Aufsätze

Mikrokreditbanken - Fluch oder Segen?

Im Greenpeace-Magazin von März-April 2014 konnte man unter der Überschrift "Mythos Mikrokredit - Kleinstkredite nutzen nicht den Armen, sondern dem Finanzkapital" ein pauschales, geradezu vernichtendes Urteil zu Mikrokrediten lesen. Die Kernaussagen des Artikels lauten: Der Begründer der Mikrokredite, Muhammad Yunus, der 1983 mit der Grameen Bank in Bangladesch die erste Mikrokreditbank gegründet hatte, erhielt hierfür 2006 den Friedensnobelpreis. Dadurch gelte das Konzept als Erfolg. Dies sei jedoch falsch.

Schleier der Verallgemeinerung

Internationale wissenschaftliche Studien belegten immer häufiger, dass Mikrokredite keine armutsreduzierende Wirkung aufwiesen, sondern im Gegenteil den Armen schadeten. Die Zinsen für Mikrokredite seien mit im Durchschnitt mehr als 30 Prozent pro Jahr so hoch, dass die Kreditnehmer dadurch in Überschuldung getrieben würden. Durch rigide Geldeintreiber würden den überschuldeten Kleinkreditnehmern ihre wenigen Habseligkeiten weggenommen, was unter anderem zu Verzweiflung und hohen Selbstmordraten führe. Selbst die Grameen Bank verlange 20 Prozent und treibe diese genauso rigide ein wie alle anderen. Der Grund für die negative Wirkung von Mikrokrediten für die Armen liege darin, dass bei der Vergabe von Mikrokrediten nicht Armutsbekämpfung im Mittelpunkt stehe, sondern die Einbindung der Armen in die Kapitalmärkte, um daraus Profit für die Banken und Investoren zu schlagen - zulasten der Ärmsten der Armen.1)

Die harsche Kritik von Greenpeace an den kommerziellen, auf Profitmaximierung basierenden Mikrokreditbanken ist durchaus berechtigt. Die börsennotierte mexikanische Mikrokreditbank mit dem Namen Compartamos2) Bank, die laut Greenpeace sogar über 60 Prozent Zinsen verlange, sowie Groß- und Investmentbanken, die laut Greenpeace in das Geschäft mit der Armut eingestiegen sind, dürften tatsächlich eine ohnehin bereits überwiegend reiche Eigentümer-Klientel auf Kosten der Ärmsten der Armen bereichern. Nicht berechtigt ist jedoch, die Grameen Bank von M. Yunus und andere nach den Yunus-Prinzipien arbeitende Institute mit diesen profitmaximierenden Mikrokreditbanken in einen Topf zu werfen. Diese Pauschalisierung verdeckt fundamentale Unterschiede und breitet einen falschen Schleier der Verallgemeinerung über Mikrokredite als solche, die dadurch zu unrecht generell in Misskredit gebracht werden. In dieser Pauschalisierung irrt das Greenpeace-Magazin leider, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll. Der am 28. Juni 1940 in Bathua, Bezirk Chittagong in Bangladesch geborene Muhammad Yunus studierte Ökonomie in seinem Heimatland sowie den USA. Er wurde 1972 Professor und Leiter der volkswirtschaftlichen Fakultät an der Chittagong-Universität. Durch das große Elend und die schlimme Not seiner Mitmenschen während der Hungerkrise 1974 und in den Folgejahren sowie über die unmenschlichen Wucherzinsen erschüttert, beschloss Yunus, diesem Elend abzuhelfen.3) So begann er ab 1977 Kleinstkredite zu vergeben, was 1983 schließlich zur Gründung der Grameen Bank (übersetzt: "Dorf"-Bank) führte. Diese Bank wurde aus tief mitmenschlichen Motiven gegründet. Der Grundgedanke von Yunus war, den Ärmsten seiner Landsleute durch ökonomische Hilfe zur Selbsthilfe eine menschenwürdige Existenz zu ermöglichen. Daher unterschied sich diese ganz durch philanthropischen Geist geprägte Bank von Anfang an vollkommen von allen anderen Banken, geschweige denn von den ausbeuterischen Geldleihern. Yunus sagte selbst einmal, er habe Struktur und Vorgehensweise der nach dem Prinzip der Profitmaximierung arbeitenden kommerziellen Geschäftsbanken studiert und dann einfach in allen Punkten das Gegenteil gemacht.4)

Genossenschaftlich organisiert

Die Grameen Bank war von Anfang an als eine Non-Profit-Bank konzipiert. Die Gewinne sollten nicht wenigen, normalerweise ohnehin wohlhabenden Aktieneigentümern5) als Nicht-Arbeits-Einkommen in Form von Dividenden oder Aktienkurssteigerungen zufließen, sondern denjenigen zugute kommen, die sie durch ihre Arbeit erwirtschaften: den kleinen, armselig lebenden und hart arbeitenden Kreditnehmern der Grameen Bank. Daher wurde die Bank nicht als Aktiengesellschaft, sondern als Genossenschaft organisiert. Sie sollte in Händen der vielen fast mittellosen Kleinkunden der Bank sein, die Genossen werden sollten.6) Als solche hatten diese auch entsprechende Mitspracherechte.7)

Zinssätze im Vergleich

Dadurch, dass die Bankgewinne nicht an eine kleine Gruppe wohlhabender Aktionäre abflossen, konnte die Grameen Bank ihren Kreditnehmern von Anfang an Geld zu vergleichsweise niedrigen Zinsen zur Verfügung stellen. Die 20 Prozent nominaler Jahreszins, die die Grameen Bank verlangte, waren, gemessen an den damals als häufig einzige Alternative existierenden Darlehen der Geldleiher und verglichen mit heutigen Zinssätzen von profitorientierten Mikrokreditbanken, äußerst günstig.

Für viele der ärmsten Menschen in Bangladesch und anderen Ländern vor Gründung der Grameen Bank stellten Geldverleiher häufig den praktisch einzigen Zugang zu Krediten dar. Ein Zinssatz von zehn Prozent pro Woche, wie er bei Geldverleihern durchaus üblich war und ist8), entspricht einem Zinssatz von über 14 000 Prozent pro Jahr.9) Auf den Philippinen ist beispielsweise das sogenannte Fünf-Sechs-Schema weit verbreitet: Für fünf Pesos, die zu Sonnenaufgang geliehen werden, müssen am Tagesende sechs Pesos zurückbezahlt werden.10) Dies entspricht einem Zinssatz von 20 Prozent pro Tag beziehungsweise von über sechs Milliarden Prozent auf 100 Tage. Bei diesem Zinssatz werden finanzmathematisch aus einem Euro-Cent binnen 200 Tagen über 57000 Milliarden Euro. Der Grund hierfür ist der in der Finanzbranche übliche Zinseszinseffekt.

Zur Verdeutlichung der Zinseszins-Problematik sei die Geschichte vom "Josephspfennig" erwähnt: Wenn im Jahre 1 unserer Zeitrechnung bei der Flucht nach Ägypten von Maria und Joseph ein Pfennig zu einem Zinssatz von vier Prozent angelegt worden wäre, so wäre daraus bis zum Jahre 1750 über Zins und Zinseszins ein Geldbetrag im Wert von einer Erdkugel aus Gold geworden. Bis zum Jahr 1990 wären daraus 890 solcher Kugeln geworden.11) Es ist offensichtlich, dass eine solche Kapitalvermehrung nur zulasten anderer Menschen möglich ist, im Falle von Geldverleihern zulasten der Kleinstkreditnehmer, die durch dieses System strukturell übervorteilt werden.

Die Grameen Bank verzichtete für ihre klassischen Kleindarlehen im Gegensatz zu konventionellen Banken oder Geldleihern von Anfang an auf Zinseszinsen. Sie vergab standardmäßig feste Ratenkredite zu einem Zinssatz von 20 Prozent pro Jahr.12) Der klassische Basis-Mikrokredit der Grameen Bank hatte (und hat) folgende Struktur: Die Kreditlaufzeit beträgt ein Jahr. Kredite werden in wöchentlich gleichbleibenden Raten abbezahlt. Die erste Rate ist eine Woche nach Kreditherausgabe zu leisten, wobei sich die Raten aus einem Tilgungs- und einem Zinsanteil zusammensetzen. Die wöchentliche Tilgung beträgt zwei Prozent der Kreditsumme für die Dauer von 50 Wochen, wodurch der Kredit über diesen Zeitraum vollständig getilgt wird. Die Zinsen betragen umgerechnet zwanzig US-Cent pro Woche pro 100 geliehenen US-Dollar; Zinseszins gibt es nicht. Die Zinsen werden nicht während der gesamten Laufzeit auf den zu Anfang geliehenen Betrag bezogen, sondern auf die durchschnittlich ausstehende Restschuld - diese beträgt exakt die Hälfte des ursprünglich geliehenen Betrages (siehe Abbildung 1).

Bei einem Jahreszinssatz von 20 Prozent sind umgerechnet pro geliehenen 100 US-Dollar somit insgesamt 20 Prozent x 50 US-Dollar = zehn US-Dollar während der Gesamtlaufzeit an Zinsen zu bezahlen. Pro Woche ergibt das zehn US-Dollar / 50 Wochen = 0,2 US-Dollar, also 20 US-Cent pro geliehene 100 US-Dollar. Hierzu ein konkretes Beispiel: Ein Kunde möchte einen Mikrokredit über umgerechnet 100 US-Dollar. Die wöchentliche Tilgung über 50 Wochen beträgt zwei Prozent der Kreditsumme, das heißt zwei US-Dollar pro Woche. Die Zinsen betragen jede Woche 0,2 US-Dollar pro geliehene 100 US-Dollar. Folglich hat der Mikrokreditnehmer jede Woche zwei US-Dollar Tilgungsanteil plus 0,2 US-Dollar Zinsanteil = 2,2 US-Dollar zu seinen Treffen mit den Bankangestellten mitzubringen. Auf die gesamte Kreditlaufzeit bezogen betragen die Zinsen also zehn US-Dollar. Das entspricht einem Zinssatz von zehn Prozent auf den ursprünglich geliehenen Betrag von 100 US-Dollar beziehungsweise 20 Prozent auf den durchschnittlich ausstehenden Kreditbetrag von 50 US-Dollar.13)

Flat-Rate-Methode

Eine Vergleichszahl hierzu: Die profitorientierte, börsennotierte mexikanische Compartamos Bank wirbt mit Mikrokrediten von vier Prozent pro Monat nach der sogenannten Flat-Rate-Methode (siehe Abbildung 2).14) Flat-Rate-Methode bedeutet, dass die vier Prozent bis zuletzt auf den ursprünglich entliehenen Betrag gezahlt werden müssen. Bei einem Kreditbetrag im Gegenwert von 100 US-Dollar müssen bei einer Kreditlaufzeit von zwölf Monaten jeden Monat vier US-Dollar Zins bezahlt werden beziehungsweise ein US-Dollar pro Woche (zum Vergleich: bei der Grameen Bank 0,2 US-Dollar pro Woche), unabhängig von zwischenzeitlich erfolgten Tilgungszahlungen, unabhängig davon, wie hoch die ausstehende Restschuld ist. Über zwölf Monate bedeutet dies Zinszahlungen von insgesamt 48 US-Dollar (zum Vergleich: Bei der Grameen Bank müssen insgesamt zehn US-Dollar Zins bezahlt werden) oder einen Zinssatz von 48 Prozent (ohne Berücksichtigung von zwischenzeitlich angefallenen Zinsen) auf die ursprünglich entliehenen 100 US-Dollar (im Vergleich dazu: zehn Prozent bei der Grameen Bank) oder 96 Prozent auf den durchschnittlich ausstehenden Kreditbetrag.

Unter Berücksichtigung sonstiger Gebühren und Kosten, die von der Compartamos Bank den Kreditnehmern zusätzlich in Rechnung gestellt werden (und die bei der Grameen Bank nicht anfallen) ergibt sich bei der Compartamos Bank ein tatsächlicher effektiver Jahreszinssatz von mindestens 105 Prozent pro Jahr.15) (Zum Vergleich: Bei der Grameen Bank beträgt der Effektivzins 20 Prozent pro Jahr, da hier keine weiteren Gebühren in Rechnung gestellt werden).16)

Inflationsbereinigter Zinssatz

Diese effektiven Nominalzinsen muss man jedoch noch um die Inflation bereinigen, um die Realzinsen zu erhalten, die die Kreditnehmer tatsächlich zahlen müssen. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Angenommen ein Bäcker nimmt einen Kleinkredit von 100 US-Dollar zu 20 Prozent Nominalzins für ein Jahr auf. Nach einem Jahr muss der Bäcker also 120 US-Dollar zurückzahlen. Nehmen wir an, die Fladenbrotpreise betragen bei Kreditaufnahme 0,1 US-Dollar pro Brot. Ein Kredit über umgerechnet 100 US-Dollar entspricht für den Bäcker also einem Wert von 1 000 Fladenbroten. Wenn keine Inflation existiert, die Fladenbrotpreise also konstant bleiben, so muss der Bäcker nach einem Jahr, um die 120 US-Dollar zurückzahlen, 1 200 Fladenbrote backen und zurückzahlen. Beträgt die (Brotpreis-)Inflation jedoch 20 Prozent, das heißt, die Brotpreise steigen binnen Jahresfrist von 0,1 US-Dollar pro Brot beziehungsweise zehn US-Cent auf zwölf US-Cent pro Fladenbrot, so muss der Bäcker nach einem Jahr, um die 120 US-Dollar zurückzuzahlen, nur 1 000 Fladenbrote backen. Sein Realzins liegt also bei null, wenn der Kreditzins 20 Prozent beträgt und die Inflation ebenfalls 20 Prozent. Liegt die (Fladenbrotpreis-)Inflationsrate bei zehn Prozent, so beläuft sich der Realzins des Bäckers auf 9,1 Prozent.17) Der Realzins gibt also an, wie viel ein Kreditnehmer tatsächlich, real zurückzahlen muss. Der Realzins ist also in Wirklichkeit für den Kreditnehmer der entscheidende Zinssatz, nicht der Nominalzins.

Angewendet auf die Grameen und Compartamos Bank ergibt sich folgende Rechnung. Im Gründungsjahr der Grameen Bank 1983 betrug die Inflationsrate in Bangladesch 8,5 Prozent. Bereinigt man die 20 Prozent Nominalzinsen um diese Inflationsrate, so erhält man für das Jahr 1983 einen Realzins von 10,6 Prozent. Für das Jahr 1984 erhält man einen Realzins von 5,3 Prozent. Realzinsen von fünf bis zehn Prozent 1983 und 1984 waren, verglichen mit den Wucherzinsen ringsum, äußerst niedrig. 2012 betrug die Inflationsrate in Bangladesch etwa neun Prozent.18) Der Realzins der Grameen Bank 2012 belief sich also auf 10,1 Prozent (20 Prozent Nominalzins bereinigt um die Inflationsrate von neun Prozent). In Mexiko betrug die Inflationsrate 2012 etwa vier Prozent.19) Der Realzins der Compartamos Bank betrug 2012 97,1 Prozent (105 Prozent Nominalzins bereinigt um die Inflationsrate von vier Prozent).

Das heißt 2012 waren die Realzinsen der profitorientierten Compartamos Bank mit 97,1 Prozent beinahe zehnmal so hoch wie die Realzinsen der nicht profitorientierten Grameen Bank von 10,1 Prozent. Da beide Banken Mikrokredite vergeben, kann man sie unter dem Begriff Mikrokreditbanken zusammenfassen und einen Durchschnittszinssatz von Mikrokreditbanken bilden. Eine solche Durchschnittsbildung der Zinssätze von Compartamos und Grameen Bank ist ähnlich sinnvoll wie die Durchschnittsbildung des Einkommens einer Führungskraft mit einem Monatseinkommen von 10 000 Euro mit demjenigen einer Hilfskraft, die ein Monatseinkommen von 1 000 Euro hat. Im Durchschnitt verdienen beide 5 500 Euro. Doch was sagt dies aus? Über die Realität des Lebens eines Menschen mit einem Monatseinkommen von 1 000 Euro sagt dies wenig aus, im Gegenteil, die Beschreibung der Wirklichkeit wird durch eine solch unsinnige Durchschnittsbildung verfälscht. Es ist eine analytische Unsauberkeit, die Zinssätze zweier Institutionen, die so wenig gemeinsam haben wie die Compartamos Bank und die Grameen Bank, zu einem Durchschnitt zusammenzufassen und hieraus Schlüsse über alle Mikrokreditbanken ableiten zu wollen. Eine solche Unsauberkeit muss zu wissenschaftlich falschen Ergebnissen führen.

Gewinn für Aktionäre

Dass die Zinssätze der nach profitorientierten Grundsätzen handelnden Compartamos Bank beinahe zehnmal so hoch sind wie diejenigen der Grameen Bank ist kein Zufall. Nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung handelnde Unternehmen verfolgen vollkommen andere Ziele als nicht-gewinnorientierte Unternehmen. Der Zweck von Krediten für gewinnmaximierende Mikrokreditbanken ist nicht, Kleinkreditnehmern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, sondern Gewinn für ihre überwiegend sehr wohlhabenden Aktionäre zu erzielen. Sie unterscheiden sich in dieser Beziehung nicht von den Geldleihern, die von ihren Klienten Wucherzinsen verlangen, um sich selbst zu bereichern. Gerade dies versuchte Yunus durch die Gründung der Grameen Bank zu verhindern. Dass heute die Grameen Bank mit den Wucherzinsnehmern, seien es Geldleiher, seien es profitmaximierende Geschäftsbanken, die Yunus bekämpfen wollte, in einen Topf geworfen wird, ist nicht nur analytisch unsauber, sondern in hohem Maße irreführend und falsch. De facto vergibt die Grameen Bank bis heute ihre Kredite zu effektiven Realzinsen, die, je nach Inflationsrate, zwischen fünf und 15 Prozent liegen.

Diese Zinsen müssen den realen Alternativen der Kleinkreditnehmer gegenübergestellt werden: den Wucherzins nehmenden Geldleihern oder den profitorientierten Mikrokreditbanken. Verglichen mit beiden ist die Grameen Bank um ein Vielfaches billiger. Die Kosten für Kleinkredite in Asien oder anderen Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen mit den in Europa oder den USA üblichen Zinsen für Durchschnittskredite zu vergleichen, ist dreifach falsch und irreführend. Zum einen ist das Zinsniveau allgemein in Industrieländern deutlich niedriger als in Entwicklungsländern. Zum anderen sind Kleinkredite wegen des sehr viel höheren Bearbeitungsaufwandes deutlich teurer als Normalkredite. Kleinkredite sind daher auch in Europa sehr viel teurer als Normalkredite. Drittens ist die Inflationsrate in Industrieländern normalerweise deutlich niedriger als in Entwicklungsländern. Was man also eigentlich vergleichen müsste, um zu einer wirklichkeitsgemäßen Aussage über die Zinshöhe zu kommen, sind Zinsen für Mikrokredite in Entwicklungsländern mit den allgemein üblichen Zinsen in Entwicklungsländern, Kleinkredite mit Kleinkrediten und Realzinsen mit Realzinsen statt Nominalzinsen mit Nominalzinsen.

Irreführende Verallgemeinerung

Der Vergleich, den Greenpeace anstellt,20) ist daher unseriös. Denn ein Vergleich mit der falschen Referenzgröße erzeugt das Bild, als ob die Grameen Bank ebenso wie profitorientierte Geschäftsbanken eine halsabschneiderische Bank sei, die auf Kosten der mittellosen Kleinkreditnehmer eine kleine Anzahl an wohlhabenden Aktionären bereichert. Auf profitorientierte Mikrokreditbanken wie Compartamos dürfte dies auch durchaus zutreffen, nicht jedoch auf die Grameen Bank. Es ist analytisch und methodisch falsch, profit- und non-profit-Mikrokreditbanken in einen Topf zu werfen und unter dem Begriff "Mikrokreditbanken" zu subsumieren. Man sollte künftig die Begriffe streng und sauber trennen in: Non-Profit-Mikrokreditbanken und Profit-Mikrokredit banken. Jegliche Vermischung der beiden Begriffe zu einem undifferenzierten Einheitsbegriff "Mikrokreditbank" ist falsch, da sachlich unsauber, nicht zielführend und Erkenntnis-Unschärfe erzeugend.

Literaturverzeichnis

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Fußnoten

1) Greenpeace-Magazin Nr. 2/2014, März-April, S. 15-16.

2) Compartamos bedeutet: wir teilen, wir nutzen gemeinsam.

3) Vgl. Yunus, Muhammad (1999), S. vii ff.

4) Vgl. Spiegel, Peter (2012), S. 7-11.

5) Vgl. Eigentümerstruktur an Unternehmen in Deutschland oder den USA: Die gesamten deutschen Unternehmen, soweit sie in Besitz von Inländern sind, gehören ebenfalls etwa einem Zehntel der deutschen Bevölkerung, vgl. Frick/Grabka 2009, S. 60. In den USA beispielsweise befinden sich 61 Prozent der Anteile an Finanzaktien (financial securities) in Händen der reichsten ein Prozent der US-Amerikaner, 98 Prozent aller Finanzaktien gehören den reichsten zehn Prozent der US-Amerikaner. Vgl. Domhoff 2012.

6) Yunus' Absicht, die Bank - ähnlich einer Genossenschaft - zu 100 Prozent in den Besitz der Kreditnehmer zu übergeben, konnte nicht gänzlich umgesetzt werden: Die Regierung behielt zunächst 60 Prozent Anteile an der Bank - die Kreditnehmer bekamen die übrigen 40 Prozent. Erst im Lauf der Jahre konnte die Eigentumsstruktur dahingehend geändert werden, dass die Kreditnehmer zu 75 Prozent im Besitz der Bank waren, später sogar zu 93 Prozent - dies war wichtig, da die Besitzverhältnisse auch die Besetzung des Verwaltungsrats der Grameen Bank bestimmten - erst jetzt waren gewählte Vertreter der Kreditnehmer in der Mehrheit und konnten bei Entscheidungen stets die staatlichen Vertreter überstimmen." Stand Oktober 2011 gehört die Bank sogar zu 95 Prozent den Armen, die restlichen fünf Prozent verbleiben bei der Regierung. Quelle: http://www.grameen-info.org/index.php? option=com_content&task=view&id=26&Item id=175 unter Punkt 2.0

7) Vgl. Yunus, Muhammad (1999), S. 235 oder Grameen Bank (2011)

8) Vgl. Spiegel, Peter (2012), S. 21: "Yunus fragte weiter: 'Können Sie sich das Geld nicht anderswo leihen und das Material selbst kaufen?' 'Schon, aber der Geldverleiher würde noch viel mehr von mir verlangen. Die Leute, die sich mit ihnen abgeben, werden nur noch ärmer.' 'Wieviel nimmt der Geldverleiher?' 'Das hängt davon ab. Manchmal verlangt er zehn Prozent pro Woche. Einer meiner Nachbarn muss sogar zehn Prozent pro Tag bezahlen.'" In Yunus, Muhammad (1999), S. 47, ist der originale Dialog in Englisch abgedruckt.

9) Die exakte Formel zur Berechnung der tatsächlichen Jahreszinsen lautet:

(1+Zinssatz) Kreditlaufzeit in Tagen ./. 365

10) Vgl. Smith, Phil/Thurman, Eric (2007), S. 55-57.

11) Vgl. Kennedy (1996), S. 5. Die Zahlen beziehen sich auf DM-Werte aus dem Jahre 1996.

12) Die Grameen Bank hat verschiedene Kredite in ihrem Angebot: flexible Kredite, Hauskredite zu acht Prozent, Bildungskredite zu fünf Prozent, sogar ein Kreditprogramm für Bettler, das heißt sehr kleine Kredite zu null Prozent. Doch die mit Anstand wichtigste Kreditform ist der Basis-Kredit für einkommensgenerierende Tätigkeiten. Letzterer wird auch heute noch zu festen, transparenten 20 Prozent pro Jahr ohne Zinseszinsberechnung vergeben.

13) Vgl. Yunus (1999), S. 61-83 und 235-243.

14) Vgl. Waterfield, Chuck (2011).

15) Vgl. Waterfield, Chuck (2011).

16) Micro Finance Transparency untersucht die Mikrokreditprodukte von Mikrofinanzinstituten und vergleicht im Anschluss an eine ausführliche Analyse, inwieweit die von den MFIs angegebenen Zinssätze mit den rechnerisch tatsächlichen Zinssätzen übereinstimmen. Wenn dies zu 100 Prozent korrekt ist, erhält ein solches Institut die Höchstnote (Microfinance Transparency Index = 100 Prozent). Der Grameen Bank ist dies für jedes ihrer Mikrokreditprodukte gelungen. Vgl. Micro Finance Transparency (2011).

17) Die genaue finanzmathematische Formel für die Ermittlung der Realzinsen lautet:

(1+ Zinssatz ./. 1+ Inflationsrate- 1× ) x 100

18) Vgl. www.tradingeconomics.com

19) Vgl. www.tradingeconomics.com

20) Wörtlich heißt es dazu im Greenpeace-Magazin: "Hierzulande liegen die Zinsen bei drei bis fünf Prozent, für Mikrokredite sind es im weltweiten Schnitt mehr als 30 Prozent." Greenpeace-Magazin März/ April 2014, S. 15.

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