Aufsätze

Aus dem Leben eines Assistenten

"Schwamm drüber, Rosen, Fehler machen heißt Erfahrung sammeln". Mit dieser souveränen Art beendete Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl eine der vielen Entscheidungen, die im Präsidentenbüro getroffen wurden, wobei er zur Rettung seines Leiters des Präsidentenbüros hinzufügte: "Ich hätte Sie besser informieren müssen." Viele von uns wissen von Vorgesetzten, die sich diametral anders verhalten hätten. In gleicher souveräner Weise führte er die Notenbank und es gab nie einen Zweifel: er war der Chef.

Planungssicher, lebensfroh, humorvoll

Der erste gemeinsame Tag, mit seinem Antritt als Vizepräsident der Deutschen Bundesbank am 2. Mai 1977, war für mich in vielerlei Hinsicht nicht unproblematisch. Er kannte mich nicht und war der Empfehlung von Otmar Emminger, dem gerade neu ernannten Präsidenten, gefolgt. Ich wollte den Job haben. Zwar hatte Pöhl als beamteter Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums international schon eine langjährige Erfahrung und einen herausragenden Bekanntheitsgrad, dennoch war er auf dem SPD-Ticket in diese neue Funktion gekommen. Ich dagegen war schon seit Jahren Mitglied der CDU. "Gut, dass Sie mir das gleich sagen", meinte er, "dann haben wir die Möglichkeit, beide Seiten abzudecken."

Jetzt geht es in dieser Würdigung keineswegs um einen vorgezogenen Nachruf davon sind wir hoffentlich noch sehr weit entfernt - noch geht es um Pöhl als Vehikel, um die eigenen Erlebnisse des Assistenten berichten zu können. Vielmehr ist es der Versuch, den Chef, den Präsidenten, den Menschen in einigen Skizzen zu erfassen, mit all seiner Planungssicherheit, seinem Gespür für das Machbare und Notwendige, seine lebensfrohe und humorvolle Art. Andere Autoren dieses Heftes wie EZB-Präsident Jean-Claude Trichet oder Bundesbankpräsident Axel Weber werden sicherlich fokussierter auf die fachlichen und politischen Aspekte der vielfältigen Aktivitäten des Jubilars eingehen.

Bei der Einweihung seines neuen Wohnhauses in Kronberg im Sommer 1979 stellte er den vielen Gästen seine wenige Monate alte Tochter Ricarda mit den Worten vor: "Hier hat jemand aus dem Zentralbankrat endlich etwas zustande gebracht, was Hand und Fuß hat." Ob alle Gäste das verstanden haben, sei dahingestellt. Sein Haus stand auf einem der schönsten Grundstücke Kronbergs. Nachdem die Bundesbank das vorherige historische Gebäude mit seinen Holzpaneelen und dem Geiste der Dichterin Ricarda Huch hatte abreißen lassen, musste neu gebaut werden. Pöhls Beziehungen zur Bauabteilung wurden auf eine harte Probe gestellt. Daran hat sich bis zu seinem Auszug nur wenig geändert. Ärgerlich war unter anderem der Geist, der immer wieder zum Tragen kam und die Verweigerung, dem Präsidenten angemessene Repräsentationsräume zuzugestehen. Dennoch - gerade in Kronberg - hat der Präsident bei vielen Gelegenheiten der Bundesbank Glanz verliehen. Der gute Geist hierbei war natürlich seine Frau, Ulrike Pöhl.

Ausbau der Sammlung zeitgenössischer Kunst

Der Institution Glanz verliehen hat er natürlich ebenso bei den Hunderten von Treffen, Gesprächen und Begegnungen in der Bundesbank selbst. Wenn seine Gesprächspartner im 12. oder 13. Stock des Bundesbankgebäudes zu Recht die Skyline Frankfurts bewunderten, wies er oftmals frohgemut darauf hin, dass von diesem Ort aus glücklicherweise die Bank selbst nicht gesehen werden könne. Deren schlichte Zweckarchitektur fand er ziemlich scheußlich.

In seine Amtszeit fiel auch der Ausbau der Sammlung zeitgenössischer Kunst. Begonnen hatte damit Erich Zachau, in den fünfziger Jahren Mitglied des Direktoriums der Bank Deutscher Länder und später der Bundesbank, mit dem Ankauf einiger Bilder. Aus dieser Zeit stammten unter anderem die wunderbaren Hofers und Heckels. So wurde auf Pöhls Vorschlag 1980 ein Kunstbeirat dreier führender Museumsdirektoren eingerichtet und mit einem Etat von 200 000 DM jährlich versehen. Ziel war es, eine Sammlung herausragender

deutscher Kunst der Nachkriegszeit anzuschaffen. Ob Baselitz oder Graubner, ob Hoedeke oder Goller, ob Penck oder Richter, ob Stöhrer oder Merz, Polke und viele andere mehr, die Bundesbank besitzt eine bemerkenswerte, inzwischen öffentlich sehr anerkannte Sammlung. Über den Kommentar eines damaligen Direktoriumsmitglieds muss ich immer noch lachen: "Das Zeug kann man doch gar nicht ansehen", sagte er nahezu angewidert und drehte sich um. Selbst unter dem Aspekt der Mehrung der Währungsreserven kann sich die Sammlung allerdings mehr als sehen lassen. Heute gehen die Wertansätze oftmals in die Millionen.

Straff geführte Geldpolitik

Im Mittelpunkt aller Energie, Diplomatie und Durchsetzungsvermögens des Präsidenten stand allerdings immer die Geld- und Währungspolitik. Mit Übernahme des Amtes am 1. Januar 1980, nach dem vorangegangenen Personalgezackere von Bundeskanzler Helmut Schmidt, musste die Geldpolitik straff geführt werden. Sachlich war dies völlig gerechtfertigt, denn der Bundeskanzler propagierte öffentlich lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit zu tolerieren. Hier war die Unabhängigkeit der Bundesbank in Gefahr. Pöhl durfte nicht als Erfüllungsgehilfe der Bundesregierung angesehen werden.

Die seinerzeitig erforderlichen geld- und währungspolitischen Entscheidungen haben sein Verhältnis zum Kanzler keineswegs beflügelt - ganz im Gegenteil, und es ist wohl auch so geblieben. Natürlich versuchten die Regierungen immer wieder, die Bundesbank für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Seit Adenauers Zeiten war dies so und gerade Pöhls Vorgänger Otmar Emminger hat dies im Jahr 1979 leidvoll erfahren müssen.

Ein begnadeter Kommunikator

Es ist daher die alles andere überstrahlende Leistung Pöhls in seiner an Glanz und Anerkennung reichen Amtszeit, die Unabhängigkeit der Bundesbank gewahrt, gemehrt und auf das Statut der Europäischen Zentralbank übertragen zu haben. Heute könnte diese Unabhängigkeit der EZB nur durch Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten verändert werden. Dies scheint nahezu ausgeschlossen zu sein. Bei der Bundesbank war dies seinerzeit nicht so. Ein Bundesgesetz hätte genügt und dies auch ohne Zustimmung des Bundesrates.

Die Bundesbank muss deshalb seit je her ein so hohes Ansehen in der Öffentlichkeit haben, dass es keine Bundesregierung wagen kann, eine Schwächung durch Gesetzesänderung wirklich voranzutreiben.

Ebenso muss die Öffentlichkeit aber täglich gewonnen werden. Pöhl war und ist ein begnadeter Kommunikator "Ich sag Ihnen eins: Jeder Journalist, auch wenn er um vier Uhr früh anruft, wird korrekt und anständig behandelt und informiert." Glücklicherweise kam dies zu dieser Uhrzeit nie vor, auch Journalisten schlafen nachts, aber dem Verfasser ist dies in Fleisch und Blut übergegangen. Ob Pöhl selbst um diese Zeit auf der Matte gestanden hätte, mag durchaus bezweifelt werden.

Während der Pöhl-Zeit klebte die Bank auch nicht ausschließlich am Buchstaben der gesetzlichen Zuständigkeiten. Es begann eine neue Aufgeschlossenheit für Kapitalmarktfragen, auch wenn das Bundesbankgesetz eine Zuständigkeit hierfür nicht ausdrücklich erwähnt. Pöhl erkannte das Potenzial der nationalen und internationalen Kapitalmärkte für das Wachstum der deutschen Volkswirtschaft. Pöhls kapitalmarktpolitische Anregungen 1989 in der Frankfurter Wertpapierbörse sowie in der Frankfurter Universität (siehe Beitrag Krahnen - Red) waren wegweisend für die Börsen- und Kapitalmarktentwicklung in Deutschland. Nach Niederlegung des Amtes in Jahr 1991 erlahmte dieser Elan für einige Jahre, was sich erfreulicherweise inzwischen wieder geändert hat.

Bei allen Anstrengungen um die richtige Balance in der Bundesbankpolitik blieb Pöhl weitgehend gelassen und ausgeglichen. Bei dem ersten Tag der offenen Tür für die Angehörigen der Bediensteten, bei Kinderfesten, bei hohen Besuchen der Bundespräsidenten und Bundesminister wie auch ausländischen Repräsentanten blieb er bei aller notwendigen Sachlichkeit verbindlich und erfrischend unaufgeregt. Damals wie heute gab es der Krisen zu Hauf - ob Währungskrise Mexiko 1982, ob vielfältige Brüsseler Wochenendtreffen zur Anpassung der europäischen Währungsschlange, ob Zusammenbruch einer bekannten deutschen Privatbank an Allerheiligen 1983 - Pöhl stand seinen Mann und meisterte die Probleme souverän.

Internationale Akzeptanz

Erwähnenswert ist in diesem Umfeld natürlich auch das Büroteam mit Anneliese Klomfaß und Angelika Waschk, die in einer besonderen Weise harmonierten und die Atmosphäre des Präsidentenbüros prägten. Vertrauen, Loyalität und Arbeitsfreude waren die tragenden Säulen des Büros. Dies war und ist keine Selbstverständlichkeit.

Pöhl hat die Bundesbank auf den Zenit ihres internationalen Einflusses geführt. Nur so konnte er mit dem amerikanischen Notenbankgouverneur Paul Volcker oder mit den Gouverneuren von Großbritannien, Frankreich oder Japan auf Augenhöhe sprechen. Der Verfasser, der hierfür natürlich auch einigermaßen viel arbeiten musste/durfte, hat den Glanz und die internationale Akzeptanz unmittelbar genossen. Auf Hunderten gemeinsamer Reisen zwischen USA und Japan, Europa und China, Indien und Russland und vielen weiteren Ländern, hat der Präsident mir vertraut und nicht nur dem Inhalt seiner Aktentasche. Dafür bin ich ihm dankbar.

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