Aufsätze

Too big to fail? Der lange Weg zur Bankinsolvenz

Eine Bankinsolvenz unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der Insolvenz anderer Unternehmen. Der erste wichtige Unterschied betrifft das Verfahren, das zum Insolvenzantrag führt: Während im Normalfall bei einer Unternehmensinsolvenz der Vorstand beziehungsweise der Geschäftsführer bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beim Insolvenzgericht einen Insolvenzantrag stellen muss, ist der Geschäftsleiter einer Bank stattdessen verpflichtet, das Vorliegen eines Insolvenzgrundes der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) anzuzeigen.

Die Anzeigepflicht greift auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit ein. Zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens leitet die BaFin regelmäßig zunächst ein gesondertes Sanierungsverfahren ein, das sogenannte "BaFin-Moratorium".

"BaFin-Moratorium" und Insolvenzantrag

Das Moratorium dient dazu, die Vermögenswerte einer insolvenzbedrohten Bank zu sichern. Dazu kann sämtlicher Zahlungsverkehr eingefroren werden, der nicht zur Abwicklung laufender Geschäfte oder zur Aufrechterhaltung der Verwaltung des Instituts notwendig ist. Dies verhindert das Abfließen von Vermögenswerten und gewährleistet, dass nicht einzelne Gläubiger zulasten der übrigen befriedigt werden. Nach außen hin wirkt das Moratorium wie eine Stundung der Verbindlichkeiten des Instituts.

Zu den möglichen Maßnahmen des Moratoriums gehören der Erlass eines Veräußerungs- und Zahlungsverbots, die Schließung des Instituts für den Kundenverkehr und das Verbot der Entgegennahme von Zahlungen, die nicht zur Schuldentilgung bestimmt sind. Schließlich kann die BaFin auch die bisherigen Geschäftsleiter absetzen und neue bestellen lassen.

In der Praxis folgt auf das Moratorium fast immer ein Insolvenzantrag. In der Nachkriegsgeschichte der deutschen Bankwirtschaft hat es nur zwei Fälle gegeben, in denen das Moratorium ohne anschließendes Insolvenzverfahren wieder aufgehoben wurde. Jedoch wurde in einem dieser Fälle (Bankhaus Partin) erneut ein Moratorium verhängt, auf das dann die Insolvenz folgte.

Der Insolvenzantrag kann ausschließlich von der BaFin gestellt werden, nicht von der Bank selbst oder deren Gläubigern. Die BaFin prüft nach pflichtgemäßem Ermessen das Vorliegen der Insolvenzgründe (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung, drohende Zahlungsunfähigkeit). Die Antragstellung steht im pflichtgemäßen Ermessen der BaFin. Bei einer aussichtslosen wirtschaftlichen Situation kann das Ermessen auf Null reduziert sein. Liegt lediglich eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor, darf die BaFin den Insolvenzantrag nur mit Zustimmung der Bank stellen und nur dann, wenn ein Moratorium nicht erfolgversprechend erscheint. Da das Moratorium eine Zahlungsstundung bewirkt, es also praktisch keine fälligen Verbindlichkeiten gibt, wird bei der Prüfung der fiktive Zustand zugrunde gelegt, der ohne das Moratorium bestünde. Das Insolvenzgericht muss die BaFin vor der Bestellung eines Insolvenzverwalters anhören. Anlässlich der Anhörung kann die BaFin einen "Wunschkandidaten" für das Amt des Insolvenzverwalters präsentieren, das Gericht ist an den Vorschlag jedoch nicht gebunden.

Die besondere Situation der Bankgläubiger

Wie bei jeder Insolvenz ist auch bei der Bankinsolvenz eine möglichst hohe Befriedigung der Gläubiger Ziel des Verfahrens. Dieses Ziel wird in aller Regel durch die Liquidation des Instituts erreicht. Zwar sieht die Insolvenzordnung eine Reihe von Sanierungsinstrumenten vor, im Rahmen eines Bank-Insolvenzverfahrens werden Sanierungsbemühungen aber kaum eine Rolle spielen. Das liegt daran, dass die Sanierungsmöglichkeiten gewöhnlich bereits im BaFin-Moratorium ausgeschöpft werden.

Das Insolvenzverfahren richtet sich also im Wesentlichen darauf, die Gläubiger durch die Verwertung der vorhandenen Vermögensgegenstände zu bedienen und zusätzlich Haftungs- und Anfechtungsansprüche durchzusetzen. Um die Masse zu mehren, kommt neben dem Verkauf von Wertpapieren oder Immobilien auch die Veräußerung einzelner Geschäftsbereiche der Bank infrage. Ein Beispiel ist etwa der Verkauf großer Teile des US-Geschäfts von Lehman Brothers New York an die britische Bank Barclays.

Ein entscheidender Unterschied zur normalen Unternehmensinsolvenz ergibt sich aber aus dem Umstand, dass Banken an gesetzlich vorgeschriebene Entschädigungsfonds angeschlossen sind. Darüber hinaus gehören in Deutschland alle namhaften Kreditinstitute zusätzlich freiwilligen Einlagensicherungssystemen an. Das Entschädigungsverfahren der gesetzlichen Einlagensicherung und die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren stehen unabhängig nebeneinander. Das heißt, der Gläubiger kann seine Forderung sowohl zum Entschädigungsfonds als auch zur Insolvenztabelle anmelden. Sofern er eine Entschädigung aus dem Fonds erhält, geht der entsprechende Teil seiner Forderung auf die Entschädigungseinrichtung über, die den Anspruch dann ihrerseits im Insolvenzverfahren geltend machen kann.

Geschützte Einlagen und Umfang des Entschädigungsanspruchs

Durch die Einlagensicherung geschützt sind Guthaben bei Banken. Dazu gehören Sichteinlagen (Girokonten, Sparguthaben, Sparbücher und Sparbriefe, sofern sie auf einen Namen ausgestellt sind) und Termingelder, ferner auf den Namen lautende Schuldverschreibungen, Schuldscheine und Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften. Nicht gesichert sind Inhaberschuldverschreibungen, wie zum Beispiel Zertifikate, Pfandbriefe und Kommunalobligationen. Außerdem fallen die Einlagen von Kreditinstituten, von privaten und öffentlichrechtlichen Versicherungsunternehmen sowie Einlagen des Bundes und der Länder nicht unter die Einlagensicherung.

Durch das gesetzlich vorgeschriebene Einlagensicherungssystem sind Einlagen bis zu einer Höhe von 90 Prozent, maximal jedoch bis zu 20 000 Euro gesichert. Bei den freiwilligen Einlagensicherungsfonds variiert der maximal ersatzfähige Betrag. So ist etwa im Bereich der privaten Kreditinstitute der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) eingerichtet, der Einlagen bis zur Höhe von 30 Prozent des maßgeblichen haftenden Eigenkapitals der jeweiligen Bank deckt. Für öffentliche Banken ist der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Öffentlicher Banken (VÖB) zuständig und für Volks- und Raiffeisenbanken die Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Beide Einrichtungen sichern Einlagen bis zu 100 Prozent ohne betragliche Begrenzung.

Entschädigungsfall und Insolvenzquoten

Nachdem die BaFin den Entschädigungsfall festgestellt hat, informiert sie die entsprechende Sicherungseinrichtung. Die Sicherungseinrichtung informiert ihrerseits die Gläubiger der betroffenen Bank und fordert diese auf, ihre Entschädigungsansprüche binnen eines Jahres schriftlich anzumelden. Nach Eingang der Anmeldung werden die Ansprüche geprüft und müssen binnen drei Monaten nach ihrer Feststellung erfüllt werden.

Eine Besonderheit besteht für Einlagen, die bei unselbstständigen Niederlassungen ausländischer Banken (zum Beispiel Kaupthing) angelegt sind. In Europa greift die gesetzlich geregelte Mindestsicherung (90 Prozent, maximal 20 000 Euro) ein, die jedoch beim ausländischen Einlagensicherungsfonds geltend zu machen ist.* Erst wenn dieser gezahlt hat, sind die Restansprüche bei den freiwilligen deutschen Einrichtungen geltend zu machen.

Forderungen aus Einlagen, die von den Sicherungseinrichtungen nicht gedeckt sind, sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Sie stehen im Rang einer einfachen Insolvenzforderung. Die Erfahrungen mit Bankinsolvenzen zeigen, dass die Insolvenzquoten in der Regel verhältnismäßig hoch ausfallen. Dies liegt zum einen daran, dass durch das BaFin-Moratorium die Vermögenswerte der Banken in einem frühen Krisenstadium gegen unkontrollierten Abfluss gesichert werden. Zum andern sind die Banken gehörenden Vermögensgegenstände üblicherweise nicht mit Sicherungsrechten belegt.

Im Falle der Herstatt-Insolvenz (1974) konnten zum Beispiel die Forderungen privater Gläubiger zu 83,5 Prozent erfüllt werden. Bei der Pleite des Bankhauses Fischer (1995) war ein Großteil der Kundeneinlagen zu 100 Prozent vom Einlagensicherungsfonds gedeckt. Für die vom Fonds nicht abgedeckten Verbindlichkeiten aus Inhaberschuldverschreibungen erhielten die Zeichner eine Quote von etwa 70 Prozent. Im noch andauernden Verfahren der BFI-Bank (Eröffnung im Juli 2003) erhielten die Gläubiger bereits Abschlagszahlungen in Höhe von 29 Prozent.

Zurzeit ist der Autor unter anderem als Insolvenzverwalter der PIN Group, des Flugzeugmotorenherstellers Thielert und der Berliner Großspedition Friedrich Schulze tätig.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X