Aufsätze

Investmentfonds im Genossenschaftssektor - moderne Vertriebsstrategien in Verbundstrukturen

Der deutsche Fondsmarkt ist und bleibt ein Wachstumsmarkt. In den
letzten zehn Jahren verdreifachte sich das verwaltete Fondsvermögen
von 378,4 Milliarden Euro im Jahr 1996 auf 1 195 Milliarden Euro im
Jahr 2006.1) Doch die Potenziale des deutschen Marktes sind noch lange
nicht ausgeschöpft. Ende 2005 liegt Deutschland mit einem
Pro-Kopf-Vermögen in Investmentfonds von 6 611 Euro weit hinter
Staaten wie Frankreich (19 316 Euro) oder Schweden (11 162 Euro). Der
interkontinentale Vergleich bestätigt dieses Bild. In den USA hat
jeder Bürger durchschnittlich 26 000 Euro seines Vermögens in
Investmentfonds angelegt. Während 48 Prozent aller US-Haushalte
Investmentfonds besitzen, beträgt in Deutschland diese Quote gerade
einmal 26 Prozent.
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Unterschiedliche Rahmenbedingungen
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Natürlich müssen bei dieser Betrachtung gesetzliche Rahmenbedingungen
berücksichtigt werden, die zu einem unterschiedlichen Spar- und
Anlegerverhalten geführt haben. Investmentfonds spielen in den USA im
Rahmen der privaten Altersvorsorge eine bedeutende Rolle. Rund 40
Prozent des gesamten Fondsvolumens wurden Ende 2004 von
Altersvorsorgeplänen gehalten. Auch in Schweden hat das Volumen in
Investmentfonds durch die Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge
stark zugenommen. Vor dem Hintergrund des steigenden Bewusstseins für
die Notwendigkeit der privaten Altersvorsorge wird auch in Deutschland
das Gesamtvolumen an Ersparnissen in diesem Bereich weiter zunehmen.
Dabei werden Investmentfonds weiter an Popularität gewinnen, denn ein
Großteil des zirka 4 000 Milliarden Euro umfassenden Geldvermögens
wird heute immer noch in renditeschwächeren Anlageformen gehalten.
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Potenziale sind auch im genossenschaftlichen Finanzverbund weiterhin
vorhanden. Von dessen 18 Millionen Kunden2) halten nur etwa fünf
Millionen Bestände in Investmentfonds. Im Jahr 2002 hielten die
Geno-Kunden durchschnittlich 12 Prozent ihres gesamten
Anlagevolumens3) in Investmentfonds. Bei Großbanken liegt dieser Wert
bei zirka 35 Prozent. Doch wie erfolgreich werden die beschriebenen
Potenziale im genossenschaftlichen Finanzverbund gehoben?
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Ein Blick auf die Jahre 1999 bis 2004 zeigt eindrucksvoll die
Vertriebsstärke. Mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate
von 10 Prozent ist Union Investment deutlich stärker gewachsen als der
Fondsmarkt in Deutschland, der jährlich um zirka sechs Prozent
gewachsen ist. Dank der Vertriebsleistung des genossenschaftlichen
Vertriebs gehört die Fondsgesellschaft seit Jahren beim Nettoabsatz zu
den erfolgreichsten in Deutschland.
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Nachlassende Dynamik seit 2005
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Seit 2005 jedoch hat diese Entwicklung an Dynamik verloren. Der
Gradmesser der Potenzialschöpfung, der Nettoabsatz, hat sich
verschlechtert. Während der Bruttoabsatz des Jahres 2005 (Gradmesser
für die Vertriebsaktivität) im Vergleich zum Jahr 2001 nahezu
unverändert geblieben ist, ist der Nettoabsatz um 73 Prozent gefallen.
Eine Begründung liefert der Blick auf die Rückflüsse: Diese haben um
66 Prozent zugenommen.4) Das heißt, obwohl der Vertrieb von
Investmentfonds weiterhin sehr aktiv ist, sinkt die Potenzialschöpfung
im Vergleich zu den vorherigen Jahren bedingt durch erhöhte Abflüsse
aus den Beständen.
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Für die genossenschaftlichen Vertriebspartner ist diese Erkenntnis von
besonders großer Bedeutung, denn die Anzahl der Geno-Kunden nimmt seit
Jahren ab - in den letzten zehn Jahren um zirka fünf Prozent.5)
Begründen lässt sich dieser Trend unter anderem durch den
demographischen Wandel. Das Phänomen der Landflucht hat zur Folge,
dass die Einwohnerzahl in den von den Genossenschaftsbanken stark
besetzten Gebieten abschmilzt. Die Marktanteilsentwicklung der
Genossenschaftsbanken an der Geldvermögensbildung der letzten Jahre
bestätigt dieses Bild. Gemäß Bundesbankstatistik ist ihr Marktanteil
an Kundeneinlagen seit Jahren rückläufig, während Großbanken ihren
Anteil kontinuierlich ausbauen konnten.
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Der Marktanteil der Genossenschaftsbanken hat sich von 1995 bis 2005
von 29,0 Prozent auf 25,4 Prozent verringert. Mit anderen Worten:
Zirka 12 Prozent des genossenschaftlichen Marktanteils gingen
verloren. Bei den Großbanken gibt es exakt die gegenläufige Bewegung.
Ihr Marktanteil an den Einlagen ist von 25,7 Prozent im Jahr 1995 auf
35,8 Prozent im Jahr 2005 gestiegen, was einer Rate von 40 Prozent
entspricht.
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Kompensation durch Provisionsgeschäft fraglich
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Bisher konnten die Genossenschaftsbanken das rückläufige
Einlagengeschäft durch das Schöpfen von Potenzialen im
Provisionsgeschäft kompensieren. Durch die aktuelle
Nettoabsatz-Entwicklung ist diese Kompensation aber stark gefährdet.
Aufgrund des hohen Bruttoabsatzes und der damit verbundenen
Absatzprovision wird dieses Problem auf Vertriebspartnerebene kaum
wahrgenommen. Bei einem Fortschreiten dieses Trends drohen jedoch hohe
Beträge aus den bestandsabhängigen Provisionen wegzubrechen, die heute
etwa 40 Prozent der Einnahmen aus dem Vermittlungsgeschäft mit
Investmentfonds ausmachen.
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Die Zielsetzung ist klar: Die Marktbearbeitung muss darauf
ausgerichtet sein, das hohe noch nicht ausgeschöpfte Potenzial zu
heben. Der Fokus muss neben dem Neugeschäft verstärkt auch auf die
Sicherung von Beständen und somit das Vermeiden von Mittelabflüssen
gelegt werden. Die ausschließliche Orientierung am Bruttoabsatz wird
im Hinblick auf eine nachhaltige Marktbearbeitung nicht erfolgreich
sein.
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Kundenbindung ist Bestandssicherung. Die Kundenbindung muss möglichst
früh im Leben eines Kunden/Anlegers ansetzen. Sie muss gesamtheitlich,
bedarfsorientiert und perspektivisch ausgerichtet sein. Die
Genossenschaftsbanken müssen sich daher zunehmend als Zukunftsmanager
positionieren, mit dem Ziel, ihren Kunden eine lebenslange,
ganzheitliche Vermögensstrukturierung zu bieten. Dieses Ziel kann nur
durch eine Konzentration auf die Kernkompetenzen erreicht werden -
Beratungs-Know-how gepaart mit dem direkten und persönlichen Kontakt
zum Kunden.
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Union Investment unterstützt die Primärbanken bei dieser komplexen
Aufgabenstellung durch das "Lösungsanbieter-Konzept". Die Gesellschaft
hilft den Vertriebspartnern bei ihrer Aufgabe der ganzheitlichen
Vermögensstrukturierung für ihre Kunden. Der Support erfolgt über an
Bedarfsfeldern orientierten Modulen, die entsprechend der Lebensphasen
und unterschiedlicher Bedürfnisausprägungen der Anleger konzipiert
sind. Die Vertriebspartner werden dahingehend unterstützt, dass der
Vertriebs- und Betreuungsprozess mit leicht verständlichen Produkten
beziehungsweise Lösungen noch effektiver und effizienter durchlaufen
wird.
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Das Lösungsanbieter-Konzept wird kontinuierlich weiterentwickelt und
um zusätzliche Module ergänzt. Der Ansatz wird durch den Erfolg beim
Lösungsmodul für den Bereich "Altersvorsorge" bestätigt. Im Jahr 2005
konnten die genossenschaftlichen Vertriebspartner mit der
Uni-Profi-Rente rund 245 000 neue Riester-Verträge abschließen, was
Union Investment zu der Fondsgesellschaft mit den meisten Abschlüssen
bei Riester-Verträgen machte.
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Über leistungsfähige CRM-Systeme
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Eine individuelle und bedarfsgerechte Marktbearbeitung ist nur über
leistungsfähige CRM-Systeme effizient und effektiv umsetzbar. Sie
versorgen den Berater mit allen relevanten Informationen über die
aktuelle Vermögenssituation des Kunden, seine Lebensplanung, die damit
verbundenen Bedürfnisse und unterstützen bei der Auswahl der richtigen
Lösung für den Kunden. Diese Systeme müssen so flexibel gestaltet
sein, dass auf Änderungen in der Zielsetzung des Anlegers jederzeit
reagiert und die Anlagestrategie entsprechend angepasst werden kann.
Im genossenschaftlichen Finanzverbund wird aus diesem Grund sehr
intensiv an der Entwicklung standardisierter Beratungsarbeitsplätze
gearbeitet. Ziel ist es, die Grundlage für eine umfassende Beratung zu
gewährleisten, die höchsten Qualitätsmaßstäben entspricht.
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Union Investment hat sich schon sehr früh mit dem Thema "Drittfonds im
genossenschaftlichen Finanzverbund" auseinander gesetzt. Neben der
"verbundeigenen Fondspalette" werden zur Abrundung des
Leistungsspektrums Fonds dritter Kapitalanlagegesellschaften über die
Plattform attrax S.A.angeboten. Hierbei steht die Philosophie der
"Guided Architecture" im Vordergrund. Die Vorteile für den
Vertriebspartner sind offensichtlich. Er erhält ein umfangreiches
Produktangebot verschiedener Anbieter gebündelt aus einer Hand. Rund
um das Produktangebot werden von attrax S.A.zusätzliche Services
angeboten, die den Marktbearbeitungsprozess unterstützen und den
Vertriebspartner entlasten. Verhandlungsgespräche mit einer Vielzahl
von Anbietern entfallen, zusätzliche Research- und Beratungsleistungen
werden zur Verfügung gestellt und Synergien über die gebündelte
Einkaufsmacht gehoben, so dass selbst Banken mit kleinen Abnahmemengen
das Drittfondsgeschäft effektiv abbilden können.
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Aufwertung des mobilen Vertriebs
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Investmentfonds werden in Deutschland auch zukünftig überwiegend über
die Bankfiliale vertrieben. Die Wege zum Kunden werden jedoch
vielfältiger. Die von unterschiedlichen Anlegertypen präferierten
Kanäle unterscheiden sich. Vor dem Hintergrund einer umfassenden
Potenzialschöpfung muss daher einer Multikanalstrategie eine erhöhte
Beachtung geschenkt werden. Da die Komplexität der Kapitalmärkte durch
neue Finanzinstrumente eher zu- als abnimmt, wird der größte Teil der
Anleger weiterhin auf eine fundierte Beratung zurückgreifen müssen -
besonders wenn es sich um weit reichende, langfristige
Anlageentscheidungen handelt, sucht der Anleger den Rat des
Spezialisten.
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Neben dem Filialvertrieb gewinnt die persönliche Beratung über den
mobilen Vertrieb an Bedeutung. Ein Blick auf die Verteilung der
Vertriebsleistung für den Bereich Altersvorsorge im Jahr 2005
bestätigt, dass das persönliche Gespräch mit einem Finanzexperten in
den eigenen vier Wänden zunehmend in Anspruch genommen wird. Von 245
000 neuen Riester-Verträgen wurde ein gutes Drittel von den mobilen
Vertriebseinheiten der Bausparkasse Schwäbisch Hall abgeschlossen.
Einige Genossenschaftsbanken haben diesen Trend erkannt und bereits
eigene mobile Vertriebseinheiten aufgebaut beziehungsweise planen
deren Aufbau. Ein weiterer Trend scheint sich derzeit mit dem
Börsenhandel aktiv gemanagter Fonds abzuzeichnen. Während passiv
gemanagte Investmentfonds bereits seit einigen Jahren über die Börse
bezogen werden können, wird dieses Segment nun auch auf aktiv
gemanagte Sondervermögen ausgeweitet. Die Deutsche Börse startete am
19. Mai 2006 den Handel mit aktiv verwalteten Publikumsfonds. Das neue
Segment umfasst zunächst rund 2 600 Fonds, die im Freiverkehr an der
Börse Frankfurt gehandelt werden. Dieser Entwicklung könnte gleich
eine doppelte Bedeutung zukommen. Zum einem ist es denkbar, dass
insbesondere der souveräne Anleger, der Anlageentscheidungen zu einem
großen Teil selbstständig trifft, Fondsanteile über die Börse bezieht,
um sich die damit verbundenen Vorteile, wie zum Beispiel den
kontinuierlichen Handel und günstigere Konditionen durch den Wegfall
von Ausgabeaufschlägen, zu sichern.6)
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Auch wenn dies nur einen kleinen Teil aller Anleger betreffen würde,
müssen sich Banken vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im
Bereich der Europäischen Gesetzgebung verstärkt mit dem Thema
"börsengehandelte Fonds" auseinander setzen. Die "Markets in Financial
Instruments Directive" kurz MiFID sieht gegenwärtig vor, dass dem
Kunden alle Gebühren für eine Wertpapierorder offen gelegt werden und
die günstigste Alternative zur Abwicklung seiner Geschäfte
gewährleistet sein muss.
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Dies hätte zum einen Einfluss auf den Weg der Beschaffung von
Fondsanteilen, aber auch auf die Bepreisung und die Provisionierung
von Vermittlungsleistungen. Da beim Börsenhandel die heute noch
üblichen Ausgabeaufschläge wegfallen würden, dürften in Folge dessen,
die auf den Bestand gerechneten Provisionen an Bedeutung gewinnen.
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Zusammenfassend lässt sich sagen: Deutschland zählt aufgrund seines
Nachholbedarfs an renditestarken Anlageprodukten zu den attraktivsten
Märkte für Fondsanlagen in Europa. Im genossenschaftlichen
Finanzverbund stellt sich das Nachholpotenzial sogar noch größer dar,
da bisher nur ein verhältnismäßig geringer Anteil der Gesamtanlagen in
Investmentfonds investiert ist. Die vorhandenen Potenziale wurden
jedoch noch nicht konsequent gehoben, hier steht der Sektor erst am
Anfang des Prozesses. Der Nettoabsatz ist zurzeit bei stabilem
Bruttoabsatz im Vergleich zu den Vorjahren rückläufig, was auf eine
drastische Zunahme der Rückflüsse zurückzuführen ist.
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Der Fokus der Marktbearbeitung wird daher neben der Neukundengewinnung
verstärkt auf das Halten von Kundenbeständen ausgerichtet werden. Denn
der Gradmesser für das Heben von Potenzialen ist der Nettoabsatz, der
neben den Bruttoabsätzen auch die Rückflüsse berücksichtigt. Die
Genossenschaftsbank wird sich zunehmend als Zukunftsmanager für ihre
Kunden positionieren. Schon das erste Beratungsgespräch sollte auf
eine lebenslange Zusammenarbeit ausgelegt sein. Der Kunde ist über
einen ganzheitlichen Vermögenstrukturierungsansatz zu binden.
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Modular aufgebaute Lösungen
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Durch flexible Lösungen, die modular aufgebaut sind, wird es
ermöglicht, auf jedes Anlegerbedürfnis einzugehen und somit ein
Maximum an individueller Betreuung im Massenkundengeschäft zu
gewährleisten. Durch leistungsfähige CRM-Systeme muss die
Zielgenauigkeit und Effizienz der Marktbearbeitung weiter erhöht
werden. Die Vertriebswege sind im Hinblick auf eine
Multikanalstrategie zu überprüfen. Neben Internet und mobilem Vertrieb
zeichnet sich ein neuer Kanal für den Vertrieb von aktiv gemanagten
Fonds ab: die Börse. Vor dem Hintergrund der Vereinheitlichung der
europäischen Reglementierung im Wertpapiergeschäft kann dieser Kanal
an Bedeutung gewinnen. In einem solchen Fall müssten die Preis- und
Provisionssysteme grundlegend überarbeitet werden.

Hans Joachim Reinke , Vorsitzender des Vorstands , Union Investment, Frankfurt am Main
Hans Joachim Reinke , Vorsitzender des Vorstands , Union Investment, Frankfurt am Main
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