Aufsätze

Im Spannungsfeld von Technik und Kundenorientierung - einheitliche Wertpapierabwicklung im Finanzverbund

IT-Projekte allgemein und dabei insbesondere auch die Einführung gänzlich neuer IT-Plattformen in Banken, zählen zu den anspruchsvollsten Projekten. Und je mehr Partner an dem Projekt beteiligt sind, umso komplexer werden die fachlichen und technischen Anforderungen. Auch die erforderlichen Abstimmungen der unterschiedlichen Sichtweisen und Ziele der Beteiligten erschweren die Projektarbeit. Dabei bereitet der Spagat zwischen der eher kundenorientierten Perspektive der Vertriebs- und Markteinheiten einerseits und der eher technischen Sicht der IT- und Orga-Einheiten andererseits typischerweise beträchtliche Schmerzen.

Ein anspruchsvolles Großprojekt

Dass das auch anders geht, zeigt ein gut funktionierendes Großprojekt im genossenschaftlichen Finanzverbund zur Einführung einer neuen Wertpapierabwicklungs-Plattform und der zeitgleichen Neu- und Weiterentwicklung der Wertpapierfront-end-Anwendungen für den Filialbetrieb (B2B) und das Internet-Brokerage (B2C). Ein auch nur annähernd vergleichbares Großprojekt hat es im Finanzverbund zuvor noch nicht gegeben. Wie die genossenschaftliche Bankengruppe mit den Herausforderungen dieses Projektes umgeht, welche Erfolgsfaktoren identifiziert wurden und wie die Einbindung aller Primärbanken gewährleistet wird - das sind die Schwerpunkte dieses Beitrages.

Das Projekt trägt den Namen Geno-Sys-WP. Die Namensgebung bezieht sich auf die Bestandteile, für die alle beteiligten Partner mit ihrem Namen und ihrer Dienstleistung stehen:

- Geno: für die Beteiligung der Zentralbanken und Volksbanken und Raiffeisenbanken,

- Sys: für die Teilnahme der Rechenzentralen als Systemlieferanten und

- WP: für den Partner DWP-Bank, der den Wertpapier-Abwicklungs- und Verwahrungsteil in der Prozesskette verantwortet.

Die Herausforderungen in diesem Projekt waren und sind immens, und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind mit den beiden Zentralbanken DZ Bank und WGZ Bank und den beiden Rechenzentralen Fiducia und GAD zusammen vier Unternehmen des Finanzverbundes sowie dazu die Transaktionsbank DWP-Bank, an der die DZ Bank mit 50 Prozent beteiligt ist, für das Gelingen des Projekts verantwortlich. Zweitens müssen mehr als 1 200 genossenschaftliche Primärbanken - überwiegend Volksbanken und Raiffeisenbanken - mit ihren Kunden (und mit ihren A-Depots) an die neue künftig verbundeinheitliche Plattform angebunden werden. Hinzu kommt mit weiteren fachspezifischen Anforderungen der genossenschaftliche Fondsanbieter Union Investment, einer der größten Asset Manager für private und institutionelle Kunden in Deutschland.

Die Ziele: Prozesse vereinheitlichen und Skaleneffekte heben

Am Anfang stand das gemeinsame Ziel der Sparkassen im Rheinland und in Westfalen sowie der beiden genossenschaftlichen Zentralbanken, im Wertpapierservicebereich Skaleneffekte im weitgehend standardisierbaren Backoffice-Bereich zu erzielen.

Dieses sollte erreicht werden mit der Fusion der Wertpapierservicebanken WPS-Bank aus dem Sparkassenumfeld und der BWS-Bank als Unternehmen aus dem genossenschaftlichen Finanzverbund und der damit einhergehenden Zusammenlegung der bestehenden Wertpapierabwicklungsplattformen. Mit dem Zusammenschluss der beiden Institute im Jahr 2003 entstand die DWP-Bank, die mittlerweile neben dem öffentlich-rechtlichen Bankensektor und dem genossenschaftlichen Finanzverbund auch für Privatbanken in Deutschland die Wertpapierabwicklung übernommen hat. Skaleneffekte lassen sich aber nur erzielen, wenn für den industrialisierten Teil der Wertschöpfungskette im WP-Geschäft eine gemeinsame technische Plattform existiert. Wichtigste Aufgabe war und ist es somit, die zum Teil vollkommen unterschiedlichen DV-Verfahren im Wertpapiergeschäft über neue einheitliche Systeme abzuwickeln (Abbildung 1).

Es ging aber nicht allein darum, mit zentralisierten Plattformen die Skaleneffekte zu ermöglichen und damit Kostenvorteile zu erzielen. Vielmehr wollte die genossenschaftliche Bankengruppe, die Prozesse in der Wertpapierabwicklung - die zum Teil noch unterschiedlich abliefen - bis hin zum sogenannten Frontend am Bankschalter vereinheitlichen. Keine Unterschiede mehr, zu welchem Rechenzentrum eine Bank gehört, gleiche Anwendungen von Flensburg bis Oberammergau, schlanke Prozesse vom Kunden bis zum Clearing. Das entspricht einer wirksamen "Bündelung der Kräfte", die eben deutlich mehr bedeutet, als beispielsweise die Verschmelzung zweier Rechtseinheiten.

Außergewöhnliche Dimensionen Um ein Gefühl für die Dimensionen des mittlerweile seit fast zwei Jahren laufenden Projekts zu bekommen, hier ein kurzer Überblick:

Die Auftraggeber: Stellvertretend für rund 1 200 Genossenschaftsbanken in Deutschland agieren die beiden Zentralbanken DZ Bank und WGZ Bank. Sie sind beide insbesondere verantwortlich für die bankfachlichen Aspekte, die Darstellung der gesamten Prozesskette sowie die erforderlichen und umfassenden Schulungen der Anwender in den Primärbanken.

Die Systemlieferanten: Die DWP-Bank ist der Systemlieferant für das Abwicklungsverfahren WP-2 und Dienstleister für den Wertpapierabwicklungs- und Verwahrungsteil im genossenschaftlichen Verbund. Die beiden genossenschaftlichen Rechenzentralen, Fiducia und GAD, entwickeln das Frontend Geno-WP - dabei vor allem mit der Anpassung an die spezifischen Anforderungen des Finanzverbundes -, mit der Integration der Wertpapierabwicklung in die Bankanwendungen sowie mit der technischen Migration der Daten, der "Datenlogistik" Abbildung 2).

Im Rahmen des Projektes sind etwa 2,9 Millionen Depots mit 8,6 Millionen Depotposten und einem Depotvolumen von fast 600 Milliarden Euro betroffen. Dies bedeutet 9,3 Millionen Wertpapierabrechnungen jährlich und einen Druckoutput von 18,6 Millionen Postsendungen pro Jahr. Dabei sind über 100 verschiedene weitere IT-Systeme bei den beteiligten Partnern als sogenannte "Umsysteme" zu berücksichtigen. Dies ist ähnlich, als würde die Fracht eines riesigen Containerschiffs auf ein schnelleres und flexibleres Schiff verladen, wobei eine der Anforderungen lautet, dass jeder Container nachher an der gleichen Stelle stehen muss wie vorher, und das Ganze findet natürlich bei voller Fahrt und auf hoher See statt.

Rund 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der fünf genannten unmittelbar beteiligten Unternehmen arbeiten derzeit in Vollzeit an diesem außerordentlichen Vorhaben. Mitwirkende, die temporär oder punktuell eingebunden werden, und externe Berater sind dabei gar nicht mitgezählt. Darüber hinaus gehören mindestens 1 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Volksbanken und Raiffeisenbanken, sowie Ansprechpartner der in hoher zweistelliger Zahl vorhandenen Drittkunden, zum Projektteam; sie verantworten als sogenannte Migrationskoordinatoren die Vorbereitungen in den Banken vor Ort.

Herausforderung: Einvernehmliche Projektziele definieren

Wer bereits in einem Projekt mitgearbeitet hat, kennt eine der wichtigsten Aufgaben in der Projektarbeit: Die Definition der gemeinsamen Zielsetzung und diese auch transparent zu machen. Die besondere Herausforderung in diesem Projekt bestand und besteht darin, diesen Projektantritt über die fünf hauptbeteiligten Häuser hinweg zu gewährleisten. Aus den anfangs noch bestehenden fünf unterschiedlichen Interessenlagen entwickelte sich in einem überschaubaren Zeitraum von wenigen Wochen eine durchgängige Projektsicht. Die Projektmethodik wurde von den Geschäftsleitungen gemeinsam festgelegt, um den Anforderungen aller Häuser gerecht zu werden.

Dass diese Herangehensweise auch funktioniert, ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Entscheider der beteiligten Partner in einem intensiven und vertrauensvollen Dialog ständig miteinander verbunden sind. Die operative Projektsteuerung konnte von Anfang an auf dem von den Geschäftsleitungen definierten gemeinsamen Verständnis aufbauen und im gleichen Geist eine Projektphilosophie entwickeln, die dieses komplexe Vorhaben überhaupt erst steuerbar macht. Ein wichtiges Element ist hierbei auch, das Projektteam zu koordinieren und die zu erfüllenden Aufgaben so zu verteilen, dass Anforderungen und Expertise möglichst harmonieren sowie die Lasten einigermaßen ausgewogen verteilt sind. Mit Lasten sind sowohl die enormen benötigten zeitlichen Ressourcen der entsprechenden Fachkräfte als auch die erforderlichen Budgets gemeint. Das hier skizzierte Projekt bedeutet für die fünf unmittelbar beteiligten Unternehmen ein Investitionsvolumen im dreistelligen Millionenbereich. Da die genossenschaftlichen Unternehmen subsidiäre Verbundpartner sind, entsprechen sie damit ihrem satzungsmäßigen Förderauftrag.

Ist die Größenordnung des Projektes schon anspruchsvoll genug, kommt für die Wertpapierabwicklung hinzu, dass die gewünschte Standardisierung und Automatisierung mit der erforderlichen Flexibilität gegenüber den Kunden in Einklang zu bringen ist. Letzteres ist in besonderer Weise wettbewerbsrelevant, denn es gilt nicht nur Pannen im Vertrieb der Dienstleistung "Wertpapiergeschäft" zu vermeiden, sondern die Verbesserungen im Front- und Backoffice auch im Kundengeschäft spürbar werden zu lassen - sei es durch eine höhere Qualität, durch eine höhere Geschwindigkeit oder durch niedrigere Preise. Am besten natürlich in allen dieser drei für den Kunden spürbaren Dimensionen.

Erfolgsfaktoren: Aufteilen und Zusammenarbeiten

Die bisherige Darstellung beschrieb bisher überwiegend die "harten Fakten" des Großprojektes. Eine besonders eindrucksvolle Facette der interdisziplinären Projekttätigkeit ist die Bereitschaft und der absolute Wille aller Partner, dieses Vorhaben zum Erfolg führen zu wollen. Aus fünf einzelnen Unternehmen ist eine Projektmannschaft erwachsen, die gemeinsam mit höchstem Engagement an dem dargestellten Ziel arbeitet - der erfolgreichen Migration auf die neuen Frontend- und Backendsysteme. Jeder Partner hat neben den gemeinsam abgestimmten Projektaktivitäten zudem hausintern eine Fülle von Aufgaben zu erledigen, die zum Gesamterfolg des Projektes "Geno-Sys-WP" beitragen.

Wichtig für den gemeinsamen Erfolg ist: Es gibt Situationen, da funktioniert etwas bei einem der Partner nicht auf Anhieb. Aber anstatt eines "Fingerpointings" haben die Projektbeteiligten in dem sehr komplexen Umfeld eine Kultur entwickelt, in der gemeinsam an Lösungen im Sinne des übergeordneten Ziels - der erfolgreichen Migration - gearbeitet wird.

Als hilfreich hat sich zudem erwiesen, das übergreifende Projektteam zeitnah mit den aktuellen Projektinformationen zu versorgen. Hierzu erstellen die Leiter der einzelnen Teilprojekte zu wichtigen Meilensteinen einen Projektnewsletter. Der Erfolgsfaktor "Information" ist einer der wichtigsten Rohstoffe für das Gelingen des Projektes. Dementsprechend wird ein sehr intensiver kommunikativer Austausch unterstützt und praktiziert.

Rollout: Zentraler Leitstand koordiniert und Servicecenter unterstützt

Nach den Phasen der fachlichen Spezifikation und der technischen Umsetzung befindet sich die Projektarbeit nun kurz vor der Zielgeraden - die allerdings noch einmal ziemlich lang sein dürfte. Die neuen Systeme werden derzeit sehr intensiv getestet. So wird sichergestellt, dass die bestmögliche Anbindung aller Komponenten vom Frontend über das Backend bis hin in die umgebenden Systeme gewährleistet ist.

Damit möglichst früh erkennbar wird, wie gut Technik und Prozesse ineinander greifen, hatten sich fünf Volksbanken und Raiffeisenbanken bereit erklärt, in einem frühen Stadium des Projektes - bereits ab April 2009 - mit den neuen Anwendungen "live" zu gehen. So sollte mit den gewonnenen Erkenntnissen der spätere Massen-Rollout optimiert und bestmöglich abgesichert werden. Dies war eine wichtige und enorm hilfreiche Phase im Projekt. Es wurde deutlich, dass die Tests noch wesentlich zu intensivieren waren und der "Support" für die Institute optimiert werden musste.

Der Rollout der neuen Anwendungen für die 1 200 Volksbanken und Raiffeisenbanken ist in sieben "Tranchen" über einen Zeitraum von Oktober 2009 bis Juni 2010 geplant. Dieser Fahrplan ermöglicht es zum einen, auf der technischen Seite beherrschbare Größenordnungen zu migrieren und zum Zweiten, die Banken vor Ort intensiv zu betreuen.

Zur Vorbereitung des Rollouts liegt neben den Aktivitäten des Kernteams der Fokus darauf, die Volksbanken und Raiffeisenbanken bestmöglich auf die Systemumstellung vorzubereiten. Systemumstellung bedeutet schließlich: Wechsel eines Verfahrens, neue Prozesse, neue Organisations- und Arbeitsanweisungen - eine Zeit fordernde und intensive Arbeit. So werden die Banken im Rahmen eines sogenannten 100-Tage-Programms im Vorfeld ihrer jeweiligen Tranche über die anstehenden Aktivitäten informiert. Neben Präsenzschulungen hat das verantwortliche Projektteam für das neue Frontend "Geno-WP" und für das Backend "WP-2" jeweils ein Web-basiertes Training entwickelt, damit die Nutzer sich praxisnah mit den neuen Systemen auseinandersetzen können.

Enormer Schulungsbedarf

Um dem Migrationskoordinator in der Bank vor Ort ein Instrument an die Hand zu geben, das ihm dabei hilft, die richtigen Aktivitäten zur richtigen Zeit durchzuführen, wurde ein ebenfalls Web-basiertes "Wechsel-Cockpit" entwickelt und den Banken zur Verfügung gestellt. Hierüber können die Migrationskoordinatoren sowie die fachverantwortlichen Zentralbanken die relevanten Prozessschritte in der Bank vor Ort verfolgen. Immerhin gilt es, in einem überschaubaren Zeitrahmen rund 40 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Primärbanken, aber auch rund 1 600 Nutzer in den Zentralbanken zu schulen.

Die Aktivitäten zur Produktionsaufnahme (go-live) der jeweiligen Tranche werden durch einen zentralen Leitstand in Frankfurt innerhalb der DWP-Bank gesteuert. In diesem Leitstand koordinieren die Verantwortlichen der Zentralbanken, der Rechenzentralen sowie der DWP-Bank die technischen Abläufe. Der zentrale Leitstand bedient sich dabei dezentraler Leitstände in den einzelnen Häusern, die wiederum dafür Sorge tragen, dass die Prozesse zur Anbindung der Umsysteme eingehalten werden. Nach erfolgter Stammdaten- und Bestandsmigration finden fachliche Prüfungen statt, um anschließend die Produktionsfreigabe erteilen zu können.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil im Betreuungskonzept ist die Bereitstellung eines eigenen Servicecenters für den Zeitraum der Migration. In diesem Migrations- und Servicecenter stehen Mitarbeiter der Zentralbanken, Rechenzentralen und der DWP-Bank für Fragen, Anmerkungen, Lob und Kritik "rund um die Migration" zur Verfügung und können schnellstmöglich die Belange der Primärbanken aufgreifen. Dies betrifft sowohl Fragen vor dem Rollout als auch während und nach der Migration.

Offene Kommunikation zur Schärfung des Projektziels

Der Erfolg des Projektes beruht auf klar gesetzten Prioritäten durch die Geschäftsleitungen der fünf hauptbeteiligten Unternehmen. Dabei sind insbesondere eine offene und zielführende Kommunikation und die permanente Schärfung des gemeinsamen Projektziels ausschlaggebend für die erfolgreiche Erreichung des gemeinsamen Ziels. Zugleich hat die Projektleitung Augenmaß gewahrt, indem sie immer wieder die Balance zwischen den Anforderungen der "Banker" und den Möglichkeiten der "Techniker" austariert hat. Für die genossenschaftliche Bankengruppe gilt eben nicht "Teile und herrsche", sondern "Teile und arbeite zusammen"!

Thomas Ullrich , Vorstandsmitglied, DZ BANK AG, Frankfurt am Main
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