Aufsätze

Sicherung der Qualität von Mikrofinanzinstitutionen

Bis 2005 waren Begriffe wie "Mikrofinanz" und "Mikrokredit" wohl nur einer überschaubaren Anzahl von Experten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit vertraut. Das änderte sich schlagartig, als die Vereinten Nationen das Jahr 2005 zum Internationalen Jahr des Mikrokredits (leider nicht: Mikrofinanz) ausriefen und diesen mit einer Vielzahl an Veranstaltungen auch kräftig in das Licht der Öffentlichkeit hoben. Einer ganz breiten Öffentlichkeit bekannt wurden diese Entwicklungskonzepte allerdings erst, als Professor Yunus und die Grameen Bank aus Bangladesh im Jahr 2006 zu gleichen Teilen den Friedensnobelpreis für den Aufbau der Mikrofinanzorganisation "Grameen Bank" zugesprochen bekamen. Und seit die Wirtschafts- und Finanzkrise die Anlagemöglichkeiten rund um den Globus kräftig dezimiert und lediglich der Mikrofinanzsektor als eine "nicht korrelierte Asset-Klasse" von der Krise verschont zu sein scheint, boomen Anlagen in Mikrokreditfonds, sprudeln die Geldquellen für Mikrofinanzinstitutionen.

Offene Fragen

Mikrofinanz scheint zum Allheilmittel in der Armutsbekämpfung und einer nachhaltigen Geldanlage geworden zu sein. Seit 2006 verdreifachten sich die Investitionen in die Mikrofinanz auf mehr als fünf Milliarden Dollar, mehr als 100 spezialisierte Mikrofinanz-Investment-Fonds tummeln sich heute auf diesem Gebiet. Fast schon inflationär wird der Begriff "Mikrofinanz" verwendet. Doch Vorsicht - insbesondere für Geldanleger - ist geboten! Nicht überall wo Mikrokredit draufsteht, ist auch Mikrofinanz drin. Denn: Was eigentlich macht den "Mikrokredit" zum nachhaltig wirksamen Entwicklungsinstrument? Warum haben "echte" Mikrofinanzinstitutionen eine deutlich bessere Rückzahlungsrate? Welche Kriterien könnten zur Beurteilung entwicklungspolitisch "guter", das heißt zweckgerichteter Mikrofinanz herangezogen werden?

Doch zunächst kurz ein Blick auf die derzeitige Landkarte der Mikrofinanz, die ein sehr heterogenes Bild bietet und Schätzungen zufolge weltweit bis zu 10 000 Institute umfasst. Da sind einmal jene, die mit Bank-Status operieren, wie etwa die internationale Gruppe der Pro-Credit-Banken, aber auch lokale Mikrofinanz-Banken, wie die Bank Constanta in Georgien. In der Mehrheit allerdings operieren Mikrofinanzinstitute heute ohne Bankenstatus, wie beispielsweise alle 13 in Bosnien tätigen Einheiten. Dazu zählen Non-Financial- Institutions, NGOs und Genossenschaften. Sie erhalten langfristige Refinanzierungen von internationalen Geld- und Kapitalgebern wie Weltbank, EBRD und KfW, aber auch von privaten Organisationen wie die genossenschaftliche Oikocredit oder private Investmentfonds wie der Dexia Mikrokredit Fonds.

Privatwirtschaftliche Kapitalgeber

Und die Zahl der Mikrofinanzinstitute in Entwicklungs- wie in Schwellenländern wächst weiter an, nicht zuletzt weil private und staatliche Kapitalgeber die Mikrofinanz als Schwerpunktthema entdeckt haben und sich somit das Angebot an Mikrofinanzmitteln seine eigene Distributions-Infrastruktur schafft. Alleine in Mittel- und Osteuropa operieren derzeit etwa 65 größere Institute, darunter neun Banken. Als Geld- und Kapitalgeber für die Mikrofinanzinstitute treten mehr und mehr privatwirtschaftliche Fonds - hauptsächlich gespeist von institutionellen Investoren - auf. Mit der Einbeziehung von privaten Geldgebern, von Investmentfonds und Geschäftsbanken wird ihre Reichweite deutlich und wesentlich vergrößert, wird privates Kapital für Entwicklungsprozesse mobilisiert, was ein neues und außerordentlich begrüßenswertes Phänomen darstellt. "Sozial verantwortlich in nachhaltige Entwicklung investieren" ist die Philosophie, mit denen Geldanleger zur Anlage in die Mikrofinanzfonds bewegt werden sollen. Daneben lockt die Sicherheit des Investments, die durch die hohen Rückzahlungsraten bei der Mikrokreditvergabe gewährleistet sein soll. Fast scheint es, als wäre mit Mikrofinanz der Stein der Weisen gefunden worden.

Die konstituierenden Elemente des Mikrokredits wurden bereits in den siebziger Jahren von Muhammad Yunus, damals Wirtschaftsprofessor an die Universität in Chittagong, beschrieben: Selbst kleinste Kreditbeträge können produktive Investitionen finanzieren, die zu dauerhaften Einkommensverbesserungen führen. Und: Die Kreditrückzahlung funktioniert dann am besten, wenn ein sozialer Gruppendruck die einzelnen Mitglieder zu konformem Handeln veranlasst. 1976 begann Professor Yunus aus eigenen Mitteln Geld an die Ärmsten zu verleihen. Er erhielt sein verliehenes Geld zu über 98 Prozent zurück und 1983 wurden die Aktivitäten schließlich mit der Gründung der Grameen Bank institutionalisiert.

Ohne die beeindruckenden Rückzahlungsraten bei der Kreditvergabe an die "Armen" hätte die Idee der Mikrofinanz wohl kaum diesen atemberaubenden Siegeszug antreten können. Sind die "Armen" also bessere Kreditnehmer? Haben sie eine höhere Zahlungsmoral? Wäre dem so, dann hätte wohl bald jeder der 2,6 Milliarden Menschen mit einem täglichen Einkommen von unter zwei Dollar bereits ein Bankkonto nebst Mikrokredit. Der Grund für den erstaunlichen Erfolg bei der Kreditvergabe muss also wohl woanders gesucht werden. Die Rückzahlungsquote hängt weniger von der Fähigkeit der Kreditnehmer ab, als vielmehr von der sozialen Einbindung der Kreditnehmer in eine Gruppe. Der "echte" Mikrokredit wird daher nur an die Mitglieder von Gruppen von fünf bis 15 Personen vergeben, die von den Kundenbetreuern der Mikrofinanzinstitute geschult und eng betreut werden. Die Kreditrückzahlung obliegt immer dem Einzelnen, aber die Gruppe haftet. Oder wie es die Grameen Bank formuliert: "Substantial group pressure to keep the individual record clear". Erst wenn die ersten Gruppenmitglieder ihren persönlichen Kredit über einen bestimmten Zeitraum hinweg regelmäßig bedienen, erhalten die nächsten in der Gruppe ein Darlehen. Jeder Kreditnehmer verpflichtet sich darüber hinaus, täglich einen geringen Betrag zu sparen. Die gemeinsame Verantwortung ersetzt die Stellung dinglicher Sicherheiten.

Gruppenzwang

Ältere Mikrofinanz-Ansätze wie die "Rotierenden Spar- und Kreditvereine" (Rosca) in Afrika hatten sich ebenfalls des sozialen Gruppendrucks als Mittel zur Sicherstellung der Kreditrückzahlung bedient. In kleinen Dörfern gar fand die Kreditvergabe öffentlich statt, der Kreditnehmer musste vor dem ganzen Dorf sein "Projekt" erläutern und sich zur Rückzahlung verpflichten. Dass sich diese Form des sozialen Drucks nicht für jede Gruppe und für jede Kultur eignet, mussten Mikrofinanzinstitute im Laufe ihrer Geschichte mehrfach schon bitter erfahren: Gruppen zerbrachen am eigenen Druck und überzogenen Ansprüchen. Aus diesem Grund wird die Gruppenbildung häufig mit sozialen Entwicklungsprogrammen begleitet, der damit verbundene Aufwand sollte daher auch als notwendige Investition einer Mikrofinanzinstitution in ein gesundes Kreditportefeuille verstanden werden. Institute, die sich dieser Mechanismen nicht bedienen, sollten mit Skepsis betrachtet werden, denn die Kreditnehmer verfügen in der Regel über keine verwertbaren dinglichen Sicherheiten, das Kreditportefeuille wäre daher schnell mit Blanko-Krediten überfrachtet.

Enge Kundenbindung

Für die Gründerväter des Mikrokredit waren Kenntnis und Verständnis der persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Lage ihrer Kreditnehmer eine Bedingung "sine qua non". Die Kreditvergabe war daher zumeist lokal eng begrenzt oder man stellte die enge Anbindung durch einen extensiven Einsatz von Kundenbetreuern her. Daher muss die mit dem zunehmenden Mittelzufluss in die Mikrofinanzinstituten sich abzeichnende Verbreiterung der Kluft zwischen den Geldgebern und deren Kunden äußerst skeptisch gesehen werden. Mittlerweile werden Mikrokredite auch an Kundengruppen vergeben, die sich durchaus für den formellen Bankensektor qualifizieren würden. Konkurrenzdruck und der Zwang zum Mittelabfluss fördern diese Praxis in einem besorgniserregenden Maße. Folge: Die Mikrofinanzindustrie hat es nach und nach mit neuen Kundengruppen zu tun, für die sie nicht gerüstet ist. Ebenso wenig wie Geschäftsbanken über Vertriebswege, Instrumente und Kundenbetreuer für eine umfängliche Betreuung einer Schicht niedriger Einkommensbezieher verfügen, genauso wenig verfügen die Institute über das notwendige Instrumentarium, die Mittelschicht und mittelgroße Unternehmen zu betreuen. Warum?

Einer der Garanten der hohen Rückzahlungsquoten ist der enge Kundenkontakt. "Barefoot banker" wurde diese Art der Kundenbetreuer in der Frühzeit der Mikrofinanzindustrie genannt. Kundenbetreuer, die möglichst aus dem gleichen Dorf wie ihre Kunden stammen, täglich oder mehrmals wöchentlich bei ihren Kunden im Geschäft oder zu Hause sind und sich dabei ein sehr realistisches Bild der persönlichen Situation und Geschäftsaktivitäten ihrer Kunden machen können. Nicht der Kunde kommt zur Bank, vielmehr ist der Kundenbetreuer ständig "draußen" am Ort des Geschehens, sprich der Kreditverwendung. Das ist einer der Gründe, warum rein filialbasierte Geschäftsbanken kaum erfolgreich die Vergabe von Mikrokrediten betreiben können. Ein hoher Informationsstand über die geschäftliche und private Lage (und Rückzahlungsfähigkeit) des Kreditnehmers ist die Folge. Fehlt nun aufgrund einer zu starken Ausweitung des Kundenkreises der persönliche Kontakt, versiegt der Informationsfluss, ohne dass die Institute andere Kanäle - Kontenbewegungen, Rechnungen, Einnahme-Ausgabe-Bücher et cetera - zur Kompensation dieses Mankos nutzen könnte. Dass bei unzureichender Information über die Kunden die Rückzahlungsquoten sich sehr schnell nach unten bewegen, muss hierbei nicht gesondert betont werden. Die Geschäftsausweitung einer Mikrofinanzinstitution hat somit systemimmanente Grenzen. Werden diese verletzt, muss das Geschäftsmodell zum Nachteil der Investoren (auch der Sparer) Schaden nehmen.

Formeller und informeller Finanzsektor

Schon immer gehörte das Sparen zu den konstitutionellen Elementen der Mikrofinanz. Für den Kreditnehmer bedeutet der Aufbau eines kleinen Sparguthabens eine Versicherung gegen den Ausfall der Investition, für die Institute selbst bedeutet die Gewinnung von Sparguthaben eine Verbreiterung ihrer Aktionsbasis und eine erhöhte Unabhängigkeit. Dafür wird in der Regel der Status als Bank benötigt. Soweit eine Mikrofinanzinstitution sich nicht zum Bankstatus qualifizieren kann oder will, erweitern Kooperationen mit Geschäftsbanken und Versicherungen die Produktpalette und schaffen so Möglichkeiten, ein breiteres Bündel an Bankdienstleistungen in die Dörfer zu bringen (sogenannte "linkage"-Projekte, bei denen der formelle und der informelle Finanzsektor miteinander verwoben werden).

Lokales Sparen ist also untrennbar mit dem Konzept der Mikrofinanz verknüpft. Das örtliche Sparaufkommen wird für die Finanzierung der lokalen Wirtschaftskreisläufe genutzt. Und aus institutioneller Sicht machen erst Sparmittel eine eigenständig lebensfähige Finanzinstitution aus. Institute, die sich ausschließlich auf die Kreditvergabe konzentrieren, bleiben ein Fremdkörper in der lokalen Wirtschaft und tragen aufgrund ihrer Abhängigkeit von nur wenigen - zumeist ausländischen - Geldgebern nur beschränkt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei. Dies muss bei der Beurteilung der Qualität einer Institution ebenfalls zwingend berücksichtigt werden.

Marktgerechte Konditionen

Mikrofinanzinstitute ermöglichen Kundengruppen mit keinem oder niedrigem Einkommen Zugang zu Bankdienstleistungen, die sie bei etablierten Banken nicht erhalten würden. Die zu bezahlenden Konditionen sind marktgerecht, ja müssen marktgerecht sein. Denn Mikrofinanz ist kein karitatives Projekt, sondern hat wirtschaftliche Zielsetzungen gekoppelt mit sozialen Mechanismen. Mikrofinanzinstitute sind daher weder non-profit-Organisationen noch renditemaximierende Unternehmen. Sie haben eine kommerziellsoziale Zwecksetzung, die Gewinnerzielung keineswegs ausschließt oder verbietet, sondern allenfalls die Gewinnverwendung wieder an die Zwecksetzung des Unternehmens koppelt, indem der Großteil der Gewinne wieder in die Mikrofinanz zurückinvestiert werden sollte. Der private Kapitalgeber sollte sich daher nicht nur mit dem "Versprechen" einer geringen Verzinsung zufrieden geben, sondern sollte in diesem Falle auch die zweckgebundene Re-Investition des verbleibenden Gewinns überwachen und einfordern. Nur so wird seine Investition den hohen Kriterien an ökonomischer und sozialer Sinnhaftigkeit und wirtschaftlicher Effizienz der Mikrofinanz gerecht werden.

Fazit: Zunächst ein klares Bekenntnis zur Mikrofinanz. Sie kann sowohl nachhaltige Entwicklungsimpulse verleihen als auch solide und für alle Beteiligten vorteilhafte Bankgeschäfte bereitstellen. Die wesentlichen Erfolgsfaktoren wie die soziale Organisation und gemeinsame Haftung der Kreditnehmer, der enge Kontakt zwischen Institut und Kunde, die Verknüpfung mit Sparen und die Re-Investition der Gewinne sind zwingend einzuhalten, da sie die konstitutionellen Merkmale einer Mikrofinanzinstitution darstellen. Nicht die Größe macht den Mikrokredit, sondern die Art und Weise der Vergabe! Wird aus Gründen der leichten Verfügbarkeit von Finanzmitteln davon abgerückt, dann wird das Konzept der Mikrofinanz verlassen.

Zwingend geboten ist daher eine umfassende Qualitätssicherung auf der Grundlage der aufgeführten ökonomischen und sozialen Kriterien. Ein qualitativ hochwertiges Mikrofinanzwesen ist heute wichtiger denn je. Und es bedarf auch weiterhin der privaten Mittel aus den entwickelten Ländern. Die privaten Investoren jedoch sollten sich der konstitutionellen Grundelemente des Mikrofinanzansatzes bewusst sein und kritisch hinterfragen, ob wirklich Mikrofinanz drin ist, wo Mikrokredit drauf steht!

Dr. Friedhelm Boschert , Geschäftsführer , Mindful Finance Institute MIFI GmbH, Wien
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