Aufsätze

Leitlinien für die zentrale Steuerung von Allfinanzkonzernen

Aus der Umsetzung von Allfinanzstrategien entwickelten sich, gerade im deutschen Universalbankensystem, heterogene Konzernorganisationen, die eine große Bandbreite an Finanz- und Versicherungsleistungen anbieten. Unter einem gemeinsamen Dach vereinen sie Konzernunternehmen mit zum Teil äußerst unterschiedlichen Geschäftsmodellen. Gleichzeitig bilden sie durch ihre enge wirtschaftliche Verflechtung eine Wirtschafts- und Risikoeinheit. Die Notwendigkeit einer Absicherung der Risikotragfähigkeit im Konzern und der Wunsch einer gemeinsamen und verbindenden rendite-/risikoadjustierten Kapitalsteuerung bedingen eine zentrale Planungs- und Führungsaufgabe der Konzernleitung.

Damit einher geht allerdings die Gefahr, dass eine als "Einheitsmodell" standardisierte konzernweite Risiko- und Kapitalsteuerung die geschäftsspezifischen Steuerungskonzepte der einzelnen Konzernunternehmen überschreibt und den betroffenen dezentralen Steuerungseinheiten aus ihrer Sicht betriebswirtschaftlich ineffiziente Steuerungskonzepte aufzwingt.

Konzepte zur Abbildung der Risikotragfähigkeit

Vor diesem Hintergrund muss das Management eines heterogenen Finanzkonzerns die folgenden Fragen beantworten:

1) Soll die Ausgestaltung eines zentralen Steuerungsmodells in einem heterogenen Finanzkonzern wert- oder bilanzorientiert erfolgen?

2) Überwiegt der Nutzen einer weitgehenden Vereinheitlichung der zentralen Bewertungs- und Steuerungsmethodik im Konzern die Nachteile einer mangelnden Berücksichtigung geschäftsartenspezifischer Anforderungen in den betroffenen Konzernunternehmen?

Die aufsichtsrechtliche Verpflichtung zum Internal Capital Adequacy Assessment Process (ICAAP) räumt den betroffenen Organisationen eine weitgehende Methodenfreiheit hinsichtlich der Gestaltung ihres ökonomischen Risikotragfähigkeitskonzeptes ein.1) Methodisch konsistent stehen zwei Grundkonzepte zur Auswahl: Going-Concern-Modelle auf Basis bilanzorientierter Methodiken und Gone-Concern-Modelle auf Basis wertorientierter Methodiken.2)

Die bilanzorientierten Going-Concern-Konzepte sollen den Fortbestand einer Organisation auch dann noch sicherstellen, wenn das ins Risiko gestellte Risikodeckungspotenzial vollständig aufgezehrt ist. Dementsprechend wird das Risikodeckungspotenzial nach den bilanzorientierten Normen der externen Rechnungslegung und der aufsichtsrechtlichen Eigenmittelnomenklatur festgestellt, und es werden ausschließlich Kapitalbestandteile angesetzt, die nicht bereits in den handels- und aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen gebunden sind. Dem bilanzorientierten Kapital- und Risikobegriff3) entsprechend sind die Risikoidentifikation, -messung und -steuerung methodisch nach ihrer GuV- respektive Bilanzwirksamkeit zu gestalten. Hieraus folgt notwendigerweise eine Differenzierung der Risiko- und Geschäftsexposure in Fair-Valuebilanzierte und in zu fortgeführten Zugangswerten kalkulatorisch bilanzierte Rechnungslegungskategorien.

Dem Schutz der Gläubigeransprüche verpflichtet

In den marktwertbezogenen Positionen4) werden alle temporären wie dauerhaften Risiken auf der Basis potenzieller marktinduzierter Wertänderungen (zum Beispiel durch VaR-Modelle) abgebildet. Da den nichtmarktwertbilanzierten Positionen grundsätzlich eine Dauerhalteabsicht zugrunde liegt,5) müssen lediglich Risiken aus dem Ausfall respektive einer dauerhaften unerwarteten Abschreibung bilanzieller Nennwerte (zum Beispiel durch nominelle Kreditausfallmodelle) sowie aus poten ziellen periodischen Mindererträgen und Mehraufwendungen der laufenden Geschäftstätigkeit (zum Beispiel durch Earningsat-Risk- oder Zinsspannen-Modelle) erfasst werden.

Letztlich stellt die bilanzorientierte Risikosteuerung auf eine Optimierung und Absicherung des kumulierten periodischen GuV-Ergebnisses sowie der bilanziellen Eigenmittel ab. Die interne Steuerung muss, nach Maßgabe externer Rechnungslegungsnormen undkategorien differenziert, sowohl eine periodenorientierte Nominalwertsteuerung als auch eine zeitpunktbezogene Marktwertsteuerung abbilden.

Wertorientierte Gone-Concern-Ansätze sollen demgegenüber den realisierbaren Substanzwert einer Organisation abbilden. Sie sind allein dem Schutz der Gläubigeransprüche für den Fall einer Institutsliquidation (Realisationsannahme) verpflichtet. Dementsprechend kann das verfügbare Risikodeckungspotenzial alle verwertbaren Vermögenspositionen und Verbindlichkeiten zu ihren zeitpunktbezogenen, realisierbaren Markt- respektive Barwerten umfassen, frei von externen Ansatz- und Bewertungsregeln, die die ökonomische Betrachtung verzerren könnten.6)

Dementsprechend sind die Risikoidentifikation, -messung und -steuerung methodisch nach rein ökonomischen, marktorientierten Erfolgs- und Bewertungsnormen zu gestalten. Unterschiedslos werden über alle Bestände die temporären wie dauerhaften Markt- respektive Barwertrisiken (zum Beispiel durch VaR-Modelle) abgebildet. Ausnahmen sind allenfalls zulässig soweit bei Buchkrediten keine validen Marktinformationen für spezifische Bewertungsfaktoren und Bilanzpositionen verfügbar sind.7)

Die Instrumente der Risikosteuerung zielen allein auf die Zeitwertsensitivität und die risikoadjustierte barwertige Performance der Geschäftsbestände ab. Dadurch lässt sich eine weitreichende Vereinheitlichung der Bewertungs- und Steuerungsmethodik innerhalb einer Organisation erreichen. Vor dem Hintergrund der generellen Realisationsannahme erfolgt allerdings keine Unterscheidung der Positionen nach dem Geschäftszweck oder der Natur der Geschäftstätigkeit.

Vereinheitlichung der Methoden

Aus Konzernperspektive ist eine weitreichende Vereinheitlichung der angewendeten Bewertungs- und Steuerungsmethoden für die Effektivität und Effizienz einer zentralen Konzernsteuerung, insbesondere für die Absicherung der Risikotragfähigkeit und die rendite-/risikoadjustierte Risikokapitalallokation des Konzerns, zwingend. Die Standardisierung gemeinsamer Risikofaktoren, Bewertungsverfahren sowie Performance- und Risikomodelle im Konzern ermöglicht eine widerspruchsfreie Aufsummierung der konzernweit verfügbaren Risikodeckungspotenziale und eine hierzu konsistente Berechnung des aggregierten Bedarfs an ökonomischem Kapital unter optimaler Ausnutzung potenzieller Diversifikationseffekte.8)

Eine valide rendite-/risikoadjustierte Risiko- und Kapitalsteuerung im Konzern erfordert eine hinreichend transparente, objektive und gleichartige Analyse der Risikostrukturen und Renditebeiträge aller Konzernunternehmen. Unternehmensspezifische Bewertungsstandards und Gestaltungsspielräume in der Darstellung der zu evaluierenden Geschäftsaktivitäten sind im Konzern zu minimieren.

Eine methodische Vereinheitlichung ist überdies für die praktische Durchführung einer Konzernsteuerung unerlässlich, damit die einzelnen Konzernunternehmen die im strategischen Planungsprozess konzernweit definierten Risikolimite und Performanceziele operativ konsistent umsetzen können und die Konzernlenkung die Auswirkungen zentraler Steuerungsimpulse ex ante kalkulieren kann. Konzerninterne Ineffizienzen infolge abweichender Risikobewertungen und konträrer Steuerungsmaßnahmen werden durch die methodische Standardisierung unterbunden.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das wertorientierte Kalkül als zentrale Steuerungsgröße und Impulsgeber anerkannt. Flankierende bilanzorientierte und regulatorische Steuerungskreise können als strenge Nebenbedingungen fallweise korrigierende Steuerungsimpulse auslösen, sofern vordefinierte bilanzielle oder regulatorische Zielgrößen verletzt werden.9)

In der Praxis setzen insbesondere größere und/oder kapitalmarktorientierte Institute respektive Konzerne wertorientierte (Gone-Concern-)Verfahren als primäres Steuerungsinstrument ein.10) Das Primat einer wertorientierten Kapital- und Risikosteuerung ist allein ökonomischen Zwecken verpflichtet, bietet durch die Zeitwertbetrachtung eine hohe Risikosensitivität und verspricht eine substanziell ertragsoptimale Vermögensentwicklung über die Totalperiode.

Die praktische Funktionalität und Aussagekraft einer wertorientierten Steuerung steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass alle Geschäfts- und Risikopositionen grundsätzlich kapitalmarktnah bewertet und gesteuert werden können. Insbesondere die bilanzorientierten und aufsichtsrechtlichen Nebenbedingungen müssen, im Idealfall kapitalmarktbasiert, aussteuerbar sein. Die konzeptionellen Stärken einer wertorientierten Steuerung nehmen in dem Maße ab, wie diese Prämissen für spezifische Geschäftstätigkeiten nicht zutreffen.

Integration heterogener Geschäftsmodelle in die Steuerung

Eine zentrale Konzernsteuerung schlägt zwangsläufig auf die Beurteilung und Durchführung der Geschäftstätigkeit in allen Konzernunternehmen durch. Ein zentrales Steuerungskonzept, das ein notwendiges Maß an Standardisierung verlangt, kann kaum individuelle Ansatz- und Bewertungstatbestände aus den Steuerungskalkülen einzelner Konzernunternehmen zulassen. Allenfalls können unternehmensspezifische Gestaltungsspielräume über die Weite der definierten Limite geschaffen werden.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die zu priorisierende Steuerungsmethodik aus dem spezifischen Geschäftsmodell beziehungsweise der dominierenden Geschäftstätigkeit jedes Konzernunternehmens abzuleiten. Damit führen heterogene Geschäftsmodelle innerhalb eines Konzerns zu einem Steuerungskonflikt. Zur Steuerung kurzfristig angelegter, kapitalmarktnaher Geschäftstätigkeiten ist in Bezug auf ihre ökonomische Aussagekraft und Zielerreichung grundsätzlich eine wertorientierte, stichtagsbezogene Gesamtbanksteuerung zielführend, die von bilanz orientierten und aufsichtsrechtlichen Steuerungskreisen flankiert wird.

Dem gegenüber erscheint für grundsätzlich endfällig gehaltene, kapitalmarktferne respektive kundengeschäftsbezogene Geschäftstätigkeiten eine bilanzorientierte, periodische Primärsteuerung ökonomisch sinnvoller. In diesem Fall würden wertorientierte und aufsichtsrechtliche Steuerungskreise als strenge Nebenbedingungen fungieren. Wertorientierte Gone-Concern-Modelle bieten sich beispielsweise für Zentralinstitute oder Investmentbanken an, bilanzorientierte Going-Concern-Modelle dagegen für Bausparkassen, Versicherungen oder Hypothekenbanken.

Opportunitätskosten der Konzernsteuerung entstehen, wenn ein zentrales Steuerungskonzept den unterschiedlichen ökonomischen Steuerungsanforderungen der Tochtergesellschaften nur eingeschränkt entspricht und das im Konzern priorisierte Steuerungskalkül im Widerstreit zu den geschäftsmodellspezifisch zu priorisierenden Steuerungskalkülen einzelner Tochterunternehmen steht.

Dies ist der Fall, wenn in einem Konzern Unternehmen verbunden sind, die aus der Logik ihrer Geschäftstätigkeit zum einen Teil primär nach wertorientierten Methoden und zum anderen Teil primär nach bilanzorientierten Methoden gesteuert werden. In diesem Fall sind die Vorteile einer methodisch vereinheitlichten Konzernsteuerung gegen die damit verbundenen Opportunitäts kosten in den Tochterunternehmen abzuwägen.

Klärung verschiedener Fragen

Die Opportunitätskosten sind auf differierende Steuerungsziele und methodische Unterschiede zurückzuführen, die aus der Sicht bilanzorientiert steuernder Konzerntöchter zu einer negativen Beurteilung der Performance- und Risikosituation der eigenen Geschäftsaktivitäten durch den wertorientiert steuernden Konzern führen. Materielle Kosten entstehen für die betroffenen Konzernunternehmen dann, wenn durch die Konzernsteuerung die eigenen Geschäftsaktivitäten eingeschränkt werden und/oder zentrale Steuerungsimpulse im eigenen Geschäfts- und Risikokalkül einen negativen "Steuerungs-Trade-Off" implizieren.

Dies können zum Beispiel in den Tochterunternehmen zusätzliche Transaktionskosten, die Begründung neuer Risiken, die Auflösung bestehender Risikoabsicherungen oder die Realisation temporärer Verluste sein. Im Kontext einer grundsätzlich wertorientierten Konzernsteuerung sind hinsichtlich der Integration bilanzorientierter Geschäftsmodelle folgende Fragen zu evaluieren:

- Inwieweit ist der Ansatz stichtagsbezogener, wertorientierter Risikodeckungspotenziale und temporärer Risiken aus kapitalmarktfernen und/oder nicht-realisierbaren Geschäftspositionen aussagekräftig?

- Stehen die Annahmen und Ziele einer wertorientierten Konzernsteuerung in einem potenziellen Widerspruch zu den Normen und Zielen allgemeiner oder geschäftsspezifischer Regulierungen (zum Beispiel bausparkassen-, pfandbrief- oder versicherungsrelevanten Gesetzen und Verordnungen)?

- Droht durch den wertorientierten Ansatz temporärer Zeitwertrisiken eine systematische "Risikoüberlastung" und Abwertung kapitalmarktferner, langfristig orientierter (Kunden-)Geschäftsaktivitäten?

- Welche negativen Trade Offs treten zwischen einer wertorientierten und einer bilanzorientierten Steuerung auf?

- Welche Kosten und Risiken können wertorientierte Steuerungsimpulse in bilanzorientierten Geschäftsmodellen auslösen?

- Verstärkt eine wertorientierte Konzernsteuerung die Zyklizität der laufenden, periodischen Erträge?

Innerhalb heterogener Finanzkonzerne kumulieren sich, schwerpunktmäßig aus den bilanzorientierten Geschäftsmodellen, in erheblichem Umfang kapitalmarktferne Vermögens- und Schuldpositionen. Hierunter fallen nicht nur Geschäftspositionen und Risiken, die nicht am Geld- und Kapitalmarkt gehandelt werden (etwa Kundenkredite, Einlagen, Bausparkollektive, implizite Kundenoptionen) und per se nicht kurzfristig realisier- respektive steuerbar sind, sondern auch kapitalmarktfähige Exposure, die aufgrund gesetzlicher Bestimmungen und/oder aus einer zwingenden Logik der Geschäftssteuerung de facto dauerhaft gebunden sind (etwa strategische Beteiligungen, Deckungsstockpapiere, bauspar- und versicherungsbezogene Wertpapieraktiva).

Abstellung auf substanzielle Vermögenswerte

Grundsätzlich ist die wertorientierte Abbildung dieser Positionen "technisch" darstellbar. Hierbei ist gemäß gängiger praktischer und aufsichtsrechtlicher Auslegung wertorientierter Gone-Concern-Ansätze nicht auf direkt liquidierbare "Zerschlagungswerte" abzustellen, sondern auf substanzielle Vermögenswerte für den Fall, dass potenzielle Risikoereignisse im Risikobetrachtungshorizont zu einer Liquidation führen. Sind wegen fehlender aktiver Marktpreise keine Marktwerte ermittelbar, ist eine modellgestützte Barwertermittlung auf Basis diskontierter Positions-Cashflows zulässig. Zusätzlich sind über die Restlaufzeit der betrachteten Positionen anfallende Bestandskosten und zu erwartende Verluste angemessen zu berücksichtigen.11)

Die Disponierbarkeit, der Realisationsertrag und der Realisationszeitpunkt wert orientierter Risikodeckungspotenziale aus kapitalmarktfernen Positionen sind allerdings kritisch zu prüfen. Sofern eine Barwertmodellierung notwendig ist, kann wegen der Ungewissheit der potenziellen Realisationserlöse und Realisationszeitpunkte die Deckungsfähigkeit kapitalmarktferner Positionen im Risikofall grundsätzlich infrage gestellt werden.

Besonders kritisch ist die Abbildung "gebundener Spezialkonstrukte" innerhalb einer Konzernsteuerung, da sich diese infolge sachlogischer Steuerungszwänge und gesetzlicher Vorschriften faktisch einer zentralen Disposition entziehen. Hierunter sind beispielsweise Deckungsstöcke zu verstehen, deren Deckungspotenziale zweckgebunden sind. Gleiches gilt für Bausparkollektive inklusive ihrer derzeit erheblichen außerkollektiven Anlagebestände. Der spezialgesetzliche Kollektivschutz und die "Funktionsweise" von Kollektiven schließen eine mittelfristige Liquidation nennenswerter Kollektivmittel und eine enge wert orientierte Risikosteuerung weitgehend aus.

Signifikante operative Steuerungsprobleme

Neben grundsätzlichen Bewertungs- und Ansatzfragen treten bei der Integration bilanzorientiert gesteuerter Tochterunternehmen in eine wertorientierte Konzernsteuerung überdies signifikante operative Steuerungsprobleme auf. In der wertorientierten und der bilanzorientierten Betrachtung weichen die Wertansätze für das Risikodeckungspotenzial und die Basis der Risikomessung, die Definition relevanter Risikoarten sowie die Ziele der Risikosteuerung konzeptionell erheblich voneinander ab (vergleiche Abbildung). In der Konsequenz kann eine wertorientierte Konzernsteuerung in Widerspruch zu den geschäftsmodellspezifischen Steuerungskonzepten der betroffenen Konzernunternehmen treten, wodurch sich erhebliche Opportunitätskosten in der Konzernsteuerung ergeben können.

Eine konsistente wertorientierte Konzernsteuerung setzt letztlich auch für kapitalmarktferne Positionen den Ansatz stichtagsbezogener Markt- beziehungsweise Barwerte und die vollumfängliche Modellierung temporärer Zeitwertrisiken voraus. Demgegenüber kann aus der Perspektive eines betroffenen Tochterunternehmens begründet argumentiert werden, dass eine Belastung ihrer kapitalmarktfernen Geschäftstätigkeit, insbesondere endfälliger (Kunden-)Geschäfte, mit temporären Zeitwertrisiken betriebswirtschaftlich unangemessen ist, sofern im Zeitablauf eine Wertaufholung wahrscheinlich oder deterministisch ist.12)

Soweit temporäre Zeitwertrisiken nicht rechnungslegungswirksam sind, stellt eine wertorientierte Konzernrechnung bilanzorientierte, langfristige Geschäftsaktivitäten systematisch schlechter als eine bilanzorientierte Going-Concern-Analyse.

Damit verschlechtert sich im Rahmen einer wert orientierten Kapitalallokation die relative rendite-/risikoadjustierte Performance derartiger Geschäftsaktivitäten gegenüber kapitalmarktorientierten, kurzfristigen Aktivitäten, und es besteht die Gefahr einer systematischen Nicht- oder zu Geringberücksichtigung kapitalmarktferner Geschäftsfelder (insbesondere margenenger Geschäftsfelder wie dem Hypothekengeschäft) und einer strukturellen Übergewichtung von Kapitalmarktgeschäften im Konzern.

Im Kontext der operativen Geschäftssteuerung drohen bei einer engen wertorientierten Konzernsteuerung latente Zielkonflikte zu untergeordneten bilanzorientierten Steuerungsmodellen, die zu einer zusätzlichen Kosten- und Ertragsbelastung in den betroffenen dezentralen Steuerungseinheiten führen können. So ist eine fortlaufende Limitierung und Aussteuerung barwertiger Sensitivitäten in kapitalmarktfernen, langfristigen Geschäftsbeständen regelmäßig gegenstandslos und läuft ins Leere, wenn sich temporäre Zeitwertschwankungen erwartungsgemäß im Anlagebestand überdauern und sich nicht realisieren.

Eine fortlaufende Barwertsteuerung löst hier lediglich Transaktionskosten aus, ohne realisierbare positive Risikoeffekte zu generieren. Zudem drohen bei barwertiger Risikoaussteuerung zusätzliche GuV-Risiken aus der Realisation temporärer Verluste, ertragsvariablen Sicherungspositionen oder dem Aufbau und Abbau barwertiger Sicherungsgeschäfte zu ungünstigen Marktniveaus.

Konsequenzen der Heterogenität für die Konzernsteuerung

Der in heterogenen Finanzkonzernen implizite Widerstreit zwischen dem Nutzen einer wertorientierten Risiko- und Kapitalsteuerung und ihren Opportunitätskosten innerhalb originär bilanzorientiert geführter Tochtergesellschaften entzieht sich einer allgemeinen "mathematischen" Lösung. Aus Sicht der Autoren ist eine enge wertorientierte "Übersteuerung" bilanzorientierter, kapitalmarktferner Geschäftsaktivitäten ebenso wenig zielführend, wie der weitgehende Verzicht auf eine methodisch vereinheitlichte wertorientierte Risiko- und Kapitalsteuerung im Konzern.

Praktisch liegt es in der Verantwortung des Managements, einen für den konkreten Einzelfall angemessenen Kompromiss zwischen den Anforderungen einer methodisch konsistenten wertorientierten Konzernsteuerung und den geschäftsspezifischen Steuerungserfordernissen in den einzelnen Konzerntöchtern zu definieren. Die zuvor formulierten Leitfragen können hier als Richtschnur dienen.

Eine praxisnahe und effiziente Lösung ist, in geschäftstypisch bilanzorientiert gesteuerten Tochtergesellschaften eine methodisch konsistente wertorientierte Risiko- und Kapitalsteuerung innerhalb hinreichend großer Risikokapitalpuffer zu implementieren. Diese sind derart zu gestalten, dass im Regelfall eine geschäftsspezifische Steuerung innerhalb der betroffenen Tochtergesellschaften möglich bleibt und nur bei Auslastung der eingeräumten Spielräume wertorientierte Impulse aus der Konzernsteuerung ausgelöst werden. Hieraus resultieren freilich Kosten aus der Einrichtung doppelter Steuerungskalküle in den betroffenen Töchtern sowie aus der latenten Unterauslastung der konzernweiten Risikodeckungspotenziale. Diesem "Heterogenitätsabschlag" ist der Nutzen gegenzurechnen, der aus der zusätzlichen Risikosicherung, der Vermeidung latenter Opportunitätskosten, der Verstetigung der periodischen Ertragskraft im Konzernverbund sowie dem Schutz geschäftsspezifisch etablierter respektive optimierter Steuerungslogiken resultiert.

Eine Alternative zur vorgenannten Lösung könnte die Implementierung bilanzorientierter Steuerungskonzepte in heterogenen Finanzkonzernen sein. Diese versprechen auf Basis ihrer nach Rechnungslegungskategorien differenzierten Ansatz- und Bewertungsvorschriften eine sachgerechtere Abbildung heterogener Geschäftstätigkeiten und eine zielgerechtere Berücksichtigung geschäftsmodellspezifischer Steuerungslogiken.

Zur Absicherung der substanziellen Reinvermögensentwicklung sollte eine bilanzorientierte Steuerung, neben der obligatorischen wertorientierten Konzernrechnung als strenge Nebenbedingung, zusätzlich um ein konsistentes wertorientiertes Regime in der Einzelgeschäftskalkulation ergänzt werden. Möglicherweise bietet die Kombination aus einer einzelgeschäftsbasierten Steuerung der laufenden Reinvermögenszugänge und einer nach rechnungslegungsspezifizierten Normen differenzierten Steuerung der kapitalmarktnahen und -fernen Geschäftsbestände einen besseren Ansatz zur Steuerung heterogener Finanzkonzerne.

Zudem ist die Harmonisierung und Rückkopplung der ökonomischen Steuerung mit dem strategischen Fokus der Aufsicht zu berücksichtigen. Hier ist zum einen der im strategischen Planungsprozess und im Risikotragfähigkeitskonzept eingebettete Kapitalplanungsprozess13) zu sehen, in dem Organisationen ihren zukünftigen regulatorischen und internen Kapitalbedarf mehrjährig identifizieren und sicherstellen müssen. Zum anderen fokussiert sich die aufsichtliche Kontrolle verstärkt auf den Nachweis nachhaltiger Geschäftsstrategien und eine viel genauer und enger getaktete Analyse der Ertragslage der Institute. Beide Aspekte legen die Aufwertung einer bilanzorientierten Going-Concern-Betrach

tung nahe. * Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und ist keine offizielle Position der DZ Bank AG.

Literaturverzeichnis

Kramer, Helge 2012: Moderne Ansätze zur fachseitigen Ausgestaltung der Risikotragfähigkeitsdarstellung in einer mittelgroßen Sparkasse, in: Becker, Axel/Berndt, Michael/Klein, Jochen et al. (Hrsg.) 2012: Risikotragfähigkeit im Fokus der Bankenaufsicht, Heidelberg, S. 5 bis 90

BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) 2011: Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeit, Rundschreiben 7. Dezember 2011

Deutsche Bundesbank 2010: "Range of Practice" zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit bei deutschen Kreditinstituten, Frankfurt am Main Deutsche Bundesbank 2013: Bankinterne Methoden zur Ermittlung und Sicherstellung der Risikotragfähigkeit und ihre bankaufsichtliche Bedeutung, in: Deutsche Bundesbank 2013: Monatsbericht März 2013, S. 31 bis 45

Wiedemann, Arnd/Wiechers, Sebastian 2013: Risikotriade Teil II - Integrierte Rendite-/Risikosteuerung im ökonomischen Kapitalkonzept, Frankfurt am Main Wimmer, Konrad/Schirsch, Claudia 2013: Kapitalplanungsprozess - Gestiegene Anforderungen, in: Die Bank, Heft 8, S. 52 bis 55

Fußnoten

1) Vgl. § 25a KWG; MaRisk 2012, AT 4.1.

2) Vgl. Deutsche Bundesbank 2013, S. 34 f., i.V.m. BaFin 2011; Deutsche Bundesbank 2010.

3) Zum Risikobegriff im Kontext alternativer Kapitalbegriffe vgl. Wiedemann/Wiechers 2013, S. 5ff. Speziell zum Risikobegriff vgl. ebenda S. 29ff.

4) Allg. Umlaufvermögen, insb. Handelsbestand und Liquiditätsreserve; in IFRS-Kategorien: HfT, AfS.

5) Allg. Anlagevermögen; in IFRS-Kategorien: LaR, HtM.

6) Vgl. BaFin 2011, Abschnitt II. b); Deutsche Bundesbank 2013, S. 35.

7) Vgl. BaFin 2011, Abschnitt V. 1.

8) Zum komplexen Prozess der diversifizierten Aggregation von Einzelrisiken zum wertorientierten ökonomischen Kapitalbedarf vgl. ausführlich Wiedemann/Wiechers 2013, S. 172ff., 191ff.

9) Vgl. zum Beispiel Wiedemann/Wiechers 2013, S. 27f.; Kramer 2012, S. 10.

10) Demgegenüber wählen kleinere und mittlere Institute eher bilanzorientierte (Going-Concern-)Verfahren als primäres Steuerungsinstrument; vgl. Deutsche Bundesbank 2010, S. 6.

11) Vgl. BaFin 2011, IV. 2.

12) Die Argumentation deckt sich wiederum inhaltlich völlig mit den Ansatzvorschriften im Anlagebestand bilanzorientierter Going-Concern-Risikotragfähigkeitsansätze.

13) Vgl. MaRisk 2012, AT 4.1, Tz. 9; Wimmer/Schirsch 2013, S. 52.

Dr. Sebastian Wiechers , DZ Bank AG, Frankfurt am Main
Univ.-Prof. Dr. Arnd Wiedemann , Inhaber des Lehrstuhls für Finanz- und Bankmanagement , Universität Siegen
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