Aufsätze

Klemmt es bei der Unternehmensfinanzierung?

In den vergangenen Monaten wurde die gesamte Kreditwirtschaft mit dem pauschalen Vorwurf konfrontiert, sie würde sich unisono aus der Unternehmensfinanzierung zurückziehen. In diesem Zusammenhang machte das Schlagwort von der "Kreditklemme" mehr und mehr die Runde. Seriöser und auch zielführender als ein solcher Generalangriff wäre jedoch eine sachliche Analyse der aktuellen Rahmenbedingungen der Unternehmensfinanzierung. Diese macht schnell deutlich, dass es trotz der restriktiven Kreditpolitik einiger Anbieter im bisherigen Verlauf der Finanz- und Wirtschaftskrise keine generelle Verknappung von Finanzierungsmitteln gegeben hat. Hierfür haben unter anderem die Sparkassen einen bedeutenden Beitrag geleistet.

Damit die Kreditversorgung auch künftig gesichert ist und der sich abzeichnende konjunkturelle Aufschwung finanziert werden kann, ist bei den anstehenden Änderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen Augenmaß gefragt.

Kreditklemme - Realität oder Phantom?

Bei der Definition einer Kreditklemme hilft das Bild von den "bösen Banken, die einfach so keine Kredite mehr vergeben" nicht weiter. Geeigneter ist stattdessen eine volkswirtschaftliche Betrachtung, bei der erst dann von einer Kreditklemme gesprochen werden sollte, wenn Finanzierungsmittel in hohem Maße und unabhängig von Branchen, Unternehmensgrößen, Laufzeiten, Sicherheiten und Bonitäten nicht mehr vergeben werden, obwohl eine entsprechende Nachfrage von Seiten der Unternehmen vorhanden ist. In diesem Fall wäre eine Unterversorgung der Wirtschaft mit Krediten unmittelbar von der Finanzwirtschaft zu verantworten. Und nur dann wäre der Vorwurf der vergangenen Monate begründet.

Keine Kreditklemme liegt hingegen vor, wenn Unternehmen in Krisenzeiten Investitionsprojekte zurückfahren oder ihre Vorräte abbauen und daher weniger Finanzierungen benötigen. Auch sollte nicht von einer Kreditklemme gesprochen werden, wenn Unternehmen aufgrund gesunkener Bonitäten größere Anstrengungen unternehmen müssen, um einen Kredit zu erhalten oder wenn eine Kreditvergabe aufgrund mangelnder Zukunftsperspektiven oder Sicherheiten scheitert.

Legt man diese nach angebots- und nachfragebedingten Ursachen differenzierende Betrachtungsweise zugrunde, kann eine Kreditklemme für Deutschland nicht konstatiert werden. Zahlreiche Studien zeigen, dass viele Unternehmen aufgrund der konjunkturellen Flaute im vergangenen Jahr Investitionen zurückgestellt und Lagerbestände abgebaut haben. Aufgrund der negativen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den daraus resultierenden unbefriedigenden Absatz- beziehungsweise Gewinnaussichten war dieses Verhalten auch nur rational. Dass dies besonders im ersten Halbjahr 2009 der Fall war, zeigen Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.

Demnach planten seinerzeit rund 40 Prozent der befragten Unternehmer für die kommenden Monate eine zurückhaltende Investitionspolitik. Logische Folge war eine insgesamt abnehmende Kreditnachfrage. Parallel zeigten sich zwar einzelne Banken bei der Kreditvergabe restriktiver als vor der Krise, was zu einer gewissen Anspannung des Kreditmarktes geführt hat; eine breite Unterversorgung der Wirtschaft hat es jedoch nicht gegeben.

Fremdkapital nicht das entscheidende Investitionshemmnis

Dementsprechend waren Probleme bei der Fremdkapitalaufnahme in den vergangenen Monaten nicht das entscheidende Investitionshemmnis für Unternehmen, wie auch verschiedene Umfragen zeigen. Das Münchener Ifo-Institut stützt diese Sichtweise. Seit 2003 - einem Jahr, in dem Schlagworte wie "Bankenkrise" oder "Kreditverknappung" ebenfalls auf der Tagesordnung standen - wird dort regelmäßig die Wahrnehmung der Unternehmen hinsichtlich der Kreditvergabepolitik der Finanzbranche erhoben.

Analysiert man die Umfrageergebnisse der vergangenen sechs Jahre, zeigt sich, dass die Finanzierungssituation selbst in den schlimmsten Monaten der Finanzmarktkrise deutlich weniger angespannt war, als dies in den Jahren von 2003 bis 2005 der Fall war.

"Finanzielle Tankstellen" des Mittelstands

Einen wesentlichen Beitrag hierfür leisten die Sparkassen, die ihre Kreditvergabepolitik im Laufe der Finanzmarktkrise nicht verändert und alleine im vergangenen Jahr über 62 Milliarden Euro neue Kredite an Unternehmen und Selbstständige zugesagt haben. Dies entspricht einer Steigerung von rund 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch ein Blick auf die in der Bundesbankstatistik ausgewiesenen Kreditbestände an Unternehmen und Selbstständige verdeutlicht diese tragende Rolle für die Finanzierung der deutschen Wirtschaft. In den vergangenen Jahren sind die Kreditbestände der Sparkassen Jahr für Jahr und trotz - oder gerade auch wegen - der Finanzmarktkrise kontinuierlich gestiegen (von 276 Milliarden Euro im Jahr 2006 auf 307 Milliarden Euro im Jahr 2009). Andere Bankengruppen wiesen parallel abnehmende Bestände auf. Dementsprechend hat auch die Ratingagentur DBRS im vergangenen April auf den hohen Marktanteil der Sparkassen-Finanzgruppe bei den gewerblichen Krediten hingewiesen, der ein wichtiger Faktor für das solide Geschäftsprofil und die hohe Bedeutung der Sparkassen für den Deutschen Bankenmarkt sei.

Insgesamt betrachtet greift der einseitige und pauschale Vorwurf einer restriktiven Kreditvergabe durch die gesamte Finanzwirtschaft den Sparkassen gegenüber zu kurz, da sie auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die "finanziellen Tankstellen" des Mittelstands sind und das genaue Gegenteil von dem machen, was man "Kreditklemme" nennen könnte. Oder kurz gesagt: Die Sparkassen waren und sind nicht verklemmt - auch nicht bei der Kreditvergabe!

Konjunkturelle Trendwende und Finanzierung des Aufschwungs

Die Finanzmarktkrise hat zu einer der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte geführt, die sich in einem für die Bundesrepublik Deutschland historischen Rückgang der Wirtschaftsleistung um fünf Prozent geäußert hat. Insbesondere seit vergangenem Herbst gibt es jedoch zunehmend Anzeichen für eine konjunkturelle Erholung. So haben unter anderem das Statistische Bundesamt, die Bundesbank, das Münchener Ifo-Institut und die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung positive Signale für ein Anziehen der Konjunktur vermeldet. Bestätigt wurden diese durch das Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, nach dem Deutschland schneller als erwartet aus der Krise kommt und der Tiefpunkt der wirtschaftlichen Talfahrt überwunden sei. Für das laufende Jahr stehe demnach eine - wenn auch zögerliche konjunkturelle Erholung an.

Ebenfalls optimistisch äußert sich der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Er geht davon aus, dass die Wirtschaft 2010 einen großen Schritt aus der Krise machen werde. Grundlage dieser Einschätzung sind umfangreiche Befragungen der Unternehmen hinsichtlich ihrer Geschäftslage und -erwartungen sowie ihrer geplanten Investitions- und Beschäftigungsaktivitäten.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch der "Vertrauensindex" von Ernst & Young. Mit dieser Untersuchung analysiert das Beratungsunternehmen quartalsweise die Erwartungen der Unternehmen hinsichtlich der gegenwärtigen und künftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Laut der aktuellen Untersuchung erholt sich die Realwirtschaft zusehends. Daneben gewinnt der Optimismus der Unternehmen hinsichtlich der weiteren konjunkturellen Entwicklung zunehmend an Kraft. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang auch, dass alle relevanten Branchen im Laufe der nächsten beiden Jahre eine kontinuierliche Verbesserung ihrer Geschäftslage erwarten.

Diese "zarten Pflänzchen" sollten vor dem Hintergrund der massiven staatlichen Konjunkturpakete zwar nicht überbewertet werden, geben aber dennoch Anlass zu verhaltenem Optimismus. Die vornehmliche Aufgabe von Politik und Wirtschaft muss es nun sein, die sich abzeichnende Erholung nicht zu behindern, sondern wo immer möglich zu fördern. Denn bei aller Freude über die wirtschaftliche Trendwende darf nicht übersehen werden, dass die Finanzmarktkrise noch lange kein "Schnee von gestern" ist. So drohen den Banken nach hohen Abschreibungen vor allem im Wertpapierbereich in den nächsten Monaten zunehmend Wertberichtigungen im Kreditgeschäft. Darüber hinaus gehen auch von den horrenden Staatverschuldungen einiger Länder inner- und außerhalb der Eurozone nach wie vor Gefahren für das internationale Kapitalmarktgeschehen aus.

Weitsicht bei Regulierung gefragt

Mit der anziehenden Konjunktur wird ein steigender Kreditbedarf der Wirtschaft einhergehen. So müssen beispielsweise in der Krise abgebaute Lagerbestände wieder aufgefüllt und zurückgestellte Investitionsvorhaben nachgeholt beziehungsweise finanziert werden. Erklärte Absicht der Sparkassen ist es, den mittelständischen Unternehmen hierbei wie in der Vergangenheit als zuverlässiger Finanzierungspartner zur Verfügung zu stehen. Die internen Voraussetzungen in puncto Vertriebsnähe, Beratungskompetenz, Liquidität und Eigenkapitalstärke sind bei den Sparkassen gegeben.

So weisen ihre Bilanzen beispielsweise weit über 100 Milliarden Euro mehr Einlagen als Kredite aus, sodass von dieser Seite einer breiten Kreditversorgung nichts im Wege steht. Dementsprechend hat auch der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes im vergangenen März herausgestellt, dass bei den Sparkassen auch 2010 jede Geschäftsidee finanziert wird, bei der ausreichend Aussicht auf Rückzahlung des Kredits besteht.

Risiken für die Kreditversorgung in Deutschland könnten sich jedoch im Zusammenhang mit den aktuell diskutierten Verschärfungen der regulatorischen Anforderungen an die Kreditwirtschaft ergeben, die in Folge der G20-Gipfel von London und Pittsburgh diskutiert werden. Im Nachgang zu diesen beiden Treffen der Staats- und Regierungschefs hat die EU-Kommission inzwischen ein Konsultationspapier zu möglichen Änderungen der Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie veröffentlicht.

Unter anderem werden in dem Papier regulatorische Verschärfungen bei den Kriterien für die Anrechenbarkeit von stillen Einlagen gemacht. Demnach dürfen Kapitalgebern stiller Einlagen, wenn diese als "hartes" Kernkapital anerkannt werden sollen, keine bevorzugten Ausschüttungen im Vergleich zu anderen Kapitalgebern mehr zugesichert werden. Des Weiteren soll bei der Berechnung der Großkreditgrenzen das Ergänzungskapital künftig keine Berücksichtigung mehr finden. Im Zusammenhang mit dem Kapitalabzug von Beteiligungen an anderen Instituten beziehungsweise Finanzunternehmen sollen künftig direkte Beteiligungen komplett - und nicht mehr wie bisher hälftig - abgezogen werden.

Darüber hinaus könnte es dazu kommen, dass demnächst auch indirekte Beteiligungen an anderen Instituten beziehungsweise Finanzunternehmen in Abzug gebracht werden müssen. Ein weiterer Diskussionspunkt ist die künftige Höhe der Mindesteigenkapitalquoten für die Kreditwirtschaft. Auch wenn in diesem Zusammenhang noch keine konkreten Aussagen darüber vorliegen, wie hoch der Anteil des Kernkapitals am gesamten Eigenkapital künftig sein wird, so ist doch eine Verschärfung des Status quo absehbar.

Praxis im Auge behalten

Die Diskussion über eine neue Gestaltung der Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute sollte bei allen theoretischen Vorzügen sehr sorgsam geführt und aus praktischer Sicht kritisch begleitet werden. Dies ist vor allem auch deshalb wichtig, weil die Eigenkapitalposition in der Kreditwirtschaft durch bisherige Abschreibungen im Bereich der Eigenanlagen und zu erwartende erhöhte Wertberichtigungen bei Unternehmenskrediten ohnehin bereits mehr und mehr zum Engpassfaktor wird. Und weitere Belastungen stehen mit der vorgesehen Bankenabgabe, mit der im Prinzip künftig alle Kreditinstitute für fehlgeschlagene risikoreiche Spekulationsgeschäfte einzelner systemrelevanter Großbanken in Haftung genommen werden sollen, bereits ins Haus.

Dementsprechend hat denn auch jüngst die KfW herausgestellt, dass die Finanzierungssituation der Unternehmen in den kommenden Monaten maßgeblich von der Kapitalausstattung der Banken bestimmt wird und eine ausreichende Kapitalisierung des Bankensektors sichergestellt sein muss, um eine angebotsseitige Anspannung der Unternehmensfinanzierung zu vermeiden. Gerade in dieser Situation würden Schnellschüsse bei den Eigenkapitalvorschriften die Kreditvergabemöglichkeiten der Finanzwirtschaft beschneiden. Als Folge könnte eine Art "aufsichtsrechtlich verordnete Kreditklemme" drohen, die auch regional ausgerichtete Kreditinstitute, die in aller Regel weit unterdurchschnittlich auf den internationalen Kapitalmärkten engagiert sind, treffen würde.

Konkret würde dies also auch die Kreditvergabemöglichkeiten von Sparkassen und Genossenschaftsbanken belasten, die in der Krise Garanten für eine sichere Kreditversorgung der mittelständischen Wirtschaft waren und sind. Müssten diese künftig ihr Kreditvolumen aufgrund aufsichtsrechtlicher Vorgaben reduzieren, würden darunter letztlich die kleinen und mittleren Unternehmen leiden, denen in der Regel eine Mittelbeschaffung über die Kapitalmärkte nicht offen steht. Aus der heute in Teilen der Wirtschaft gefühlten Kreditklemme könnte schnell eine reale Unterversorgung werden, was die Finanzierung des konjunkturellen Aufschwungs belasten könnte. Von daher sind Appelle wie der der Mitgliedsverbände der "Arbeitsgemeinschaft Mittelstand", nach dem Änderungen bei bankaufsichtsrechtlichen Regelungen sorgfältig geprüft und im gesamtwirtschaftlichen Kontext abgewogen werden sollten, nur zu unterstützen.

An den "wunden Punkten" ansetzen

Wichtig bei allen künftigen Regulierungsschritten ist, dass diese auch tatsächlich in allen relevanten Volkswirtschaften im Gleichschritt umgesetzt werden. In der Vergangenheit war dies nicht immer der Fall. So haben beispielsweise die USA die Basel-II-Vorschriften bis heute noch nicht umgesetzt, während in Deutschland jede noch so kleine Sparkasse oder Volksbank deren Implementierung mit immensem Aufwand betrieben hat.

Darüber hinaus sollte sowohl auf nationalem wie auch auf internationalem Parkett dafür Sorge getragen werden, dass bei den anstehenden Regulierungsmaßnahmen der "Finger in die Wunde" gelegt und dort angesetzt wird, wo die tatsächlichen Risiken für die künftige Stabilität des internationalen Finanzsystems liegen. Dementsprechend ist für zielführende Regulierungsschritte keine pauschale, sondern eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Marktteilnehmer notwendig, bei der unter anderem die Größe, die betriebenen Geschäftsfelder und die Haftungsmechanismen zentrale Parameter sein sollten. Auch muss sichergestellt werden, dass sich einzelne Banken in Zukunft der staatlichen Aufsicht in stark risikobehafteten Geschäftsfeldern nicht mehr durch Niederlassungen in den einschlägigen Offshore-Zentren entziehen können.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Frage nach einer stärkeren Regulierung der Ratingagenturen, da die Finanzmarktkrise deutlich gemacht hat, dass von Ratingagenturen größere systemische Risiken ausgehen können, als von einzelnen Finanzdienstleistern selber. In diesem Zusammenhang sollte dann auch endlich eine eigenständige und allgemein anerkannte europäische Ratingagentur, die sich an den wirtschaftlichen Grundstrukturen und Zielstellungen Kontinentaleuropas orientiert, eingerichtet werden.

Die dienende Funktion stärker gewichten

Im Ergebnis sollte der Fokus bei allen Regulierungsmaßnahmen darauf liegen, die dienende Funktion der Finanzwirtschaft gegenüber der Realwirtschaft wieder deutlich stärker zu gewichten, als dies in den vergangenen Jahren der Fall war. Hierzu müssen insbesondere Risiken bei denjenigen Marktteilnehmern eingedämmt werden, von denen aufgrund ihrer Größe und dem Umfang ihrer Kapitalmarktaktivitäten relevante Risiken für das Finanz- und Wirtschaftssystem ausgehen. Kontraproduktiv wäre es dagegen, wenn neue regulatorische Vorschriften das originäre Bankgeschäft - zum Beispiel die Mittelstandsfinanzierung - beschneiden würden. Denn würde die in den vergangenen Jahren zu beobachtende Casino-Mentalität auf den internationalen Finanzmärkten über den Umweg der Regulierung letztlich zu einer Unterversorgung der Realwirtschaft mit Krediten führen, wäre dies ganz sicher eine falsche Lehre aus der Krise.

Alexander Wüerst , Vorsitzender des Vorstands Kreissparkasse Köln und Landesobmann der rheinischen Sparkassen , Kreissparkasse Köln
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