Aufsätze

Paradigmenwechsel im Risikomanagement

In den Portfolios deutscher institutioneller Investoren dominieren traditionell Rentenanlagen. Im aktuellen Kapitalmarktumfeld stellt diese Allokation die meisten Großanleger vor gravierende Herausforderungen. Das tiefe Zinsniveau und der Verlust sicherer Häfen schaffen eine neue Situation: Der risikolose Zins - lange Zeit die zentrale Prämisse der institutionellen Anlagestrategie - hat sich in ein zinsloses Risiko verwandelt. Vor diesem Hintergrund ist eine breite Diversifikation über unterschiedliche Assetklassen in einer risikogesteuerten Asset Allocation das Gebot der Stunde, um ein optimiertes Chancenmanagement von dringend benötigten Marktrisikoprämien zu erreichen. Die Finanzmarktkrise hat allerdings die Grenzen einer breit diversifizierten strategischen Asset Allocation mit statischen Gewichten aufgezeigt. Die Kapitalmarkttheorie postuliert zwar positive Risikoprämien in der langfristigen Betrachtung. Diese sind aber offenbar nicht in allen Zeiten derart stabil, dass eine diversifizierte Asset Allocation mit statischen Gewichten eine zufriedenstellende Wertentwicklung sicherstellen kann. Auch bestmöglich diversifizierte Portfolios wiesen in gestressten Marktphasen zumindest zeitweise erhebliche Verluste auf.

Dynamisierung der Asset Allocation

Im risikokontrollierten Portfoliomanagement findet daher zunehmend ein Umdenken statt. Der Markowitz-Ansatz, welcher entscheidend auf langfristigen, aber durch schnelle Trendwechsel erschwerten Renditeprognosen beruht, ist nicht mehr das Maß aller Dinge. Neue Konzepte der dynamisierten Diversifikation sind gefragt. Risikogesteuerte Ansätze der Asset Allocation können hier einen Mehrwert bieten. Diese führen eine Steuerung der Asset Allocation ein, welche allein auf Volatilitäts- und Korrelationsannahmen basiert und die kontinuierliche Anpassung an sich verändernde Marktentwicklungen vorsieht. Renditeprog nosen spielen hier keine Rolle mehr.

Mit Equal Risk, Equal Contribution to Risk und Maximum Diversification stehen heute bereits drei Ansätze zur Verfügung, die methodisch eng verwandt sind. Im Grundsatz zielen sie alle darauf ab, mit vergleichbarem Risiko jederzeit in allen Assetklassen investiert zu sein. Hierfür wird die Asset Allocation regelmäßig und regelbasiert an die sich verändernden Marktrisiken angepasst. Die Gewichtung einer Assetklasse wird reduziert, wenn ihre Volatilität oder ihre Korrelation zu einer anderen Assetklasse steigt. In der Umsetzung von Ansätzen der risikogesteuerten Asset Allocation sollte eine Beschränkung des Anlageuniversums auf liquide Assetklassen erfolgen, in denen eine kostengünstige derivative Umsetzung der Allokationsanpassungen als Overlay möglich ist.

Als Herausforderung erweisen sich die teilweise recht hohen Volatilitätsschwankungen, die eine gezielte Risikobudgetierung erschweren und in vielen Fällen auch der Risikotragfähigkeit sowie gegebenenfalls externen wie internen Restriktionen der Investoren im Wege stehen. Hohe Volatilitätsschwankungen, die im Übrigen keine spezifische Eigenschaft einer risikogesteuerten Asset Allocation sind, können aber mittels einer Target-Vola-Steuerung reduziert werden. Bei dieser Methode wird angestrebt, die Portfoliovolatilität in einer geringen Bandbreite zu halten, sodass Investoren im Ergebnis eine nahezu konstante Volatilität erhalten. Die Target-Vola-Steuerung versteht sich vor allem als Ins trument der Risikofeinsteuerung, mit welcher Portfoliomanager sicherstellen können, stets mit der gleichen Volatilität Marktrisikoprämien zu vereinnahmen.

Einen erhöhten Nutzen bieten Ansätze der risikokontrollierten Asset Allocation in Kombination mit aktivem Management, insbesondere im Bereich der taktischen Portfoliosteuerung. Auf diese Weise können zwei unabhängige Ertragsquellen mit entsprechend großem Diversifikationspotenzial genutzt werden. Angesichts schnell wechselnder Markttrends sollte die prognosebasierte, taktische Allokation einen möglichst hohen Aktivitätsgrad aufweisen. Je nach kurz- und mittelfristiger Markterwartung gilt es, einzelne Assetklassen gegenüber dem Exposure, welches ihnen aus der risikogesteuerten Allokation zugewiesen wird, über- oder unterzugewichten. Auf diese Weise können zusätzliche Erträge generiert werden.

Neue Anforderungen an die Wertsicherung

Ohne Zweifel ist die Bedeutung von dynamischen Wertsicherungsstrategien für die institutionelle Kapitalanlage in den vergangenen Jahren stark gewachsen. In Zeiten des risikolosen Zinses steht das Risikomanagement aber auch hier vor neuen Herausforderungen. Denn seit der Finanzkrise haben sich die Rahmenbedingungen bei der Wertsicherung signifikant verändert. Zuvor bedeutete der wertsichernde Wechsel in eine risikolose Anlage vor allem, dass mögliche Zusatzerträge oberhalb einer definierten Mindestrendite aufgegeben werden mussten. Heute hat der Rückzug jedoch den generellen Verzicht auf Erträge und gegebenenfalls die Nichterfüllung finanzieller Verpflichtungen zur Folge.

Dies hat weitreichende Auswirkungen auf das Risikomanagement. Denn am Kapitalmarkt müssen die Chancen permanent genutzt werden. Das Portfolio steht nun ständig im Risiko. Der Portfoliomanager muss sein Risikobudget deshalb noch besser einteilen. Er muss die Portfoliostruktur durch eine intelligente, dynamische Diversifikation ständig so verändern, dass immer ein Teil seines Portfolios das Gesamtvermögen aus der Gefahrenzone bringt. Gleichzeitig bietet ihm die erzwungene Präsenz im Risiko die Chance, ständig Zusatzerträge zu erwirtschaften. Sie stellt ebenfalls sicher, dass das Portfolio im Markt ist und davon profitiert, wenn große Bewegungen bedeutende Risikoprämien generieren.

Dynamische Wertsicherungskonzepte

Diese Chancenausnutzung erfordert allerdings eine erhöhte Flexibilität bei der Wertsicherung, was offenbar einer wachsenden Zahl institutioneller Investoren bewusst ist. Sie handhaben Wertuntergrenzen zunehmend flexibel, um dem Portfoliomanager die für Zusatzerträge erforderlichen Freiheitsgrade einzuräumen. Im Rahmen einer Flexibilisierung bleiben die Sicherheitsanforderungen dennoch auf einem sehr hohen Niveau, das die gesetzlichen Anforderungen deutlich übertrifft. Angenommen, bei einem Wertsicherungskonzept würde die vereinbarte Wertuntergrenze mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,995 Prozent eingehalten, so könnte ein chancenorientierter Ansatz beispielsweise mit einem Wert von 99 Prozent arbeiten. Das Konfidenzniveau würde gerade so weit reduziert, dass das für den letzten Meter Sicherheit gebundene, vergleichsweise hohe Risikobudget freigesetzt wird, um überproportionale Chancen zu nutzen.

Denn die Flexibilisierung erlaubt es dem Portfoliomanager zum Beispiel, verstärkt von der im Zuge der Finanzmarktkrise erheblich angestiegenen Risikoprämie für die Aufnahme von Liquiditätsrisiken zu profitieren, ohne anschließend Gefahr zu laufen, diese Risiken zur Unzeit abbauen zu müssen. Indem sie Verluste wahlweise begrenzen oder vollständig vermeiden, können dynamische Wertsicherungskonzepte eine tragfähige Brücke zwischen Renditeanforderungen und der Notwendigkeit der Verlustabsicherung schlagen.

Rentenmanagement im Wandel

Bis zur Lehman-Insolvenz und der Finanzmarktkrise galten Anleihen als sicheres, aber auch als vergleichsweise langweiliges Anlagesegment. Aus gutem Grund: Rund zwei Jahrzehnte lang konnten Rentenmanager kaum etwas falsch machen. Seit Anfang der 1990er Jahre fielen die Zinsen tendenziell von einem hohen Niveau. Für die Investoren in mehrjährige Anleihen bedeutete dies zunächst beständig lukrative Kursgewinne. Mit der Euro-Einführung schmolzen außerdem die Renditeabstände zwischen Bundesanleihen und den anderen Eurostaaten zusammen. Es gab über eine Dekade kaum Schwankungen und eine niedrige Grundvolatilität im Euro-Anleihenmarkt, was Anleger zu einem weitgehend sorglosen Umgang mit Ausfallrisiken verführte. Diese Situation hat sich grundlegend verändert, das Emittentenrisiko und damit die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls sind an die Märkte für europäische Staatsanleihen zurückgekehrt.

Auch im Rentenbereich muss sich ein chancenorientiertes Risikomanagement daher von traditionellen Strategien und Entscheidungsmustern lösen. Flexibilität und dynamische Allokationsentscheidungen werden zur Pflicht. Es gilt, die Breite der Möglichkeiten des Rentenuniversums stärker zu nutzen und schneller auf Veränderungen in der Risikolandschaft zu reagieren. Verschiedene Segmente wie zum Beispiel Covered Bonds, Corporate Bonds oder Emerging Market Bonds bieten hierfür gute Chancen, zumal sich deren Risikoprofil im Vergleich zu den klassischen Staatsanleihen in jüngster Zeit grundsätzlich signifikant verbessert hat.

Eine Diversifizierung nach dem Gießkannenprinzip über ein breites Spektrum an Rentenprodukten reicht dabei allerdings nicht mehr aus. Anstatt möglichst viele Fixed-Income-Segmente einzubeziehen, sollte das Portfolio eine ausbalancierte Allokation voneinander unabhängiger Investmentthemen berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, als sich gezeigt hat, dass ein einfach nur breit gestreutes Portfolio bei zunehmender Volatilität nicht mehr automatisch zur Optimierung des Risiko-Rendite-Profils beiträgt. Die Allokation über Investmentthemen und deren Ausbalancierung im Portfolio schaffen einen veränderten Entscheidungsrahmen. Unterschiedliche Rentenprodukte finden weiterhin den Weg in das Portfolio. Allerdings werden dabei nicht mehr nur fundamental geprägte Bewertungen, sondern in verstärktem Maße Marktszenarien berücksichtigt. Die aktuelle Marktlage und verschiedene Entwicklungsperspektiven sind die bestimmenden Faktoren.

Das Denken in Themen bietet den Vorteil, dass Analysten mit ganz unterschiedlichen Research-Ansätzen zusammenwirken können. Diese Herangehensweise ist geeignet, Einschätzungen, Überzeugungen und Grundannahmen unterschiedlicher Spezialisten in den Investmentprozess zu integrieren. Im Mittelpunkt stehen Erfahrung und Kreativität. Ein solches Vorgehen ist mit erhöhtem Aufwand verbunden. Die Herausforderung liegt vor allem in der Identifizierung von Investmentthemen, einer passgenauen Umsetzung in Strategien sowie im Zusammenspiel verschiedener Experten. Doch gerade in Kapitalmarktphasen mit häufigen und teilweise gravierenden Strukturbrüchen erscheint der Ansatz vielversprechend.

Risikokontrollierter Einstieg in den Aktienmarkt

Der gestiegene Renditedruck sowie die Risikoneubewertung im Bereich der Staatsanleihen haben die Bedeutung der Aktie für die Asset Allocation erhöht. Als zentrale Hürde vor dem Einstieg in den Aktienmarkt steht allerdings die im Vergleich zu festverzinslichen Anlagen höhere Volatilität. Um dennoch die Renditechancen der Aktie nutzen zu können, gilt es, Strategien zu verfolgen, die fortlaufend hohe und stabile Erträge bei möglichst geringer Volatilität ermöglichen.

Dividendenstrategien können hier ein guter Ansatz sein: Die Ausschüttungen sichern einerseits laufende Erträge und bilden andererseits einen Risikopuffer. Hohe Dividenden per se sind allerdings kein Garant für den Erfolg einer Dividendenstrategie. Sie allein geben keine Auskunft über die zukünftige Ertragskraft eines Unternehmens und können vom Management unter Umständen auch aus Gründen der Kurspflege aus der Substanz ausgeschüttet werden. Ein statisches Investieren, etwa über passive ETF oder benchmarknahe Konzepte, ist vor diesem Hintergrund weniger Erfolg versprechend.

Bei aktiven Dividendenstrategien kommt es daher entscheidend darauf an, Unternehmen mit einem stabilen Geschäftsmodell und solider Bilanz zu identifizieren, die in der Lage sind, eine überdurchschnittliche Gewinnbeteiligung aus dem freien Cash-Flow zu tragen, ohne dabei Wachstumschancen zu vernachlässigen. Der zugrunde liegende Investmentprozess sollte die quantitative Bewertung mit qualitativer Fundamentalanalyse kombinieren und auf die benchmarkunabhängige Auswahl von Titeln mit einer auch künftig stabilen oder steigenden Dividendenrendite zielen.

Neue Wege im Risikomanagement

Im ersten Schritt können dazu neben der bisherigen Dividendenrendite weitere Kriterien wie Gewinnrevisionen, Gewinnstreuung sowie Bewertungskennzahlen herangezogen werden. Darauf aufbauend liefert die fundamentale Betrachtung eine Einschätzung zu den Entwicklungsperspektiven der analysierten Unternehmen. Wie zukunftsfähig ist das Geschäftsmodell? Wie überzeugend sind Management und Strategie? Welche Faktoren sprechen für die Fortschreibung von Profitabilität und Wachstum? Die Verbindung von zielgerichteter Titelauswahl mit disziplinierter Portfoliokonstruktion sichert ein hohes Maß an Risikokontrolle. Hierdurch weist die Strategie eine deutlich niedrigere Volatilität als der Gesamtmarkt auf und gibt Investoren so die Möglichkeit, mit ab geschwächtem Risiko auch Aktien zur Erreichung ihrer Renditeziele einzubeziehen.

Die ökonomischen und politischen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit stellen Investoren vor die vielleicht größten Herausforderungen der letzten fünfzig Jahre. Risikomanagement wird vor diesem Hintergrund zwar nicht grundsätzlich neu gedacht werden müssen. Gleichwohl müssen Risikomanager zunehmend neue Wege gehen. Im Vordergrund steht die Ausrichtung auf ein dynamisches Chancenmanagement, das auf der Grundlage individueller Risikobudgets der Investoren in der Lage ist, vermehrt Risikoprämien am Markt zu erwirtschaften.

Strategien hierfür sind vorhanden. Inwieweit sie genutzt werden können, hängt von der Risikotragfähigkeit der Anleger, der weiteren Entwicklung des regulatorischen Umfeldes und nicht zuletzt von der Bereitschaft der internen Aufsichtsgremien ab, sich auf Neues einzulassen. Der Asset-Management-Branche kommt dabei eine besondere Aufgabe zu. Im Zusammenspiel mit den Investoren muss sie für diese passgenaue, risikokontrollierte Ertragsstrategien entwickeln und deren Implementierung durch ein Höchstmaß an Information und Transparenz vorbereiten.

Alexander Schindler , Mitglied des Vorstands , Union Investment
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