Aufsätze

ETFs sind keine Schattenbanken: Absurdes aus dem EU-Grünbuch

Die Regulierung von Schattenbanken steht zu Recht weit oben auf der finanzpolitischen Agenda. Angestoßen wurde sie auf dem G20-Gipfel in Seoul im November 2010. Die Gipfelbeschlüsse bezeichnen Schattenbanken als eine der letzten Grauzonen der Finanzmärkte. Und solche Grauzonen müssten stärker ausgeleuchtet, reguliert und überwacht werden. Das Financial Stability Board (FSB) mit Sitz in Basel koordiniert hierbei die internationalen Arbeiten. Nun schaltet sich die EU-Kommission in die Debatte ein und will so ihre Meinungsführerschaft in Regulierungsfragen auf EU-Ebene behaupten. In dem kürzlich veröffentlichten EU-Grünbuch zu Schattenbanken sind auch Exchange Traded Funds (ETFs) völlig zu Unrecht ins Schussfeld geraten. Schwierige Abgrenzung Wer oder was sind Schattenbanken? Das FSB definiert sie als ein "System der Kreditintermediation durch Unternehmen und Aktivitäten außerhalb des regulären Bankensystems". Die EU-Kommission schließt daraus, dass Schattenbanken mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllen: - Finanzierung durch einlagenähnliche Mittel, - Fristen- und/oder Liquiditätstransformation, - Transfer von Kreditrisiken, - direkte oder indirekte Hebelfinanzierung. Diese Merkmale sind sehr weit gefasst. So könnten auch Garantieprodukte und viele Versicherungen als Kredittransfers interpretiert werden. Die Fristentransformation findet bei allen Vehikeln statt, die täglich verfügbares Geld längerfristig anlegen. Danach müssten auch Rentenfonds, die in Staats- oder Unternehmensanleihen investieren, grundsätzlich als Schattenbanken gelten. Kriterien und Risiken der Schattenbanken bei ETFs nicht gegeben Auf ETFs treffen diese Eigenschaften allerdings nicht zu. ETFs betreiben kein Einlagen-, sondern Anlagegeschäft. Sie investieren in aller Regel in hochliquide Vermögenswerte, die täglich in großen Volumina an Börsenplätzen gehandelt werden. Sie transferieren zudem keine Kreditrisiken, sondern investieren lediglich das Geld ihrer Anleger. Die Fondsmanager übernehmen als Treuhänder der Anleger in deren Auftrag direkte Kreditrisiken. Dennoch werden ETFs im EU-Grünbuch als mögliche Schattenbanken bezeichnet. Diese Behauptung ist nicht nachvollziehbar. Denn auch die von der EU-Kommission genannten Risiken des Schattenbankwesens treffen für ETFs nicht zu. Das Risiko eines massiven Abzugs der Mittel in Krisenzeiten ist nicht größer als bei anderen Finanzprodukten. Mehr noch: Anders als bei vielen sonstigen Engagements (beispielsweise in Immobilien) haben ETFs typischerweise kaum Probleme bei der Liquiditätsbeschaffung. Auch versteckte Hebelfinanzierungen oder das Umgehen von Vorschriften und Regulierungsarbitrage sind bei ETFs nicht möglich. Deutsche und europäische ETFs sind hochregulierte Investmentfonds und müssen die strengen gesetzlichen Vorgaben beachten. Auch die maximal zulässige gehebelte Finanzierung ist klar geregelt. Gesetzliche Anforderungen können mit ETFs nicht umgangen werden. Im Gegenteil: Kaum ein Produkt ist für eine solche Umgehung weniger geeignet. Auch besteht keine Gefahr, dass ein ETF eine Bank oder gar das Finanzsystem destabilisieren könnte. Offensichtliche Wahrnehmungsstörung Es ist deshalb abwegig, ETFs und andere Investmentfonds in die Debatte um Schattenbanken hineinzuziehen. Warum aber dann die Debatte? Ein Grund könnte die Perspektive der Akteure sein. Möglicherweise ordnen einige Gremien alle Finanzmarktaktivitäten dem Bankensektor zu und empfinden alle Geschäfte außerhalb von Banken als einen Schattenbereich, der zur Umgehung der Bankenregulierung und Bankenaufsicht missbraucht werden könnte. Dieser Blickwinkel ignoriert die Besonderheiten von Investmentfonds. Investmentfonds sind keine verkappten Banken. Investmentfonds sind klar definierte Instrumente für die kollektive Vermögensanlage. Banken dürfen keine Investmentfonds auflegen, und Investmentfonds dürfen keine Banken mit ihrer Verwaltung beauftragen. Investmentfonds sind auch keine Schattengewächse, sondern die mit Abstand - am stärksten regulierten und überwachten Produkte in der Welt der Finanzanlagen. Deutsche Investmentfonds (einschließlich ETFs) sind entweder als OGAWs aufgelegt oder im Rahmen des Investmentgesetzes gleichwertig geregelt. Dabei sind sowohl die Fondsverwalter als auch die Fondsprodukte reguliert. Für jeden Fonds selbst sind die zulässigen Anlagegegenstände und Anlagegrenzen definiert. Auch der Umfang und die Methoden der Hebelfinanzierungen sind streng geregelt. Investmentfonds müssen durch die Finanzaufsicht zugelassen werden. Das Management wird laufend überwacht. Zudem ist auch sonst wenig "Schatten" erkennbar. Die Transparenz von Investmentfonds ist einzigartig. Fonds bieten Informationen über die jeweiligen Produkteigenschaften und -risiken sowohl in kurzer und prägnanter als auch in ausführlicher Form. Die Zusammensetzung des Fondsvermögens wird in den gesetzlich vorgeschriebenen Berichten regelmäßig vollständig dargelegt. Zudem geben die meisten Fondsgesellschaften monatlich - viele ETFs sogar täglich - einen Überblick über die aktuellen Anlagen. Investmentfonds benötigen kein Eigenkapital Die Kommission sollte deshalb erkennen, dass ETFs als Investmentfonds keines zweiten Regulierungssystems bedürfen. Insbesondere unterscheiden sich die Erfordernisse der Fonds von den Anforderungen der Bankenregulierung. Ein Paradebeispiel dafür ist das Eigenkapital: Gerade weil ETFs keine Kreditrisiken transferieren, sondern das Geld ihrer Anleger direkt im Markt anlegen, benötigen sie kein Eigenkapital. Das gesamte Fondsvermögen der ETFs ist Eigentum der Anleger und umfassend gegen die Insolvenz des Fondsverwalters geschützt. Das unterscheidet Investmentfonds von Bankprodukten, die grundsätzlich nur Rückzahlungsansprüche gegen das jeweilige Kreditinstitut einräumen. Da liegt es auf der Hand, dass die Kreditinstitute zur Absicherung der Interessen von Bankkunden angemessenes Eigenkapital vorhalten müssen. Ohnehin wird der rechtliche Rahmen für ETFs auch ohne die Debatte um Schattenbanken ständig fortentwickelt. Mit der OGAW-IV-Reform wurden erst kürzlich die Vorschriften zur Produkttransparenz überarbeitet und detaillierte Vorgaben zur Risikomessung eingeführt. Insbesondere das Risikocontrolling in synthetischen ETFs wurde gestärkt. Derzeit werden erneut schärfere regulatorische Vorgaben für OGAWs und ETFs diskutiert. Verbesserte Anlegerinformationen über besondere Eigenschaften und Risiken der ETFs sind im Gespräch. Zudem soll die Besicherung von Wertpapierleihen und den von ETFs eingesetzten Derivaten gestärkt werden. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA will schon Mitte 2012 Aufsichtsleitlinien zu diesen Aspekten vorlegen. Kurzum: ETFs sind wie alle Investmentfonds keine Schattenbanken, sondern streng regulierte und transparente Produkte. Sie unterliegen weitgehenden Meldepflichten, stehen unter ständiger staatlicher Aufsicht, legen ihre Anlagepolitik zeitnah und umfassend offen. Schatten? Eher grelles Scheinwerferlicht in aller Öffentlichkeit.

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