Aufsätze

Strategisches Sourcing im KMU-Kreditgeschäft

Rund 60 Prozent der deutschen Banken diagnostizieren Ineffizienzen in
der gegenwärtigen Gestaltung ihres Kreditgeschäfts mit kleinen und
mittelständischen Unternehmen (KMU). Knapp die Hälfte zeigt sich mit
der im Kreditgeschäft erzielten Zinsmarge unzufrieden. Und nur drei
von fünf aller Kundenbeziehungen von Banken mit KMU weisen einen
Gewinn nach Risiko- und Eigenkapitalkosten auf. Nahezu jedem Gewinn
bringenden Kredit steht somit ein nicht erfolgreicher gegenüber. Dies
ist umso bedrohlicher, da insbesondere die Kreditvergabe an KMU häufig
eine zentrale Ertragssäule darstellt und beispielsweise bei Sparkassen
und Genossenschaftsbanken das Volumen an KMU-Krediten regelmäßig etwa
die Hälfte des gesamten Kreditgeschäfts ausmacht.
\
Segmentierung der gegenwärtigen Bankenlandschaft
\
Selbst wenn sich die Ergebnisse einer empirischen Studie des
Frankfurter E-Finance Lab aus dem Jahr 2004 mit Deutschlands 500
größten Banken und Sparkassen in der Zwischenzeit ein wenig verändert
haben sollten, gelten die Grundaussagen und Schlussfolgerungen in der
Tendenz unverändert. Am Beispiel von Investitionskrediten an kleine
und mittelständische Unternehmen wurde untersucht, inwieweit eine
Industrialisierung durch Outsourcing und Restrukturierung der
Wertschöpfungskette in der Bank, beispielsweise durch die Einbindung
von Kreditfabriken, tatsächlich als Trend der Zukunft gesehen wird und
wo die wichtigsten Verbesserungspotenziale für den KMU-Kreditprozess
liegen.
\
Dabei gibt es auch Auswirkungen auf der Ertragsseite. So setzen der
hohe regionale Wettbewerb und die schwache Konjunktur die Banken seit
Jahren massiv unter Druck. Es ist es dem einzelnen Institut kaum
möglich, hier das Wettbewerbsumfeld deutlich zu beeinflussen, die
Marktanteile im regionalen Wettbewerb sind häufig konstant, dem
Management zugängliche Stellhebel finden sich damit vor allem auf der
Kostenseite. Ist nun eine Veränderung der Sourcingstrategie hin zum
Fremdbezug von Teilprozessen des Kreditgeschäfts ein Beitrag zur
Steigerung der Profite? Wie sind Entscheider im KMU-Kreditgeschäft
Outsourcing gegenüber eingestellt? Und wohin bewegt sich die deutsche
Bankenlandschaft?
\
Bei einer Konzentration auf Kernkompetenzen wird es zu einer
Aufspaltung bestehender Universalbanken und zu einer Segmentierung der
gegenwärtigen Bankenlandschaft kommen. In Theorie und Praxis werden
unterschiedliche zukünftige Segmentierungsvarianten diskutiert. Die
bedeutendste ist das Drei-Segmentmodell, welches das Tätigkeitsfeld
der Universalbank entlang den Geschäftsprozessen auf
Produktbereitstellungs-, Vertriebs- und Abwicklungsbanken aufteilt
(Abbildung 1).
\
Interessanterweise sagen neun von zehn der befragten 500 größten
deutschen Banken, dass sie sich auf den Vertrieb spezialisieren
wollen. Für den Fall einer reinen Vertriebsbank bedeutet dies, soweit
regulatorisch zulässig, ein Outsourcing der Prozessschritte
Kreditentscheidung, Bearbeitung/Servicing, Risikoüberwachung und des
Workout beziehungsweise der Intensivbetreuung ausfallgefährdeter
Kredite.
\
Aufspaltung der Prozesse
\
Die Entwicklung hin zu derartigen Bankspezialisten erfordert eine
Aufspaltung der heute in der Regel komplett innerhalb der einzelnen
Kreditinstitute ablaufenden Prozesse und ein selektives
Business-Process-Outsourcing (BPO). Diese Aufspaltung und
Modularisierung der Wertschöpfungskette im Kreditprozess hat bislang
jedoch nicht stattgefunden. Es zeigt sich, dass der überwiegende Teil
der befragten Banken derzeit alle Teile des Kreditprozesses
eigenständig ausführt und dabei auch nicht als kommerzieller
Dienstleister am Markt auftritt, indem beispielsweise einzelne
Leistungen aus selbst produzierten Teilprozessen anderen Banken als
Dienst angeboten werden (Abbildung 2).
\
Die Kreditentscheidung und die Risikoüberwachung sind diejenigen
Teilprozesse, die am stärksten vollständig im eigenen Hause (= sell +
partial sell + make) ausgeführt werden (98,4 Prozent respektive 99,2
Prozent). Am stärksten verbreitet ist (wenigstens partielles)
Outsourcing dagegen beim Workout (6,5 Prozent) und der Bearbeitung
(4,7 Prozent). Insgesamt haben 14,2 Prozent der antwortenden Banken
Teile ihres Kreditprozesses outgesourct, wobei die Privatbanken im
Vergleich deutlich vorne liegen (10,4 Prozent der
Sparkassen/Landesbanken, 15,3 Prozent der Genossenschaftsbanken und
30,8 Prozent der Privatbanken).
\
Gleichzeitig sind über 90 Prozent der Befragten der Ansicht, dass
Banken bei der Auslagerung von Kreditprozessen im Gegensatz zu
Auslagerungen anderer Bankprozesse wie Wertpapierabwicklung oder
Zahlungsverkehrstransaktionen noch am Anfang einer grundsätzlichen
Entwicklung stehen. Auch die Bedeutung von Kreditfabriken als zentrale
Dienstleister im Bereich des KMU-Kreditgeschäftes wird in Zukunft
deutlich zunehmen.
\
Potenziale und Risiken
\
Den Chancen, die eine Neustrukturierung der Wertschöpfungskette durch
Outsourcing bietet, stehen auch Risiken entgegen (Abbildungen 3 und
4).
\
Die wesentlichen in der Literatur genannten Outsourcing-Potenziale
werden von der großen Mehrheit der Banken auch im KMU-Kreditgeschäft
gesehen. So nennen 80 Prozent Kostenreduzierung undvariabilisierung
sowie Fokussierung auf Kernkompetenzen als größte Vorteile durch
Outsourcing.
\
Im Gegensatz zu den recht homogenen Meinungen zu Vorteilen zeigt sich
bei den Outsourcingrisiken ein deutlich differenzierteres Bild. Als
wesentliches Risiko beim Outsourcing im KMU-Kreditgeschäft wird die
mögliche wirtschaftliche Abhängigkeit vom Outsourcing-Dienstleister
gesehen (59,7 Prozent). Auf gleicher Höhe wird das Risiko des
Kontrollverlustes über den Prozessablauf, die Funktionen, Anwendungen
und Entscheidungen eingeschätzt. Ebenfalls als hoch bewertet wird das
Problem, ausreichend detaillierte Service-Level-Agreements (SLAs) zu
entwerfen, so dass der Dienstleister in ausreichendem Maße gemäß den
Vorstellungen des Outsourcers handelt (36,3 Prozent). Eng damit
verbunden, aber als weniger problematisch eingeschätzt, ist das Risiko
opportunistischen Verhaltens von Seiten des Insourcers (24,8 Prozent),
das heißt die Ausnutzung sowohl vertraglicher Schwächen als auch
fehlender Mess- und Kontrolleinrichtungen. Als am wenigsten relevantes
Risiko werden Sicherheitsprobleme angesehen (21,0 Prozent).
\
Die Potenziale und Risiken sind in den Banken bekannt und eine
Restrukturierung der Banking Value Chain wird von vielen erwartet. Wie
ist es nun um den tatsächlichen Vorbereitungsstand bestellt? Es wurde
bereits gezeigt, dass in der Vergangenheit Outsourcing eher
zurückhaltend betrieben wurde, aber als Zukunftstrend gesehen wird.
Bezogen auf die eigenen Prozesse kann sich mit gut 40 Prozent weniger
als die Hälfte der Institute mittelfristig den Fremdbezug von
Leistungen durch eine Kreditfabrik vorstellen, und nur etwa ein
Drittel hat überhaupt schon Outsourcingoptionen bewertet. Auch sehen
nur 17 Prozent den eigenen wertschöpfenden Beitrag im Kreditgeschäft
nicht in der umfassenden Kontrolle und Betreuung des gesamten
Kreditprozesses von Anfang bis Ende.
\
Konzentration auf Vertrieb und Kreditentscheidung
\
Für die Mehrheit der Kreditinstitute wird die Konzentration auf Front-
und Middleoffice (Vertrieb, Kreditentscheidung) voraussichtlich die
eher gängige Sourcingstrategie darstellen, sobald sich im Bereich der
KMU-Kredite erste Kreditfabriken als Dienstleister für Backoffice
Prozesse etabliert haben.
\
Es besteht jedoch wie gezeigt hohe Einigkeit, dass BPO im
Kreditbereich zu einer Kostenreduktion (81 Prozent)
undvariabilisierung (80 Prozent) führen kann. Als Bedingung für ein
Outsourcing werden Mindesteinsparungen der operationalen Kosten von
durchschnittlich 31 Prozent genannt. Inwieweit solche erwarteten
Einsparungen tatsächlich realistisch sind, ist fraglich. Gerade in
Outsourcingprojekten waren in der Vergangenheit unrealistische
Erwartungen ein Hauptgrund für ausbleibenden Projekterfolg.
\
Während auf der einen Seite von den meisten Kreditinstituten somit die
Auslagerung von Teilprozessen allgemein als Beginn einer
grundsätzlichen Industrialisierung im Kreditgeschäft gesehen wird, ist
die eigene generelle Bereitschaft zur Auslagerung noch begrenzt. Diese
Bereitschaft, Teile des Prozesses von Dritten zu beziehen, ist jedoch
eine Grundvoraussetzung für ein selektives Sourcing von Teilprozessen.
Somit scheint zunächst eine grundlegende Änderung der Denkkultur sowie
eine Modularisierung der Prozesse notwendig zu sein, um auch im
KMU-Kreditgeschäft ein "Banking Value Network" zu realisieren.
\
Industrielle versus traditionelle Bank
\
In der Studie sind einmal mehr zwei grundsätzlich unterschiedliche
Banktypen zu beobachten. Die "industrielle Bank" sieht generell
weniger Verbundeffekte, die sich nachteilig auf ein selektives
Outsourcing auswirken würden, dafür werden sowohl höhere
Skaleneffekte, die sich durch eine Auslagerung ergeben, als auch
prinzipiell eine höhere Prozesskompetenz beim
Outsourcing-Dienstleister gesehen. Dementsprechend besteht in dieser
Gruppe auch eine höhere Bereitschaft, die eigenen Kreditprozesse durch
Standardsoftware zu unterstützen. Resultierend aus dieser
"industrielleren" Vorstellung des Prozessablaufs haben Manager, die
diesem Profil eher entsprechen, auch signifikant höhere
Einsparungsanforderungen an Outsourcing-Projekte.
\
Für Banken, die dem zweiten Profil "traditionelle Bank" entsprechen,
treffen die genannten Merkmale eher gegenteilig zu. Sie sehen für
selektives Outsourcing hinderliche Verbundeffekte, wenig zusätzlich
erzielbare Skaleneffekte und eine höhere In-house-Kompetenz.
Allerdings haben sie auch geringere Anforderungen an
Kosteneinsparungen an ein Outsourcing-Projekt.
\
Es zeigt sich insgesamt, dass langsam zumindest bei einem Teil der
deutschen Banken ein industrielles Prozessverständnis Einzug hält,
wonach Prozesse modularisiert und darauf aufbauend optimale
Bezugsformen für die resultierenden Teilprozesse identifiziert werden.
Beliebte "neue" Geschäftsmodelle werden nach der Studie sowohl das
gemeinsame Outsourcing von Servicing und Workout (16 Prozent) als auch
komplementär dazu das kommerzielle Anbieten dieser Teilprozesse für
andere Banken (neun Prozent) darstellen. Die Kreditfabriken im
Retail-Banking stellen erste Beispiele für eine umfassende
Restrukturierung dar. Das "Banking Value Network" im
KMU-Kreditgeschäft steht noch am Beginn seiner Entwicklung.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X