Aufsätze

Strategie-Fitness im Zeichen der "neuen" MaRisk

In der am 15. Dezember 2010 veröffentlichten MaRisk-Novelle hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unter anderem formuliert, wie das Management strategischer Risiken in Zukunft zu gestalten ist. So fordert sie einen stringenten Strategie-Entwicklungsprozess, über den die Entwicklung strategischer Ziele wie auch die Ergebnisse der Umsetzung nachvollziehbar sind. Die Feststellungen der BaFin werden durch eine bundesweite "Studie zum Strategie-Management deutscher Kreditinstitute 2011"* voll bestätigt: Lücken im strategischen Prozess werfen sowohl Fragen nach der Konsistenz und Nachvollziehbarkeit von Strategien auf als auch nach dem Controlling der Zielerreichbarkeiten.

Ziele der neuen MaRisk-Präzisierungen

Ist der Strategie-Entwicklungsprozess eines Kreditinstitutes so konsistent, dass die Entstehung der institutsbezogenen Strategie nachvollziehbar und über die Ableitung und Erfüllung von operativen Zielen der Zielerreichungsgrad der Strategie-Umsetzung transparent ist? Auf diesen Nenner kann man die ergänzenden MaRisk-Anforderungen an die Gesamt-bank-Strategie bringen. Da im Bereich "Strategische Risiken" die MaRisk nach Einschätzung der BaFin noch nicht in wünschenswertem Maße "gelebt" werden, hat das Amt nach einem mehrmonatigen Konsultationsprozess insbesondere den Aspekt "Strategie-Prozess" im Sinne des einleitenden Satzes präzisiert.

So hat die BaFin den Eindruck gewonnen, "dass teilweise die Anforderungen des Moduls AT 4.2 in der Praxis nicht gelebt werden, sondern sich auf eine rein formale Umsetzung beschränken. Bisweilen werden interne und externe Einflussfaktoren, die für strategische Weichenstellungen bedeutend sind, nicht ausreichend gewürdigt; teils sind strategische Ziele auch derart unbestimmt formuliert, dass Zielabweichungen erst gar nicht identifiziert werden können. Aus diesem Grund ist eine strukturierte Auseinandersetzung mit der Festlegung strategischer Ziele und ihrer Umsetzung, Beurteilung und Anpassung, wie sie insbesondere in dem nun geforderten Strategie-Prozess zum Ausdruck kommt, für zwingend."**

Bestehen bleibt in der MaRisk-Novelle der Grundzusammenhang, wonach eine ganzheitliche Gesamtbankstrategie eine Geschäftsstrategie beinhaltet, auf deren Basis das Institut eine konsistente Risikostrategie implementieren muss, die in Teilstrategien zu untergliedern, jährlich zu überprüfen, dem Aufsichtsorgan bekannt zu geben und im Institut zu kommunizieren ist. Jedoch vermisst das Amt in der Praxis noch vielfach die durchgängige Konsistenz zwischen Geschäfts- und Risikostrategie.

Verbindung von Geschäfts- und Risikostrategie

Damit leidet die Basis für eine nachvollziehbare Verbindung von Geschäfts- und Risikostrategie. Man muss kritisch fragen, ob mancherorts nicht zuerst die Eier da waren, denen dann erst die Henne "nachgeklont" wurde! In diesem Sinne oft zu beobachten: Die operative Planung nach dem Prinzip "Vorjahresergebnis + X", in den neunziger Jahren eine relativ isolierte "MaH", gefolgt von einer ebenso isolierten "MaK", begleitet von jeweils korrespondierenden Handelsrisiken- beziehungsweise Kreditrisikostrategien.

Erst die MaRisk stellten den Gesamtbankbezug her, und wer über keine durchgängige Gesamtbankstrategie verfügte, war vielleicht versucht, die Anforderungen betreffend strategische Risiken, die bisher im Vergleich zum Beispiel zu Marktpreis- und Adressrisiken eher global formuliert waren, sehr pragmatisch zu erfüllen: Unter dem Aspekt der Vermeidung von Widersprüchen zwischen Geschäfts- und Risikostrategie wurde die Erstere der Letzteren nachgebildet und war damit natürlich kaum operativ umsetzungsfähig.

Ganzheitliche Strategie-Entwicklungsprozesse

Somit richtet die BaFin ihr Hauptaugenmerk auf einen systematischen Strategie-Prozess mit den Phasen Planung, Umsetzung, Beurteilung, Anpassung und Kommunikation (von Inhalten und Änderungen) der Strategie. Damit will die Aufsicht nicht materiell in die strategische Planung von Kreditinstituten eingreifen, gibt aber stringent die Leitplanken für den Strategie-Entwicklungsprozess vor. Wer nun die Qualität von Strategie-Prozessen und -konzeptionen beurteilen will, braucht hierfür einen geeigneten Maßstab.

Baustein 1 - Potenzialidentifikation im unternehmensrelevanten Markt: Im Einklang mit den von der BaFin monierten Defiziten müssen Banken zunächst darauf achten, dass interne und externe Einflussfaktoren auf Basis einer fundierten Umweltanalyse gewürdigt werden. Letztere stellen Anforderungen an die "Fähigkeiten" des Unternehmens, mit denen sie identifizierte "Potenziale" ausschöpfen können. Das sind erfahrungsgemäß die beiden Engpässe einer strategischen Planung. Für eine methodisch konsistent aufgebaute Strategie gilt der Maßstab des Kölner BWL-Nestors Erich Gutenberg: Eine Planung muss vom Engpass aufgebaut sein, sonst zerbricht sie an diesem ihrem schwächsten Glied:

Beispiel 1 sind die regional sehr differenzierten Zukunftschancen im soziodemografisch bedingten Wandel (siehe "Zukunftsatlas 2010" der Prognos AG) mit folgendem möglichen Szenario: "Mortalität" und "Mobilität" können so zusammen wirken, dass in einigen Regionen innerhalb von fünf Jahren jeder 15. Bürger sterben und jeder 20. Bürger aus beruflichen/ privaten Gründen umziehen wird. Dies addiert sich negativ zu zwölf Prozent des regionalen Privatkundenmarktes, die ein regionales Kreditinstitut aus Zuzügen und verbleibender Bevölkerung als Neukunden gewinnen muss, um den absoluten Kundenbestand zu halten.

Beispiel 2 ist der Generationen- und Gründerumbruch im Bereich mittelständischer Unternehmen: Bei einer durchschnittlichen Unternehmenslebensdauer von 20 Jahren und damit anstehenden Nachfolgefragen - der Familiennachfolger führt den Betrieb fort, der bisherige Inhaber wickelt das Unternehmen ab oder es findet eine Betriebsverlagerung an einen anderen Ort statt - können Kreditinstitute in diesem Segment ihren Bestand nur mit permanenter Neukundenakquisition halten.

Strategie-Trichter

Baustein 2 - Bewertung der Fähigkeiten des Unternehmens zur Potenzialausschöpfung: Wie kann eine Bank ihre Potenziale nachhaltig ausschöpfen? Mögliches Dilemma: Das Unternehmen kann schlicht quantitativ zu wenige und qualitativ unzureichende Fähigkeiten haben. Also muss man erst investieren. Das Unternehmen kann zwar hervorragende Fähigkeiten haben, aber nicht immer in Bezug zu identifizierten attraktiven Potenzialen, die man ausschöpfen möchte. Lohnt es sich, die Fähigkeiten umzuqualifizieren, oder sollte man identifizierte attraktive Potenziale aufgeben und sich mit weniger attraktiven begnügen, für die aber die Fähigkeiten reichen? Ein Beispiel wäre hier das Private Banking aus der Sicht einer kleineren Bank. Es wäre Zufall, wenn in dynamischen Märkten identifizierte Potenziale und vorhandene Fähigkeiten zueinander passen. So sind beide Betrachtungen gegeneinander abzuwägen, um mit der Umsetzung regionalindividueller Normstrategien die Potenziale auszuschöpfen.

Bausteine 3 bis 10 - der Strategie-Trichter als weiterführende Prozess-Leitplanke: Betrachtet man die Potenziale und die Fähigkeiten als gesetzt, so gibt es bereits bei ihrem Abgleich Stolpersteine für den weiteren Prozess: Im Regelfall entsprechen die Fähigkeiten des Unternehmens nicht den Anforderungen einer optimalen Potenzial-Ausschöpfung. Und zudem liegt ein Unternehmen nicht gleich einem Schiff dümpelnd im Hafen, sondern befindet sich in voller Fahrt - wohin steuert es unter Status-quo-Bedingungen?

Richtige Instrumente gesucht

Hier ist der Handwerkskasten mit den richtigen Instrumenten in der jeweils richtigen strategischen Schrittfolge gefordert. So wie man im Handwerkskasten nur dann die situativ erforderlichen Instrumente findet, wenn Ordnung herrscht, braucht der Strategie-Handwerker eine ihn unterstützende Ordnung - eingebettet in den Strategie-Trichter (Abbildung), wie eine Kurzbeschreibung der folgenden Bausteine beispielhaft aufzeigt:

- Baustein 3: Der schon angesprochene Abgleich von identifizierten Potenzialen und bewerteten Fähigkeiten des Unternehmens, wofür der Handwerkskasten Swot-Analysen und differenzierte Ist-Portfolios anbietet.

- Baustein 4: Status-quo-Prognosen, die die Fragen beantworten, wohin sich das Unternehmen bei einem "weiter so" seiner eingesetzten Strategien bewegt. Instrumente sind unter anderem differenzierte Szenarien, Simulationsrechnungen oder Status-quo-Portfolios.

- Baustein 5 behandelt die Fragen nach dem differenzierten strategischen Anspruchsniveau des Unternehmens hinsichtlich Ertrag, Wachstum, Marktanteil, notwendiger Eigenkapitalquote, personellen und technisch-organisatorischen Anforderungen.

- In Baustein 6 sind strategische Lücken besonders gut identifizierbar, wenn die beiden Bausteine 4 und 5 weitgehend spiegelbildlich aufgebaut sind.

- Nunmehr kann man im Baustein 7 geeignete strategische Optionen auswählen, um erkannte strategische Lücken zu schließen: Welche schon beackerten Potenziale sollen weiter verfolgt, welche identifizierten attraktiven Potenziale neu in Angriff genommen werden? Welche Fähigkeiten muss das Unternehmen ergänzend aufbauen?

- Baustein 8 dient der Maßnahmenplanung, um strategische Optionen aus dem Wollen ins Handeln zu überführen: Es geht um Maßnahmen mit Potenzial- und Marktbezug sowie Maßnahmen zur Stärkung der personellen und systembezogenen Fähigkeiten.

- Baustein 9 befasst sich mit der Ableitung operativer Ziele konform mit strategischen Zielen und Maßnahmen in Baustein 7 und 8. Wenn das Institut diese etappenweise (zum Beispiel im Rahmen einer operativen Mehrperiodenplanung) verfolgt, kann es den laufenden Fortschritt in Form des Zielerreichungsgrads von strategischen Zielen und Maßnahmen ablesen.

Damit sind beste Voraussetzungen für ein effizientes Strategie-Controlling im Baustein 10 (zum Beispiel handwerklich unterstützt durch eine "Balanced Scorecard", die eine konsistente Strategie voraussetzt! ) zurück bis Baustein 2 und 1 gegeben.

Ein Unternehmen, das seinen Strategie-Entwicklungsprozess so aufbaut, schafft sich damit die Basis für eine bestmögliche Ausschöpfung seiner Chancen im Markt und Wettbewerb - und produziert nebenbei ein "Abfallprodukt" mit: Die Nachvollziehbarkeit für alle Beteiligten einschließlich externer Aufsichtsstellen! Die Ausführung der einzelnen strategischen Bausteingewerke Baustein für Baustein mag mühselig erscheinen - aber nur so gewinnt man ein solides Strategie-Gesamtgebäude, was Institute davor bewahrt, sich in pseudostrategischen Aktionismus zu verlieren.

Blick auf die Unternehmensrealität

Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse einer bundesweiten Studie zum aktuellen Stand des Strategie-Managements deutscher Kreditinstitute zu sehen, um die Fragen zu beantworten: Was hat die Praxis schon umsetzt? Wo ist noch Nachholbedarf?

Die ernüchternde Erkenntnis: In "Strate-gie-Prozessen" ist bisher eine ganzheitliche Vorgehensweise noch wenig ausgeprägt, vielmehr dominieren Einzelaspekte hinsichtlich Zielen und Maßnahmen. Damit gibt es im Hinblick auf die Erfüllung der aktuellen MaRisk-Forderungen noch erheblichen Handlungsbedarf in den Unternehmen. Im Bild des Strategie-Trichters sieht die Situation so aus:

Strategische Ausgangssituation: Es bestehen geringe Prioritäten bei Potenzialidentifikation im Markt und Fähigkeitenbewertung. Damit drohen vielen Instituten große Absatzrisiken, und sie laufen Gefahr, sich langfristig vom Markt wegzuschrumpfen.

Im strategischen Entwicklungsprozess scheinen Themen wie "Status-quo-Prognose" und "Identifikation strategischer Lücken" noch wenig Beachtung zu finden, während Banken bereitwillig (möglichst schnell umsetzbare mit geringem Vorlaufbedarf) strategische Optionen aufgreifen.

Im Strategie-Umsetzungsbereich liegt das Hauptgewicht bei Maßnahmen, während die Ableitung operativer Ziele aus einer fundierten Strategie - zu Recht von der BaFin beklagt - und systematisches Strategie-Controlling eher geringe Bedeutung haben.

So gibt es mehrere Sollbruchstellen für die vom Amt geforderte Nachvollziehbarkeit: Eine schwache Informationsbasis im Bereich der Ausgangssituation, eine unklare Konstellation im Kern des Strategie- Entwicklungsprozesses und umgekehrt das Fehlen einer controllingfähigen operativen Zielbasis. Das gleicht einem Haus, in dem die Grundfesten eher schwach und damit die Statik der oberen Etagen nicht erdbebensicher ist.

Chancen für eine neue Partnerschaft Bank/Aufsicht

Zur Sicherung des regionalen Versorgungsauftrags durch die zirka 1500 Regionalinstitute (Genossenschaftsbanken und Sparkassen) und auch als Vorbeugung gegen einzelinstitutsbezogene Schieflagen wird die Aufsicht den mit der aktuellen MaRisk-Novelle eingeleiteten Prozess einer stärkeren Formalisierung institutsindividueller Strategie-Prozesse weiter verstärken. So sichert sie sich durch stringentes Anhalten der Praxis zur Nachvollziehbarkeit und möglichst lückenlosem Strategie-Controlling den eigenen Überblick.

Das führt zur Konvergenz von Praxis- und Aufsichtszielen, wenn der strategische Systematisierungsdruck in der Praxis und der Dokumentationsdruck zur Nachvollziehbarkeit für die Aufsicht in die gleiche Richtung, nämlich zum konsistenten strategischen Entwicklungsprozess wirken. Dann ist das Strategie-Konzept eines Instituts besonders hochwertig, wenn es zunächst den wirtschaftlichen Zielen des Unternehmens dient und ohne große zusätzliche Kraftanstrengungen die Anforderungen der Aufsicht erfüllt.

*"Studie zum Strategie-Management deutscher Kreditinstitute 2011" (zirka 70 Seiten inklusive 30 Abbildungen), BUB Dr. Benölken Unternehmensberatung GmbH.

**Anschreiben der BaFin zur Neufassung der MaRisk - Veröffentlichung der Endfassung am 15. Dezember 2010, Thomas Happel, BaFin.

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