Kreditwesen international

Regulierung von OTC-Derivaten in der EU - das Wichtigste in Kürze

Im September 2010 hat die Europäische Kommission einen Verordnungsentwurf zur Regulierung außerbörslich gehandelter Derivate (sogenannte over-the-counter-, kurz OTC-Derivate) vorgelegt (im Folgenden EMIR).1) Wesentliche Inhalte der EMIR sind

- eine Verpflichtung zur Abwicklung standardisierter OTC-Derivatekontrakte über eine zentrale Gegenpartei (Central Counterparty, kurz CCP),

- die Einführung einer Erlaubnispflicht für die Regulierung und Beaufsichtigung von CCPs und von

- Meldepflichten für OTC-Derivategeschäfte an ein Transaktionsregister.

Neuregelungen vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise

Die EMIR ist Teil einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die dazu dienen sollen die im Laufe der Finanzmarktkrise deutlich gewordenen Schwachstellen in der Regulierung zu beseitigen und damit zukünftige Krisen zu verhindern. Die Einführung der Clearingpflicht von OTC-Derivaten über eine CCP soll zu einer Minderung des Kontrahentenausfallrisikos führen. So haben (Beinahe-)Zusammenbrüche großer Marktteilnehmer in diesem Marktsegment, wie Lehman Brothers und vor allem AIG, deutlich gemacht, dass es sich hierbei nicht nur um ein theoretisches Risiko handelt.

Einen weiteren Beitrag zur Finanzmarktkrise leistete der Vertrauensverlust der Institute untereinander. Ursächlich hierfür war, dass niemand wusste, wie hoch das Engagement anderer Banken in bestimmten Marktsegmenten war und somit unbeobachtet systemische Risiken aufgebaut wurden.

Abhilfe soll die Einführung von Transaktionsregistern schaffen, die zu höherer Transparenz im Bereich der OTC-Derivate führen sollen. Während die Aufsichtsbehörden detaillierteren Einblick erhalten, werden der Öffentlichkeit nur aggregierte Informationen zur Verfügung gestellt. Flankiert werden diese Maßnahmen von weiteren neuen europäischen Regelungen, beispielsweise der Einführung höherer Eigenkapitalvorschriften, insbesondere für nicht standardisierte, also nicht über einen CCP abgewickelte Derivatekontrakte für den Bankensektor mit der sogenannten CRD IV.2) Das Wichtigste wird hier in Kürze dargestellt.

Diskriminierungsfrei

1. Clearingpflicht von OTC Derivaten über CCPs: Ein Kernstück der EMIR ist die Pflicht zum Clearing standardisierter Derivatekontrakte über CCPs für bestimmte Unternehmen des Finanzsektors (Financial Counterparties).3) Auch Unternehmen außerhalb der Finanzbranche (Non-Financial Counterparties)4) unterliegen der Clearingpflicht, wenn ihr Engagement in OTC-Derivate eine noch von der Kommission festzulegende Clearinggrenze überschreitet.5)

Beim Clearing über eine CCP wird anstelle der bilateralen Abwicklung die CCP Vertragspartner beider Parteien. Über die Funktionsweise des Clearings mit der erforderlichen Sicherheitsleistung durch beide Parteien sowie durch die vorgesehene Regulierung und Beaufsichtigung von CCPs soll das Kontrahentenausfallrisiko bei OTC-Derivaten reduziert werden. Um CCPs die Risikobewertung zu erleichtern, wird die Abwicklungspflicht über CCPs auf standardisierte Verträge beschränkt. Die EMIR enthält dabei keine Definition, welche Verträge als standardisiert gelten, sondern enthält lediglich einige wenige, abstrakte Vorgaben.

Die Konkretisierung obliegt der Europäischen Wertpapieraufsicht (European Securities and Market Authority, kurz ESMA), die der Kommission bis zum 30. Juni 2012 einen entsprechenden Regelungsentwurf vorlegen soll. In der Praxis dürften die Do-kumentations-Standards der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) einen wichtigen Beitrag liefern.6)

Um Marktteilnehmern außerhalb der EU nicht zu benachteiligen, sieht die EMIR vor, dass die CCPs das Clearing diskriminierungsfrei vornehmen müssen. Darin wird ein faktischer Kontrahierungszwang für die CCPs gesehen.7) Für nicht über CCPs abgewickelte OTC-Derivate müssen die nach der EMIR verpflichteten Parteien Prozesse etablieren, die die Messung, Überwachung und Minderung des mit diesen Geschäften verbundenen Kredit- und operationellen Risikos sicherstellen.

2. Beaufsichtigung der CCP: Ziel der Einführung der Clearingpflicht über CCPs ist eine Risikominderung. Durch die Clearingpflicht gewinnen CCPs zunächst aber an systemischer Relevanz. Durch die mit der Clearingpflicht verbundene höhere Bedeutung von CCPs, würde ein Ausfall einer CCP zu erheblichen Marktverwerfungen führen. Aus diesem Grund ist die Regulierung und Beaufsichtigung der CCP von zentraler Bedeutung.

Erlaubnisvorbehalt und laufende Beaufsichtigung

Nach der EMIR müssen CCP zugelassen werden (Erlaubnisvorbehalt) und gewisse Mindestanforderungen erfüllen (laufende Beaufsichtigung). Zu den Mindestanforderungen gehören unter anderem die Gewährleistung des Zugangs der CCP zu ausreichender Liquidität, ein Anfangskapital in Höhe von mindestens fünf Millionen Euro, eine insgesamt angemessene Eigenkapitalausstattung,8) die Veranschlagung risikoadäquater Margins anhand eigener Modelle und Parameter, das Betreiben eines von den Mitgliedern finanzierten Ausfallfonds, die Erfüllung von Qualitätsstandards hinsichtlich Trennung und Übertragbarkeit von Vermögenswerten der Mitglieder sowie zugehöriger Sicherheiten und die Erfüllung der von der EMIR vorgegebenen organisatorischen Anforderungen.

CCPs aus Drittstaaten können nur dann Tätigkeiten in der EU ausüben, wenn sie von der ESMA anerkannt wurden. Voraussetzung hierfür ist ein dem der EU gleichwertiger Rechts- und Aufsichtsrahmen und entsprechende Kooperationsabkommen mit den zuständigen Aufsichtsbehörden. In Deutschland stellt die Tätigkeit als zentraler Kontrahent bereits heute ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft dar.

3. Transaktionsregister und Meldepflichten: Die der EMIR unterliegenden Financial und Non-Financial Counterparties müssen Einzelheiten zu den von ihnen eingegangenen Derivatekontrakten an ein Transaktionsregister melden. Dieses veröffentlicht die gemeldeten Informationen in aggregierter Form, gegliedert nach Derivatekategorien.

Trend zu Kompetenzverlagerung

Auch hier steht die Konkretisierung der Meldepflichten durch die ESMA noch aus. Die Transaktionsregister ihrerseits müssen sich bei der ESMA registrieren und unterliegen ihrer Aufsicht. Soweit Transaktionsregister aus Drittstaaten einem der EU gleichwertigen Rechts- und Aufsichtsrahmen unterliegen und entsprechende Kooperationsabkommen mit den dortigen Aufsichtsbehörden vorliegen, können auch diese Transaktionsregister nach Registrierung durch die ESMA in der EU ihre Tätigkeit ausüben.

4. Rolle der ESMA versus nationale Behörden: Der Trend zur stärkeren Verlagerung der Kompetenzen in europäische Institutionen wird auch in der EMIR deutlich. Zwar verbleibt die Genehmigungskompetenz und laufende Aufsicht über CCPs bei den nationalen Behörden. Jedoch gibt es eine Reihe von Abstimmungs- und Informationspflichten mit der ESMA oder in gemeinsamen Ausschüssen. Ferner obliegt es der ESMA zahlreiche Detailfragen der EMIR durch Vorgabe verbindlicher technischer Standards zu konkretisieren.9)

5. Erhöhung der Kapitalanforderungen für nicht standardisierte OTC-Geschäfte: Ein Großteil der während der Finanzmarktkrise eingetretenen Verluste aus dem Handel mit OTC-Derivaten war nicht auf den tatsächlichen Ausfall eines Kontrahenten, sondern vielmehr auf die Verschlechterung seiner Bonität zurückzuführen. Diese Bonitätsverschlechterungen führten zu bilanziellen kreditrisikobezogenen Bewertungsanpassungen (Credit Valuation Adjustments - CVA), welche sich direkt auf das Ergebnis der Institute auswirkten. Diesem Risiko wird in den bisherigen aufsichtlichen Regelungen nicht Rechnung getragen. Daher wird im Rahmen Reform des internationalen Bankenaufsichtsrechts mit Basel III und dessen Umsetzung in der EU mit der CRD IV ab dem 1. Januar 2013 eine zusätzliche Kapitalanforderung (sogenannte CVA Risk Capital Charge) für das Kontrahentenrisiko eingeführt. Die CRD IV wird folglich die Kapitalanforderungen für nicht über CCPs gehandelte OTC-Derivate deutlich erhöhen und schafft somit Anreize, auch nicht standardisierte Kontrakte über eine CCP clearen zu lassen.

Auch die Kapitalanforderungen für über CCPs gehandelte Kontrakte wurden in der CRD IV überarbeitet. Nach den aktuellen Regelungen führen Geschäfte mit CCPs nicht zu einer Kapitalanforderung. Die CRD IV sieht hingegen eine - nach Ansicht des Baseler Ausschusses geringe - Eigenkapitalanforderung (Risikogewicht zwei Prozent) vor, um so einen Anreiz für die Institute zu schaffen, die Höhe ihres Exposures gegenüber einer CCP zu überwachen. Weiterhin werden die Beitragsverpflichtungen zu den geplanten Ausfallfonds einer risikosensitiven Kapitalanforderung unterliegen.

Chancen auf Vereinheitlichung?

Die EMIR liegt derzeit nur im Entwurf vor, sodass naturgemäß hinsichtlich der finalen Ausgestaltung Unsicherheiten bestehen. Ein erster Änderungsvorschlag liegt bereits vor.10) Die Änderungen betreffen unter anderem eine explizite Aufforderung zur verstärkten Abstimmung im internationalen Kontext, insbesondere mit den USA. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der EMIR auch auf börslich gehandelte Derivate, in Anlehnung an einen entsprechenden Vorschlag des amerikanischen Finanzministers, wird überwiegend abgelehnt.11)

Weitere Änderungen betreffen die Forderung nach einem Anfangskapitals für CCP von zehn Millionen Euro. Ferner wird klargestellt, dass OTC-Derivate, die vor dem Inkrafttreten der EMIR abgeschlossen wurden vom Anwendungsbereich ausgenommen sind.12) Eine Abstimmung im EU-Parlament über die Änderungsvorschläge wurde vertagt und ist für September 2011 geplant.

Weitere Unsicherheiten ergeben sich aus den zahlreichen Konkretisierungsanforderungen durch die ESMA, die überwiegend bis zum 30. Juni 2012 im Entwurf vorliegen sollen. Ob die OTC-Derivateregulierung ein Erfolg wird, dürfte insbesondere von der Ausgestaltung der bisher noch offenen Detailvorgaben und dem Gelingen einer internationalen Vereinheitlichung der Vorschriften für OTC-Derivate abhängen.

Fußnoten

1) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister vom 15. September 2010, KOM(2010) 484. Der Begriff EMIR ist die Kurzbezeichnung der zuvor für den Verordnungsentwurf gebrauchten Bezeichnung "European Market Infrastructure Regulation".

2) Die Eigenkapitalanforderungen für Banken waren bisher in der Capital Requirements Directive (CRD), bestehend aus den RL 2006/48/EG und 2006/49/EG, geregelt. Mit der Umsetzung von Basel III in der EU wird die CRD durch eine Verordnung und eine Richtlinie ersetzt. Dennoch hat sich für dieses Reformpaket die Bezeichnung CRD IV etabliert. Zu den Kapitalanforderungen für Exposures gegenüber CCPs im Einzelnen vgl. Teil 3, Titel II, Kapitel 6, Abschnitt 9 des EU-Verordnungsentwurfs über die Aufsichtsanforderungen für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen vom 20. Juli 2011, KOM(2011) 452

3) Vgl. Definition der finanziellen Gegenpartei in Artikel 2 Abs. 6 der EMIR, unter anderem Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, (Rück-)Versicherungsunternehmen, OGAW, et cetera.

4) Vgl. Definition der nichtfinanziellen Gegenpartei in Art. 2 Abs. 7 der EMIR

5) Soweit OTC-Derivate allerdings zur Risikoabsicherung der originären Tätigkeit des Unternehmens dienen, sollen diese nicht berücksichtigt werden.

6) Vgl. hierzu sowie zu Kreditderivaten im Allgemeinen: Litten/Bell in WM 2011, Seiten 1109ff.

7) Vgl. Diekmann/Fleischmann in WM 2011, Seite 1105, 1106

8)die noch von der ESMA zu konkretisieren ist

9)Vgl. Working Programme 2011 der ESMA

10) Änderungsvorschläge des Verordnungsentwurfes nach der ersten Lesung im Parlament, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do ?type=TA&language=EN&reference=P7-TA-2011-0310

11)Vgl. Debatte zum Verordnungsentwurf im Europäischen Parlament vom 4. Juli 2011, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do ?type=CRE&reference=20110704&secondRef=ITEM-019&language=EN&ring=A7-2011-0223

12) Vgl. Zusammenfassung zur ersten Lesung im Europäischen Parlament, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/oeil/resume.jsp?id=587270 2&eventId=1159216&backToCaller=NO&language= en

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