Aufsätze

Die Unabhängigkeit der Zentralbanken: Ein Mythos?

Die Unabhängigkeit einer Zentralbank ist neben einem engen und klaren Auftrag ein wesentliches konstituierendes Element moderner Geldordnungen, wie sie sich nach der Hochinflationsphase der siebziger Jahre herausentwickelt haben. Bis dahin waren nur die Schweizerische Nationalbank und die Deutsche Bundesbank in hohem Grad de jure und de facto unabhängig von Regierungs- und Parlamentseinflüssen.

Eine mittel- bis längerfristig ausgerichtete Geldpolitik

Nach zum Teil zweistelligen Inflationsraten in vielen Industrieländern wurde die Geldpolitik aus der allgemeinen Politik herausgelöst und auf unabhängige Zentralbanken übertragen. Hierfür sprach die empirische Evidenz, dass unabhängige Zentralbanken besser ihr Mandat erfüllen, Preisniveaustabilität, oder - wie in den USA - niedrige Inflation, zu gewährleisten. Entscheidend war die Einsicht, die mittel- bis längerfristig ausgerichtete Geldpolitik kurzfristigen politischen und wahltaktischen Überlegungen von Regierungen und Parlamenten, mit deren inhärenten Tendenz zu höherer Inflation, zu entziehen.

Trotz dieses Paradigmenwechsels zu "monetärer Dominanz", blieben zwischen den Zentralbanken der Industrieländer de jure Unterschiede im Grad der Unabhängigkeit bestehen. Die Federal Reserve der USA zum Beispiel ist unabhängig "within government" und sie ist dem US-Kongress gegenüber rechenschaftspflichtig. Denn nach der amerikanischen Verfassung ist der Kongress die Währungsbehörde, die bestimmte Befugnisse 1913 auf die neu geschaffene Zentralbank übertrug. Die Europäische Zentralbank dagegen ist de jure mit dem höchst denkbaren Grad an Unabhängigkeit ausgestattet. Zudem ist sie die Währungsbehörde des Euro(-Gebiets). Sie ist nach der Deutschen Bundesbank konzipiert, und ihr Status reflektiert den zum Zeitpunkt der Verhandlungen über ihr Statut den bestehenden allgemeinen politischen Konsens zu einem engen Mandat und politischer Unabhängigkeit. Ihr Auftrag umfasst primär die mittelfristige Sicherung von Preisstabilität.

Dimensionen der Unabhängigkeit

Ihre Unabhängigkeit hat mehrere Dimensionen: Personell dürfen nach dem Statut geldpolitische Entscheidungsträger Weisungen von Einrichtungen der Gemeinschaft, von Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen weder einholen noch entgegennehmen. Auch "der Versuch der Beeinflussung" ist zu vermeiden. Finanziell ist das Zentralbankbudget nicht Teil des Staatshaushalts, da sonst die Grenze zur Fiskalpolitik verschwimmen und die Wahrscheinlichkeit der monetären Finanzierung des Staatshaushalts zunehmen würde. Funktionell entscheidet die Zentralbank über ihre Strategie und den Einsatz angemessener geldpolitischer Instrumente, um ihren Auftrag zu erfüllen. Eine Regierung hat kein Mitwirkungsrecht an den Beschlüssen der Zentralbank.

Der Weg in die Unabhängigkeit der Zentralbanken war von Anbeginn von der Diskussion begleitet, inwieweit eine "Entpolitisierung" der Geldpolitik und die Übertragung der Befugnisse auf ein Gremium von Experten mit dem Prinzip des demokratischen Rechtsstaats zu vereinbaren oder zu rechtfertigen ist.

Das Prinzip demokratischen Handelns heißt: keine Ausübung von Macht ohne entsprechende Kontrolle und Rechenschaft. Die Herausnahme geldpolitischer Entscheidungsbefugnisse aus der allgemeinen Politik macht aber eine parlamentarische Kontrolle unmöglich. Dennoch ist die Unabhängigkeit der Zentralbank und ihre Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip dann zu rechtfertigen, wenn sie einen eindeutig definierten Auftrag verfolgt - wie die Priorität der Preisstabilität - und keine Abwägungsentscheidungen zwischen verschiedenen Zielen zu treffen sind und keine Interessenkonflikte entstehen können. Diese ergeben sich zwangsläufig dann, wenn Zentralbanken weitere Aufgaben übertragen werden und dieselben Entscheidungsträger selbst Prioritäten in der Aufgabenwahrnehmung setzen müssen.

"Great Moderation"

Unabhängig gestellte Zentralbanken haben über einen Zeitraum von etwa einem Vierteljahrhundert eine erfolgreiche Politik betrieben. Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre - die EZB seit 1999 - haben sie ein engeres Mandat erfüllt und Preisstabilität oder niedrige Inflation gewährleistet. Diese Phase wird im Allgemeinen als "Great Moderation" bezeichnet. Seit 1999 lag die durchschnittliche Inflationsrate zum Beispiel im Euroraum bei zwei Prozent, womit weitgehende Preisstabilität erreicht wurde. Auch solche Zentralbanken, die ein duales oder multiples Mandat haben, setzten die Priorität bei Preisstabilität. Dies geschah aus der Erkenntnis heraus, dass dies mittelfristig der beste Beitrag der Geldpolitik zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum und zur Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze ist.

Ohne Zweifel sind der Paradigmenwechsel hin zur monetären Dominanz mit der Unabhängigkeit der Zentralbanken und eine regelbasierte Geldpolitik große Errungenschaften zur Sicherung eines stabilen Geldwertes. Gleichwohl ist die Unabhängigkeit einer Zentralbank eine notwendige, aber isoliert betrachtet keine hinreichende Voraussetzung, um Preisstabilität zu gewährleisten. Neben einer nachvollziehbaren Strategie bedarf es der besonderen persönlichen und fachlichen Qualifikation der Entscheidungsträger. Sie müssen verstehen, wie Märkte funktionieren, dürfen sich aber nicht zu Erfüllungsgehilfen von Marktteilnehmern machen lassen.

Zentralbanken im Krisenmanagement

Die entscheidende Frage ist, ob die Unabhängigkeit und das Befolgen geldpolitischer Regeln auch in kritischen Zeiten gelten. Also: Ist die Unabhängigkeit nur durchhaltbar in "Schönwetterphasen"? Kommt die Zentralbank in Krisenzeiten derart unter politischen Druck, dass sie zu Maßnahmen greift, mit denen sie von ihrer Strategie abweicht und ihre Unabhängigkeit gefährdet? Oder antizipiert sie potenziellen künftigen politischen Druck und handelt proaktiv?

Die Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 und insbesondere die europäische Staatsschulden- und Vertrauenskrise haben die Zentralbanken der westlichen Welt zu wichtigen Krisenmanagern und mächtigen Institutionen werden lassen. Ist damit eine neue Ära der Zentralbanken eingeleitet?

Die westlichen Zentralbanken haben 2008 und 2009 durchaus im Rahmen ihres Mandats gehandelt. Die Krise hatte im Herbst 2008 den Preisdruck erheblich verringert, was eine deutliche Rücknahme der Leitzinsen rechtfertigte. Dadurch und durch zusätzliche oder sogar unbegrenzte Liquiditätsbereitstellung haben die Zentralbanken die Dysfunktion des Interbankenmarktes kompensiert und das Kollabieren des Weltfinanzsystems und das Abgleiten der Weltwirtschaft in eine Depression verhindert. Seitdem befinden sich die Leitzinsen mit nahe null Prozent auf einem historisch niedrigen Niveau. Da der Nominalzins nicht unter null Prozent sinken kann, begann eine Experimentierphase, in der neue "nicht-konventionelle" (USA) - oder "nicht-standardgemäße"-Operationen (Euro-Gebiet) durchgeführt wurden, um die Geldpolitik weiter zu lockern.

Nachfragemanagement

Die ultra-lockere Geldpolitik wurde fortgeführt, auch nachdem die Rezession insbesondere in den USA vorüber war. Nach der akuten Krise änderte sich 2009 die Zielsetzung der Politik der Federal Reserve und der Bank of England. Mit der Fortsetzung der Quasi-Nullzins-Politik und der Schaffung weiterer Liquidität wurde Nachfragemanagement betrieben mit der Absicht, die Volkswirtschaften auf den Wachstumspfad von vor der Krise und zu Vollbeschäftigung zurückzuführen.

Gerechtfertigt wurde dieser Ansatz durch eine keynesianische Erklärung der schwachen wirtschaftlichen Erholung nach der tiefen Rezession, nämlich exzessiv hoher Realzinsen. Die Gesamtnachfrage sollte im Umfeld der nominellen Null-Zinsen stimuliert werden. Die Instrumente umfassten großdimensionierte Anleihenkäufe (Large Scale Asset Purchases) zur weiteren mengenmäßigen Lockerung der Geldpolitik und "forward guidance" bezüglich des künftigen Zinspfades. Mit Letzterem wurde erstmals in der Geschichte der Zentralbanken die Geldpolitik an ein realwirtschaftliches Ziel geknüpft, nämlich an die Arbeitslosenquote, oder jüngst an ein wie auch immer zu definierendes qualitatives Ziel.

Die Europäische Zentralbank folgte in der Geldpolitik nicht dem Ansatz der "mengenmäßigen Lockerung". Sie trug der Tatsache Rechnung, dass Kontinentaleuropa durch ein bankbasiertes Finanzsystem geprägt ist. Deshalb setzte sie andere Mittel ein, zum Beispiel die Vollzuteilung der von den Banken benötigten Liquidität zu einem festen Zinssatz und längerfristige Refinanzierungsoperationen, zuletzt mit bis zu drei Jahren. Damit wurde ein ähnlicher Effekt wie durch die mengenmäßige Lockerung in den angelsächsischen Ländern erreicht. Jedoch sahen die meisten Maßnahmen einen "eingebauten" Ausstieg vor, falls die Banken nicht mehr die zugeteilte Liquidität benötigten.

Veränderte Zielsetzung der EZB-Operationen

Allerdings änderte sich die Zielsetzung der EZB-Operationen mit der sich beschleunigenden Krise der Staatsfinanzen in einigen Euro-Ländern im Mai 2010 ebenfalls. Die EZB startete mit den "Securities Market Purchases" (SMP) den Ankauf von Staatspapieren der Krisen- oder Programmländer Griechenland, Irland und Portugal. Begründet wurde dies mit der Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus in diesen Ländern. Faktisch gab die EZB massivem politischen Druck nach, mit der regional gezielt eingesetzten Maßnahme, ihren Beitrag zur Bewältigung der Staatsfinanzkrise in den betroffenen Ländern zu leisten.

Im August 2011 wurde die Liste der Länder, deren Staatspapiere durch die EZB aufgekauft wurden, um Italien und Spanien erweitert. Beide Länder waren wegen ihres rasant ansteigenden Schuldenstandes unter erheblichen Druck der Finanzmärkte geraten. Sie hatten höhere Risikoprämien zu zahlen und ihr Marktzugang war bedroht. Nachdem sich die damaligen Regierungen beider Länder innerhalb kürzester Zeit zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und zu Wirtschaftsreformen verpflichtet hatten, begann die EZB deren Staatspapiere zu kaufen. Diese Maßnahme wurde im Spätsommer 2012 nach der Ankündigung durch EZB-Präsident Draghi, alles zu tun, um das Euro-Gebiet zusammenzuhalten, durch "Outright Monetary Transactions" (OMT) ersetzt. Bisher wurden allerdings im Rahmen des OMT noch keine weiteren Staatspapiere gekauft.

Geldpolitisches Mandat gedehnt oder gar überschritten

Es fällt bei SMP und OMTs schwer, die Argumentation nachzuvollziehen, es handele sich um geldpolitische Maßnahmen. Denn beide Instrumente waren oder sind nur für bestimmte Länder und nicht für das gesamte Euro-Gebiet programmiert. Wenn es Geldpolitik wäre, wäre sie nun länderspezifisch ausgerichtet und die EZB hätte deren Einheitlichkeit für das Euro-Gebiet aufgegeben. Außerdem war oder ist ihr Einsatz konditioniert und unter anderem abhängig von der Durchführung von Reformen. Die Geldpolitik einer unabhängigen Zentralbank darf aber nicht vom - politischen - Verhalten Dritter abhängig gemacht werden.

Mit SMP und OMTs hat die EZB ihr geldpolitisches Mandat weit gedehnt oder sogar überschritten. Sie hat die Marktkräfte seit fast zwei Jahren ausgeschaltet und für bestimmte Länder eine Garantie gegenüber den Märkten abgegeben, mit der Folge, dass die Risikoaufschläge auf Staatspapiere zurückgegangen sind. Das ist quasi Fiskalpolitik, die die EZB mit dieser Art von Instrumenten oder ihren Garantien betreibt. Die EZB hat damit die Rolle des Kreditgebers der letzten Instanz (lender of last resort) akzeptiert, länderspezifischen Insolvenzgefahren zu begegnen und die Refinanzierungsbedingungen von Ländern erträglicher oder günstiger zu machen.

Die Geldpolitik der Bank of Japan ist in diesem Kontext zwar ein Sonderfall, aber mit ernst zu nehmenden potenziellen Folgen für andere Zentralbanken zu bewerten. Die japanische Regierung hat 2013 eine besorgniserregende Politik massiven Drucks auf die japanische Notenbank eingeleitet. Unter der Androhung die Unabhängigkeit der Bank of Japan de jure per Parlamentsbeschluss aufzuheben, wurde die vorbehaltlose Unterstützung der Regierungspolitik durch die Zentralbank eingefordert. Sie sieht eine höchst aktive Rolle der Bank of Japan vor, massiv Liquidität in die Volkswirtschaft zu pumpen. Der damalige Notenbank-Gouverneur trat daher vorzeitig zurück.

Folgen des Krisenmanagements

Was ist diesen Vorgängen gemeinsam? Die westlichen Zentralbanken handelten unter zunehmendem politischen Druck. Ein solcher Druck wurde aber auch antizipiert. Die Zentralbanken verstanden sich als die einzigen Institutionen, die erforderlichenfalls rasch handeln können und die insbesondere über die Möglichkeit verfügen, unbegrenzt über die "Notenpresse" Geld zu schaffen. Es wird darüber hinweggesehen, dass sie ihren Auftrag sehr weit interpretiert oder überschritten haben, ohne dafür legitimiert zu sein. Damit wurde die de facto Unabhängigkeit der Zentralbanken in der Krisenrealität sowohl untergraben als auch geopfert.

Es ist nicht überraschend, dass die Zentralbanken für ihr Tun besondere Anerkennung sowohl von Politikern als auch von Marktteilnehmern finden. Es wurde Zeit gekauft. Diese Zeit wurde aber nicht überall sinnvoll genutzt. Vielmehr wurde der Anpassungsdruck zur Sanierung der öffentlichen Finanzen und den notwendigen Wirtschaftsreformen von Regierungen und Parlamenten genommen. Das ist im Moment willkommen, löst aber die Probleme nicht. Die Interventionen entsprachen auch den Erwartungen der Finanzmärkte, die dem Mantra: "Mehr und billige Liquidität für länger!" folgen.

Daher sind sich sowohl Politiker als auch Marktteilnehmer darin einig, dass der kurzfristige "Erfolg" des Handelns der Zentralbanken, zur Beruhigung der Lage beigetragen zu haben, ihre Politik rechtfertige. Die mittel- bis längerfristigen Konsequenzen einer äußerst lockeren Geldpolitik für eine zu lange Zeit, das fortgesetzte Fluten der Finanzmärkte mit Liquidität, die außerordentliche Bilanzausweitung, die eingegangenen Bilanzrisiken und die veränderten Ziele bleiben außer Betracht.

Getrieben von der Politik und den Finanzmärkten

Tatsächlich sind die Zentralbanken sowohl zu hyperaktiven Akteuren als auch zu Getriebenen von Politik und Finanzmärkten geworden. Daraus hat sich eine gefährliche gegenseitige Abhängigkeit entwickelt: (i) Regierungen sind abhängig von der Zentralbankgarantie "alles zu tun", um den Schuldendienst erträglich zu halten und (gegebenenfalls oder weiterhin) Staatspapiere zu kaufen; (ii) Teile der Bankensysteme oder ganze Finanzmarktsegmente sind von der fortgesetzten Bereitstellung exzessiver Zentralbank-Liquidität abhängig. Die Zentralbanken selbst haben sich in ein Experiment begeben, aus dem sie nicht einfach "aussteigen" können, ohne neue dramatische Marktverwerfungen zu riskieren. Sie sind somit Gefangene ihrer eigenen Politik.

Während des Krisenmanagements und der Neuorientierung der Zentralbankpolitik auf andere Ziele - Nachfragemanagement oder quasi Staatsfinanzierung - haben die westlichen Notenbanken selbst einen Prozess zusätzlicher Aufgabenanmaßung gefördert und damit die Aufgabenteilung zwischen Regierungen und Zentralbanken mehr und mehr verwischt. Sie sind zu "politischen Spielern" geworden, die Geldpolitik wurde wieder "politisiert", und sie haben den erforderlichen Grad an Unabhängigkeit von politischem Einfluss "verspielt".

Allerdings gibt es über die Notwendigkeit, auch in kritischen Phasen das Prinzip der Zentralbank-Unabhängigkeit zu wahren, unterschiedliche Vorstellungen. Amerikanische Ökonomen zum Beispiel argumentieren, dass sich in einer Krise die Funktionen von Zentralbanken und Regierungen notwendigerweise verwischen müssen und gegebenenfalls das Prinzip selbst aufgehoben werden muss. Die Aufrechterhaltung der Zentralbank-Unabhängigkeit sei in einer Krise weder möglich noch wünschenswert und die enge Kooperation zwischen Zentralbanken und Finanzministerien unvermeidlich. In der jüngsten Krise sei diese Zusammenarbeit essenziell und wirksam gewesen. In der Phase nach der Krise sei die Unabhängigkeit der Zentralbank dann schrittweise wiederherzustellen.

Interessen- und Zielkonflikte

Diese Argumentation überzeugt nicht. Nur wenn man der Unabhängigkeit generell geringe Bedeutung beimisst und sie nicht als konstituierendes Element der Geldverfassung begreift, lässt sich eine solche Position vertreten. Sie lässt einer diskretionären Politik freie Bahn. Das Verwischen der Kompetenzen in einer Krise vermengt die Verantwortung für das politische Handeln und erschwert die Möglichkeit demokratischer Kontrolle. Die Unabhängigkeit der Zentralbanken in einer Krise aufzugeben, macht das Prinzip bedeutungslos.

Natürlich müssen Zentralbanken und Finanzministerien immer miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten. Aber gerade in einer Krise ist es wichtig, dass die Verantwortlichkeiten klar zugeordnet sind und jede Institution im Rahmen ihres Auftrags handelt. Deshalb ist dieses Prinzip nicht nur zu allen Zeiten relevant, sondern insbesondere in Krisenphasen. Ist die Unabhängigkeit einmal geopfert, verspielt oder aufgegeben, kann sie weder automatisch noch rasch wiederhergestellt werden. Die Erwartung von Politikern und Finanzmarktteilnehmern dürfte nicht zu tilgen sein, dass die Zentralbank in einer erneuten Krise wiederum rasch und entschieden handeln wird. Entsprechend groß wird der Druck auf diese Institutionen sein.

Die jüngste Krise hat dazu geführt, dass den Zentralbanken mehr Aufgaben übertragen wurden oder sie selbst mehr Aufgaben übernommen haben, zum Beispiel die Zuständigkeiten für Finanzstabilität oder für die Bankenaufsicht. Die Multiplikation von Aufgaben führt zwangsläufig zu Interessen- und Zielkonflikten, die im Ernstfall in dem neuen politisierten Klima zulasten des Kernmandats aufgelöst werden dürften. Bei einer Vielzahl von Aufgaben und Zielen erfolgt immer eine Abwägung und eine Priorisierung beim Umfang der Aufgabenwahrnehmung. Dies erfordert demokratische Rechtfertigung. Bei den über die Geldpolitik hinausgehenden Aufgaben besteht sowieso keine Unabhängigkeit, und eine klare Trennung der neuen Aufgaben von der Geldpolitik erscheint allenfalls theoretisch denkbar. In der Praxis ist dies nicht möglich. Es ist daher konsequent, dass eine demokratische Kontrolle zum Beispiel bei der Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB eingefordert wurde. Dies wird die Geldpolitik nicht unberührt lassen können, die dann zwangsläufig wieder "politisiert" wird.

Über das Kernmandat hinausgehende Aufgaben

Die Aufgabe, Preisstabilität zu sichern, ist eine große gesellschaftspolitische Errungenschaft und Herausforderung zugleich. Ein klarer prioritärer Auftrag und die Unabhängigkeit der Zentralbanken von politischem Einfluss sind Voraussetzungen, um diese Aufgabe zu erfüllen. Sie sind kein Selbstzweck, sondern zählen zu den Grundprinzipien unserer Geldordnung. Allerdings umfasst die Phase der Unabhängigkeit nur eine relativ kurze Periode von etwa 30 Jahren in der zum Teil langen Geschichte der Zentralbanken.

Die genannten Prinzipien sind insbesondere in der derzeitigen "Fiat Money"- oder Papier-Währungsordnung relevant, um das Primat der Preisstabilität zu sichern. In dieser Geldordnung ist die Zentralbank Vertrauensanker für die künftige Werthaltigkeit des Geldes. Überfordert mit zu vielen Aufgaben, droht das Kernmandat nur noch sekundäre Bedeutung zu erhalten.

Konfrontiert mit der Realität der jüngsten Krise, haben die westlichen Zentralbanken eine sehr aktive Rolle und über ihr Kernmandat hinausgehende Aufgaben übernommen. Einerseits haben sie ein politisches Vakuum gefüllt, andererseits haben sie politischem Druck nachgegeben und damit ihre Unabhängigkeit gefährdet oder aufgegeben.

Nicht nur in der jüngsten Krise sind ordnungspolitische Prinzipien immer mehr der politischen Kurzfristorientierung und einem politischen Ultra-Pragmatismus gewichen.

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