Aufsätze

Subprime, Korporatismus und New York

Die außerordentlichen Ausmaße der Subprimekrise haben die Suche nach einer Ursache ausgelöst. Es wurden vielfältige Mechanismen gefunden, die Einflüsse haben. Robert Shiller macht im Kern eher allgemeine Faktoren verantwortlich: "Ich glaube, letztlich war die Ursache eine Seuche in der ganzen Gesellschaft."1) Bei Paul Krugmann erscheint die Kausalität in anderem Licht. Krugmann zufolge ging vom Verhalten der Finanzmärkte "a corrupting effect on our society as a whole" aus.2) Im folgenden Beitrag wird eine mögliche Ursache beleuchtet. Es gibt Tendenzen eines zunehmenden Korporatismus im Finanzgewerbe, dem sich Einzelne in diesem Gewerbe schwerlich entziehen können beziehungsweise entziehen konnten.

Oberbegriff aller Koordinationsformen

Kennzeichen des Korporatismus ist es, dass sich Individualakteure ohne Verwendung klassischer Koordinationsmechanismen (das sind stilisiert ausgedrückt der Markt, das Unternehmen, die Gesetzgebung) zusammenfinden, um gemeinschaftlich ein Ziel zu erreichen.3) Es wird zwischen einem (staatlich) erzwungenen Korporatismus4) und einem freiwilligen (oft liberal oder neoliberal genannten) Korporatismus unterschieden.5)

Die Ziele, die durch Korporatismus erreicht werden sollen, können vielfältig sein. Sie reichen von wechselseitiger Orientierung bis zur Aushandlung konkreter Maßnahmen und Verhaltensweisen. Vereinbarungen werden oft nicht in Verträge gekleidet, sondern bleiben bloße Verabredungen. Auch die Organisationsformen sind vielfältig.6) Um der zu beobachtenden Vielfalt gerecht zu werden, wird von "corporatist arrangements" gesprochen.7) Korporative Arrangements können informelle Züge haben, aber auch in stark formalisierter Form auftreten (Gilden, Zünfte, Kartelle, Syndikate). Der Begriff des Korporatismus wird auch als Oberbegriff aller Koordinationsformen zwischen den Formen Markt, Unternehmen und Staat betrachtet.8)

Beispiele korporatistischer Arrangements umfassen das Lobbying9) oder die Organisation der Arbeitsmärkte mit Hilfe von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Dazugezählt wurden auch die Abmachungen zwischen Vorstand und Betriebsrat bei VW (letztere wurden unter dem Stichwort "Germanys clubby corporatism" diskutiert). Genauso zählen die ganz anders organisierten komplexen Beziehungen der Landesbanken zu den Landesregierungen dazu. Im Finanzbereich gibt es diverse Gesprächsrunden, die teilweise bereits Jahrzehnte existieren (zum Beispiel Zentraler Kreditausschuss)10).

Im positiven Sinne ergänzt Korporatismus die Menge verfügbarer Koordinationsmechanismen, dort wo diese Schwächen haben (das heißt nicht zum Gemeinwohlmaximum führen).11)Claus Offe argumentiert, dass Marktkräfte kein kontinuierliches Gleichgewicht ermöglichen, weshalb neue Ordnungen in Form von korporatistischen Arrangements ergebnisverbessernde Lösungen darstellen können.12)

Bedeutung für die Finanzmärkte

Dass aber immer ein Interesse der einflussreichen Akteure an der Ausgestaltung neuer Ordnungen mit wohlfahrtsmaximierendem Charakter besteht, wird nicht erwartet. Im negativen Sinne wird im Korporatismus daher ein Versuch gesehen, Eigeninteressen gegen die Marktkräfte oder demokratisch verabschiedete Normen durchzusetzen.13) Wesentliches Merkmal des Korporatismus ist ein diskriminierender Effekt, der nicht auf wettbewerblicher Stärke oder demokratischer Entscheidungsfindung beruht.14) Einige Autoren vermuten, dass in vielen Marktwirtschaften mittlerweile nicht mehr die Marktgesetze oder demokratisch verabschiedete (Staats-)Gesetze das Geschehen bestimmen, sondern korporatistische Vereinbarungen wichtiger Interessengruppen: "Most Western societies are best described as corporatist states, run by a small elite of professional and interest groups, that exclude political participation from the citizenry".15)

Finanzmärkte sind bisher weniger unter dem Blickwinkel des Korporatismus gesehen worden. Dabei waren die internationalen Finanzmärkte in den letzten Jahren durch eine Reihe größerer und kleinerer Krisen gekennzeichnet, bei denen gemeinschaftliches, abgestimmtes Handeln von Finanzintermediären "zulasten Dritter" vorgekommen ist.

Tendenzen zu gemeinschaftlichem Handeln sind zum Teil ganz einfach durch eine zunehmende Arbeitsteilung im Finanzgewerbe bedingt. Die klassische Bank, welche nahezu autark war und zwischen Einlage- und Kreditgeschäft alle notwendigen Arbeitsschritte selbst durchführte und von daher weniger auf andere Intermediäre angewiesen war, gehört der Vergangenheit an. Das Finanzsystem kennt heute eine Vielzahl spezialisierter Intermediäre, die nur gemeinsam eine Finanzdienstleistung erbringen. Es lassen sich drei große Bereiche erkennen: der Bereich der Produktion, der Bereich der Distribution und der Bereich der Transaktionsabwicklung. Jeder dieser Bereiche ließe sich wieder in weitere Unterbereiche einteilen. Eine prekäre Abhängigkeit der Intermediäre der drei Bereiche ist unverkennbar.

Grundlage der Subprimekrise war ein in den USA praktiziertes besonders komplexes Geschäftsmodell, das sich dadurch auszeichnet, dass eine Vielzahl von Intermediären aus allen drei Bereichen zusammenarbeitete. Die Kette reichte von den Intermediären, welche Kredite akquirierten über diejenigen, welche sie beurteilten, sie strukturierten und solche, die sie dann als strukturierte Anleihen verkauften und oft durch reines "servicing" weiter betreuten. Die unglaubliche Größenordnung, welche das Subprimegeschäft erreicht hat, war nur möglich, weil an vielen Stellen in den USA übliche Vollzüge des Kredit- und Anleihegeschäftes durch äußerst unübliche ersetzt wurden. Bereits häufig thematisiert wurden in diesem Zusammenhang die sträflich laxe Kreditvergabepraxis, die genauso laxe Beurteilungspraxis der Ratingagenturen und die merkwürdige "Unwissenheit" der Verkäufer der toxischen Produkte.

Druck zu gleichgerichtetem Verhalten

Der Erfolg hing wesentlich an dem gleichgerichteten Verhalten der Akteure innerhalb der Kette von Intermediären. Letztlich war jeder der Beteiligten in der Kette darauf angewiesen, dass der jeweils andere das "Unübliche" nicht sein ließ, sondern den eingeschlagenen Weg weiter verfolgte. Alle zusammen lebten von der "Heranschaffung" des Basismaterials durch die lokalen Kreditakquisitoren, die wiederum davon abhängig waren, dass ihnen das Material auch abgenommen wurde.

Angesichts einer solch prekären Kette von Dienstleistungen stellt sich die Frage, ob es möglich ist, dass es zu Abstimmungen formaler oder informeller Art gekommen sein könnte, ob sich also die verschiedenen Finanzintermediäre in der einen oder anderen Weise korporatistisch verhalten haben?

Hingewiesen wurde immer wieder auf die Bonus-Systeme, die in nennenswerter Höhe nicht nur der Führung von Finanzintermediären, sondern auch AT-Mitarbeitern bis auf relativ niedrige Verantwortungsstufen gewährt wurden. Der Einzelne verliert auf diese Weise Freiheit, andere als die von Boni begünstigten Verhaltensweisen zu ergreifen, obwohl nichts konkret vorgeschrieben ist. Der Wunsch, sonstige Ziele - zum Beispiel wahrgenommene Kundenwünsche - zu berücksichtigen, kann gemindert sein. Sozialer Druck aus dem Arbeitsumfeld durch diejenigen, welche ihre Boni nicht gefährden wollen, kann zu gleichgerichtetem Verhalten aller beitragen.

Letztlich ist aber die Frage nach korporatistischen Verhaltensweisen aus heutiger Sicht schwer zu beantworten. Es wird deshalb im Folgenden an fünf Beispielen aufgezeigt, in welcher Weise korporatistisches Verhalten in der Finanzindustrie in der jüngeren Vergangenheit aufgetreten ist.

Hybridanleihen in Westeuropa

In der Literatur beschrieben worden ist der Fall einer Gruppe von Banken, die Ende 2004 sehr ungewöhnliche, nahezu identisch ausgestattete Hybridanleihen emittierte, mit welchen die Anleger geschätzte 500 Millionen Euro Verluste erzielten. Die Kurse der Anleihen wurden während der Emissionsphase gestützt und sackten danach innerhalb eines Jahres um etwa 20 Prozent-Punkte ab. Nur acht Prozent-Punkte dieser Verluste waren auf zwischenzeitliche Änderungen der Marktfaktoren zurückführbar.

In der Tagespresse wurde diskutiert, dass die Banken die Anleihen bewusst überpreist angeboten haben könnten.16) Zu den Emittenten zählen so unterschiedliche Banken wie die Bank Austria, AXA, Bank Mutuel, Credit Agricole oder Bank of Ireland. Das Ungewöhnliche an diesem Fall war nicht so sehr das Angebot überpreister Produkte an sich,17) sondern die Gleichzeitigkeit des Agierens ganz unterschiedlicher Institute. Wenn eine Bank ausgeschert wäre und die Anleihen zu finanzmathematisch fairen Kursen - zwölf Prozent-Punkte preiswerter - angeboten hätte, hätten die anderen Banken ihre Anleihen nicht zu den anvisierten Preisen verkaufen können.

CMS-Anleihen in Griechenland

Während bei diesem Fall nie bekannt wurde, ob die Banken abgestimmt gehandelt haben oder nur zufällig auf das gleiche (sehr ungewöhnliche) Produkt und den erheblichen Preisaufschlag gekommen sind, war das abgestimmte Verhalten in dem folgenden Fall eindeutig: In Griechenland wurden 2006/2007 in mehreren Fällen mit Constant Maturity Swaps ausgestattete Anleihen (CMS-Anleihen) verkauft, die sich wie die oben erwähnten Hybridanleihen bald nach der Emission als deutlich überpreist herausstellten. Anfang 2007 kam es zu Protesten der Investoren, die in ganz Europa Beachtung fanden.

Die Financial Times griff das Thema auf und erkannte das Prinzip des kollektiven Versuchs mehrerer Finanzintermediäre, überteuerte Produkte zu verkaufen.18) Es wurde diskutiert, dass offenbar verschiedene Akteure zusammengearbeitet hatten, um die fehlende Preiswürdigkeit der Anleihen zu verschleiern. In einem Fall waren die Anleihen von einem Londoner Finanzintermediär bei einem Originator, JP Morgan, bestellt und zum fairen Preis gekauft und dann über eine Kette von Banken mit jeweils höheren Preisen weiterverkauft worden, bis sie der letzte Intermediär in Griechenland mit einem nur kleinen Aufschlag den Endabnehmern weiterverkaufen konnte. Die beteiligten Banken in der Kette hatten keine andere Aufgabe als diejenige, die Anleihen zu kaufen und mit einem Aufschlag an die nächste Bank in der Kette weiterzuverkaufen.

Der Fall Debenhams Ein besonders spektakuläres Zusammenarbeiten verschiedener Finanzintermediäre mit gravierend nachteiligen Folgen für Dritte ergab sich im Fall des britischen Bekleidungshauses Debenhams. Das börsennotierte Unternehmen Debenhams wurde 2003 von drei Private-Equity-Firmen (Merrill Lynch Global Private Equity, CVC Capital Partners, Texas Pacific Group) für rund 600 Millionen GBP gekauft und von der Börse genommen. In den drei folgenden Jahren entzogen die Firmen dem Unternehmen 1,3 Milliarden Pfund. Assets wurden verkauft, Kredite aufgenommen und Sale-and-Lease-Back-Transaktionen durchgeführt.

Mitte 2006 wurden die Anteile mit Hilfe einer neu entwickelten Wachstumsstory19) mit einem Erlös von 700 Millionen GBP für die Private-Equity-Firmen im Rahmen eines IPO an "den Markt" gebracht. Der Kurs der Aktien des nunmehr völlig ausgehöhlten Unternehmens, dessen Preise durch die Rabattaktionen beschädigt waren und das über kaum noch eigene Assets verfügte, wurde bis zum Jahresende gestützt. Danach stürzten die Kurse ab. Die Emissionsbanken, die bis zum Jahresende "buy" empfohlen hatten, änderten ihre Empfehlungen daraufhin auf "underperform".

In England wurde diskutiert, dass zum Merrill Lynch Konzern gehörende Unternehmen sowohl unter den Private-Equity-Investoren waren, welche das Unternehmen von der Börse genommen hatten und dann ausschlachteten, als auch zum Konsortium gehörten, welche die Aktien für die drei Private-Equity-Investoren wieder an die Börse brachten. Merrill Lynch agierte im IPO als global coordinator und bookrunner. Konnte es sein, dass die Mutter nichts davon wusste, wie die Tochter dem Unternehmen Kapital entzogen hatte?20) Beteiligt am IPO waren auch Citibank, Credit Suisse und Morgan Stanley, Banken also, die häufig mit Merrill zusammenarbeiten. Es wurde vermutet, dass sich diese Gruppe gegenseitig "hilft".

Es wurde gefragt, wer die entwerteten Aktien von Debenhams überhaupt gekauft habe? Dies waren offenbar überwiegend Indexfonds, weil die Aktien in den FTSE 250 aufgenommen werden sollten. Dabei wurde auch deutlich, dass die Finanzbranche als Ganzes betrachtet zunehmend "In-sich-Geschäfte" tätigt: Bedingt durch den Umstand, dass mehr und mehr Investoren ihr Kapital nicht mehr selbst verwalten, sondern verwalten lassen, sowie Finanzintermediäre zunehmend aktiv in das Unternehmensgeschehen eingreifen (Investorenaktivismus, Private Equity), sind die Finanzintermediäre nicht mehr nur auf der Vermittlerseite zu finden. Sie betreiben Unternehmen, bringen deren Aktien an die Börse und kaufen diese Aktien als Verwalter des Finanzvermögens selbst. Es wurde vermutet, dass solche Konstellationen Anreize zu abgestimmtem Verhalten bieten.

Der Fall Refco

Ein anderer Fall, bei dem das Beziehungsgeflecht wichtiger Intermediäre öffentlich diskutiert wurde, ist Refco. Refco war eines der weltgrößten Handelshäuser für Waren- und Finanzterminkontrakte und allein an der Chicago Mercantile Exchange für zehn Prozent des Handelsvolumens verantwortlich. Damit war Refco ein wichtiger Geschäftspartner für die großen Banken. Anfang 2005 wurden Nachrichten über Schieflagen des Unternehmens diskutiert. Trotzdem wurden im August die Aktien von Refco im Rahmen eines IPO an die Börse gebracht. Schon kurz nach dem IPO verdichteten sich die Informationen über gravierende Probleme. Wenige Wochen danach war das Unternehmen insolvent.

Es begann eine heftige Debatte über die Rolle des Emissionskonsortiums. Konnte es sein, dass die Emissionsbanken von den ernsten Problemen von Refco nichts gewusst hatten? Zum Konsortium gehörten Goldman Sachs, Bank of America, CSFB und andere namhafte Banken. Die Banken verwiesen auf die Testate der Wirtschaftsprüfer. Der Wirtschaftsprüfer Grand Thornton International entschuldigte sich, den Informationen über Schieflagen nicht intensiv genug nachgespürt und sich mit "weichen" Angaben seitens Refco zufrieden gegeben zu haben.21) Als schließlich ausgerechnet eine Bank aus dem Kreis der beschuldigten Emissionsbanken, nämlich Goldman Sachs, als Krisenberater verpflichtet wurde, um die Märkte zu beruhigen, wo jeder erwartet hatte, dass eine neutrale, in keiner Weise in den Fall verwickelte Bank gewählt würde, wurde der Verdacht, dass die Finanzbranche zusammengearbeitet hatte, um das Unternehmen vor der Insolvenz noch an den Markt zu bringen, um auf diese Weise eigenes Geld zu retten, laut diskutiert.22)

New York Stock Exchange

Ein besonderes Kapitel konzertierten Agierens von Finanzintermediären betrifft die Nyse. Der Aktienhandel basiert an dieser Börse wesentlich auf dem sogenannte Spe-cialist-System. Bis Anfang der 2000er Jahre hatte sich die Zahl der relevanten Specialists drastisch verringert. Fünf von ihnen bewältigten mehr als 90 Prozent. des Umsatzes.23) Es kam zu Gerüchten, dass die Specialists ihre Marktstellung ausnutzten. Die Börse ist eine Self Regulating Organisation und verfolgte die Gerüchte nur lax. Die Aufsichtsbehörde reagierte lange Zeit nicht. Erst als Gerüchte immer offener diskutiert wurden, wurden 2,2 Milliarden Aktienkäufe untersucht. Es stellte sich heraus, dass bei diesen allein durch Frontrunning der Specialists 150 Millionen US-Dollar Gewinne erzielt worden waren.24) Ein ganzes System von Verfehlungen wurde offen gelegt. Specialists trieben zum Beispiel die Kosten für die Kunden in die Höhe, indem sie Aufträge splitteten und nacheinander ausführten, selbst wenn die Gegenorders, die anfangs vorlagen, ausgereicht hätten.25)

Das Agieren der Specialists wurde erleichtert durch die Dominanz des Parketthandels. Dies hatte bereits zu Verwunderung geführt, weil an anderen Börsen der Welt der elektronische Handel das Parkett weitgehend verdrängt hatte. Es hieß, die Nyse sei als Leitbörse der Welt etwas Besonderes. Tatsächlich gab es ein elektronisches Handelssystems. In dieses waren aber Mechanismen eingebaut worden, deretwegen der Parketthandel für viele Marktteilnehmer vorteilhafter blieb. Es gab eine künstliche Zeitverzögerung von 30 Sekunden, und die Volumina waren begrenzt. Das lenkte die Orders auf das Parkett, was den Specialists die Durchführung ihrer Strategien erlaubte.

Die Specialists gehörten zu Bankkonzernen (zum Beispiel Goldman Sachs, JP Morgan Chase, seit 2007 Lehmann Brothers). Diese hatten Sitz und Stimme im Verwaltungsrat der Nyse Damit beaufsichtigten sich die Handelnden quasi selber, da die Börse den Status einer sich selbst regulierenden Einheit besaß.26) Es wurde vermutet, dass sich die begünstigten Specialists im Verwaltungsrat der Börse mit den später als "exorbitant" bezeichneten Gehaltszusagen an den Verwaltungschef der Börse Richard Grasso bedankten.

Dass überhaupt so viele Orders die New Yorker Stock Exchange erreichten, welche den Börsenteilnehmern den Spielraum für manipulierende Maßnahmen gab, lag an der Trade Through Rule, deren Auslegung durch die übergeordnete Aufsichtsbehörde, die SEC, dazu führte, dass es für einen Orderaufgebenden ein Risiko darstellte, wenn er die Order nicht an die Nyse, sondern an alternative Handelsplätze leitete.27) Die Regel führte zu einem ständigen Zufluss von Orders an die Börse, der kaum von der Leistung der Börse abhing. Aber musste die Aufsichtsbehörde diese Wirkung ihrer Regel nicht gesehen haben? Vermutlich hat sie dass, denn im Nachhinein kam der Verdacht auf, dass die Aufsichtsbehörde mit ihrer merkwürdigen Auslegung der Regel unter anderem auch eine Politik verfolgte, den Finanzplatz New York zu schützen.28)

Disclaimer

Es versteht sich, dass die behandelten Fälle nur Beispiele darstellen. Es kann sich um reine Einzelfälle handeln. Tiefergehende Analysen zu den behandelten Sachverhalten fehlen bis heute. Die in der Presse thematisierten Beziehungen zwischen den Akteuren sind reine Hypothesen. Es ist in keinem Fall sicher, dass die Akteure wirklich "unethische" Absichten verfolgten. Genauso ist nicht sicher, dass es zu einer bewussten Zusammenarbeit der Akteure gekommen ist. Dass in den meisten Fällen die großen Investmentbanken eine Rolle spielen, erklärt sich vielleicht auch dadurch, dass die Presse spektakuläre Fälle, in denen bekannte Namen vorkommen, häufiger und intensiver behandelt als Fälle mit weniger bedeutenden Namen.

Allerdings deuten die Beispiele bei aller Vorsicht, mit der sie zu interpretieren sind, doch auch darauf hin, dass abgestimmtes Verhalten an den Finanzmärkten eine größere Rolle spielen könnte als bis heute angenommen. Die zunehmende Arbeitsteilung in der Finanzindustrie erzeugt durchaus prekäre Situationen für die Beteiligten in den Leistungsketten.

Ausgestaltung von Geschäftsmodellen

Hannes Rehm formuliert das moderne Problem der Finanzmärkte folgendermaßen: "Eine der Lehren der jüngsten Bankenkrise sollte die Erkenntnis sein, dass die Funktionsfähigkeit eines Bankensystems nicht per se von Größen-Strukturen, sondern von dem geschäftspolitischen Verhalten innerhalb dieser Strukturen, das heißt von den Geschäftsmodellen und den diesen zugrunde liegenden Strategien bestimmt wird."29)

Die großen Volumina des Subprimegeschäftes ließen sich nur erreichen, indem, wie oben angedeutet, an mehreren Stellen von üblichen Vollzügen im Kreditgeschäft abgewichen wurde. Eine Schlüsselrolle spielte dabei das Rating und die Kreditakquisition. Die Kreditakquisition besorgte die Volumina, von der letztlich alle in der Kette lebten. Der Vertrieb setzte den Schlussstein, indem er die erwarteten Gelder "einspielte". Das Rating, das heißt das Urteil der anerkannten Agenturen, schottete das Geschehen der Kreditakquisition vom Vertrieb der Produkte ab. Eine originäre Kenntnisnahme der Situation der Kreditnehmer war entbehrlich, weil die Agenturen diese Kenntnisnahme vorgenommen hatten und mit ihrem Renommee für die Wahrhaftigkeit der Informationen einstanden. Das Wissen der Investoren reichte deshalb bis zum Finanzplatz New York, aber nicht darüber hinaus.

Zufällig?

Dieser begrenzte Blick der Investoren war letztlich die Voraussetzung dafür, dass sich die Kreditnehmerqualität stetig senken ließ und damit die Volumina gesteigert werden konnten. In welchem Maße die Kreditnehmerqualität gesenkt wurde, ist bekannt: "In dollar terms, subprime and so-called Alt-A no-documentation loans accounted for 32% of all mortgage originations in 2005. Their share had been 10% two years before."30,31)

In Bezug auf die Ratingagenturen fand eine Untersuchung der SEC "that employees [der Ratingagenturen] apparently knew that some of the mortgage pools they were rating were potentially toxic. In one instant-message exchange, an analyst reportedly called a deal 'ridiculous. ... We should not be rating it.'" Ein Kollege antwortete: "We rate every deal."32)

Zu der Abschottung des Geschehens der Akquisition von Krediten von ihrer späteren Distribution trug auch die Technik bei, den strukturierten Anleihen, in welche die Kredite verpackt wurden, zusätzliche Garantien Dritter beizufügen. Dieses Beifügen zusätzlicher Garantien ist eine in der Immobilienfinanzierung "systemisch nicht notwendige"33) Einrichtung, weil es dingliche Sicherheiten gibt. Sie entwickelte sich in den USA aus diversen Schwächen des Rechtssystems heraus.34) Eine der wichtigsten Garantiengeber war der größte Unternehmensversicherer der Welt, die AIG, über ihre Tochter AIG Financial Products Corp. Diese Gesellschaft unterlag keiner Aufsicht35) und häufte große Risiken auf ein kleines Eigenkapital. Der extreme Hebel reicht als Erklärung des späteren Faillierens möglicherweise aus.

Vielleicht ist es deshalb nur Zufall, dass die AIG im Versicherungsmarkt ein kartellähnliches System betrieb, das einen der größten Korporatismusfälle der Geschichte der Branche darstellt. Maurice Greenberg, Chef der AIG, beschränkte seine Einflussnahmen nicht auf die Versicherungsbranche. Er war langjähriges Mitglied im Verwaltungsrat der Nyse, saß im Gehaltsausschuss und verhandelte mit Richard Grasso über die "richtige" Höhe des Aktienkurses der AIG, der seinerseits auf große Investmentbanken "einwirkte", entsprechend zu agieren.36)

Es ist weder undenkbar noch ganz unwahrscheinlich, dass das komplexe Geschäftsmodell des Subprimegeschäftes zufällig entstand beziehungsweise entwickelt wurde. Es ist aber genauso gut vorstellbar, dass in einem korporatistischen Ansatz nachgeholfen wurde, dass Geschäftsmodell zu stabilisieren und sein Leben zu verlängern. Dies hätte Auswirkungen auf die zu erlassenden neuen Regulierungen, denn eine bloße Änderung von Basel II verhindert noch kein neues korporatistisches Verhalten von Finanzintermediären.

Forderungsbedarf

Der amerikanische Ökonom Robert Schiller machte in dem bereits angesprochenen Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Allgemeinheit, insbesondere die Investoren für die Krise verantwortlich. Dies ist eine durchaus vertretbare Ansicht. Sie legt aber die Anschlussfrage nahe, warum dann vor allem im Bereich des Subprimegeschäftes unglaubliche Exzesse zu beobachten gewesen sind, während sich andere Bereiche des Finanzmarktes eher normal entwickelten?

Es ist angesichts der verfügbaren Beispiele korporatistischen Verhaltens der Finanzintermediäre durchaus vertretbar, die Forschungsfrage aufzuwerfen, ob es auch in der Subprimekrise zu korporatistischen Abstimmungen zum Nachteil Dritter gekommen ist. Die Frage impliziert die nächste Frage nach den notwendigen Maßnahmen, korporatistisches Verhalten in Zukunft zu verhindern.

Diese Frage ist umso interessanter, als die Subprimekrise indirekt auch eine Krise des Finanzplatzes New York ist, dessen Finanzinstitutionen im Zentrum des Subprimegeschäftsmodells saßen. "Virtually all of those high-risk loans were sold to Wall Street firms for inclusion in complex bond structures that were resold." Verweise auf allgemeine Faktoren wie Gier oder Nachlässigkeit von Investoren könnten ein Versuch sein, von spezifischen Problemen am Finanzplatz New York abzulenken.

In Deutschland sind derartige Mechanismen jedes Mal nach Hochwasserkatastrophen zu beobachten, wenn die für die Verbauung von Bächen und Flüssen in den Oberläufen der Wassersysteme Verantwortlichen auf die allgemeinen Faktoren, insbesondere die globale Klimaveränderung verweisen. Bestimmte Ausprägungen des Korporatismus unterbinden

Bestimmte Ausprägungen des Korporatismus sollten unterbunden werden. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sieht in korporatistischem Agieren von Marktteilnehmern gravierende Gefahren für die Allgemeinheit.37) Es könne zur Stärkung von Partikularinteressen kommen. Die Anpassungsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft an veränderte Rahmenbedingungen kann sinken. Bestehende Verhältnisse werden zementiert, statt notwendigen Wandel zu erreichen. Oftmals sei korporatistisches Agieren relativ leicht zu organisieren, da es zunächst auf den Erhalt eines (vorteilhaften) Status quo ziele, was eine positive Mitwirkungsmotivation auslöst.38) Diese aus langjährigen Erfahrungen in Deutschland und anderen Ländern in verschiedenen Bereichen gewonnenen Erkenntnisse haben erstaunliche Entsprechungen im Ablauf des Subprimegeschehens.

Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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