Aufsätze

Gedanken zu Geld in Zeiten gedankenlosen Geldumgangs

Geld - ein höflicher Start (aus dem Lehrbuch): Moderne marktwirtschaftlich orientierte Gesellschaften bestehen bekanntlich aus Wirtschaftssystemen, die fundamental auf der Verwendung von Geld basieren. Geld wird im Sinne neoklassischer Gleichgewichtsökonomen dabei die Rolle eines "Schmiermittels" zugedacht, ohne das die Durchführung von wirtschaftlichen Austauschprozessen hohe, oft so hohe Transaktionskosten auslösen würden, dass viele Wirtschaftstransaktionen schlichtweg unterblieben.

Spezielle Modellannahmen

Die Rolle von Geld wurde jahrzehntelang reduziert verstanden auf die Rolle eines Schleiers, der jederzeit aus den Wirtschaftsprozessen weggezogen werden könnte, ohne dass die dahinter liegenden Güter- und Faktoraustauschvorgänge, die relativen Preise und der gesamte Wirtschaftsprozess davon betroffen wären. Unter den Bedingungen einer Geldwirtschaft muss ein vollständiges Marktsystem neben den Güter- und Faktormärkten dann zusätzlich auch aus einem separaten Geldmarkt bestehen. Ferner sind alle Verträge des Wirtschaftslebens vollständig immer in der gültigen Währung des Wirtschaftssystems ausgedrückt.

Auf den ersten Blick scheint diese neoklassische Vorstellung einleuchtend - Geld ist ein real-ökonomisches "Nichts", hat daher einen normierten Preis von eins (sofern keine Inflation oder Deflation besteht) und vermag daher auch nicht die tagtäglichen Güterkäufe und -verkäufe zu beeinflussen. Allerdings basiert diese Vorstellung auf einem sehr strikten System spezieller Modellannahmen, insbesondere der Vollständigkeit des Marktsystems und der kostenlosen Bereitstellung von Geld selbst durch eine öffentliche Institution, eine Währungsbehörde oder Notenbank. Tatsächlich erfolgt die Geldschöpfung in einem arbeitsteiligen Verbund mit Banken, während die Währungsinstitution die Basis für diesen Geldschaffungsprozess zur Verfügung stellt und als "Lender of the Last Resort" fungiert.

Drei klassische Funktionen

Geld weist den höchsten Grad der Liquidität auf und sollte in der Lage sein, drei klassische Funktionen auszuüben:

Geld als Zahlungsmittel und damit Tauschmedium, das heißt, mittels Geld wird der Naturaltausch "Ware gegen Ware" erleichtert, indem ein allgemein anerkanntes kostengünstiges Zwischengut oder Numéraire, genannt Geld, eingesetzt wird. Es kommt damit zur Beziehung "Ware-Geld-Ware". Die Frage, ob daraus unter Umständen die Beziehung "Geld-Ware-Geld" werden kann, wird später aufzugreifen sein. Geld als Rechen- oder Werteinheit bezeichnet die aus dem Zahlungsmitteleinsatz folgende Rolle des Geldes, mit ihm Austauschverhältnisse auszudrücken. Preise werden demzufolge heutzutage in Geldeinheiten, das heißt Tauschrelationen von Waren zu Geld ausgedrückt.

Geld als Wertaufbewahrungsmedium erlaubt die über Zeiträume hinweg reichende Lagerung von Kaufkraft und stellt einen kostengünstigen Ersatz für die ansonsten notwendige Aufbewahrung von Waren dar, die für spätere Zeitpunkte zum Konsum oder zur Investition eingesetzt werden.

Anonymisierung und Macht

Soweit die lehrbuchhafte Darstellung der klassischen Geldfunktionen. Darüberhinaus (und kaum im Mainstream der Geldtheorie existent) hat Geld noch weitere Funktionen, deren Bedeutungen in den vergangenen Jahrzehnten ständig zugenommen haben:

Die Anonymisierungsfunktion des Geldes: Indem Geld seinen drei klassischen Funktionen gerecht wird, erlaubt es sozusagen derivativ auch die Anonymisierung der Wirtschaftsprozesse. So ist nur in wenigen Fällen bekannt, welche konkreten Waren- und Leistungstransaktionen hinter einzelnen Geldströmen und -beständen stecken. Das aber zu wissen, kann von nicht unerheblicher Bedeutung sein, da eine solche Anonymisierung Verschleierungen von unmoralischen, illegalen, gar strafrechtlich zu belangenden Herkünften und Motiven der hinter den Geldtransaktionen befindlichen Realtransaktionen ermöglicht. Die sogenannte Schattenwirtschaft mit ihrem nicht nur in sogenannten Failed States hohen Anteil am gesamten Bruttoinlandsprodukt zeugt davon. Die verschachtelten Finanzströme des organisierten Verbrechens, terroristischer Gruppierungen, aber auch der Geheimdienste sind ohne diese Anonymisierungsfunktion des Geldes kaum denkbar.

Die Machtfunktion des Geldes: Geld regiert die Welt, lautet ein Sinnspruch. Es regiert vielfältig, oft verdeckt und doch wirkungsvoll und zwar seit Jahrhunderten schon. Es ist zum Verständnis instruktiv, den markanten Augsburger Kaufmann Jakob Fugger und das Jahr 1519 anekdotenhaft Revue passieren zu lassen. Es war das Jahr, indem der seinerzeit reichste Mann in deutschen Landen, sich einen "Kaiser kaufte". Über 543 585 Gold-Gulden investierte der Augsburger Handelsmagnat und Ban kier, damit die Kurfürsten des Deutschen Reiches Spaniens König Karl V., einen Habs burger, zum deutschen Kaiser wählten.

Wenn auch mit anderen Vorzeichen, so ist doch spätestens seit Rudolf Hilferdings Hauptwerk, "Das Finanzkapital", bekannt, zu welcher Machtdurchdringung der Kreditsektor in Wirtschaft und Gesellschaft fähig sein kann. Und heute sind sich Volkswirte weitgehend darin einig, dass die Finanzmärkte und Finanztransaktionen eher die Realsphäre einer Volkswirtschaft beeinflussen als umgekehrt.

Geld - der besondere Stoff

Geld wird in den Vorstellungswelten der Wirtschaftswissenschaften also aus einem Gut hervorgebracht, dem vor der Geldwerdung und Geldproduktion erst einmal ganz andere Verwendungszwecke vorausgehen oder auch nach der Geldwerdung noch anhaften (können). Das augenscheinlichste Gut, das diese Eigenschaften erfüllt, ist über Jahrhunderte schon das Gold.

Schon früh hatte man erkannt, dass mit dem Grad der Verfügbarkeit des Geldes, sprich Goldes, die Verwirklichung von Wünschen, die Befriedigung von Bedarfen, etwa die Ausübung von Macht stieg oder fiel. In ihrer Materialität förmlich gefangen zeigten solche metallischen Gelder immer wieder auch Grenzen des Handelbaren auf - im ökonomischen wie auch im politischen Sinne. Denn immer wieder waren es Könige, Kaiser und Fürsten, deren Begehrlichkeiten (zum Beispiel nach repräsentativem Lebensstil) oder Nöte (zum Beispiel der Finanzierung von Waffengängen) durch die erschöpften Quellen für Geldmetalle beschränkt, aufgeschoben oder reduziert wurden.

Nicht ignoriert werden sollte daneben, dass die Ausweitung von Handel und Gewerbe natürlich an den Umfang des wirtschaftlichen Blutsaftes "Geld" durch seine metallische Koppelung gebunden und begrenzt war. Was Wunder, dass die Geschichte reich ist an Versuchen, diese Begrenzung zu überwinden oder gar sie aufheben - sie führte zum Aufstieg reicher Handelshäuser wie eben jener Fugger, Welser oder Medici, sie trieb maßgeblich die Konquistadoren zu ihren Beute- und Vernichtungsfeldzügen in der sogenannten Neuen Welt und trieb die Stampeders in ihrem Goldrausch am Klondike Ende des 19. Jahrhunderts.

Aus heutiger Sicht mögen gewiefte Investmentbanker, aber auch Zentralbanker nur lächeln wie umständlich etwa Alchemisten über die Jahrhunderte bemüht waren, zwei magische Stoffe zu einer "chymischen Hochzeit" und ihrer Frucht, das Gold und damit Geld zu bringen - nämlich: zum einen Quecksilber als Verkörperung des gefühlsmäßigen, seelischen Bereichs, ja des weiblichen und des Mondes, es ist das wässrige und diffundierende Element, zum anderen Schwefel als Repräsentant des willensbetonten, geistigen Bereichs, oft mit der männlichen Seite und der Sonne assoziiert. Schwefel vertritt das feurige Element, aber die kalte Flamme.

Zweischneidigkeit des Papiergeldes

Wie das Originalelement Gold auch, so liegen Schwefel und Quecksilber im Boden. Es sind "Bodenschätze", deren Hebung, das heißt Liquidierung so immens hohe Kosten bereitet, weil Arbeit und technische Kenntnisse notwendig sind - es sei denn, man gibt einen Anrechtsschein aus, der gedeckt ist durch den im übertragenen Sinne im Boden vergrabenen Schatz - das Goldmetall.

Und wenn es jetzt noch eine Instanz gibt, die machtvoll und allzeit verspricht, dass dieser Anrechtsschein durch eine bestimmte Menge eben jenes für niemandem sichtbaren Metalls gedeckt ist, dann finde man sich wieder in der Welt wie man sie heute kennt: der Welt der Papierwährung und davon abgeleitet des Giralgeldes. Instruktiv ist es, hierzu in Goethes Faust nachzulesen, wo sich folgende Textpassage findet: "Zu wissen sei es jedem der's begehrt: Der Zettel hier ist tausend Kronen wert. Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand, Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland. Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz, Sogleich (!) gehoben, diene zum Ersatz."

So spricht der Kanzler in Goethes Faust. Es ist also der Regent, der Staat, der Kaiser - also eine Institution, die die Macht, die Kraft, aber auch die Verantwortung hat, die Quasi-Deckung des Papiergeldes zu sichern. Goethe hat in seinem Faust und in seinen anderen Werken wie Wilhelm Meisters Wanderjahre die Zweischneidigkeit des Papiergeldes klar gesehen:

Zum Wohle wirkt sie, wenn damit die Triebkräfte der Handelsausweitung und Gewerbetätigkeit nicht gebremst werden und Hunger sowie Not durch Bereitstellung von Gütern und Diensten gelindert oder gar ganz abgestellt werden können.

Zerstörerisch wirkt es, wenn Geld um des Geldes Willen vermehrt wird. Der Antrieb, zu geringen Kosten und quasi als Monopolist Geld zu produzieren, hat bis heute nichts an magischer Anziehungskraft verloren - wie die jüngsten Entwicklungen im virtuellen Geld Bitcoin zeigen.

Geld und Moral

Womit sich Goethe zum Teil jedenfalls im Faust und anderen Stellen auch "herumplagte" ist noch ein ganz anderes Problem, das in der Antike bei den griechischen Philosophen seine Gründung erhielt. Es wird auf Aristoteles die Ansicht zurückgeführt, dass "alle, die sich mit Erwerb befassen, ihr Geld schrankenlos zu vermehren trachten." Grundlage seiner Vorstellungen ist, Ethik als eine Lehre von den Tugenden zu verstehen, die sich unter anderem auf das Wirtschaftsleben übertragen lässt. Aristoteles unterscheidet diesbezüglich zwei Arten ökonomischer Erwerbstätigkeit.

Der passende Grundsatz ist hier "Ware-Geld-Ware", Geld als Tausch- und Rechenmedium in seiner klaren Form. Die für Aristoteles gebotene Wirtschaftsweise versteht er als die Kunst der Wirtschaftsführung. Gemeint ist die Oikonomia, eine (Selbst-)Versorgungswirtschaft der Haushalte.

Bei der zweiten von Aristoteles unterschiedenen Wirtschaftsweise handelt es sich um die Chrematistik. Gemeint sind der reine Gelderwerb beziehungsweise die Bereicherung, die keinen Bezug zur Versorgung des Haushalts mit lebensnotwendigen Waren hat, sondern aus einer Anhäufung von Reichtum motiviert wird. Die Chrematistik ist nach Aristoteles schädlich, da sie zu einer maßlosen Geldanhäufung führt und durch das Prinzip des "Mehr-Haben-Wollens" bestimmt wird.

Gefahr von Bereicherungen und Ungleichheiten

Das Geld dominiert hier die Wirtschaftsprozesse und macht sie untertan: "Geld-Ware-Geld". Geld als Wertaufbewahrung entwickelt sich hier zum Selbstzweck. Unkontrolliert kann es Bereicherungen und Ungleichheiten von ungeheurem Ausmaß schaffen.

Mit einem solchen chrematistischen Verhalten werden heutzutage ausgerechnet Banken in der politischen und allgemeinen Wahrnehmung in Verbindung gebracht. Sollen doch gerade sie die Transmission der Geldversorgung vom Lender of the Last Resort zur Realwirtschaft ermöglichen und stabilisieren. Stattdessen gibt es aktuelle Betrugsverdachte um Währungskursmanipulationen, werden Strafgelder in Milliardenhöhe als Sanktionen für Manipulationen an den internationalen Geldmarkt-Referenzzinssätzen Euribor und Euro-Libor von den US-Behörden und der EU-Kommission verhängt, ergehen Gerichtsurteile gegen Banken wegen falscher Kundenberatungen etwa im Bereich von Ladder-Zinsswaps und ganz zu schweigen von den Verfehlungen im Vorfeld und im Zuge der Subprime-Krise. Solche Beispiele zeigen, zu welchen chrematistischen Ausuferungen in manchen Banken die Liberalisierung der Finanzmärkte geführt hat.

Verantwortung der Menschen

Es geht aber auch um die Frage von Moral und Verantwortung der Menschen, die in solchen Abteilungen arbeiten. "Erfolgreich, schön und sexy", so betitelte ein ganzseitiger sehr gut gelungener Beitrag das Eigenleben von Finanzmarktteilnehmern Mitte 2010 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, allerdings nicht im Wirtschaftsteil, sondern im Feuilleton. Der Beitrag reflektiert auf eindrucksvolle und sehr kompetente Weise die jüngste Finanzkrise im Spiegel der wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Sicht kapitalmarkttheoretischer Modelle in Verbindung mit ihren Handlungsanreizen in einer durch Modelle geprägten rein materialistischen Denk- und Handlungswelten unter Ignoranz ethischer und sei es nur berufsethischer Grundsätze von vor allem Investmentbankern.

Und seit dem Erscheinen der ersten Erfahrungsberichte ehemaliger Investmentbanker aus dem Innenleben der Trading Floors der Derivate- und Aktienhandelsabteilungen von Großbanken, darf man es ein wenig mehr als erahnen, welch ethisch und moralisch zweifelhafte "Finanz-Loge" hier unterwegs ist.

Die inneren Triebfedern auch der einer Chrematistik sind alt und wiederkehrend: Die Deutschen können hierzu als Deutsche auf eines der wichtigsten Werke der Identitätssuche, der Nibelungensage, zurückgreifen. In der Form der "Kilians-Chronik" gibt Jürgen Lodemann nach der Übersetzung des in dem irischen Kloster Kilmac duagh gefundenen vermutlichen Vorläufers, der später mehr oder weniger verkitschten Nibelungensage auf Seite 69 folgende Beschreibung des später von Siegfried getöteten Drachens:

"(...) der NidGir, der hielt sich lange, denn er besetzte am Rhein den günstigsten Platz. Der hauste dort, bevor der Strom in die Ebene hinausfließt, unser Gebirge sich zum letzten Mal zusammenschließen wie eine fränkische und eine sächsische Arschbacke. Dort raffte er und hortete alles, gefräßig und geschäftig und unersättlich. Keiner, wenn er den Rhein hinab wollte oder hinauf, kam ungeschoren davon, jedenfalls nicht, ohne Tribut gezahlt zu haben, mit Steuern, mit Zins, oder mit seinem Leben."

"Mit Steuern und mit Zins" heißt es also - welche Eintracht zweier Einkommensquellen, die sich immer wieder auch bekriegen, bedenkt man wie das in der Anonymität in die Schweizer Berge verschwundene Geld mancher Deutscher der Steuer entkommen wollte und dann auf einer CD von den Steuerbehörden wieder gefunden wurde. Dass man viel geschickter an das Vermögen der Bundesbürger zur Deckung staatlicher Ausgabengelüste kommt, zeigt uns die jüngste "fantastische Politik einer Financial Repression". Schon Friedman sprach ja deutlich aus, dass "Inflation as a Tax" zu verstehen sei. Als wieder entdecktes staatliches Steuererhebungsinstrument gesellt sich heute der negative Realzins hinzu.

Geld und Zins

Das Raffen und Horten, also das Anhäufen von Geld, dient ja nicht nur der Anhäufung und Horten wie Dagobert Ducks Goldschatz, sondern vor allem des Erzielens eines wirtschaftlichen Mehrwerts, einer Rendite, eines Zinses. Mit der Ablehnung der Chrematistik verbunden ist daher für Aristoteles auch die Ablehnung der Zinsnahme für Geld, welches er als Selbstzweck betrachtet. Dies hat die (ökonomische) Weltanschauung des Abendlandes bis weit in das Mittelalter hinein geprägt. Für Aristoteles entsteht der Zins aus sich selbst heraus, es ist "Geld aus Geld" im Sinne des sich selbst Gebärenden (tokos), was für ihn einen widernatürlichen, unrechten Erwerb darstellt. Die Scholastiker haben diese Grundidee aufgegriffen und sie erweitert: Geld ist unfruchtbar, tot und unproduktiv. Geld kann aus dieser Sicht kein weiteres Geld erzeugen (es kann also nicht verzinst werden).

Heute wird der Zins als Zeitwert des Geldes (und nicht als Risikoprämie) interpretiert, eine Vorstellung, die seit den 1930er Jahren in der Zeitpräferenztheorie des Zinses von Irving Fisher in der Kapitalmarkttheorie begründet ist. Für strenggläubige Christen ist das unvorstellbar. Die Zeit wird in ihren Augen als nicht käuflich gesehen, da sie dem Menschen von Gott gegeben ist. Zins nehmen, also Zeit schenken, hieße dann, sich gottähnlich verhalten.

Die römisch-katholische Kirche hat denn auch seit ihrer Entstehung ihre Kritik am Zins immer wieder betont. Zins hat für sie den Charakter von Gewinnen, die aus der Not anderer heraus gemacht werden und daher ethisch verwerflich sind. Hier besteht also die Vorstellung, dass Menschen nur in Notlagen auf das Geld anderer angewiesen sind. Trotz dieser Einschränkungen hat die Kirche bereits im 12. Jahrhundert das Zinsverbot sukzessive gelockert und akzeptiert, insbesondere, wenn es als Entschädigung für das Tragen von Risiko bei Warengeschäften wie zum Beispiel im Seehandel verlangt wurde.

Diese Vorstellung von Zins als Risikoprämie wie man heute sagen würde, wie sie über Jahrhunderte in der römisch-katholischen Kirche vorherrschte, trifft sich mit der bis heute sich haltenden Vorstellung im Islam: Der Begriff "Mudâraba" kennzeichnet etwa ein Darlehn in Geld oder die Geldbeteiligung an einem Geschäft oder Projekt, bei dem die Möglichkeit eines Verlustes besteht. Nach Abwicklung des Vorhabens wird der Kreditgeber im gleichen Maße wie der Schuldner am Gewinn oder Verlust beteiligt.

Die Darlehnszinsen müssen demnach vom Einkommen aus Arbeit im Sinne einer risikobehafteten, also unternehmerischen wirtschaftlichen Betätigung erwachsen, ansonsten sind Zinsnahmen nach islamischem Verständnis der Sharia zu verbieten. In letzter Zeit hat die Befolgung der Regeln der Sharia in Form des sogenannten Islamic Finance eine immer bedeutender werdende Rolle auf den Finanzmärkten eingenommen und wird oft in gleichem Atemzug zum Beispiel bei der Verwendung von Ausschlusskriterien mit der nachhaltigen Geldanlage genannt.

Wo ist die Balance?

Wohl und Weh des Geldes, die Balance zwischen Oikonomia und Chrematistik - es sind immer die gleichen Problemlagen, die auch immer wieder zu Wegen geführt haben, die Balance zu dokumentieren, sie in Symbolik einzukleiden, so wie es vor allem früher in Münzprägungen vorkam:

Die Vorderseite zeigt die weltliche Seite des Geldes, verkörpert durch den Garanten für die Aufrechterhaltung der Quasi-Deckung des Papiergeldes. Geld wird in seiner Rolle als Befähiger zur Erweiterung der materiellen Hilfe unter den Menschen (oder im heutigen Sinn der Versorgung mit Gütern und Diensten) gesehen und vermag so Teil der menschlichen Liebe zu sein. Geld ist für sich "als Ding" nutzlos und hat nur instrumentellen Charakter. Die Rückseite versinnbildlicht den spirituellen Teil des Geldes, indem ein religiöses Symbol (meist das Kreuz Jesu) geprägt wurde. Es soll die Menschen beim Einsatz des Geldes im Wirtschaften an ihre gegenseitige Abhängigkeit und an jene von Gott erinnern, aber auch an die Solidarität der Menschen untereinander, auf dass sie nicht durch die Geldverwendung verloren gehe. Es geht also um die moralische Seite des Geldeinsatzes.

Eine solche Münze kann verstanden werden, als die Verkörperung des Spannungsverhältnisse zwischen Oikonomia und Chrematisitik. Es ist auch das Ringen zwischen weltlicher Seite des Geldes als Befähiger für die Beseitigung materiellen Mangels und Ermöglicher von angenehmem Leben mit der Gefahr der Fehlleitung des Geldes in den Diensten der niederen sekundären menschlichen Eigenschaften, in den Diensten des Drachens NidGir.

Für viele Menschen dominiert heutzutage die Vorderseite einer solchen Münze und zwar mehr denn je: Gelderzielung um seiner selbst willen, damit ermöglichter Erfolg als Zielsetzung und vermeintliche Sinngebung, Halbherzigkeit vor Herzlichkeit, Habgier verbunden mit Neid und Geiz und das oft auf Kosten von Umweltzerstörung, dem Zwist und Hader zwischen Menschen, Völkern und Nationen. Mit Geld handeln um des Geldes willen, Geld nicht mehr als Werkzeug, sondern als "goldenes Kalb", Geld nicht als Weg zum Ziel, sondern das Ziel selbst, Geld als Produzent von Wünschen - Einschätzungen wie sie der große kanadische Ökonom und Nobelpreisträger Kenneth Galbraith einmal ausdrückte.

Entmaterialisiertes Geld

Heutzutage kennt die katholische wie auch die protestantische Kirche kein Zinsverbot mehr. Entmaterialisiertes Geld erleichtert die Prozesse, die Neid und Gier auslösen und tragen, aber auch stoppen können. Geld ist der Jeton, mit dem wie in einer Spielbank und damit völlig abgehoben von der Realität eine Scheinwelt und ein Rausch der Sinne freien Lauf erhalten - mit dem dramatischen Unterschied, dass der Jeton Euro, Dollar oder Franken an den Spieltischen der Devisen-, Aktien- oder Derivatehändler den Güterex- und -importen, dem Wirtschaftsleben oder den Staatshaushalten ihren Stempel aufdrücken: Unternehmen werden in Euro oder Dollar oder einer anderen Währung ausgedrückt. Geld als Werteinheit wird zweifelhaft, wenn die dadurch ausgedrückten Preise nicht mehr die sich im realen Austausch der Güter ergebenden Wertrelationen widerspiegeln und Wert nicht nur durch verzerrte Preise aussagelos werden, sondern auch Werte durch unmoralischen Umgang mit Geld im Auflösungsprozess sind.

"Geld ist eine Hure", diesen Satz legte der Regisseur des Spielfilms Wall Street II aus dem Jahr 2010 dem abgetakelten Spekulanten Gordon Gekko in den Mund. Man redet über Geld, meint aber zutiefst menschliche Eigenschaften, gar innere Schwächen, und wahrscheinlich muss man immer sehr vorsichtig sein, wenn man mit erhobenem Zeigefinger oder wie es heute so bösartig heißt, mit Gutmenschentum in eine Mission gegen das schlechte Geld und die bösen Folgen der Geldwirtschaft eintritt. Was treibt die Menschen wirklich mit dem Geld um?

Zwei Lager

Waren die Anleger, die sich nach der Lehman-Pleite zutiefst über angebliche oder vermeintliche Fehlberatung über das Ausfallrisiko ihrer Zertifikate beklagten und deshalb später gerichtlich klagten wirklich alles Opfer oder waren sie zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung vielleicht teilweise so stark von ihrem eigenen Drachen NidGir beherscht, dass sie die Warnungen am Schalter nicht hören, das Kleingedruckte nicht lesen wollten? Wer hat in der ja erst gut zehn Jahre zurückliegenden Zeit des Internet-Hype vor jeder neuen Börseneinführung einer Powerpoint-Firma beim Onlinebroker Lang & Schwarz die ersten Kurse gierig verfolgt, in der Hoffnung auch beim nächsten Börsengang eine Zuteilung an Aktien zu bekommen, die man schnell zu DM versilbern wollte. Wer hat sich denn von den Privatanlegern über die Oikonomia der Times-Unternehmen wirklich informiert?

Es ist das Verdienst von Behavioral-Finance-Forschern wie den Wirtschafts-Nobelpreisträgern Daniel Kahneman und Robert Shiller aufzuzeigen, dass der Homo oeconomicus als Leitbild wirtschaftlichen Verhaltens zunehmend in den Rang einer Legende gerät, da er nicht mehr die Regel des entscheidungsbasierten Verhaltens der Realität darstellen dürfte. Und die aktuellen Forschungsergebnisse der Neuroökonomiker bestätigen, dass unter anderem Gier, Neid und Geiz bei den Geldentscheidungen durchaus eine wichtige Rolle im Hinterstübchen des Gehirns spielen.

Was hat der gemeine Anleger seit dieser Zeit gelernt über den Umgang mit Geld? Hat er sich gelöst von der chrematistischen Verirrung, von der Zügellosigkeit, vom Rausch der Sinne, entfacht durch die Entmaterialisierung des Geldes? Es hat den Anschein, dass es heute zwei "Geldlager" gibt:

Die einen sind die "Bösen", da sie es geschafft haben, alle gesetzlichen Fesseln für eine zügellose Geldschöpfung durch immer neue Finanzinnovationen abzulegen. Was die Alchemisten mit Quecksilber und Schwefel nicht geschafft haben - die grenzenlose Vermehrung von Geld - hat das Zusammengehen von Commercial und Investment Banking erreicht, nachdem mit dem Jahrtausendwechsel der frühere Notenbankgouverneur der amerikanischen Fed, Alan Greenspan, den Schutzwall zwischen den Bankenterritorien eingerissen hatte. Es wurden daraufhin Finanzverträge geschmiedet, die man heute wohl als das Ergebnis der "kalten Flamme" im Sinne der Wirkung des Schwefels im entmaterialisierten Geld verstehen muss, die dann quecksilberähnlich diffundieren - giftig in viele Bereiche der Realwirtschaft, ja des Lebens. Man sagt ja auch heutzutage nicht ohne Grund "toxische Wertpapiere" zu den Collatoral Debt Obligations aus der Subprime-Krise - der offenkundigsten Folge einer chymischen Hochzeit aus Commercial und Investment Banking.

Frage nach der Sinnhaftigkeit

Es wird nach dem Garanten der Quasi-Deckung gerufen, dem Regenten, dem Staat, er möge bitte von den Vermögensbelastungen der Krise verschonen und er soll diejenigen strafen, die sie verursacht haben - aber wer ist es? Und wer ist der Staat? Ist er denn nicht selbst Teil des Geldspiels so wie der ehemalige US-Finanzminister eine Führungsgröße beim Banken-Multi Goldman Sachs war? Der Staat ist auf jeden Fall kein Neutrum und er versteht das meiste von dem, was sich auf den Finanzmärkten abspielt kaum - woher auch, er hat im Überschwang der Deregulierung fast alle Disziplinierungs- und Kontrollmöglichkeiten aus der Hand gegeben.

Etliche Menschen verstehen die Finanzkrise als Frage nach der Sinnhaftigkeit des Geldwesens und der Geldverwendung. Einige versuchen als Konsumentinnen und Konsumenten ein "Shopping for a better World". Und warum diesem Prinzip nicht auch als Anlegerin oder Anleger folgen. Die Bioware der Finanzmärkte, etwa die nachhaltigen Investmentfonds, Umweltsparbriefe sind zahlreich vorhanden. Geld zur Wertaufbewahrung etwa in der Kapitalanlage lässt sich heutzutage einsetzen zur Sanktionierung von Wirtschaftsweisen und Produkten - so auch um beim Anleger sozial und ökologisch gewünschte Effekte, neudeutsch Impact zu erzielen.

Geld als Transaktions- und Rechenmedium wird zudem verstärkt als Chance gesehen, regionale Wirtschaftsweisen zu begünstigen und den Konsum nach Regionalprodukten zu fördern. Solche Ideen sind zum Beispiel inspiriert von Silvio Gesells Freigeld-Idee, wie sie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in den Wära-Freigeldwirtschaften praktiziert und später durch Reichskanzler Brüning verboten wurden. Heute sind solche Komplementärwährungen in einigen Regionen wie dem Chiemgau recht populär. Der eingebaute Wertverlust bei längerem Horten soll die Wirtschaftsaktivitäten fördern und daher ganz im Aristotelsschen Sinne Geld in der Funktion für die Oikonomia und gegen die Chrematistik eingesetzt werden.

Gutes Geld und schlechtes Geld

Einen anderen Ansatz von Sinnhaftigkeit im Gelde könnte man im "Schenkgeld" des großen Vordenkers der anthroposophischen Bewegung, Rudolf Steiner, sehen. Statistisch gesehen scheinen sich seit der Finanzkrise viele Privatanleger mit dem anthroposophischen Geldverständnis gut anfreunden zu können, wie zweistellige Wachstumsraten der aus der Anthroposophie-Bewegung stammenden GLS-Bank jährlich zeigen. Wissen wollen, wohin das Spargeld geht und welche Wirkungen es erzielt, eventuell auch dabei mitbestimmen können, das scheint immer mehr Menschen zu bewegen. Die moderne Ausprägung dieses Ansinnens scheint Crowdfunding zu sein. Es zeigt heute die Möglichkeiten der Social Communities auf, Finanzierung und Partizipation miteinander zu verbinden. Bei all diesen Überlegungen zur Sinnhaftigkeit des Geldes, zur moralischen Seite des Geldes bleibt eines die spannende Frage: Was ist gutes Geld und was ist schlechtes Geld? Wo endet die Oikonimia und wo fängt pure Chrematistik an?

Und letztendlich: Wie bekommt man Sinn in das Geld hinein, wenn man heute oft genug von einer Sinnkrise in Wirtschaft und Gesellschaft spricht? Denn eines scheint auch klar zu sein. Wenn sich Geld vom Werkzeug zum Selbstzweck in Teilen der Wirtschaft und der Gesellschaft entwickelt haben mag, so wird dies nur einen Entzug erfolgreich durchlaufen, wenn die ethisch-moralische Rezeptur vorliegt. Bislang hat man eher das Gefühl, unfrei vom Geld zu sein, es eher als Hindernis für das Ablegen der Fesseln der einseitigen Orientierung am Materiellen und Anhäufen zu empfinden. Automatisch jedenfalls kommt eine Wende zum Besseren im Umgang mit Geld nicht, sie erfordert zumindest eine kritischere Auseinandersetzung nicht nur mit dem Geld, sondern mit von ihm beförderten Verständnis von Lebensweisen, mitmenschlichem Umgang und Lebenssinn.

Überarbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten anlässlich des HVB-Forums "Geld. Währung der Nachhaltigkeit?", 10. Dezember 2010, München und einer aktualisierten Fassung auf der Mitgliederversammlung des Förderkreises Betriebswirtschaft an der Universität Stuttgart, 9. Dezember 2013, Stuttgart.

Dr. Henry Schäfer , Professor a. D. , Universität Stuttgart
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