Aufsätze

Finanzkrise, Verbriefung und Politik

Finanzkrisen markieren im Allgemeinen geschichtliche Wendepunkte - zum Guten oder zum Schlechten. Der großen Finanzkrise von 1871 folgten vier Jahrzehnte politischer und wirtschaftlicher Stabilität in Europa und Amerika. Der großen Finanzkrise von 1930/31 folgte der Untergang Europas in die Barbarei. Eines haben die großen Finanzkrisen aber gemeinsam: Jeweils über Jahre hinweg ging ihnen ein dynamischer Schuldenaufbau durch Staat, geleveragte Investoren und Privathaushalte voraus, dessen Spitze erreicht wurde, nachdem die Gläubiger kollektiv begonnen hatten, an der Bonität ihrer Schuldner zu zweifeln. Vergleichbare Muster Da die besten historischen Daten für die USA vorliegen sei dies beispielhaft an der Relation Kreditvolumen/GDP des Landes über die letzten 140 Jahre gezeigt, wobei anzumerken ist, dass die Charts für andere Länder ähnlich verlaufen (Abbildung): Die Ursachen großer Finanzkrisen sind auf den ersten Blick komplex, bei genauerer Betrachtung geht ihnen jedoch immer eine Periode ungetrübten Zukunftsglaubens voraus. So auch dieser. Der Immobilienboom der USA war getrieben von dem kollektiven Glauben an ewig steigende Immobilienpreise. Und die Staaten und Privathaushalte Südeuropas extrapolierten die Wachstumstrends nach Einführung des Euros in die ferne Zukunft und zogen entsprechend ihre Investitionen und ihren Konsum kreditfinanziert vor. Der Zukunftsoptimismus, das heißt das allgemeine Klima, das den Schuldenaufbau, das Leveraging, begleitet, wird dabei immer von der überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft getragen. Vor 1871, vor 1930/31, vor 2007 fand man nur wenige warnende Stimmen, meist Einzelgänger, deren Ruf aber weder von Kreditgebern noch Kreditnehmern, auch nicht von Politik, Aufsicht oder Zentralbanken ernst genommen wurde. Zu den populärsten Irrtümern der Menschheit in der Behandlung von Finanzkrisen zählt sicherlich auch die Verwechslung von Auslöser und Ursache. Die letzte Finanzkrise brach an den amerikanischen Subprime-Verbriefungsmärkten aus. Dahinter standen Kredite an arme, oft sogar arbeitslose Amerikaner zum Hauserwerb. Der Subprimemarkt war somit, obgleich staatlich gestützt und gefördert, zweifelsohne das schwächste Glied des amerikanischen Immobilienmarktes, auf dem die Spekulation zum Endspiel einlud und bedauerlicherweise auch viele öffentliche deutsche Banken, mit hoher Liquidität durch ihre letztmalige Chance in 2005 Refinanzierungsbedingungen mit staatlicher Garantie zu nutzen, allzu bereitwillig mitspielten. Verbriefungsmärkte im Fokus der Politik Seitdem sind - insbesondere in Deutschland - die Verbriefungsmärkte im Fokus der Politik. Obgleich vier Jahre nach Krisenausbruch ein Blick in die objektiven Daten deutscher, aber auch europäischer Verbriefungen belegt, dass es hier kein Verbriefungsproblem gab oder gibt, hat die seitdem stattgefundene Regulierung sich vor allem auf die Verbriefungsmärkte konzentriert. Viele der hier zwischenzeitlich eingeführten Regelungen, wie die Verpflichtung zu Due-Diligence-Prüfungen von Investoren jenseits des Ratings, sind generell sinnvoll. Zu bedauern ist ihre selektive, das heißt auf Verbriefungen beschränkte, Einführung und damit eine Verschiebung des Level Playing Fields zugunsten der Staats- und Unternehmensanleihen beziehungsweise Covered Bonds. Die weiteren, geplanten Begünstigungen von Covered Bonds und Staatsanleihen im Rahmen von Basel III und Solvency II verstärken diese Schieflage, zumal damit sogar Marktsegmente begünstigt werden, deren aktuelle Krisenkausalität offenbar ist - siehe griechische Staatsanleihen. Auch hat sich der Fokus der aktuellen Finanzkrise zwischenzeitlich weiterbewegt. Während die Probleme auf den amerikanischen Immobilienmärkten ihren Höhepunkt überschritten haben dürften, schaut die Welt auf die Verschuldung Südeuropas und dessen mangelnde Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum. Die Dimensionen, um die es geht, sind dem Erstauslöser US-Immobilienmarkt ebenbürdig, die Lösungen ungleich komplexer, da sie alle fast ausschließlich im politischen Raum anzusiedeln sind. Europäische Politiker, darunter der italienische Finanzminister Tremonti, wurden dieser Tage mit den Worten zitiert, wegen der Haltung Deutschlands in der aktuellen Eurokrise riskiere man ein "umgekehrtes Versailles". Was hat er damit gemeint, was hat die heutige Situation mit den zwanziger Jahren zu tun? Ein absurder Vergleich? Bei erstem Hinsehen ja. Bei näherer Beschäftigung mit dem Gedanken gewinnt er an Interesse. Umgekehrte Verhältnisse Deutschland war in den zwanziger Jahren im Ausland hoch verschuldet. Um die hohen Reparationen nach dem ersten Weltkrieg zu zahlen und seine Wirtschaft aufzubauen nahm das Land ausländische Kredite in Anspruch, die sich Ende der zwanziger Jahre gemeinsam mit den ebenfalls noch ausstehenden Reparationen auf über 100 Prozent seines Sozialprodukts addierten, also ein Wert vergleichbar mit Südeuropa heute. Frankreich, der Hauptbegünstigte deutscher Reparationszahlungen, hingegen war das Wirtschaftswunderland der späten zwanziger Jahre. Es hatte in den zwanziger Jahren seine Währung im Rahmen des aufkommenden Goldstandards unterbewertet gehalten, war damit hoch wettbewerbsfähig in den neuen Goldstandard gestartet und nutzte seine Überschüsse um hohe Goldbestände zur weiteren Sicherung seiner Währung aufzubauen ohne jedoch seinen Geldumlauf allzu sehr zu inflationieren. Dies änderte sich zunächst selbst nach Einbruch der Weltwirtschaftskrise nicht. Während in Resteuropa die Krise tobte und Deutschland in Massenarbeitslosigkeit, Bankenzusammenbrüchen und industriellem Kollaps unterging erlebte Frankreich eine Sonderkonjunktur mit hohen Exportüberschüssen, die bis Ende 1930 anhielt, bevor die Krise dann jedoch das Land auch erfasste. Allen Vorschläge Deutschlands aber auch der USA und Englands, zur Stabilisierung der europäischen und speziell der deutschen Wirtschaft durch Aussetzen beziehungsweise Umschuldung der Reparationszahlungen beizutragen, zeigte Frankreich die kalte Schulter. Es kam zunächst weder zu einem Aussetzen noch einer Umschuldung der deutschen Reparationsverpflichtungen. Die Folgen dieser Wirtschafts- und Währungspolitik sind Geschichte. Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands begünstigt Wo könnten die vermuteten Parallelen liegen? Heute ist Deutschland in der Rolle Frankreichs. Die Einführung des Euro kommt innerhalb Europas dem Goldstandard gleich und hat die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands extrem begünstigt. Die stabilen Sozialbeziehungen, die umsichtige Lohnpolitik und wirtschaftliche Dynamik des Landes haben die deutschen Lohnstückkosten in den letzten zehn Jahren konstant gelassen, während sie im ein heitlichen Währungsraum für alle südeuropäischen Länder deutlich stiegen. Die wirtschaftliche Entwicklung Südeuropas nach Einführung der Währungsunion war, ähnlich wie der Aufstieg Deutschlands nach Abschluss des Versailler Vertrags 1919, einzig durch Kredite von außen finanziert, deren Anschlussfinanzierung in den nächsten Jahren ansteht. Auch hier sind die Ähnlichkeiten zum Ende der zwanziger Jahre gegeben, als der Zusammenbruch des Kreditflusses von den USA nach Europa und innerhalb Europas nach Deutschland zum eigentlichen Brandbeschleuniger der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurde und deren Transformation in eine umfassende Währungs- und Bankenkrise einleitete. Und wie 1929ff. ist es heute vor allem die Aufgabe der Politik, der Regierungen und der Notenbank(en) dies zu verhindern. Wie der Versailler Vertrag eine politisch gesetzte Größe war, die rein ökonomisch betrachtet, wie John Maynard Keynes bereits 1919 in seinem grundlegenden Werk "The Economic Consequences of the Peace" zeigte, selbst im Interesse der damaligen Westmächte objektiv ökonomisch betrachtet wenig Sinn machte und wie auch der Wiedereinführung des Goldstandards in den zwanziger Jahren politische Entscheidungen zugrunde lagen, so ist die Europäische Währungsunion, wenngleich unter anderen Prämissen, ebenso eine politisch gesetzte Institution vor deren letztendlichen Konsequenzen viele Ökonomen der Autor dieses Artikels gehörte damals zu ihnen - schon Anfang der neunziger Jahre warnten. Heute ist es zu spät, den Warnungen von damals zu folgen, denn Jahre liegen dazwischen. Jahre, in denen Fakten geschaffen wurden, die in eine andere Richtung weisen. Jetzt mit Zweifel an Europa heran zu gehen, gleicht der Haltung eines Paares, das vor seiner Hochzeit Warnungen von Eltern, Freunden und Bekannten in den Wind schlug, jetzt aber, nachdem zehn Kleinkinder auf der Welt sind und die ökonomische Situation für beide etwas unkomfortabel geworden ist, sich auf die Warnungen von damals besinnen will. Der einzig Erfolg versprechende Weg zur Überwindung der Krise führt über die Vertiefung von Europa und der Stärkste heute Deutschland - wird dabei vorangehen müssen. Dringlicher Schuldenabbau Von daher kann man nur unterstreichen, was der Präsident des Bundesverbandes des Groß- und Außenhandels, Anton F. Börner, in einem Streitgespräch in der FAZ vom 2. September 2011 ausführte: "Wir müssen aufhören, scheibchenweise Rettungsfonds zu erhöhen. Ich will die Aussage der Politik: 'Wir werden den Euro unter allen Umständen und mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln retten'." Und, so Börner weiter, dazu gehörten, wenngleich mit klaren Auflagen verknüpft, auch Eurobonds. Ist die letztendliche Ursache einer Finanzkrise das ungesunde Verhältnis von Kreditvolumen zu GDP, so gehört zur Überwindung der Finanzkrise unverzichtbar der Schuldenabbau, das Deleveraging. Volkswirtschaftlich bedeutet dies über Jahre hinweg höhere Sparquoten bei Privathaushalten, Schuldenabbau bei Investoren und Haushaltsüberschüsse bei Staaten anzustreben. Insbesondere Volkswirtschaften mit hohen Schuldenquoten sind dabei besonders gefordert. Die Erfahrungen der Nachkriegszeit der USA und Großbritanniens zeigen, dass eine Niedrigzinspolitik und moderate Inflationsraten dabei helfen können, den Schuldenabbau zu bewerkstelligen. Im Gegensatz zu Leveraging ist eine Ära des Deleveraging jedoch voller Gefahren. Ein abruptes Hochfahren der Sparquote und Haushaltsüberschüsse über alle Sektoren und Länder hinweg birgt die Gefahr konjunktureller Einbrüche. Die aktuell das Deleveraging treibenden Kräfte kommen von den Kapitalmärkten. Die Refinanzierungsbedingungen von Banken haben sich deutlich verschlechtert. Unbesicherte Bankfinanzierungen werden ungern getätigt. Und auch die Kreditpolitik der Banken wird entsprechend vorsichtiger. Ein Übriges tut die Regulierung. Basel III erhöht die Eigenkapitalunterlegung von Krediten und gibt Leverage und Liquidität Ratios vor, die letztendlich auf ein Zurückfahren der Kreditbücher von Banken hinauslaufen. Solvency II erschwert die Bankenfinanzierung durch Versicherungen. Welche Finanzierungsformen? Somit scheint der Welt unvermeidbar eine Dekade des Delveragings bevorzustehen. Um zu verhindern, dass damit nachhaltig hohe Wachstumseinbrüche einhergehen, wäre unter anderem auch eine Diskussion darüber angebracht, welche Finanzierungsformen dazu beitragen könnten, in dieser schwierigen Zeit die Finanzierung der Wirtschaft und auch der Banken wenigstens jenseits des unbesicherten Kredits sicherzustellen. Eine vorurteilsfrei geführte Diskussion müsste an sich zu der Schlussfolgerung kommen, dass gerade jetzt Verbriefungen notwendig sind und eine regulatorische Begünstigung verdienten. Warum? Der allenthalben stattfindende Rückzug der Gläubiger aus der ungesicherten Finanzierung drängt zu einer Renaissance besicherter Finanzierungen. Die Bereitstellung von Collateral für neue Finanzierungen und für Umschuldungen alter Finanzierungen wird die Forderung der nächsten Jahre seitens der Kreditgeber werden. Dies deutet sich für Staatsfinanzierungen, für Bankenfinanzierung und Unternehmensfinanzierungen gleichermaßen an. Der Covered Bond wird die Last der Nachfrage nach gedeckten Finanzierungen nicht alleine schultern können. Seine begrenzten Anwendungsfelder und hohen Überbesicherungsanforderungen sprechen zumindest dagegen. Wer folglich die Verbriefung unterbindet und erschwert, könnte dazu beitragen, dass der kommende Deleveraging-Prozess tiefer und härter ausfallen wird als ohne Verbriefung - mit allen negativen Begleiterscheinungen, die damit einhergehen. In dem Deleveraging-Prozess wird das Finanzsystem auch über einen längeren Zeitraum voraussichtlich noch der Hilfe der Zentralbanken bedürfen. Auch die Zentralbanken sind in diesem Prozess, dies zeigen die Erfahrungen des Jahres 2008, auf Verbriefungen als Sicherheit angewiesen. Und das Ineinandergreifen von Markt- und Zentralbankfinanzierungen wird bei funktionierenden Verbriefungsmärkten leichter. Noch ein Rückblick auf 1929ff. sei erlaubt. Heute ist allgemein anerkannt, dass die zu späte Abkehr vom Goldstandard die damalige Krise in den USA, UK und Deutschland erheblich vertiefte und verlängerte. Jedoch war die Welt 1930 noch zu sehr geprägt von der deutschen Hyperinflation 1923, als dass man sich vorstellen konnte, eine Abkehr vom Goldstandard würde bei der Krisenüberwindung helfen. Es ist an der Zeit eine vorurteilsfreie Diskussion einzuleiten, welche Instrumente helfen, den kommenden Deleveraging-Prozess ohne allzu große Verwerfungen und Einbrüche bei Banken und Wirtschaft zu bewältigen.

Dr. Hartmut Bechtold , Global Writers Group GmbH
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