Aufsätze

Wohin geht Europa - institutioneller Wandel oder Umverteilung?

Bundesfinanzminister Schäuble zeigt sich als engagierter Europäer. Erst kürzlich hat er wieder daran erinnert, dass die weitere Integration notwendig ist, um den europäischen Interessen und der Verantwortung Deutschlands in der globalisierten Welt gerecht zu werden ("Institutioneller Wandel und Europäische Einigung", FAZ vom 12. Ja nuar 2013, S. 14). Dem kann nur zugestimmt werden. Gleiches gilt für seine Feststellung, dass angesichts des Einstimmigkeits-Erfordernisses bei Änderungen der Europäischen Verträge weitere Integrationsschritte innerhalb der Eurozone im Wesentlichen nur durch die gouvernementale Methode, das heißt durch Rückgriff auf europäisches Sekundärrecht, möglich sind.

Haushaltskonsolidierung und Wachstumsfähigkeit

Zu denken gibt, dass die so beschriebene Gestaltungskraft der Gemeinschaft häufig in Umverteilungsprozessen mündet. Die Gesellschaftsmodelle und die ordnungspolitischen Werte innerhalb der EU sind offensichtlich so weit auseinandergedriftet, dass solche Schritte nur durchgesetzt werden können, wenn sie mit wirtschaftlichen Kompensationen gekoppelt werden. Die Begleitumstände und das Ergebnis der Parlamentswahl in Italien haben dies erneut verdeutlicht. Dabei verläuft die Richtung dieser Umverteilung innerhalb der Gemeinschaft grob gesprochen von Nord nach Süd. Ihr gemeinsames Merkmal ist, dass mit allem direkt oder indirekt Wechsel auf die künftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des "Nordblocks" der Gemeinschaft (Deutschland, Österreich, Niederlande, Finnland) gezogen werden, um den Ländern der südlichen Peripherie die Akzeptanz des Notwendigen zu erleichtern. Man berücksichtigt offensichtlich dabei nicht, dass diese Anspruchshaltung die Fähigkeit und Bereitschaft untergräbt, für die Europäische Idee zusätzlich zu leisten. Der Mechanismus würde spätestens dann überfordert werden, wenn er auch von Frankreich beansprucht werden müsste.

Damit diese Feststellung nicht als antieuropäisch stigmatisiert wird, ist klarzustellen: Möglicherweise bedarf es einer noch größeren Leistungsbereitschaft der "starken" Länder, um die europäische Idee auch wirtschaftlich zu stabilisieren. Es macht aber keinen Sinn, die Begriffe der Solidarität und Solidität gegeneinander auszuspielen, beide bedingen einander. Ohne gleichzeitige, nachhaltige strukturelle Weichenstellungen in den peripheren Ländern wird auch weiteres Geld nichts bewirken. Da sowohl die Leistungskraft der europäischen Volkswirtschaften zur Umverteilung als auch die nationalen Sympathien für die Einbahnstraße der Transfers nicht unbegrenzt sind, sind diese Anstrengungen für die innere Verfasstheit der Gemeinschaft unverzichtbar. In der Außenwirkung muss die EU das Vertrauen der Märkte in die Wettbewerbsfähigkeit und in die dauerhafte finanzwirtschaftliche Tragfähigkeit ihrer Mitglieder wiederherstellen.

Dabei stellt sich eine doppelte Aufgabe: Kurzfristig geht es um Haushaltskonsolidierung, und zwar nicht als Ausdruck eines bloßen Sparwillens, sondern als Zeichen dafür, dass Haushalte zukunftsfähig umstrukturiert und die Belastungen der Zukunft eingeschränkt werden. Dies ist aber nur notwendige, nicht auch hinreichende Bedingung für die Wiedergewinnung des Vertrauens. Hinzutreten muss eine erkennbare Wachstumsfähigkeit. Nur wenn beides gegeben ist, führt der Versuch "Zeit einzukaufen" zum Erfolg. Das gilt für den Komplex "Griechenland" gleichermaßen wie für jene Präventionen, welche die von Hellas ausgehenden Ansteckungsgefahren auf andere periphere Staaten eindämmen sollen. Eine solche Intention erfordert Investitionsprogramme in die öffentliche Infrastruktur, entsprechende Anreize für private Investitionen und eine Minderung der Traglasten des Anpassungsprozesses zugunsten jener, die als die Schwachen in den Wirtschafts- und Sozialordnungen dieser Länder bislang ein Übermaß an Einschnitten hinnehmen mussten. Denn bisher wurden bei der Entlastung der aus dem Ruder gelaufenen Staatshaushalte durch die europäischen Hilfen die Eigentümer und Gläubiger von Banken, Steuerhinterzieher und Kapitalflüchtlinge relativ geschont.

Um eine soziale Symmetrie in den Umstrukturierungen zu gewährleisten, bedarf es schließlich auch administrativer Hilfen. Derartige Ansätze werden aber auch dort, wo europäische Solidarität öffentlich eingefordert wird, kaum diskutiert, obwohl im Europäischen Haushalt zum Beispiel mit der Gemeinschaftsaufgabe, dem Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds entsprechende Instrumente zur Verfügung stehen. Auch die Beratungen der Regierungschefs Anfang Februar 2013 über Volumen und Struktur der künftigen EU-Budgets waren nicht durch diese Herausforderungen, sondern durch Auseinandersetzungen über die Bewahrung bisheriger Besitzstände geprägt. Einer Umschichtung des europäischen Haushalts zugunsten von Wachstumsimpulsen in den südeuropäischen Ländern wurde dort nicht ernsthaft diskutiert.

Symmetrie von Kontrolle und Haftung

Weiter gediehen ist man in dem Bemühen, die europäische Staatsschuldenkrise durch institutionelle Vorkehrungen in den Griff zu bekommen. Mit dem Mitte 2012 beschlossenen Fiskalpakt und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sind wichtige Schritte gesetzt worden; das Vertragswerk wurde inzwischen von 16 der 27 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert. Ein zentraler Bestandteil des Fiskalpaktes ist die Vorgabe eines strukturell zumindest annähernd ausgeglichenen gesamtstaatlichen Haushalts. Dass Frankreich die entsprechende Latte bereits für das laufende Haushaltsjahr reißen wird, vermittelt einen ersten Eindruck vom künftigen Umgang mit diesen Regeln. Man wird zwar davon ausgehen können, dass nationale Schuldenbremsen institutionalisiert werden, da dies Voraussetzung für den Rückgriff auf Mittel des ESM ist. Als eine bindende Fiskalregel kann diese Mechanik aber in der jetzigen Fassung nicht vor dem EuGH eingeklagt werden. Vor allem sind die Kriterien für die Haushaltsdisziplin unscharf: Die Grenzen der Staatsverschuldung basieren auf dem "jährlichen strukturellen Haushaltssaldo des Gesamtstaates". Dieser ist als "jährlicher konjunkturbereinigter Haushaltssaldo ohne Anrechnung einmaliger und befristeter Maßnahmen" definiert. Damit sind die Ausweichmöglichkeiten vorprogrammiert.

Eine solche Regel begründet schließlich auch die konjunkturelle Entwicklung als Ausnahmetatbestand für eine zusätzliche Staatsverschuldung. Offensichtlich fällt es schwer, aus Erfahrungen zu lernen: Die Staatsschuldenkrise ist nicht entstanden, weil es keine rechtlichen Grenzen gab, sondern weil man sich über diese hinweggesetzt hat. Es bedarf - worauf Paul Kirchhof hinweist - "mehr Stabilität des Rechts, um mehr Stabilität der Finanzen zu erreichen". Genau das scheint aber nicht gewollt zu sein. Man hofft, dass nach einigen grundsätzlichen Festlegungen sich das Weitere, das heißt die zur Umsetzung notwendigen Präzisierungen, später findet und die dafür notwendigen politischen Entscheidungen zunächst durch Rückgriff auf Bonitäts- und Finanzierungspotenziale anderer EU-Mitglieder hinausgeschoben werden können. Diese Erwartung steht auch hinter der immer wieder artikulierten Forderung, dass die Emission von Eurobonds eine Option der Gemeinschaft bleiben müsse. Das zeigt, dass die Diskussion über den Kern der Fiskalunion, die Symmetrie von Kontrolle und Haftung, noch offen ist.

Trotz dieser Erfahrungen hat man auch bei dem Unterfangen, mit Beginn des Jahres 2014 unter der Führung der EZB eine Europäische Bankenunion zu installieren, diese Kernfrage vorher nicht zu Ende gebracht. Die institutionellen Schwächen dieses Konzeptes sind bereits beschrieben worden, deshalb genügen hier lediglich Stichworte: Die ungesicherte rechtliche Grundlage, die Kollision der künftigen Aufsichtspflichten der EZB mit deren geldpolitischer Verantwortung bei gleichzeitiger Zuständigkeit für die Lizenzierung und die Schließung von Banken, das Problem des hoheitlichen Eingriffs in nationale Eigentumsordnungen bei der Exekution von Bankenaufsicht, ein dafür noch zu schaffendes europäisches Verwaltungsrecht, die Arbeitsteilung zwischen der EZB und den nationalen Bankenaufsichten. Dass dieser Ansatz einen europäischen Spaltpilz in sich trägt, wird ebenfalls in Kauf genommen: Der einheitliche Aufsichtsmechanismus wird nur Banken aus den Staaten der Eurozone zwingend erfassen, die übrigen Mitglieder können sich diesem Ansatz freiwillig anschließen. Großbritannien wird - wie bei der Fiskalunion - auch hier nicht mitgehen; der Finanzplatz London bleibt außen vor.

Das Vorgehen überrascht auch aus einem anderen Grund: Es ist illusorisch zu hoffen, dass das, was in den zurückliegenden Jahren seit der Finanzkrise in der Bankordnungspolitik nicht geleistet wurde, jetzt gewissermaßen mit einem "Urknall" gelöst und auf den Weg gebracht werden kann. Die wesentlichen Handlungsfelder sind seit Jahren bekannt. Zum Teil sind für mögliche Lösungen auch deutliche Fortschritte erzielt worden. Das Problem ist offensichtlich die Umsetzung gegen nationale Interessen, die Beseitigung von zwischenstaatlichen Regulierungsgefällen. Die Tatsache, dass die USA nunmehr die Einführung von Basel III auf unbestimmte Zeit verschieben wollen, zeigt, dass es richtiger wäre, zunächst konsequent am notwendigen internationalen Konsens zu arbeiten und die vorhandenen Lösungsansätze tatsächlich global, das heißt auf G20-Ebene, umzusetzen. Man sollte sich also im ersten Schritt auf ein entsprechendes konzeptionelles Programm konzentrieren und erst dann über die adäquaten Organisationsformen zu dessen Umsetzung entscheiden.

Prinzip der Vergemeinschaftung

Insgesamt ist die Idee der Bankenunion durch ein unvollständiges Konzept und durch Verdrängung der faktischen Umsetzungsmöglichkeiten gekennzeichnet. Warum soll es gleichwohl in Eile durchgezogen werden? Die Antwort gibt der "Europäische Buchungssatz": Erkenne Dich selbst, und belaste andere. In der Bankenunion sollen nach den Vorstellungen der Allianz der Südländer, Frankreichs und Irlands sich klamme Banken demnächst direkt aus dem ESM finanzieren können, ohne Umwege über den Nationalstaat. Auch dieser "Integrationsschritt" wäre dann vom Geist der Kollektivhaftung, hier für europäische Banken, bestimmt. Dass der ESM als Kapitalgeber damit auch Miteigentümer maroder Institute werden würde, sei am Rande bemerkt.

Das Prinzip der Vergemeinschaftung prägt auch den Gedanken einer europäischen Einlagensicherung und eines gemeinsamen Banken-Abwicklungsfonds. Die EU-Kommission plant in einem Richtlinienvorschlag zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, die verschiedenen nationalen Rettungsfonds untereinander zur gegenseitigen Finanzierung zu verpflichten. Dies liefe auf eine grenzüberschreitende Solidarhaftung hinaus, bei der die Geberländer die Lenkungsdefizite anderer Staaten kreditieren würden. Im Ergebnis würde das die Vergemeinschaftung der Haftung bedeuten, und zwar zulasten von Kunden und Sparern solventer Banken. Die Intention der Sozialisierung nationaler Lasten würde über die Dimension der Fiskalunion hinaus auch auf die Bankenunion übertragen, zumal nach den bisherigen Überlegungen die Bankgläubiger bis Ende 2017 nicht zur Lasttragung herangezogen werden sollen. Es käme also zu einer staatlichen Gewährträgerhaftung unter neuen Vorzeichen. Die "too-big-to-fail"-Problematik würde nicht durch eine klare Verantwortungskette und entsprechende Sanktionsmöglichkeiten gelöst. An deren Stelle träte eine implizite europäische Staatsgarantie. Die Bankensanierung zulasten der Gesellschaft und ihrer Steuerzahler würde dann ein Pfeiler der Europäischen Bankenunion.

Auch die Bankenunion trägt also den Keim einer weiteren europäischen Umverteilung von beachtlichen Risiken. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts lag die Summe der Bankschulden in den Krisenländern Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien Mitte 2012 bei 9,2 Billionen Euro, die Staatsschulden dieser Länder bei 3,4 Billionen Euro. Allein die fünf Krisenländer hatten also Mitte 2012 brutto Staats- und Bankschulden in Höhe von 12,6 Billionen Euro. Die aktuellen Analysen - so beispielsweise eine von Ernst & Young dazu vorgelegte Studie - gehen davon aus, dass die Summe der notleidenden Aktiva in den Bilanzen europäischer Banken in 2013 auf rund 900 Milliarden Euro ansteigen wird, davon etwa die Hälfte in den Büchern italienischer und spanischer Kreditinstitute.

Normative Kraft des Faktischen

Nun muss man nicht gleich in Schreckensszenarien denken. Aber selbst, wenn nur ein relativ geringer Prozentsatz dieses Volumens über den ESM refinanziert werden sollte, wäre dessen "Feuerkraft" schnell erschöpft und müsste durch weitere Leistungen der EU-Mitgliedstaaten deutlich erhöht werden. Wohin schlussendlich die Reise gehen soll, zeigen bereits die in der Eurogruppe diskutierten Überlegungen, die Garantieleistungen für den ESM zu erhöhen respektive das Kapital des Fonds durch Beteiligung privater Investoren zu "hebeln". Im Ergebnis müsste der europäische Steuerzahler antreten, um die Werthaltigkeit der Forderungen von Anlegern und Investoren aus aller Welt zu sichern und um deren vorangegangene Risikoneigung und Ertragsrealisierung im Nachhinein zu alimentieren und zu sozialisieren. Diese Verteilungseffekte können ernsthaft nicht gewollt sein.

Es ist der Bundesregierung hoch anzurechnen, dass sie deshalb auf eine bestimmte Schrittfolge besteht: Haftung nur auf der Grundlage von Kontrolle, also erst ab der in 2014 voraussichtlich rudimentär funktions fähigen europäischen Bankenaufsicht. Zu Recht fordert sie auch eine Kaskade von Eintrittsverpflichtungen ein, bei welchen der ESM auch bei der Rekapitalisierung von Banken nur "lender of last resort" ist. Offen ist, ob diese Positionen, einschließlich einer Obergrenze für Bankenrekapitalisierung durch den ESM von 80 Milliarden Euro, schlussendlich durchgesetzt werden können. Wahrscheinlich aber werden die nächsten Schritte der angedachten Bankenrekapitalisierung kaum in die noch zu fixierenden Rahmenbedingungen und Regelwerke der zu konstruierenden Europäischen Bankenunion eingebettet beziehungsweise von deren Voraussetzungen abhängig gemacht werden können, wie es das deutsche Petitum ist. Auch die Rekapitalisierung der spanischen Banken in Höhe von bislang zirka 40 Milliarden Euro konnte offensichtlich so lange nicht warten.

Dass sich auch anderswo schnell die normative Kraft des Faktischen entfaltet, zeigt die Sanierung der griechischen und der irischen Banken, die im Vorgriff auf diesen Mechanismus zunächst mit EZB-Instrumenten eingeleitet wurde. Bei Griechenland wurden im Lauf der Krise die Zinsen für Kredithilfen zunächst gesenkt und dann praktisch auf Null gesetzt. Die Rückzahlung wurde erst gestundet und dann zum Teil gestrichen. Daraufhin reklamierte Irland, dass das, was Griechenland gewährt wurde, einem anderen Mitglied nicht verwehrt werden kann. Der Weg, der in Irland an das Ziel der Wünsche führte, ohne ein zweites Rettungspaket des ESM beanspruchen zu müssen, war etwas verschlungen, die wesentlichen Etappen waren folgende: Insolvenz der irischen Abwicklungsgesellschaft durch Beschluss des Parlaments, Wandlung der Verpflichtung des irischen Staates gegenüber diesem Vehikel (Schuldscheindarlehn in Höhe von rund 28 Milliarden Euro) in langlaufende EZB-fähige Staatsanleihen, erste Tilgung dieser Anleihen erst 2038, heißt: Tilgungsaufschub 25 Jahre. Man kann es wenden, wie man will: Dies ist monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB.

Europäisches Gewohnheitsrecht

Im Fall Zypern wird deutlich, wie mit dem Attribut der "Systemrelevanz" jedwede Diskussion über das "Ob" und "Wie" einer nationalen Bankenrestrukturierung ausgeschlossen werden soll. Dabei sprechen in diesem Fall die Fakten für sich: Die Bilanzsumme der zypriotischen Banken liegt bei fünf Prozent des Volumens der Deutschen Bank, und da die Aktiva zu rund 70 Prozent von russischen und griechischen Instituten refinanziert sind, ist die Vernetzung offensichtlich nicht groß. Der Schutz russischer Forderungen ist bei einem Geschäftsmodell, das unter dem Verdacht der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung steht, nicht Aufgabe der EU. Mögliche Rückwirkungen auf das griechische Bankensystem wären Gegenstand der bereits eingeleiteten Stützung der hellenischen Banken. Und schließlich könnte die notwendige Rekapitalisierung in Höhe von zehn Milliarden Euro zumindest teilweise durch Umwandlungen der Forderungen der Gläubiger in Kapitalanteile erfolgen. Nicht "bail out", sondern "bail in" und eine Schrumpfung des überdimensionierten Bankenrechts sind angesagt.

Aber wie will man das hier durchsetzen, wenn man bei Griechenland die Belastung der Banken-Gläubiger beim ersten Rettungspaket als "einmalig" apostrophiert und bei Spanien darauf ganz verzichtet hat? Es ist eben der "Fluch der bösen Tat, dass sie fortwährend Böses muss gebären". Das Argument ist einfach: Was Spanien, Griechenland und Irland gewährt wurde, kann Zypern nicht verweigert werden. Damit aber wäre der Rubikon für eine auf Solidität und Solidarität gegründete Unterstützung überschritten. Es geht dann nicht mehr um europäisches Primär- oder Sekundärrecht, sondern um europäisches Gewohnheitsrecht.

Unheilvolle Verknüpfung zwischen Banken- und Staatsschuldenkrise

Dieses soll offensichtlich auch künftig von EU-Staaten außerhalb der Euro-Zone beansprucht werden können. Mit der "Fazilität des finanziellen Beistands für Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist" - so eine aktuelle Vorlage der EU-Kommission an den Rat - soll eine ursprünglich für Zahlungsbilanzhilfen gedachte Unterstützung nach Art. 143 des "Vertrags über die Arbeitsweise der EU" nicht nur auf 50 Milliarden Euro aufgestockt, sondern auch so gestaltet werden, dass sie auch für die Rekapitalisierung von Banken eingesetzt werden kann.

Das alles zeigt: Bevor die Bankenunion gestartet wird, muss die unheilvolle Verknüpfung zwischen Banken- und Staatsschuldenkrise aufgelöst werden. Die unterschiedlichen Solvenzrisiken der Länder spiegeln sich in ihren Bankbilanzen wider. Diese Altlasten müssen in nationaler Verantwortung abgebaut und dürfen nicht in die Bankenunion hineingetragen werden, wenn sie vor 2014 entstanden sind, aber erst später schlagend werden. Als geeignetes Instrument für solche Restrukturierungen und Neuausrichtungen von Kreditinstituten hat sich in Deutschland das Modell der "Bad Bank" erwiesen. Damit wird auch vermieden, dass durch die Verschleppung der notwendigen Korrekturen weitere öffentliche Lasten entstehen und die verhängnisvolle Spirale von Bankenstützung zulasten der Staatshaushalte sich noch schneller dreht. Wenn man weitere ungewollte Verteilungseffekte dabei verhindern will, müssen diese Ansätze allerdings einhergehen mit Regeln für die Beteiligung der Eigentümer und Gläubiger bei der Abarbeitung von institutsspezifischen Altlasten. Auf ein solches "burden sharing" hat man bei der Errichtung der spanischen Abwicklungsbank verzichtet, es wurde vom ESM auch nicht eingefordert.

Zu den notwendigen Schritten, um Bankenverschuldung und Staatsverschuldung zu trennen, gehört auch die Beseitigung aufsichtsrechtlicher Präferenzen öffentlicher Titel in den bank- und versicherungswirtschaftlichen Aufsichtsregeln, die nach den Erfahrungen der Krise nicht mehr zu rechtfertigen sind. Es hat sich erwiesen, dass auch Staatspapiere risikobehaftet sind. Gleichwohl hält man an diesen regulatorischen Präferenzen, der Befreiung von der Eigenkapitalunterlegung, fest. Auch die Tatsache, dass man die im Basel-III-Paket zunächst erst verschärften Refinanzierungsregeln zugunsten öffentlicher Titel wieder lockert, zeigt, dass man es so ernst mit den notwendigen Korrekturen wohl nicht meint und die Staatsfinanzierung auch von dieser Seite nicht erschweren möchte.

Das alles wird von der EZB alimentiert, welche die Märkte nicht nur monetär flutet, sondern durch entsprechende Erklärun gen letztlich eine unbegrenzte Bereitschaft zum Ankauf von Staatstiteln konstituiert. Die Rechtsgrundlagen sind zumindest unklar, aber mit der normativen Kraft des Faktischen definiert die EZB - jenseits aller Betrachtungen über europäisches Primärund Sekundärrecht - ihre Aufgaben und die Wege zu deren Erledigung. Die EZB entscheidet im Ergebnis künftig sowohl über die Existenzfähigkeit von Banken als auch über die Werthaltigkeit der von Kreditinstituten gestellten Sicherheiten. Die Märkte sind trotz dieser exekutiven Machtfülle voller Lob, sie kommen in die beste aller Welten: Sie erhalten reichlich Liquidität bei letztlich risikolosen Anlagemöglichkeiten. Die Ankaufszusage für europäische Staatspapiere treibt den Kurs des Euro. Dass damit die Exportchancen der um Wettbewerbsfähigkeit ringenden peripheren EU-Länder geschmälert werden, wird offensichtlich in Kauf genommen. Man verweist vielmehr auf den Erfolg der Beruhigung, den Rückgang der Renditen von Staatstiteln, die Verringerung der Targetsalden, die Rückbildung der Zahlungsbilanzdefizite, die erwähnte, wiedergewonnene Stärke des Euro.

Dass dies alles Ergebnis einer sachlich und zeitlich unbegrenzten Garantie ist, für die gegebenenfalls durch den europäischen Steuerzahler eingestanden werden muss, ist wenig bewusst. Die EZB hat bislang etwa 220 Milliarden Euro an Staatspapieren aufgenommen und dabei die Besicherungs-Anforderungen verringert. Möglicherweise wird dieses Portfolio aufgrund der erklärten Bereitschaft noch mehr anwachsen. Vorübergehend sind dabei Buchgewinne entstanden. Deren Flüchtigkeit wurde schlagartig mit den Marktveränderungen nach der Italien-Wahl deutlich. In dem Maße, in dem die EZB in Verfolgung dieser Strategie auch weiterhin Staatspapiere einbucht, wird sich das Risikopotenzial in ihrer Bilanz erhöhen. Die Solvenzrisiken der europäischen Staaten und ihrer Banken würden zulasten der EZB umverteilt. Und sofern wegen dieser Risikoübernahme künftig Kapitalmaßnahmen bei der EZB notwendig würden, müsste der europäische Steuerzahler für eine Verpflichtung antreten, die er politisch nicht legitimiert hat. Darüber hinaus hat dieser geldpolitische Kurs noch eine andere Dimension der Umverteilung: Die Politik des Niedrigzinses führt bei all jenen zu realen Vermögensverlusten, die als Sparer und Versicherte Vorsorge betreiben.

Europa versus Euro?

Aber rechtfertigt der Zweck nicht auch hier die Mittel? Die Antwort ist offen trotz erster Fortschritte in der europäischen Peripherie. Die Herausforderungen sind gewaltig: Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, müssen nach Analysen von Goldman-Sachs die Anbieter aus den Südländern und Frankreich ihre Preise um 20 bis 30 Prozent senken, und dies in einer eingetrübten europäischen Konjunkturperspektive. Die EZB soll die Anpassungslasten, aber nicht den Anpassungsdruck mindern - eine geldpolitisch kaum lösbare Aufgabe. Und eine Stimulierung der Nachfrage hilft allein nicht weiter, es müssen die Angebotsstrukturen verändert werden. Und das heißt: die angedachten Reformen in der Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik müssen auch umgesetzt werden.

Trotz der Unsicherheit, ob der eingeschlagene Weg zum Ziel führt, wird behauptet, es gebe zu allem keine Alternative. Zu diesem Ergebnis kann man allerdings erst dann kommen, wenn man verschiedene Optionen durchdekliniert und bewertet hat. Ein derartiger Diskurs wäre notwendig, wenn man es mit Europa und dem Euro wirklich ernst meint. Europäisches Primär- und Sekundärrecht sind Optionen der Umsetzung von Integrationszielen. Am Anfang jedes Rechtshandelns aber müssen Vorstellungen von Werten und Ordnungen stehen, denen man dabei folgen will. Ohne einen Konsens da rüber kann es auch keinen Gleichlauf in der Bewertung wirtschaftspolitischer Ziele geben und damit auch keinen Rechtsrahmen, in denen diese verfolgt werden. Man kann sich dieser Auseinandersetzung nur temporär, aber nicht auf Dauer entziehen. In einer Erwiderung auf den eingangs genannten Beitrag von Wolfgang Schäuble hat der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm ("Es geht ums Prinzip", FAZ vom 6. Februar 2013, S. 28) rückblickend konstatiert: "Wer allerdings glaubte, der mit Prinzipienscheu erkaufte Fortschritt sei kostenlos zu haben, verfiele einem Irrtum."

Der höchste Preis für diesen Irrtum wäre, sich letztlich zwischen dem Euro und Europa entscheiden zu müssen. Um das zu verhindern, wird Europa begreifen müssen, dass seine Idee dauerhaft nur dann Bestand und Zukunft haben wird, wenn es mehr ist als die Weiterwälzung von Risiken und Traglasten, die aus fehlgeleiteten Gesellschaftsmodellen und aus ordnungspolitischer Gleichgültigkeit entstehen. Zu Recht hat Bundespräsident Gauck mehr Empathie für die europäische Idee eingefordert. Diese wird aber nur tragen, wenn sie auf einer Verfasstheit der Gemeinschaft gründet, die sich nicht in Umverteilung zwischen ihren Mitgliedern erschöpft.

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