Aufsätze

Zu den Reformen des Libor - Widersprüche und Ungereimtheiten

Seit dem Bekanntwerden von Manipulationen des wichtigen Referenzzinssatzes Libor wird über Reformen diskutiert.1) Die angedachten Reformen gehen in eine Richtung, die für eine große Zahl von Marktteilnehmern nicht vorteilhaft ist.2) Sie widersprechen zudem historischen Gegebenheiten.3) Dies löst mehr und mehr Absetzbewegungen vom Libor aus.4)

Der Libor ist von seiner Intention und seiner Ursprungskonstruktion her ein sicherer, risikofreier Zins. Die Reformen schreiben eine Entwicklung fest, welche den Libor zu einem risikobehafteten Zins gemacht hat. Diese Entwicklung ist weitgehend ohne die weltweiten Nutzer des Libor in Gang gekommen und hat sich während der Subprime-Krise bereits negativ ausgewirkt. Es fragt sich deshalb, ob es nicht besser wäre, zu den Ursprüngen des Libor als sicherem, risikofreien Zins zurückzukehren? Im Folgenden werden diese Ursprünge beleuchtet. Es wird deutlich, dass der Libor als Marktindikator des Geldmarktes begonnen hat und ein sicherer, risikofreier Zins gewesen ist. Erst 1998 wurde er durch eine verunglückte Reform zu einem Zins, der das Ausfallrisiko der meldenden Banken (Contributor-Banken) mitenthielt. Dadurch hat er seine Marktindikatorfunktion teilweise verloren. Der Libor zeigt seitdem eine Mischung aus Geldmarktlage und mittlerem Bonitätsrisiko einer kleinen, nicht repräsentativen Gruppe von Banken, die am Finanzplatz London Einlagen anbieten. Dies ist keine Basis, um als Benchmark für diverse Transaktionen weltweit dienen zu können. Im Gegenteil, von der Nutzung eines solchen Indikators müssten die Banken ihren Kunden in vielen Fällen abraten.5)

Rückkehr zu den Ursprüngen?

Als Konsequenz könnte überlegt werden, den Libor wieder wie in seinen Anfängen, zu einem sicheren, risikofreien Zins zu machen, der seine Hauptfunktion als Marktindikator hat und sich gerade deshalb als weltweite Benchmark anbietet. Ein solcher Indikator könnte statt an unbesicherte Transaktionen unter Banken an besicherte Transaktionen anknüpfen (Repo-Geschäfte). Es wäre sinnvoll, im Euroraum einen solchen Indikator zu entwickeln, da im Dollarraum bereits Indikatoren alternativ zum Libor an Bedeutung zunehmen.

Zunächst stellt sich die ganz grundsätzliche Frage, welche Ziele mit Marktindikatoren wie dem Libor verfolgt werden? Die wichtigsten lauten: Allgemeiner Überblick über die Marktentwicklung; faire Preisbasis für Geschäftsabschlüsse, Maßstab der Kapitalallokation im Vermögensmanagement; Grundlage von Hedgetransaktionen und Bemessungsgrundlage im Bankrechnungswesen sowie für Boni und Mitarbeiterbeteiligungen.

Es gibt nun praktisch keine Konstruktion eines Indikators, die alle Kriterien gleich gut erfüllt.6) Alle gebräuchlichen Indikatoren sind Kompromisse mehrerer Ziele. Was soll nun der Libor sein? Auf welches Ziel hin wird der Libor optimiert?

Der "Wheatley Review of Libor - Initial Discussion Paper"7) ("Wheatley Report") postuliert, dass der Libor ein Preisindikator unbesicherter Interbank transaktionen sein müsse: "Libor is intended to be a representation of unsecured interbank term borrowing costs."8) Diese Rolle zu festigen ist Ziel der gegenwärtig verfolgten Reformen. Es werden im Wheatley Report zwar auch andere Ziele diskutiert. Aber diese werden verworfen: Die grundsätzliche Beibehaltung des jetzigen Systems wird anderen Alternativen vorgezogen.9)

Bonitätsabhängigkeit

Der Nachteil eines Preisindikators unbesicherter Interbanktransaktionen ist, dass nicht die Interessen vieler Marktteilnehmer befriedigt werden - weder von Banken noch von Nichtbanken. Das Hauptproblem eines solchen Indikators ist, dass er die ständig wechselnden Risikoaufschläge der meldenden Contributor-Banken enthält. "Libor includes an element of counterparty credit risk of the average bank contributing to the Libor panel."10) Damit bleibt der Libor von der mehr oder weniger zufälligen Bonitätsentwicklung von jeweils sechs bis 18 Contributor-Banken abhängig.11) Jede Änderung in der Geschäftspolitik dieser Banken und jede Änderung in der Zusammensetzung des Panels schlägt sofort auf die Millionen von Nutzern des Libor weltweit durch. Daran besteht bei kaum einem Marktteilnehmer ein ernsthaftes Interesse.12)

Eine solche Bonitätsabhängigkeit war in keiner Weise das ursprüngliche Ziel des Libor (Näheres siehe unten). Sie hat sich erst 1998 durch eine verunglückte Reform mehr oder weniger zufällig eingestellt.13) Die Reform von 1998 wurde von vielen Libor-Nutzern zunächst gar nicht bemerkt. Sie wurde auch nicht kommuniziert. Ihre negativen Konsequenzen sind erst während der Subprime-Krise deutlich geworden.

Dass der Libor nichts mit Bonitätsproblemen der meldenden Banken zu tun haben soll, zeigen auch die internationalen Finance-Lehrbücher. Berk und DeMarzo bezeichnen in ihrem weit verbreiteten Buch "Corporate Finance" die Contributor-Banken als Banken mit "the highest credit quality."14) Copeland, Weston und Shastri vergleichen den Libor mit der Rendite von US-Bundesanleihen.15) Zantow und Dinauer sprechen von Banken "erstklassiger" Bonität.16) Der Libor spiegle Geschäfte "zwischen Banken erster Bonität", sogenannten "prime banks".17) Das heißt, zwischen den Forderungen des Wheatley Reports nach einer Abbildung ungesicherter Transaktionen Londoner Banken mit entsprechenden Risikoaufschlägen und den Forderungen der Lehrbücher nach einem Preisindikator von risikolosen "prime banks" klafft unübersehbar ein Widerspruch. Leider setzen sich die Experten des Wheatley Reports nicht mit den Lehrbüchern auseinander und thematisieren diesen Widerspruch nicht. Ihr Ziel geht dahin, den Libor, so graduell wie möglich zu reformieren, um möglichst wenig Unruhe im Markt zu erzeugen.18) Damit schreiben sie die verunglückte Reform von 1998 fest, während die Lehrbücher auf den traditionellen und eigentlich wünschenswerten Zustand abstellen.

Die Geschichte des Libor

Es wird nun im Folgenden aus der Geschichte des Libor heraus gezeigt, dass der Libor ein Marktzins sein sollte, welcher unabhängig von Bonitätsproblemen von Banken die "reine" Entwicklung des Geldmarktes risikofrei abbildet. Dies erscheint auch heute noch das vorherrschende Ziel vieler Nutzer des Libor aus dem Banken- und Nichtbankenbereich. Die Geschichte des Libor wurzelt in der Geldpolitik der Bank of England (BoE). Die BoE steuerte in den siebziger Jahren die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft mittels Bills (Wechseln), die sie über die feine, kleine Gruppe von elitären und absolut sicheren Banken, den sogenannten Discount Houses, verbreitete.19) Die zwölf Discount Houses tauschten Wechsel mit anderen Banken und übertrugen so die geldpolitischen Impulse an den Markt.20) Der Satz, zu dem die Zentralbank Wechsel handelte, war die Bank Rate. Diese Bank Rate fungierte auch als Referenzsatz für die Geldgeschäfte der Banken mit ihren Kunden. Die Konditionen der Kundengeschäfte orientierten sich an der Bank Rate und einer kleinen Marge. Die Bank Rate war der "sichere" Zins, auf den die Banken ihre Transaktionskosten und die relevanten Risikokosten aufschlugen.21)

Die Discount Houses waren die zentralen Intermediäre des Geldmarktes. Sie gaben die geldpolitischen Impulse der Bank of England ohne Verzerrungen durch eigene Bonitätsprobleme an den Markt weiter. Dies gelang, denn sie waren "of old standing, great wealth and firstrate credit."22) Gerade deshalb waren die Konditionen des Londoner Geldmarktes als Marktbarometer anerkannt: "The market rate of discount in London is perhaps the most sensitive and trustworthy barometer of international monetary conditions."23)

Aus dieser Zeit der britischen Geldpolitik stammen die Ideen, dass (i) relativ wenige Banken, hier also nur zwölf Discount Houses, für einen funktionsfähigen Geldmarkt ausreichen und dass (ii) Banken, die das Zentrum des Geldmarktes darstellen, "per se" beziehungsweise "per Historie" absolut sicher sind, sodass deren Konditionen einen Indikator für den Markt im Allgemeinen darstellen. Gerade diese letztere Idee führte 1998 zu einer laxen Formulierung von Vorschriften, was dann wenige Jahre später zum Verhängnis wurde.

Ab den siebziger Jahren änderte die Bank of England ihre Geldpolitik. 1972 ersetzte sie die Bank Rate durch die Minimum Lending Rate. 1981 wurde dann ein ganz neues System eingeführt. Dieses sah statt eines festen Zentralbankzinssatzes eine Zinsbandbreite vor. Der Zins, zu dem die BoE Geschäfte abschloss, wurde Band I Dealing Rate genannt. Dieser Zins lag innerhalb einer Bandbreite (Band I), welche die BoE aber nicht bekannt gab. Die Banken wussten nun nicht, wo die obere und untere Zinsschranke der BoE lag. Zudem hatte die BoE die Märkte durch dirigistische Maßnahmen verwirrt.24) Dies führte dazu, dass sie freier in der Wahl ihrer eigenen Base Rates agierten und stärker auf Marktbewegungen unabhängig vom Zentralbankzins achteten. Der Geldmarkt löste sich etwas vom Zentralbankzins. Der Interbankenmarkt wurde jetzt wichtiger. Die Discount Houses verloren an Bedeutung. Nun fehlte ein Indikator für den Markt.

Benchmark für das Kreditgeschäft

Dieser wurde 1986 mit dem Libor geschaffen. Auslöser waren die aufgekommenen Swapgeschäfte, die einen Referenzzins benötigten. Da das Verhalten der Zentralbank unberechenbarer geworden war, konnte man dafür nicht die Band I Dealing Rate nehmen, sondern griff stattdessen auf den Interbankenmarkt zurück und leitete den Referenzzins aus den Base Rates der Geldmarktbanken ab. Die Entwicklung eines Regelwerkes startete im Oktober 1984, als die British Bankers Association BBA begann, über Standards für die aufgekommenen neuen Finanzinstrumente, insbesondere Swaps nachzudenken. Es entstanden die BBAIRS - Standards für Zinsswaps -, die ab September 1985 angewandt wurden. Teil dieser Standards waren Regeln für "Interest Settlement Rates". Daraus entstand der Libor, der im Januar 1986 erstmals berechnet wurde.25)

Im Wheatley Report werden diese Angaben, die immerhin von der BBA, die den Libor initiierte, selbst stammen, nicht bestätigt. Stattdessen wird dort auf die Rolle des Libor als Benchmark für das Kreditgeschäft der Banken insbesondere im Syndicated Loans Market hingewiesen. Das Interesse der Banken sei damals Folgendes gewesen: "Standardised interbank rates were attractive as a benchmark for investors and borrowers as they allowed the lending banks to pass on changes in the funding costs of an average bank over the course of the duration of the loan."26)

Es ist nun allerdings ganz eindeutig, dass dies nicht die Ursprungsidee des Libor gewesen sein kann, denn, wie unten noch deutlich wird, wurde der Libor als Zins von "prime banks" gestartet, sodass mit dem ursprünglichen Libor die "average bank" ihre funding costs gerade nicht abbilden konnte. Man könnte kritisch fragen, warum der Wheatley Report eine Wurzel beleuchtet, die nicht im Zentrum der Entstehungsgeschichte gestanden hat?

Zurück zu den Ursprüngen des Libor: Die Frage, welche die mitwirkenden Banken (Contributors) ursprünglich zu beantworten hatten, lautete: "At what rate do you think interbank term deposits will be offered by one prime bank to another prime bank for a reasonable marketsize today at 11 am?" Unübersehbar hat diese Frage einen hypothetischen Charakter, indem auf fiktive Geschäfte zwischen erstklassigen Banken (Prime Bank) abgezielt wird. Der Grund dafür liegt darin, dass für einen Marktindikator nicht die Konditionen konkreter Banken sinnvoll sind, sondern die Konditionen von bonitätsmäßig einwandfreien Banken. Diese sind nämlich nicht mehr von den individuellen Verhältnissen der meldenden Bank beeinflusst, sondern spiegeln die "reine" geldpolitische Situation wider.

Die verunglückte Revision des Libor

Die Probleme des Libor begannen mit einer Revision des Regelwerkes, die 1998 vorgenommen wurde. Den Contributor-Banken wurde nun eine geänderte Frage vorgelegt: "At what rate could you borrow funds, were you to do so by asking for and then accepting interbank offers in a reasonable market size just prior to 11 am?" Mit der neuen Frage war die fiktive Prime Bank entfallen und durch konkrete Geldmarktbanken (could you borrow) ersetzt. Warum war der Verweis auf die Prime Bank entfallen? Es entfiel der Verweis "due to a view that a universal definition of a prime bank could no longer be given."27)

Die Verhältnisse am Geldmarkt hatten sich geändert. Von den sicheren ehemaligen Discount Houses war lange keine Rede mehr. Neue Institutionen mischten am Geldmarkt mit, und die Frage, was eine Prime Bank sei, war nicht mehr ohne Probleme beantwortbar. Da sich aber an den Zielen des Libor nichts geändert hatte, schwang in der Frage fast selbstverständlich die Aussage mit "at what rate could you - as a prime bank - borrow ...". Denn bei den wenigen Libor-Contributors können nur bonitätsmäßig einwandfreie Banken einen Indikator für den Markt geben. 28)

Nach der neuen Formulierung mussten die Banken nicht mehr berichten, was eine fiktive, bonitätsmäßig einwandfreie Prime Bank für einen Zinssatz anbieten würde, sondern welchen Zinssatz sie selbst anbieten müssen, um an Geld zu gelangen. Damit hat sich eine dramatische Wendung ergeben: Denn die Frage nach den vermuteten Konditionen von fiktiven, erstklassigen Prime Banks zielt auf die Lage am Geldmarkt im Allgemeinen ab. Sie zielt auf den von Bonitätsrisiken unbeeinflussten "eigentlichen" Marktzins. Währenddessen zielt die neue Frage nach den Konditionen konkreter Banken. Der Zins, den sie nennen, ist kein Marktzins mehr, sondern wird stark von der eigenen Bonität beeinflusst.

Wenn man die Base Rates verschiedener einseitig ausgewählter Banken mittelt, die ganz unterschiedliche Bonitätsprobleme haben, dann ergibt sich ein Zins, der wenig über die zugrundeliegende Marktlage im Allgemeinen aussagt, sondern der eine gemischte Information aus Marktlage und Bonitätslage der meldenden Banken darstellt. Wem aber nützt ein solcher Satz? Wer hat einen solchen Satz nachgefragt? Es lässt sich leicht zeigen, dass ein solcher Satz wenig nützlich ist, denn er spiegelt zum einen nicht "den" Markt, weil die Contributor-Banken keinen repräsentativen Querschnitt des Geldmarktes darstellen. Zum anderen nützt er auch den Banken bei ihren Refinanzierungsbemühungen nicht viel, weil er bedingt durch die Durchschnittsbildung für die bonitätsstarken Banken ein zu hoher und für die bonitätsschwachen Banken ein zu niedriger Zins ist.

Warum sich die British Bankers Association BBA bei ihrer Revision 1998 für das gewählte Vorgehen entschieden hat, ist nicht mehr zweifelsfrei rekonstruierbar. Dass die BBA aus einem risikofreien Zins von Prime Banks nun plötzlich einen risikobehafteten Zins machen wollte, kann ausgeschlossen werden. Denn eine solche gravierende Änderung hätte intensiv kommuniziert werden müssen und hätte massive Proteste von Libor-Nutzern nach sich gezogen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie an dem Prinzip der Risikofreiheit oder zumindest Risikoarmut des Libor grundsätzlich festhalten wollte, was trotz der geänderten Frage durch eine entsprechende Selektion der Con tributor-Banken erreicht werden konnte. 29)

Dazu berücksichtigte sie bei den Auswahlkriterien für Contributor-Banken deren Rating. Sie orientierte sich (bis heute) an den folgenden Kriterien: Scale of market activity; Creditrating; Perceived expertise in the currency concerned."30)

Im Wheatley Report finden wir nun unter dem Stichwort Contributor-Auswahl dieselbe Liste mit einer sehr interessanten und aufschlussreichen Abweichung: the scale of market activity of the bank; the bank's reputation; and the bank's perceived expertise in the particular currency."31)

Reputation statt Rating

Man erkennt, dass im Wheatley Report das von der BBA stammende Kriterium Credit Rating durch den Begriff Reputation ersetzt wurde. Reputation kann sich auf viele Aspekte beziehen. Durch diese Änderung wird jeder Hinweis auf die Bedeutung des Credit Ratings für die Auswahl der Contributor-Banken vermieden.32) Es wird der Eindruck erweckt, als hinge die Auswahl der Contributor-Banken in keiner Weise mit ihrem Rating zusammen. Wenn man nämlich über eine Auswahl der Contributor-Banken das durchschnittliche Rating und damit den Spread im Libor beeinflussen könnte, hätte sich sofort die Frage angeschlossen, welchen mittleren Spread denn der Libor relativ zum sicheren Zins aufweisen sollte? Welcher Spread ist einer international genutzten Benchmark wie dem Libor angemessen? Welcher Spread erfüllt die Ziele der Nutzer? Kann eine Bank in den Contributor-Kreis aufgenommen werden, wenn sie ein sehr gutes oder sehr schlechtes Rating hat?

Es erscheint nicht völlig undenkbar, dass eine kartellartig zusammenarbeitende Finanzindustrie am Finanzplatz London den Kreis der Contributors so steuert, dass ein bestimmtes durchschnittliches Rating der Banken und damit ein bestimmter Spread des Libor auf den sicheren Zins resultiert. Das Schummeln verlagerte sich dann von den Meldungen zur Selektion. Wenn demgegenüber die Partizipation der Contributors eher zufälligen Charakter hat, dann hängt der im Libor enthaltene Spread von der zufälligen Zusammensetzung der Contributors ab. Er könnte sich jeden Tag mit den sich an- oder abmeldenden Banken ändern. Der Libor wäre dann ein Indikator, der überhaupt keine Anforderung erfüllt, die man an einen Geldmarktindikator von weltweiter Verbreitung billigerweise stellen kann. Eine dritte Variante wird im "Initial Discussion Paper" von Martin Wheatley diskutiert, aber aus praktischen Gründen verworfen: die Teilnahme an Libor-Meldungen könnte eine gesetzliche Pflicht für alle Banken werden.33) Dann wäre der Spread ein ungewichteter Durchschnitt aller Londoner Banken und Manipulation wäre ausgeschlossen.

Indikator am Finanzplatz Frankfurt etablieren

Der Wheatley Report34) versucht darzustellen, dass der Libor ein Indikator unbesicherter Transaktionen unter Banken sein müsse. Dies stimmt nicht mit der Historie des Libor überein. Die Historie zeigt, dass der Libor der Einlagezins von "prime banks", das heißt von erstklassigen, fast risikofreien Banken gewesen ist. Auch in Lehrbüchern wird der Libor auf diese Weise beschrieben. Als fast risikofreier Zins diente der Libor traditionell als Indikator der Geldmarktentwicklung. Währenddessen erlaubt ein Libor, der außer der allgemeinen Lage des Geldmarktes noch die Risikoaufschläge einer zufälligen Auswahl von Banken mit Geschäft in London enthält, kaum eine vernünftige Aussage.

Ein solcher Indikator kann zu einer Doppelbelastung von Transaktionen mit Risikokosten führen, wenn Kunden die Kondition "Libor plus Marge" akzeptieren. Sie bezahlen dann zum einen Risikokosten unbekannter Londoner Banken im Libor und zum anderen die eigenen in der vereinbarten Marge. Für das Bankensystem als Ganzes ergäbe sich der Anreiz, möglichst bonitätsschwache Banken als Libor-Contributors auftreten zu lassen, weil dann die eingerechneten Risikoaufschläge am höchsten sind und sich - wie von Martin Wheatley dargestellt - Vorteile für Banken im Kreditgeschäft ergeben.35)

Alles in allem kann geschlussfolgert werden, dass sich die Gründerväter des Libor zu Recht dafür entschieden haben, den Marktindikator, den sie damals suchten, als sicheren Zins von "prime banks" auszugestalten. Deshalb kann die Forderung nur lauten, wieder zu einem solchen Zins zurückzukehren. Dazu könnte sich der Indikator an den Konditionen von Staatsanleihen oder - was vorzuziehen ist - von besicherten Transaktionen (Repogeschäften) unter Banken orientieren. Wäre es nicht überlegenswert, am Finanzplatz Frankfurt einen solchen Indikator zu etablieren - gerade jetzt, wo nach den Libor-Manipulationen und mit den unglücklichen Reformideen am Finanzplatz London die Karten neu gemischt werden? Dies gilt umso mehr als in den USA bereits Absetzbewegungen vom Libor erkennbar sind und US-Benchmarks aus europäischer Sicht Nachteile beinhalten.

Fußnoten

1) Vgl. o.V., Libor Scandal Widens Its Reach, in: Euro-Treasurer, Issue 22, 6. Dezember 2012. Oder: http:// www.ft.com/cms/s/0/99fcf516-0984-11e2-a5a9- 00144feabdc0.html#axzz2FaiuZ1Ip; auch: http:// www.risk.net/riskmagazine/feature/2220439/whatlibor-reform-will-change-and-what-it-won-t

2) "Libor quotes should be verifiable - reflecting actual transactions and reallife bank borrowing costs" Quelle: http://www.risk.net/risk-magazine/feature/2220439/whatliborreformwillchangeand-what-it-wont. Vgl. auch http://www.ft.com/ cms/s/0/99fcf516-0984-11e2-a5a9-00144feabdc0. html#axzz2FaiuZ1Ip. Reformideen siehe: http:// www.telegraph.co.uk/finance/liborscandal/9572778/Liborreform-Mainpointsin-Martin-Wheatleys-review.html

3) Der Endbericht der sogenannten Wheatley Kommission mit den Reformvorschlägen ist zu finden unter: http://cdn.hm-treasury.gov.uk/wheatley_review_libor_finalreport_280912.pdf. Das Feedback der BBA vom 14. Dezember 2012 auf die Reformvorschläge von Martin Wheatley findet sich unter: http://www.bba.org.uk/media/article/bbareportsfindings-of-libor-reform-consultation

4) Vgl. https://www2.blackrock.com/webcore/litService/search/ getDocument.seam?venue=PUB_IND&s ource=GLOBAL&contentId=1111170360

5) Näheres siehe unten. Es kann zur Doppelbelastung mit Risikokosten kommen, und die Libor-Entwicklung ist kaum prognostizierbar, weil sie von der Bonitätsentwicklung, das heißt dem Geschäftsgebaren einer kleinen, nicht repräsentativen Gruppe von Banken am Finanzplatz London abhängt.

6) Beispielhaft sei der Dax erwähnt, der ein Indikator der Marktentwicklung sein soll, aber nur einen Teil des relevanten Marktes abbildet, weil er zugleich darauf ausgelegt ist, als Maßstab für Kapitalallokationen zu fungieren. Dazu ist ein Index mit wenigen, liquiden Titeln günstiger als ein breit zusammengesetzter Index, welcher den Markt besser abbilden würde. Der Dax ist insoweit ein typischer Kompromiss aus mehreren Zielen, wie ihn viele Indikatoren darstellen.

7) Martin Wheatley, Managing Director of FSA und "Chief Executive designate" of the Financial Conduct Authority bekam 2012 die Aufgabe: "review of the framework for the setting of Libor". Die Ergebnisse liegen in zwei Reports vor, einem "initial discussion paper" und einem "final report".

8) O.V., 2012, The Wheatley Review of Libor - initial discussion paper, August 2012, London, S. 3.

9) O.V., 2012, S. 33.

10) O.V., 2012, S. 34.

11) O.V., 2012, S. 26.

12) Martin Wheatley begründet, warum der Libor die Risikoaufschläge haben müsse: "... as this is a component of their funding cost." o.V., 2012, S. 34. Dies ist wenig überzeugend, da die Risikoaufschläge nicht vom allgemeinen Markt, sondern von der individuellen Geschäftsstrategie der wenigen Contributor-Banken abhängen. Diese sind aber nicht repräsentativ.

13) Es können auch Interessen gewesen sein. Der Wheatley Report macht darauf aufmerksam, dass das derzeitige System Banken nutzt, welche als Kreditgeber auftreten. Sie können, ohne verhandeln zu müssen, einen höheren Zins durchsetzen, wenn der Libor bereits Risikoaufschläge enthält; vgl. o.V., 2012, S. 34.

14) Berk/DeMarzo, Corporate Finance, Boston, 2007 S. 859.

15) Vgl. Thomas Copeland, Fred Weston, Kuldeep Shastri, Finanzierungstheorie und Unternehmenspolitik, 4. Auflage, München 2008, S. 892.

16) Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, 2011, S. 48.

17) Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, 2011, S. 48.

18) "Preserving the rate would limit the costs of transferring existing contracts, while reforms could deal with failings in the system"; o.V., 2012, The Wheatley Review of Libor - initial discussion paper, August 2012, London, S. 19.

19) Vgl. Howells/Bain, The Economics of Money Banking and Finance, 2008, S. 308ff.

20) Fletcher, The discount houses in London: Principles, operations and change, 1976.

21) Zur Zentralbankpolitik siehe Mishkin, The Economics of Money Banking and Financial Markets, 2007, S. 373ff.

22) http://www.oldandsold.com/articles11/meaningof-money-7.shtml

23) http://www.oldandsold.com/articles11/meaningof-money-7.shtml

24) Vgl. Howells/Bain, The Economics of Money Banking and Finance, 2008, S. 310f.

25) Vgl. http://www.bbalibor.com/bbaliborexplained/thebasics

26) Siehe o.V., 2012, S. 9.

27) Siehe http://www.bbalibor.com/bbalibor-explained/historical-perspective

28) Der Bezug der Geldmarktkonditionen zu den Konditionen der Zentralbank und damit dem Markt "im Allgemeinen" sei hier noch einmal durch ein Zitat aus Howells/Bain (The Economics of Money Banking and Finance, 2008, S. 310) verdeutlicht: "Since the status of such banks [der Geldmarktbanken] is generally well known, their acceptance of bills usually leads to such bills carrying a lower rate of discount than they would if they had been accepted by the buyer of the goods. Furthermore, acceptance by certain specified banks, of the highest standing, renders the bill eligible for discount with the central bank. This in turn means that the central bank guarantees to discount these bills for cash." Die Folge ist, dass der Diskontsatz derartiger Wechsel nicht mehr von der Bonität der Beteiligten, sondern von den Konditionen der Zentralbank abhängt. Er spiegelt somit die Intention der Zentralbank und damit des Marktes "im Allgemeinen" wider.

29) Die Zeitreihen zeigen, dass sich der Libor auch nach der Reform bis zur Subprime-Krise eng an den sicheren Zins angelehnt hatte; s. http://thismatter. com/money/derivatives/overnight-index-swaps.htm

30) http://www.bbalibor.com/bbaliborexplained/ the-basics

31) O.V., 2012, S. 50.

32) O.V., 2012, S. 5.

33) "There is the question of whether contributing to Libor ought to be made subject to a form of regulatory compulsion"; O.V., 2012, S. 29.

34) Der Endbericht ist zu finden unter: http://cdn. hmtreasury.gov.uk/wheatley_review_libor_finalreport_280912.pdf

35) Vgl. o.V., 2012, S. 34.

Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
Noch keine Bewertungen vorhanden


X