Aufsätze

Stabilisierung oder Destabilisierung Europas: Was bringt der ESM?

Im Sommer 2012 tritt der "Europäische Stabilitätsmechanismus", ESM, in Kraft. Von diesem System erhoffen sich manche eine Lösung der europäischen Schuldenkrise. Andere befürchten das Gegenteil: Der ESM trage zu einer Perpetuierung der Krise bei. Warum der ESM in Zukunft destabilisierend wirken kann, zeigt der folgende Beitrag.

Inhärenter Mechanismus hin zu mehr Instabilität

Zusammengefasst ergibt sich, dass der ESM einen inhärenten Mechanismus hin zu mehr Instabilität besitzt. Dazu tragen mehrere Facetten bei. Für Schuldnerländer kann es rational sein,

- die Schwierigkeiten im Heimatland übertrieben darzustellen,

- das Vorhandensein von Handlungsalternativen zu bestreiten,

- ausweglose Situationen zu behaupten,

- negative Auswirkungen auf ganz Europa herauszustellen,

- vereinbarte Reformen nicht durchzuführen und

- die Rückzahlungen von Geldern zu verweigern.

Es ist deshalb damit zu rechnen, dass es mit Gründung des ESM zu einem anhaltenden und in der Öffentlichkeit ausgetragenen Dissens zwischen Kontrolleuren (der EU), den Auflagengebern (zum Beispiel EU, IWF), Nettoeinzahlern (zum Beispiel Niederlande, Deutschland, Österreich und den Schuldnerländern) kommen wird.

Querelen, die ohne den ESM rein innenpolitische Probleme mit geringer Relevanz für die internationalen Kapitalmärkte sein würden, werden über den ESM zu Problemen von europäischer Tragweite. Die permanenten Dissense zwischen wichtigen Gruppen und die übertriebenen Krisendarstellungen werden die Finanzmärkte immer wieder beunruhigen. Kapital kann fehlgeleitet werden. Nationale Reformen werden aufgeschoben. Der ESM kann dadurch zur Destabilisierung beitragen.

Was ist der ESM? Ursprung des ESM ist die erste Griechenlandkrise vom April/Mai 2010. Die Finanzminister der Eurozone hatten am 9. Mai 2010 angesichts eines in Panik umschlagenden Misstrauens gegenüber Griechenland beschlossen, ein System zur Gewährung finanzieller Hilfe für Eurostaaten in Bedrängnis zu installieren. Das System hatte drei Bestandteile:

- die EFSF mit Finanzhilfen aus Mitgliedstaaten.

- den EFSM mit Finanzhilfen aus EU-Mitteln sowie

-Gelder des IWF.

Dieses System sollte vorübergehenden Charakter haben. Am 29. Oktober 2010 kamen aber mehrere Staaten zu der Überzeugung, es sei notwendig, über einen permanenten Finanzierungsmechanismus zu verfügen. Als solcher dient der ESM. Er soll EFSM und EFSF ersetzen.

Grundlage des ESM ist ein zwischenstaatlicher Vertrag einer Gruppe von Ländern, welche den Euro eingeführt haben.1) Ziel ist die Schaffung einer Finanzinstitution (Art. 1, ESM-Vertrag), welche den beigetretenen Mitgliedern Pflichten auferlegt (Geldzahlungen und Garantiegewährungen) und im Gegenzug Rechte in Form von Anträgen auf Auszahlung von Geldern gewährt. Mitglied können alle EU-Staaten werden, welche den Euro einführen (Art. 2, ESM-Vertrag).

Organisatorischer Aufbau des ESM

Der ESM hat drei Organe: den Gouverneursrat, das Direktorium und den geschäftsführenden Direktor. Eine wichtige Rolle spielt darüber hinaus die EU. Der Gouverneursrat ist das oberste Leitungsorgan. Er besteht aus den Finanzministern der Mitgliedsländer (Art. 5). Es ist insoweit ein "politisch" arbeitendes Organ. Das Direktorium ist ein untergeordnetes Leitungsorgan. Direktoren sind Entsandte der Mitgliedsländer mit "großem Sachverstand" (Art. 6.1). Der geschäftsführende Direktor des ESM errichtet eine Behörde mit Sitz in Luxemburg, welche ihre Kosten aus den Zinserträgen der bar eingezahlten Mittel deckt (80 Milliarden Euro). Die Behörde und ihre Mitarbeiter sind von allen Steuern befreit. Der ESM führt eine interne Steuer für seine Bediensteten ein (Art. 36.5).

Die EU ist folgendermaßen involviert: Der Gouverneursrat des ESM muss verschiedene wichtige Arbeitsschritte von der EU-Kommission ausführen lassen.

Das Stammkapital des ESM beträgt 700 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro davon werden bar einbezahlt. 620 Milliarden Euro sind "abrufbar". Die Mitglieder des ESM sind verpflichtet, diese Gelder auf Anforderung einzuzahlen. Das Darlehensvolumen ist auf 500 Milliarden Euro begrenzt. Diese Summe kann einstimmig geändert werden. Eine Verzinsung der Bareinzahlungen der Mitgliedsbeiträge sowie eine Avalprovision für die abrufbaren Mittel sind nicht vorgesehen (Art. 23).

Entstehen Überschüsse, können diese aber als Dividende ausgezahlt werden. Sie können aber auch einen Reservefonds speisen, aus dem Verluste getilgt werden. Finanzhilfen können in verschiedenen Formen gewährt werden. Diese sind in Tabelle 1 kurz erläutert.

Geschäftsmodell und Regeln für Kapitalgeber und Schuldner

Das Geschäftsmodell des ESM besteht darin, auf der Basis von Garantien und Bareinzahlungen der Mitglieder Anleihen und Kredite am Finanzmarkt aufzunehmen, um die Gelder an berechtigte Länder weiterzureichen. Hierzu gibt es folgende Regeln für Kapitalgeber und Schuldner.

Strenge Regeln gibt es für Kapitalgeber. Sie müssen sich "unwiderruflich" und "uneingeschränkt" (Art. 8.4) zur "fristgerechten" Leistung ihres Anteils am Stammkapital verpflichten. Die ersten Zahlungen erfolgen genau 15 Tage nach Inkrafttreten des ESM (Art. 41.1). Nach Art. 9.2 kann das Direktorium mit einfacher Mehrheit weiteres Kapital (bis zur Haftungsgrenze eines jeden Mitglieds) abrufen, wenn Verluste entstanden sind.

Jedes Mitglied haftet als Gesamtschuldner bis zu seiner Haftungsgrenze (Art. 8.4f.). Wenn die Gefahr von Zahlungsverzug von ESM-Verbindlichkeiten besteht, kann der geschäftsführende Direktor alleine ohne Rücksprache Kapitalabrufe tätigen; er ist dazu sogar verpflichtet, um eine Illiquidität des ESM zu verhindern (Art. 9.3).

Wie sehen die Regeln für Schuldner aus? Jedes Mitglied des ESM hat das Recht, Anträge auf Auszahlung von Geldern zu stellen (Art. 13.1). Ein Antrag wird an den Gouverneursrat des ESM gerichtet und löst einen mehrstufigen Prozess aus. Dieser Prozess beginnt damit, dass der ESM den Antrag an die EU-Kommission weiterreichen muss (! ) (Art. 13.1), welche prüft, ob erstens eine Gefahr für die Stabilität der Eurozone oder eines Mitgliedslandes besteht. Außerdem prüft die EU-Kommission, ob zweitens die Verschuldung des Schuldnerlandes noch tragfähig ist. Schließlich wird drittens der Finanzmittelbedarf des Schuldnerlandes von der EU-Kommission errechnet. Auf der Basis dieser Untersuchungen gibt der Gouverneursrat des ESM (einstimmig) eine grundsätzliche Zusage einer Geldzahlung (Art. 13.2.).

Enorme Rolle der EU-Kommission

Die weiteren Schritte muss der ESM wieder der EU übertragen: Die EU-Kommission handelt mit dem Empfängerland ein Memorandum of Understanding aus, welches Auflagen für das Empfängerland beinhaltet (Art. 13.3). Die EU-Kommission unterzeichnet es, nachdem der Gouverneursrat des ESM zugestimmt hat (Art. 13.4). Dann werden die Gelder ausgezahlt (Art. 13.5). Die EU-Kommission überwacht die Auflagen und erstellt darüber Berichte (Art. 13.7). Nach Erhalt der Berichte gibt das Direktorium des ESM unter Umständen vereinbarte weitere Tranchen der Gelder frei.

Deutlich wird die enorme Rolle der EU-Kommission. Die Leitungsorgane des ESM sind auf die Rolle des Zustimmens oder Ablehnens beschränkt. Alle wichtigen Arbeitsschritte werden von der EU-Kommission durchgeführt. Dabei hat die Kommission einen erheblichen Spielraum, da verbindliche Regeln und Grenzen praktisch nicht festgelegt sind. Die Rolle des Unterbaus des ESM beschränkt sich auf technische Aspekte der Zahlungsleistung und Überwachung (Tabelle 2).

Die Auflagen

Das Herzstück des ESM sind die Auflagen, die als Gegenleistung für eine Kapitalgewährung zwischen dem Land und der EU-Kommission (EU-Kom) vereinbart werden. In diesen Auflagen beziehungsweise in der Art und Weise, wie sie geregelt sind, liegt nun das Problem, das aus dem ESM keinen stabilisierenden, sondern einen destabilisierenden Fonds machen kann. Zunächst die Fakten:

- Die Hilfebedürftigkeit eines Landes wird nicht vom ESM, sondern von der EU-Kom geprüft. Die EU prüft die Schwere der Krise, das Ausmaß der Gefahren für die Finanzstabilität und die Tragfähigkeit weiterer Schulden eines Mitgliedslandes. Regeln oder Grenzwerte enthält der ESM-Vertrag nicht.

- Die EU-Kom handelt mit dem Mitgliedsland Auflagen aus. Wie diese auszusehen haben, welcher Philosophie sie entsprechen sollen, ist im ESM-Vertrag nicht festgelegt.

- Nach der Erstkreditgewährung werden der Konsolidierungsfortschritt und die Einhaltung der Auflagen von der EU-Kom überwacht. Was bei negativen Ergebnissen passiert, ist an keiner Stelle angesprochen. Ja, dieser Fall ist offenbar ganz bewusst ausgeklammert worden, denn es heißt nur: "... beschließt das Direktorium ... nach Erhalt eines Berichtes der Europäischen Kommission" (zum Beispiel Art. 15.5.). Die EU schreibt zwar den Bericht, beteiligt sich aber nicht offiziell an seiner Interpretation und daraus folgenden Maßnahmen. Sie schlägt weder Maßnahmen vor noch setzt sie welche durch.

- Sanktionen für Schuldner mit Fehlverhalten sind nicht vorgesehen.2) Da auch keine Instrumente für Sanktionen vorgesehen sind, besteht das einzige Drohpotenzial gegen nicht kooperative Schuldner in der Rückhaltung weiterer Tranchen.3) Für die Rückführung einmal empfangener Gelder gibt es im ESM-Vertrag keinerlei Regelungen.

Fehlende Detailregelungen

Es ist im ESM-Vertrag überdeutlich festzustellen, dass sorgsam vermieden wurde, Details zu regeln, welche folgende Punkte betreffen:

1. die Prüfung, ob Hilfskredite überhaupt notwendig sind (Notwendigkeitsprüfung),

2. die Auflagen für Kreditnehmer (Auflagenprüfung),

3. die Bewertung der Überwachungsergebnisse (Überwachungsprüfung) und vor allem

4. die Ziehung von Konsequenzen bei negativen Überwachungsergebnissen (Konsequenzziehung).

Genau diese vier Punkte sind bei jeder Kreditgewährung im privaten Finanzgewerbe die entscheidenden Aspekte. Wenn diese nicht geregelt sind, ist das bedenklich. Folgerichtig ist der ESM auch von jeglicher Bankenregulierung ausgenommen.

Der ESM-Vertrag regelt im Prinzip nur das Organisationsschema, das bei einer Kreditgewährung anzuwenden ist. Wie die Arbeitsschritte im Einzelnen inhaltlich auszuführen sind, ist bislang noch vollkommen offen.

Das gilt aber, wie oben bereits gesagt, nur für die Auszahlung und Rückforderung von Geldern. In Bezug auf die Einzahlung der Gelder in das System ist der ESM-Vertrag ganz kleinlich und lässt überhaupt keinen Spielraum.

Politisierung der Auszahlungen

Die Ersteinräumung von Finanzmitteln spielt sich vollständig auf der politischen Ebene ab: Die Regierung eines Staates ruft um Hilfe, die EU-Kommission prüft und der Gouverneursrat, der aus den Finanzministern der Geberländer besteht, stimmt zu.

Die Folgezahlungen (das heißt weitere Tranchen eines Programms) wurden dann auf eine etwas weniger politische Ebene verlagert. Zwar erstellt die EU-Kommission Berichte. Über den Fortgang der Zahlungen beschließt aber nicht mehr der Gouverneursrat, das heißt die Finanzminister, sondern ein etwas zurückgesetztes Gremium, das Direktorium, welches gemäß Art. 6.1 ESM-Vertrag mit "Fachleuten" besetzt sein soll.

Man mag an diesem kleinen Unterschied vielleicht schon ein Indiz für die zukünftige Arbeit des ESM erkennen: Großzügigkeit bei der Erstkreditgewährung, etwas mehr Strenge in der Folgezeit.

Anreize im Lichte der Prinzipal-Agenten-Theorie

Welche Anreize üben die Regelungen aus? Verhaltensanreize werden überwiegend im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie untersucht. Es wird in dieser Theorie unterstellt, dass Agenten (hier also die Schuldnerländer und die EU) opportunistisch agieren und Handlungen nicht zur gemeinsamen, sondern zur individuellen Nutzenmaximierung auswählen.

Zur Notwendigkeitsprüfung: Die Vergabe
von Mitteln ist gemäß Art. 12 daran geknüpft, dass es "unabdingbar" sein muss, dass "zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten" Finanzhilfe gewährt wird.4) Dies sind nebulöse Begriffe, die an keiner Stelle in den ESM-Regularien klarer formuliert sind.

- Ein Schuldner hat demgemäß den Anreiz, die Krisenhaftigkeit seiner Situation zu dramatisieren, ein baldiges Zuspitzen der Krise zu prophezeien und die eigene Handlungsunfähigkeit aufzuzeigen, sodass nur zusätzliche Geldmittel die Situation entspannen können.

- Der Schuldner hat auch den Anreiz, die Auswirkungen seiner Krise auf den Euroraum zu dramatisieren und die Gefahr einer Destabilisierung der Finanzmärkte in Europa und des Euro an die Wand zu malen.

Damit trägt Art. 12 dazu bei, dass aus jeder nationalen Krise eine internationale Krise wird.

Zur Auflagenprüfung: Art. 12 des ESM-Vertrages bestimmt, dass die Auflagen "streng" und dem gewählten Finanzinstrument "angemessen" sein müssen. Dazu sind Auflagen erlaubt, die eher weitreichenden Charakter haben, aber auch nur begrenzt sein können (Art. 12). Sie sollen dem "Schweregrad der zu behebenden Schwachpunkte" entsprechen (Art. 13.3). Nach Art. 13.1 prüft die EU-Kom "den tatsächlichen oder potenziellen Finanzierungsbedarf."

Interpretationsfähige Begriffe

Alle verwendeten Begriffe sind schwammig und interpretationsfähig. Daraus ergeben sich folgende Anreize:

- Aus der Mitwirkung der EU-Kom bei der Auflagenformulierung folgt der Anreiz, Druck auf die EU-Kom auszuüben, schwache Auflagen zu befürworten oder solche Instrumente zu bevorzugen, die mit weniger Auflagen verbunden sind (zum Beispiel Rekapitalisierung von Banken).

- Es besteht ein Anreiz, dass sich schwache Länder zusammenschließen, um mehr Druck auf die EU-Kom ausüben zu können.

- Es besteht ein Anreiz, im Gouverneursrat des ESM einer Kreditgewährung an andere Länder mit schwachen Auflagen zuzustimmen, um später selbst in den Genuss schwacher Auflagen zu kommen.

- Soweit der ESM keine bonitätsgerechte Bepreisung vornimmt,5) besteht ein Anreiz, die Höhe der benötigten Mittel zu übertreiben, um möglichst viel der kostengünstigen Mittel zu bekommen. Dabei lohnt es sich, Druck auf die EU-Kom auszuüben.

- Aus der Notwendigkeit, einen einstimmigen Beschluss der Finanzminister nach Art. 13.2 zu erreichen, folgt der Anreiz, politisch auf der Regierungsebene im Rahmen von "Geben" und "Nehmen" die Gefahr eines Vetos eines oder einiger Länder zu überwinden.

Zu Überwachung und Konsequenzen:

Nach Art. 13.7 muss die EU-Kom laufend Prüfungen vornehmen und Berichte erstellen, inwieweit Schuldner ihre Auflagen einhalten. Allerdings folgt daraus unmittelbar überhaupt nichts. Obwohl die EU praktisch alle Arbeitsschritte für den ESM erledigt, ist sie bei der Ziehung von Konsequenzen aus den Überprüfungen plötzlich außen vor. Sie muss mit den Prüfberichten nichts anfangen. Natürlich kann sie "Stimmung"-machen, aber verpflichtet ist sie zu nichts. Die unangenehme Aufgabe des Konsequenzziehens wird den Direktoren des ESM überlassen. Nicht einmal der Gouverneursrat, das heißt die Finanzminister, wollten sich dieser Aufgabe unterziehen.

- Daraus ergibt sich der Anreiz, Druck auf die EU-Kom und die Regierungen der Mitgliedsländer auszuüben, die entsandten Fachleute (Direktoren) im Sinne politischer Vorgaben abstimmen zu lassen (die Direktoren können jederzeit ausgetauscht werden, Art. 6.1).

- Dieser Druck kann dadurch verstärkt werden, dass mit schweren Konsequenzen gedroht wird, falls Mittel nicht verlängert und weitere Tranchen ausgezahlt werden. Auf diese Weise wird Druck auf die Direktoren ausgeübt, dem sie in ihrer Rolle als Fachleute nicht gewachsen sind. Es kann sein, dass der Direktor eines Gläubigerlandes völlig allein steht und gegen eine Phalanx von EU und Schuldnerländern, welche Gefahren für die internationalen Finanzmärkte und die Arbeitslosigkeit in der EU an die Wand malen, seine Stimme erheben muss.

- Die Schuldnerländer befinden sich in der angenehmen Position, Gefahren behaupten zu können, während die Direktoren des ESM, und die beratenden Institutionen (EZB, IWF) die Krisengefahr kleinreden müssen. Dies ist nach dem Lehman-Debakel eine gefährliche und nachgiebig machende Position (Tabelle 3).

Folgen für die Finanzmärkte

Welche Folgen ergeben sich für die Finanzmärkte? Wie Tabelle 3 zeigt, haben Schuldnerländer dann größere Chancen, erstmals an Gelder zu gelangen, wenn sie Probleme aufbauschen, Krisen heraufbeschwören und internationale Ansteckungsgefahren behaupten.

Schuldner haben dann Chancen auf Auszahlung weiterer Tranchen, wenn sich keine Verbesserungen einstellen, die Bevölkerung gegen "Sparen" protestiert. Sie haben dann größere Aussicht auf Auszahlung von Geldern trotz geringer eigener Anstrengungen, wenn sie den geschäftsführenden Direktor stellen (siehe insbesondere Art. 13.3), Druck auf die EU ausüben, solches Verhalten zu tolerieren, als Gruppe (schwacher) Länder auftreten, Länder, die mit einem Veto drohen, isolieren.

Solange die Gelder des ESM noch nicht vollständig verteilt sind, und das Gerangel um die Gelder im Gange ist, wird es eine Häufung von Hiobsnachrichten geben und die Europakrise wird kein Ende finden. Insofern ist der ESM ein Instrument, das nicht stabilisierend, sondern destabilisierend wirkt.

Der ESM ist ein Organisationsrahmen für die Auszahlung preiswerter Gelder an Schuldner im Euroraum. Inhaltliche Vorgaben macht der ESM-Vertrag kaum. Die Einzahlungsseite ist strikt geregelt, während die Auszahlungsseite weite Spielräume lässt. Der ESM muss die EU damit beauftragen, wichtige Arbeitsschritte bei der Kreditvergabe zu übernehmen und darf die Schuldner nicht selbst überwachen. Der ESM-Vertrag bietet erhebliche Anreize für Schuldner, sich destabilisierend zu verhalten. Die Gläubiger können sich über Vetorechte wehren. Diese sind aber politisch schwer durchsetzbar. Gläubiger könnten daher ergänzend in Erwägung ziehen, damit zu drohen, ihren Verpflichtungen aus dem ESM-Vertrag nicht bedingungslos nachkommen zu wollen.

Literatur

Bundesrepublik Deutschland (2012), Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), 1. Februar 2012, Brüssel

CEP (2012), Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM), CEP-Analyse 12/2012, 19.3.2012, Centrum für Europäische Politik, Stiftung Ordnungspolitik, Freiburg

Deutscher Bundestag (2012), Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus, BT-Drucksache 17/9045 v. 20. März 2012

Sauer, Oliver (2012), CEP-Standpunkt: ESM nur mit Zweidrittelmehrheit, Centrum für Europäische Politik, März 2012, Stiftung Ordnungspolitik, Freiburg

Fußnoten

1)Vgl. Bundesrepublik Deutschland (2012).

2) Hier wird in begleitenden Dokumenten auf den verschärften Stabilitäts- und Wachstumspakt und den Fiskalvertrag verwiesen. Allerdings fehlt im ESM-Vertrag diese Verbindung: Sanktionen gibt es laut ESM-Vertrag keine! (Vgl. BT-Drucksache 17/9045).

3) Es kann sein, dass selbst bei Fehlverhalten weitere Mittel gewährt werden müssen, um die Ziele des ESM zu erreichen. Das CEP-Freiburg spricht von einem "faktischen Bail-Out-Gebot" (vgl. Sauer, Oliver (2012), S.1.

4) Art. 12.1 ESM-Vertrag heißt: "Ist dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar, so kann der ESM einem ESM-Mitglied unter strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen Stabilitätshilfe gewähren."

5) Gemäß Art. 20 ist Kostendeckung und eine angemessene Marge vorgesehen.

Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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