Aufsätze

Über Reputation und Brückenbau: eine Danksagung an Karl Otto Pöhl

Wer heute über den neuen Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt geht, trifft dort auf ein architektonisches Juwel, das House of Finance. Mit weit über 200 Arbeitsplätzen für Bankwissenschaftler, Kapitalmarktforscher, Makroökonomen, Geldtheoretiker und Kapitalmarktrechtler beherbergt das Haus die wohl größte Gruppe von akademischen Finanzmarktexperten auf dem Kontinent. Die Erwartungen von innen und außen an die Leistungen dieser Gruppe sind hoch - hoch genug, um die Bewohner noch für mehrere Jahre in Anspannung zu halten - eine Anspannung, die notwendig ist, um aus der Versammlung zahlreicher Wissenschaftler schlussendlich eine gemeinsame Forschungsinitiative erstehen zu lassen.

Wissenschaftlich bedeutende Bekenntnis zum Standort Wie konnte es zu diesem baulich eindrucksvollen und wissenschaftlich bedeutenden Bekenntnis zum Standort Frankfurt, dem Bank- und Börsenzentrum Deutschlands und der einzigen Stadt der Welt mit gleich zwei Zentralbanken kommen?

Ich erinnere mich noch sehr gut - wir schreiben das Jahr 1995/96 - an eine der ersten Hochschullehrersitzungen, die der Neuberufene in Frankfurt erlebte. Bei der Diskussion um die Ausrichtung eines vakant gewordenen Lehrstuhls wurde die traditionell gepflegte und als wissenschaftliche Unabhängigkeit interpretierte Ferne der Fakultät zu der umliegenden Wirtschaft bekräftigt - und die Besetzung einer weiteren Finanzstelle über die bereits vorhandenen zwei Stellen hinaus abgewiesen.

Umso erstaunlicher der weitreichende Wandel, der erst vollständig erkennbar wird, wenn man die breit gefächerte Lehrstuhlstruktur, die noch in den mittneunziger Jahren in Frankfurt und andernorts existierte, mit der in Schwerpunktbereiche gegliederte Struktur von heute vergleicht. Der Fachbereich hat es vermocht, sich ein Profil zu geben - und hat damit eine Vorbildfunktion für die Universitäten in der ganzen Bundesrepublik übernommen. Noch einmal die Ausgangsfrage: Wie konnte es in der relativ kurzen Zeit von sechs bis sieben Jahren zu diesem Wandel kommen?

An diesem weitreichenden Wandel, einer Umstellung, die ihre volle Kraft erst jetzt im neuen House of Finance zu entfalten beginnt, hat Karl Otto Pöhl einen nicht unerheblichen Anteil. Möglicherweise ist sich Pöhl dieser Katalysatorfunktion zumindest in dem geschilderten Umfang gar nicht voll bewusst. Aber die Fakten sprechen dafür: Ohne Pöhl kein House of Finance. Und um es ist an dieser Stelle hinzuzufügen, auch wenn er nicht den Anlass dieses Beitrags für die Zeitschrift darstellt: auch ohne Rolf E. Breuer würde es das eindrucksvolle und vermutlich zukünftig auch einflussreiche Finanzforschungshaus nicht geben.

Externe Finanzierung

Um zu verstehen, wie es zu der Vision eines House of Finance an einer Universität, die sich zuvor eher durch Finanzplatzferne ausgezeichnet hatte kommen konnte, müssen wir auf eine grundlegende Entwicklung verweisen, an der Karl Otto Pöhl - wiederum gemeinsam mit Rolf E. Breuer - einen wesentlichen Anteil hatte. Bei der angesprochenen Erfahrung handelt es sich um den Nachweis, dass sich etwas realisieren lässt, was vorher vielfach für unmöglich gehalten wurde, nämlich eine Verbindung von international anerkannter, unabhängiger und angewandter wissenschaftlicher Forschung mit einer von der Finanzindustrie getragenen, externen Finanzierung. Übrigens hatten auch namhafte Kollegen anderer Universitäten, die ich seinerzeit um Rat gefragt hatte, vermutet, dass eine derartige Brückenleistung unrealistisch sei, einer Quadratur des Kreises gleichkäme und deshalb besser unterbleiben sollte.

Dies war das Experiment: Aufbau einer Forschungseinrichtung, deren Ergebnisse hochwertige, rein akademischen Standards folgende wissenschaftliche Arbeiten sein sollten, die in der Lage ist, Aufmerksamkeit und Akzeptanz auch außerhalb der Landesgrenzen, insbesondere in London und New York zu finden, und die einen Beitrag auch zu den wirtschaftspolitischen und regulatorischen Debatten zu leisten vermag, die eine immer wichtigere Ebene des Wettbewerbs der Finanzsysteme und der Standorte darstellt. Bei diesem "Aufbau Finanzforschung Frankfurt" kommt Karl Otto Pöhl eine Schlüsselrolle zu.

Diese Schlüsselrolle ergibt sich aus etwas, was Pöhl in dem uns interessierenden Jahr 1995 geradezu im Überfluss besaß, und dass dem aus Gießen kommenden, und in Frankfurt Neuberufenen vollständig fehlte: Reputation. Karl Otto Pöhl, zusammen mit Rolf E. Breuer, setzten ihre herausragenden Rollen, die sie beide seinerzeit in Frankfurt spielten, als Team ein, um auch die üb rigen Führungspersonen des Finanzplatzes Deutschland - darunter alle Vorstandsvorsitzenden der großen Banken in Frankfurt und München von der Sinnhaftigkeit eben dieses wissenschaftlichen Brückenexperiments zu überzeugen.

Zu dritt zogen wir damals von Vorstandssitz zu Vorstandssitz, um das Institutsprojekt vorzustellen. Es gab Neugier, Fragen, auch Bedenken - aber am Ende Zustimmung von allen Seiten. Ein ausgeklügeltes Beitragssystem, dessen Höhe nach Mitarbeiterzahl und Bilanzsumme gestaffelt war, sorgte für eine faire Lastenverteilung. Im Ergebnis wurde das vormals minimale Budget des Instituts für Kapitalmarktforschung um ein Vielfaches erhöht.

Die Finanzierung war de facto eine Umlage unter den führenden Finanzinstituten Deutschlands - und damit ein Beispiel dafür, dass die vertrauensvolle Abstimmung unter Wettbewerbern durchaus in der Lage sein kann, ein Kollektivgut zu erzeugen (eine Erkenntnis, für die Elinor Ostrom im Jahre 2009 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt).

Ein Kollektivgut erzeugt

Unter Karl Otto Pöhls Präsidentschaft wuchs auch die Bedeutung der Monetären Forschung an dem mittlerweile in Center for Financial Studies umbenannten Institut. Nachdem zuvor der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit überwiegend bei den Bank- und Kapitalmarktfragen lag, trat durch die Berufung Axel Webers als weiteren Direktor des CFS die geldpolitische Themenstellung als zweiter Themen- und Aktivitätsschwerpunkt hinzu.

Zusammen mit Weber - und damit auch unter Pöhl - begann eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit mit der EZB, herausragend gekennzeichnet durch die Konferenzserie "ECB and its Watchers" und das "ECB-CFS Research Network on Financial Integration in Europe". Beide Aktivitäten haben Bestand bis auf den heutigen Tag und haben in den zurückliegenden Jahren zu der nationalen und internationalen Wahrnehmung beigetragen, die das CFS heute auszeichnet.

Unter Pöhls und Breuers behutsamer Leitung der Trägergesellschaft - und ohne dies mit einem Eingriff in die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Forschungsinstituts zu verwechseln - gelang das von Vielen Unerwartete: der Nachweis, dass ein Brückenbau zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Forschung und Politik ohne Kompromisse möglich ist.

Das Gelingen dieses Experiments war und ist die Vorlage für das noch ehrgeizigere, weil größere, aber der Sache nach ähnliche House-of-Finance-Projekt. Der perspektivische Schattenwurf - und damit die visionäre Vergrößerung eines gewissermaßen handtaschengroßen CFS zu einem schrankkoffergroßen großen House of Finance ist Rudolf Steinberg zu verdanken, dem kongenialen Universitätspräsidenten dieser Jahre.

Für die großartige und mutige Aufbauleistung, für den großzügigen Reputationskredit, den Karl Otto Pöhl der Universität und dem Verfasser über viele Jahre entgegengebracht hat, sei auch an dieser Stelle sehr, sehr herzlich gedankt.

Dieser Dank ist verbunden mit dem Wunsch auf viele frohe und gesunde Jahre - und verknüpft mit Zufriedenheit und Stolz auf das vielfältig Erreichte, auch und gerade rund um das Institut für Kapitalmarktforschung/Center for Financial Studies.

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