutliches Legitimationsproblem für die rund 1 600 Aufsichtsratsposten, die von externen Gewerkschaftern besetzt werden.

Mitbestimmung nicht für unantastbar erklären

Trotz einschneidender Veränderungen der Rahmenbedingungen, die sich seit den siebziger Jahren ereignet haben, sind die Regelungen zur paritätischen Mitbestimmung gleich geblieben. Zudem ist eine wirkliche Reform nicht abzusehen - auch nicht, nachdem die Kommission um Kurt Biedenkopf, die eigens mit dieser Zielsetzung ins Leben gerufen wurde, ihre Arbeit beendet hat. Die Empfehlungen des im Dezember 2006 veröffentlichten Abschlussberichts sehen zwar unter anderem eine Einbindung ausländischer Arbeitnehmer und eine Aufsichtsratsgröße vor, die stärker den betrieblichen Erfordernissen entsprechen soll. Diese Vorschläge sind aber längst nicht weitreichend genug, um das deutsche Mitbestimmungsmodell an die veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts anzupassen.

Daher darf das Thema Mitbestimmung nicht für unantastbar erklärt werden, sondern muss auch weiterhin auf der Agenda der öffentlichen Diskussion bleiben. Dies gilt insbesondere für die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, die sich dieser Problematik offensiv widmen muss. Hierbei geht es keineswegs um eine Abschaffung des Mitbestimmungsgesetzes, aber um eine dringende Reform.

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