Aufsätze

Monetäre Statistik: Leuchtfeuer auf dem Weg zum stabilen Geld

Das Ziel war klar: den Wert des Geldes zu sichern. So stand es zumindest im Bundesbankgesetz, welches seit 1957 die Richtschnur des Handelns der deutschen Notenbank war. Zwar bedurfte es zunächst noch einer Diskussion darüber, ob der innere oder der äußere Geldwert im Gesetz gemeint war, denn von der Beantwortung dieser Frage hing entscheidend der dazu notwendige Mitteleinsatz ab: Zur Erhaltung der Binnenstabilität, das heißt einer niedrigen und stabilen Inflationsrate wären andere Prozesse und Instrumente einzusetzen gewesen als zur Wahrung des äußeren Geldwertes, also eines stabilen Wechselkurses.

Ein Spiel mit Wirkungsverzögerungen

Nachdem in den 1960er-Jahren jedoch dann herausgearbeitet worden war, dass das Eine, nämlich ein stabiler Außenwert der D-Mark, aus dem anderen, nämlich einer niedrigen Inflationsrate folgen würde, war das operative Ziel, das die Deutsche Bundesbank aus ihrem Gesetzesauftrag herausinterpretierte, klar: Es ging primär darum, mit den geldpolitischen Instrumenten auf eine geringe Inflationsrate hinzuwirken, wobei sich das Inflationsausmaß, das mit Preisstabilität als vereinbar galt, im Laufe der Zeit noch verringerte.

Inwiefern war in diesem Zusammenhang die monetäre Statistik von Bedeutung? Während die Erfüllung des gesetzten Zieles aus der Preisstatistik des Statistischen Bundesamtes abgelesen werden konnte, bedurfte es zur wirkungsvollen Beeinflussung der Inflationsrate darüber hinausgehender Informationen. Man benötigte zeitlich vorgelagerte Indikatoren, die die künftige Entwicklung des Preisniveaus und damit der Inflationsrate so frühzeitig anzeigen konnten, dass die Notenbank bei absehbaren Zielverfehlungen mit ihrem Instrumentarium gegensteuern konnte. Denn die Geldpolitik ist ein Spiel mit Wirkungsverzögerungen: Heute eingesetzte Instrumente zeigen ihre Wirkungen auf Realwirtschaft und Inflation erst in einigen Quartalen.

Zur Abschätzung künftiger Inflationstrends dienten einmal Informationen über die realwirtschaftliche Aktivität, da nach gängigen Vorstellungen über den Inflationsprozess eine Beschleunigung der Geldentwertung insbesondere im Gefolge von Überauslastungen der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten auftrat. Die hierbei verwendeten Daten haben - entgegen einer allgemeinen Exaktheitsvermutung, welche die Öffentlichkeit makroökonomischen Datenangaben immer noch entgegenbringt

- mehrere Nachteile: Zum einen liegen sie nur mit Verzögerungen vor, sodass ein zeitnahes Abbild der Konjunkturdynamik also der "Realtime"-Konjunktur - nicht gegeben werden kann. Zum anderen sind sie revisionsanfällig, sodass ein einmal frisch festgestelltes Konjunkturbild im nächsten Quartal bereits wieder in anderen Farben gemalt sein kann.

Monetäre Vorgänge im Blick

Die Bundesbank verließ sich jedoch seit Anbeginn ihrer selbstständigen Geldpolitik, also nachdem die Wechselkursfesseln des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er-Jahre abgestreift waren, nicht ausschließlich auf das realwirtschaftliche Konjunkturbild zur Diagnose des geldpolitischen Handlungsbedarfs. Sie hing der durch den Monetarismus inspirierten Sichtweise an, dass insbesondere die Geldangebotsbedingungen und die daraus folgende monetäre Versorgung der Volkswirtschaft - also rein monetäre Vorgänge - wesentliches Erklärungspotenzial für die künftige Inflationsrate haben.

Dadurch rückte die monetäre Statistik, also das Abbild der Kreditprozesse in einer Volkswirtschaft, in den Mittelpunkt der geldpolitischen Betrachtungen. Hieraus erklärt sich auch die besondere Bedeutung der monetären Statistik für die Geldpolitik der deutschen Bundesbank. Die monetäre Statistik nahm damit in Deutschland eine wichtigere Rolle für die Geldpolitik ein als in anderen Ländern und dies insbesondere für eine längere Periode, als dies in der Geldpolitik anderer Notenbanken der Fall war.

Exakter und schneller verfügbar

Die monetären Indikatoren, die die Deutsche Bundesbank zur Durchführung ihrer Politik der Geldmengensteuerung verwendete, leiteten sich direkt aus den bankstatistischen Gesamtrechnungen ab. Die monatliche Bilanzstatistik der Deutschen Bundesbank bildet eine konsolidierte Bilanz des Kreditsektors - oder wie man heute sagen würde der Monetären Finanzinstitute - ab.

Aus diesen Kredittransaktionen des Bankensektors mit dem Nichtbankensektor leiten sich die Geldmengen- und Kreditaggregate ab, die zu den Zeiten der Geldmengensteuerung naturgemäß im Zentrum der Finanzmärkte standen: Zunächst die Entwicklung der bereinigten Zentralbankgeldmenge, also der Guthaben der Kreditinstitute bei der Notenbank einschließlich des Bargeldumlaufs, danach die Entwicklung der breiten Geldmengenaggregate wie etwa M3 (Bargeldumlauf, Sichteinlagen, Termineinlagen und ein großer Teil der Spareinlagen der Nichtbanken bei Kreditinstituten).

Geldschaffung und Kreditgewährung bilden hier die zwei Aspekte eines Vorgangs, nämlich der Transaktionen des Bankensektors mit dem Nichtbankensektor und werden umfassend in einem gesamtheitlichen Zahlenwerk abgebildet, das Entstehung und Verwendung neu geschaffener Geldeinheiten dokumentiert. Darunter analysierte die Bundesbank jedoch auch die Entwicklungen enger abgegrenzter Aggregate wie M1 oder M2 sowie weitere Details des Geldschöpfungsprozesses.

Gegenüber realwirtschaftlichen Daten hat die monetäre Statistik die Eigenschaft höherer Exaktheit und schnellerer Verfügbarkeit. Während die Indikatoren der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen in aufwendigen Prozessen aus einer Vielzahl von Erhebungen und Teilindikatoren zusammengesetzt sind, ist die monetäre Statistik einfacher und kohärenter aufgebaut.

Wegen der Überschaubarkeit der zugrunde liegenden Aktivitäten und Akteuren nämlich der Schaffung von Kreditverhältnissen durch Kreditinstitute - ist die Erhebung einfacher und vollständiger als in der von Definitions- und Messproblemen geplagten realwirtschaftlichen Statistik. Dies ermöglichte zum Beispiel auch eine höherfrequente Messung als in der realwirtschaftlichen Sphäre.

Daten kaum revisionsbedürftig

So lagen die monatlichen Geldmengenzahlen der Deutschen Bundesbank bereits in der Mitte des Folgemonats vor, während beim Bruttoinlandsprodukt die Quartalsauswertung anfangs bis zu zehn Wochen, später immerhin noch sechs bis acht Wochen benötigte. Darüber hinaus gab es etwa bei der Zentralbankgeldmenge sogar wöchentliche Indikationen, während bei realwirtschaftlichen Indikatoren in einzelnen Fällen die Monatsveröffentlichung den kürzest möglichen Turnus darstellt. Schließlich sind die monetären Daten, zu denen auch Wertpapierkurse und -renditen gehören, kaum revisionsanfällig und bieten ein hohes Maß an Transparenz: Wenn nicht neue methodische Konzepte eine Rückrechnung erfordern, bleiben die Daten über die Zeit konstant. Einzig bei der Saisonbereinigung, die ebenfalls die Bundesbank durchführte, gab es mitunter Defizite bei der Nachvollziehbarkeit, nicht zuletzt deswegen, weil hier bei der Konstruktion der Daten diskretionäre Elemente eine Rolle spielten.

Unerwünschte Folgen des Strukturwandels im Kreditwesen

Dass die Bundesbank insbesondere in der Spätphase ihrer eigenständigen Geldpolitik, also in den 1990er-Jahren nicht nur Freude hatte mit den monetären Indikatoren, lag schließlich nicht an der Qualität der monetären Statistik. Die Erhebung monetärer Daten spiegelt nicht nur die Aktivität im Kreditsektor und damit indirekt auch in der Realwirtschaft wider, sondern ist in besonderer Weise für institutionelle Veränderungen anfällig.

So hinterließ der vielfache Strukturwandel im Finanzwesen auch seine Spuren in der monetären Statistik, ohne dass eine Revision der definitorischen Konzepte diesen Wandel ausgleichen konnte. Die Erscheinungsformen des Geldes in seinen verschiedenen Funktionen ist nach wie vor Wandlungen unterlaufen. So schufen die dynamischen Finanzmärkte in der jüngeren Vergangenheit häufig neue Instrumente, die ab einer gewissen Marktgängigkeit Geldfunktionen übernahmen und damit die Indikatorfunktionen der herkömmlichen Geldmengenaggregate beeinträchtigten.

Die Konsequenz bildeten immer häufigere Verfehlungen der Geldmengenziele. 1988 war die Bundesbank bei ihrem Zielaggregat von der bereinigten Zentralbankgeldmenge zum weiten Geldmengenaggregat M3 übergegangen, weil insbesondere ein vermehrter Bargeldumlauf im Ausland diesen Indikator erratisch schwanken ließ. Aber auch die Geldmenge M3 war gegenüber den Veränderungen von Gewohnheiten und Produkten im Finanzsektor nicht immun: Die vermehrte Entwicklung von Finanzinnovationen, wie etwa das Vordringen der Geldmarktfonds, insbesondere während der 1990er-Jahre machten die Steuerung des weiten Geldmengenaggregats zunehmend schwieriger und bedeuteten zum Schluss sogar ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem für die geldpolitische Strategie der deutschen Notenbank.

Diagnose von Inflationsgefahren

Andere Zentralbanken, insbesondere in den wertpapiergeprägten Finanzsystemen der angelsächsischen Länder hatten diese Erfahrung bereits in den 1980er-Jahren gemacht, sodass die Zentralbanker zum Schluss vor der Geldmengensteuerung resignierten: "Nicht wir haben M3 aufgegeben, sondern M3 hat uns aufgegeben." Die Deutsche Bundesbank behielt bis zum Eintritt in die Währungsunion 1999 ihre Geldmengensteuerung bei, obwohl auch in der deutschen Diskussion die Unsicherheiten über die Stabilität der Geldnachfrage zugenommen hatten. Die Bedeutung der monetären Indikatoren lag denn auch weniger in der buchstäblichen Erfüllung oder Nicht-Erfüllung der jährlichen Geldmengenziele als vielmehr in dem hohen Stellenwert, welcher der monetären Analyse zur Diagnose von Inflationsgefahren eingeräumt wurde.

Zunehmender Einfluss von Finanzvariablen auf die Realwirtschaft

Nach einer Phase der Zweifel am grundsätzlichen Nutzen monetärer Daten für die Geldpolitik, die in den vergangenen Jahren in einer Abwendung von monetaristischen Konzepten bei der Geldpolitik geführt hatte, gewinnen diese gegenwärtig wieder an Bedeutung - dies allerdings weniger, weil sich die Geldnachfrage wieder stabilisiert hätte als vielmehr, weil man gegenwärtig einen zunehmenden Einfluss von Finanzmarktvariablen auf die realwirtschaftliche Sphäre der Volkswirtschaften ausmacht.

Die Bedeutung der Finanzmärkte für das realwirtschaftliche Geschehen steigt weiter: Marktgrößen nehmen zu, neue Segmente bilden sich, die Volatilität von Finanzmarktpreisen ist mitunter hoch. Neue Phänomene treten auf: So zeigt sich expansive Geldpolitik heute nicht nur in den Güterpreisen, sondern auch in Finanzmarktpreisen. Die Rolle der weltweiten Liquidität für die Kapitalmärkte ist gerade heute ein wichtiges Thema. Unter diesen Verhältnissen die Rolle der Geldmenge und anderer monetärer Indikatoren adäquat zu definieren, ist Aufgabe der modernen Geldpolitik.

Auch aus diesen Gründen bilden Geldmengen- und Kreditindikatoren auch weiterhin eine wichtige Basis für geldpolitische Entscheidungen. In der Konzeption der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde die Verwendung monetärer Daten für die Geldpolitik weiter entwickelt und verfeinert - und dies in Zeiten, in denen die US-amerikanische Zentralbank die Bedeutung von Geldmengenaggregaten für ihre Zinspolitik weiter reduziert und etwa die Veröffentlichung der Größe M3 aufgegeben hat. Die monetäre Statistik der Europäischen Zentralbank entsteht aus der Harmonisierung und Zusammenfügung der weiterhin dezentral durch die nationalen Notenbanken erhobenen Daten.

Die EZB übernahm wesentliche monetäre Überlegungen der Bundesbank, modifizierte sie aber. Sie betreibt keine Geldmengensteuerung, zieht aber die Geldmenge im Rahmen ihrer Zwei-Säulen-Strategie zur Diagnose der Inflationsgefahren heran. Hierzu hat sie das verfügbare monetäre Diagnoseinstrumentarium sogar noch erweitert: Indikatoren wie etwa die Geldlücke oder die vertiefte Betrachtung von Kreditaggregaten zur Interpretation der Geldmengenentwicklung haben die monetäre Analyse vorangebracht. Auf diese Weise wird die durch die Bundesbank begonnene Tradition fortgesetzt. Die EZB besitzt damit einen Analyserahmen, der für die Weiterentwicklung geldpolitischer Strategien richtunggebend sein kann.

Dr. Ulrich Kater , Chefvolkswirt , DekaBank - Deutsche Girozentrale, Frankfurt am Main
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