Aufsätze

Kunststoffderivate: "Jute statt Plastik"?

Unter Kunststoffen versteht man allgemein Substanzen, deren Grundbestandteil synthetisch oder halbsynthetisch erzeugte organische Polymere (grch.: polumeros, "aus mehreren Teilen bestehend") sind, die aus kettenartigen Molekülen mit Kohlenstoff bestehen.1) Im allgemeinen und weniger wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird Kunststoff oft als Plastik (grch.: "die Formende/Geformte") bezeichnet. Während mit der Verwendung von Plastik durch Endverbraucher noch immer häufig - speziell in Deutschland - das negativ besetzte Schlagwort "Wegwerfgesellschaft" verbunden wird,2) ist Plastik heutzutage ein unersetzbarer Stoff in der industriellen Produktion und vielfach Ersatz etwa für Metalle und Glas. Nicht zuletzt aus diesem Grund kommt dem Thema Management von (Preis-)Risiken im Plastikhandel eine hohe Bedeutung zu.

Charakteristika von Plastik

Es werden zwei Haupttypen von Plastik unterschieden: Thermoplastiken und Thermosets. Die Ersteren sind durch Erwärmung verformbar und können dabei in beliebige Formen gebracht und zum Beispiel zu Getränkeflaschen verarbeitet werden. Gleichzeitig ist so eine Wiederverwertbarkeit gegeben. Die Zweitgenannten enthalten eine Struktur, die durch eine chemische Reaktion erhärtbar ist, und können so zum Beispiel zur Verkleidung von Flugzeugen verwendet werden. Die mit Abstand größte Bedeutung kommt der Gruppe der Thermoplastiken zu, zu deren wichtigsten Vertretern Polypropylen (PP), Polyethylen (PE), Polystyrol (PS), Polyvinylchlorid (PVC) und Polyethylenterephthalat (PET) gehören.3) Speziell PP gilt als einer der leichtesten und besten aller Kunststoffe.4)

Als positive Eigenschaften von Plastik, speziell im Vergleich zu konkurrierenden Metallen, gelten insbesondere das geringe Gewicht, Transport- und Verarbeitungsmöglichkeiten sowie physikalische Eigenschaften wie die fehlende Rostanfälligkeit und die gute Isolationseigenschaft. Während halbsynthetische Kunststoffe durch die Verarbeitung natürlicher Polymere (zum Beispiel Zellulose zu Zelluloid) entstehen, werden synthetische Kunststoffe durch Polymerisation aus einem Monomer erzeugt. Als Rohstoff für die Herstellung dient hierbei meist "gecracktes" Naphtha, ein Produkt aus der Raffination von Erdöl oder Erdgas.5)

Der weltweite Gesamtumsatz der Plastikindustrie wird mit zirka acht Billionen US-Dollar beziffert. Die Plastikindustrie ist in etwa gleich groß wie die für Metalle und auf allen Kontinenten vertreten. Die weltweite industrielle Entwicklung fördert die Rolle von Plastik sehr stark. Das globale Marktwachstum bei Plastik hat sich vom 2,5-fachen des BIP-Wachstums in den siebziger Jahren zwar auf das 1,25-fache des BIP-Wachstums verlangsamt, ist aber dennoch höher als etwa bei Metallen.

Jeder Mensch auf der Welt in entwickelten Ländern verbraucht pro Jahr im Durchschnitt mehr als sein eigenes Körpergewicht an Plastik pro Jahr. Der Konsum ist über die Regionen Europa, Nordamerika und den Rest der Welt in etwa gleich verteilt. Es existieren weltweit zirka 150 bedeutende Produzenten und mehrere 10 000 industrielle Abnehmer.

Wichtigste Umschlagplätze sind Rotterdam, der US-Golf (Houston) und Singapur. Thermoplastik ist hierbei mit Abstand die größte Klasse von Plastik in Bezug auf Handelsvolumen und -wert.6) Die industrielle Verwendung von Plastik ähnelt der von Metallen, etwa in den Bereichen Transport (etwa Automobil- und Flugzeugbau), Verpackung (zum Beispiel Folien, Container), langlebige Konsumgüter (zum Beispiel Möbel, Elektronik, Telekommunikation), Kleidung, Industrie (etwa Rohre, elektronische Komponenten), medizinische Produkte (Einwegartikel) und Landwirtschaft (zum Beispiel Gewächshäuser, Abdeckfolien).7)

Notwendigkeit für derivative Instrumente

Wichtige Einflussfaktoren auf Plastikpreise sind unter anderem Veränderungen im Preis von Rohöl oder Erdgas als zentrale Rohstoffe, das ökonomische Wachstum in den Hauptverbraucherländern wie USA und China und die Entwicklung der internationalen Nachfrage von Industrie und Endverbrauchern.8)

Die Möglichkeit, auf derivative Instrumente zurückzugreifen, birgt für die verschiedenen Teilnehmer in der Wertschöpfungskette eine Reihe von Vorteilen. Für Plastikhersteller etwa besteht die Möglichkeit, mittels Forwards beziehungsweise Futures nicht verkaufte Lagerbestände gegen fallende Marktpreise abzusichern. Daneben können für einen längeren Zeitraum konstante Verkaufspreise angeboten werden. Auch lassen sich hohe Lagerbestände mittels Short-Positionen in Kontrakten mit physischer Erfüllung in Geldmittel umwandeln. Für Verarbeiter von Plastik zu Zwischen- oder Endprodukten lassen sich über Terminkontrakte zukünftige Einkaufspreise für die Rohmaterialien festschreiben. Dies ist speziell auch dann möglich, wenn der Anbieter nicht in der Lage oder nicht willig ist, solche Preissicherheit anzubieten.

Auf der Verkaufsseite ergibt sich so der Vorteil, für einen längeren Zeitraum konstante Preise (mit fester Marge) anbieten zu können. Des Weiteren kann Überbeständen an Rohmaterial über Forwards beziehungsweise Futures mit einer Absicherung gegen Preisverfall begegnet werden. Im Falle physischer Lieferung ist so auch hier die Möglichkeit zur Umwandlung in Geldmittel gegeben. Im umgekehrten Fall von Lieferengpässen der Anbieter kann mittels Long-Positionen in Kontrakten auf Plastik eine physische Lieferung erreicht werden.9)

Der Markt für Plastik gilt als schwer prognostizierbar und ist von einer hohen Volatilität geprägt. Ereignisse wie etwa der Wirbelsturm Katrina führen zu mitunter abrupten Preisanstiegen aufgrund von Versorgungsengpässen. Rekordpreise für Öl und Gas haben in letzter Zeit ihre Auswirkungen auf Plastik gezeigt; eine Folge ist eine erhöhte Nachfrage nach börslichen und außerbörslichen Warentermingeschäften.10) Während Rohmaterial üblicherweise tagesaktuell oder sogar innerhalb eines Tages bewertet wird, werden Preise für den Endkunden zumeist in jährlichen Intervallen gesetzt.

Hersteller von Plastikprodukten, die ihr Rohmaterial auf monatlicher Basis einkaufen, sind häufig gezwungen, den Preis ihrer Artikel innerhalb eines "Katalogjahres" beziehungsweise im Automobilbau während eines "Modellzyklus" konstant zu halten. Diese Charakteristik ist typisch für die Plastikindustrie; Verarbeiter und Konsumindustrie können Preissteigerungen wegen fixierter Endpreise nur sehr eingeschränkt beziehungsweise nur mit größerer Verzögerung weitergeben. Die sich so ergebenden "Plastikrisiken" motivieren die Verwendung derivativer Instrumente.11)

Futureshandel an der LME

Im Mai 2005 hat die London Metal Exchange (LME) Futures auf Plastik beziehungsweise genauer auf PP und Linear-Low-Density-PE (LLDPE) eingeführt. Die LME wird seit Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere von Industrieunternehmen für Absicherungsgeschäfte genutzt und ist heutzutage die weltgrößte Terminbörse für Basismetalle wie Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel, Zink und Zinn.12)

Die Spezifikationen zu den LME-Plastikfutures sind in der Tabelle am Beispiel von PP-Kontrakten zusammengefasst. Basiswert ist PP in drei verschiedenen Graden, die untereinander als gleichwertig angesehen werden und vom Verkäufer nach dessen Wahl an einem der drei Standorte Rotterdam, Singapur oder Houston zu liefern sind.

Handel findet an der LME in drei Formen statt: Auf dem Handelsparkett im Open-Outcry-Verfahren (nur an Arbeitstagen in London), über das elektronische LME- Select-System (1:00 bis 19:00 Uhr GMT) sowie via Telefon (rund um die Uhr). Bei dem ersten Verfahren finden täglich zwei "Ring"-Runden, zwischen 11:45 und 13:05 Uhr beziehungsweise 15:10 und 16:35 Uhr GMT statt. Jeder LME-Kontrakt wird in jeder Runde in Fünf-Minuten-Intervallen gehandelt; für die Kontrakte auf PP beziehungsweise LLDPE beginnen diese Handelsrunden um 12:20 beziehungsweise 15:55 Uhr GMT. Der Open-Outcry-Handel findet zusätzlich auch außerhalb des Ring-Verfahrens statt (Kerb sessions).13)

Geringe Liquidität

Die LME publiziert für die Plastikfutures "offizielle Preise", die als Referenz dienen können und damit die Preistransparenz im Plastikmarkt fördern. Bei jedem Geschäft wird die LCH-Clearnet als Clearingstelle Gegenpartei, um so das Kontrahentenrisiko nahezu vollständig auszuschließen. Eine physische Lieferung erfolgt über registrierte "Warenhäuser", die von der LME überwacht werden. Am Abrechnungstag eines Plastikfutureskontraktes werden hierzu zwecks Eigentumsübertragung "Plastics Warrants" (PW) vom Verkäufer an den Käufer transferiert.

In der Praxis werden allerdings weniger als ein Prozent aller LME-Kontrakte tatsächlich physisch abgewickelt. Dennoch ist die Möglichkeit eines physischen Settlements ein wichtiger Aspekt, ergibt sich doch so zum Beispiel ein "Market of last resort", das heißt die Gelegenheit für An- und Verkäufe bei anderweitig ausgeschöpften Ressourcen am Spotmarkt. Auch sollte zur Förderung der Arbitragefreiheit zwischen Spot- und Derivatemärkten eine enge Verbindung zwischen beiden herrschen.14) Die Liquidität der LME-Plastikfutures ist bisher gering und lag für PP und LLDPE zwischen Januar und September 2006 jeweils unter 12 000 Futureskontrakten zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum wurden zirka 27 Millionen Kontrakte auf Aluminium und zirka 15 Millionen auf Kupfer gehandelt.15)

Preisentwicklung

Die Abbildung zeigt die Entwicklung des Preises für LME-Plastikfutures am Beispiel der Drei-Monats-Kontrakte zwischen Januar und September 2006. Die Preise schwankten in diesem Zeitraum zwischen 1 040 und 1 360 US-Dollar pro Tonne bei PP und zwischen zirka 1 135 und 1 380 US-Dollar pro Tonne bei LLDPE, entsprechend einer Volatilität von zirka 24 Prozent beziehungsweise 21 Prozent per annum. Erwähnenswerterweise haben bisherige Untersuchungen gezeigt, dass von der Einführung eines Futureshandels generell offenbar keine Wirkung auf die Volatilität des Basiswertes ausgeht.16)

Im Juni 2005 hatte die Multi Commodity Exchange of India (MCX), die nationale indische Waren- und Derivatebörse in Mumbai (früher: Bombay), angekündigt, den Handel in PP-, PE- und PVC-Futures aufnehmen zu wollen und im August 2005 Futures auf PP und High-Density-PE (HDPE) eingeführt. Der allgemein gesehenen Notwendigkeit zur Etablierung eines Futureshandels in Plastik ist die indische Regierung durch eine Liberalisierung des Marktes und damit geeignete Rahmenbedingungen begegnet.17) Indien verfügt zurzeit über eine Produktionskapazität von zirka 4,5 Millionen Tonnen pro Jahr und ist zugleich ein wichtiger Nachfrager auf dem Plastikmarkt, insbesondere nach PE und PP. Gegenwärtig belegt Indien den achten Platz beim weltweiten Plastikverbrauch, weist aber zugleich sehr hohe Wachstumsraten auf, so dass die Nachfrage nach Plastik bis zum Jahr 2010 zur drittgrößten hinter der von USA und China zunehmen dürfte.18)

Zertifikatehandel

Die LME-Futureskontrakte haben offenbar auch einige Banken inspiriert, Produkte auf PP und PE aufzulegen.19) So hat etwa die Société Générale Open-End-Zertifikate auf den PP-Futureskontrakt der LME begeben (Isin DE000SG24KE5; ohne Währungssicherung), die unter anderem auch an der Euwax (European Warrant Exchange) gehandelt werden. Der Erfolg derartiger Zertifikate dürfte eng mit dem der Terminkontrakte an LME und MCX verbunden sein; hinzu kommt die Frage, ob es gelingt, den Zertifikatekäufer von der Sinnhaftigkeit eines derartigen Engagements - etwa aus Portfoliodiversifikations-Gesichtspunkten - zu überzeugen.

Trotz des bisher geringen Handelsvolumens wird die Einführung von Plastikfutures als wichtiger Schritt gesehen. Zentrale Probleme liegen noch darin, dass viele Produzenten ihre "Plastikrisiken" nicht hedgen und einige große Marktteilnehmer noch nicht von dem terminbörslichen System überzeugt sind; so dominieren nach wie vor OTC-Plastikderivate. Trotz der als Referenz verwendbaren Preise der LME-Kontrakte wird auch nach wie vor das Fehlen eines globalen verlässlichen Preissystems bemängelt.

Die Komplexität von Plastik im Vergleich zu anderen Gütern - und damit etwa die Bedeutung von Herstellerqualitätsunterschieden - ist ein weiterer Hemmfaktor. Andererseits gab es zum Beispiel an der LME bei der Einführung von Aluminium-Futures in den achtziger Jahren zunächst auch viele skeptische Stimmen, da unter anderem negative Auswirkungen des Futureshandels auf die Preisbildung am Spotmarkt befürchtet wurden. Heutzutage ist dieser Futureshandel etabliert, höchst erfolgreich und genießt die volle Unterstützung durch die Hersteller.20)

Für die Zukunft sind im Plastikmarkt etwa die aus anderen Warenmärkten üblichen Spread-Geschäfte eine Möglichkeit für den Ausbau von Börsen- und OTC-Handelsaktivitäten, zum Beispiel auf Basis der Preisdifferenzen zwischen Rohmaterial und Polymer.21) Die LME als solche verfolgt allerdings zurzeit offenbar schwerpunktmäßig andere Expansionsziele und hat im Mai 2006 angekündigt, ihre geplanten Aktivitäten im Bereich des Stahlmarktes weiter voranzutreiben, um dem nächsten Etappenziel in Form der Einführung von Stahlfutures näher zu kommen.

Der Autor dankt Herrn Jens Wimschulte für wertvolle Hinweise und Anregungen.

Literatur

Gore, G.: Needing Plastic Surgery?, Risk, Vol. 19, July/August 2006, S. 34 bis 35.

LME: The London Metal Exchange (LME) Plastics Futures Contracts, V1.6.November 2004.

LME: Plastics Futures. A Guide to the Risk Management on the LME, Supplement to PRW, EPN and APN Spring 2005.

LME: Plastic Industry Overview, http://www.lme.com/plastics_industryoverview_pp.asp, 5. September 2006 (a).

LME: Polypropylene Contract Specification, http://www.lme.com/poly_contractspec.asp, 5. September 2006 (b).

LME: Why Plastics?, http://www.lme.com/poly-why. asp, 5. September 2006 (c).

MCX: Contract Specifications of High Density Polyethylyne, Information, http://www.mcxindia.com, 2006 (a).

MCX: Plastic Futures, http://www.mcxindia.com, 2006 (b).

MCX: Plastic Futures. Study Report, http://www.mcxindia.com, 2006 (c).

o.V.: "Futures Trading in Plastics Launched", The Hindu, http://www.thehindu.com/2005/08/20/stories/2005082003481600.htm, 20. August 2005.

Rettberg, U.: "Aufschwung der Zertifikate hält an", Handelsblatt vom 8. November 2005.

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