Aufsätze

Von der Volksaktie zur Altersvorsorge eine Chronologie

Mit dem Begriff Volksaktie* wird häufig der Börsengang der Telekom verbunden, der einst für große Furore sorgte, in der letzten Zeit aber eher durch unrühmliche Schlagzeilen von sich reden macht. Der Begriff Volksaktie wurde allerdings nicht durch diesen Börsengang geprägt, sondern geht auf Privatisierungsbestrebungen in Österreich zurück. Dort wurden Anfang 1957 die beiden nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlichten Großbanken Credit-anstalt-Bankverein und Österreichische Länderbank AG teilprivatisiert, indem 40 Prozent der Aktien an österreichische Staatsangehörige verkauft wurden. Als eigentliche Volksaktien bezeichnete man damals eine Art Vorzugsaktie, die eine sechsprozentige Dividendengarantie, aber kein Stimmrecht besaß.1) Diese stimmrechtslosen Vorzugsaktien machten 30 Prozent des gesamten Aktienkapitals aus. Bei der Privatisierung ging es somit vorrangig darum, die Beteiligung am Produktivvermögen breiter zu streuen, der beherrschende Einfluss auf das Unternehmen verblieb aber beim Staat, der weiterhin über 90 Prozent der Stimmrechte verfügte.

Deutsche Ausprägung

Kurze Zeit später folgte dann die deutsche Version der Volksaktie. Im Jahre 1959 wurde die Preußische Bergwerks- und Hütten-AG (Preussag), die sich inzwischen in Tui AG umbenannt hat, durch die Ausgabe sogenannter Volksaktien teilprivatisiert, 1961 folgte die Volkswagenwerk AG und 1965 schließlich bildete die Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG (Veba), die seit der Fusion mit Viag im Juni 2000 den Firmennamen Eon AG trägt, den vorläufigen Schlusspunkt der Teilprivatisierung staatlicher Unternehmen durch Ausgabe von Volksaktien.

Danach war der Zauber solcher Papiere erst einmal verflogen und es dauerte mehr als 30 Jahre, bis die Idee der Volksaktie wiederbelebt wurde, nämlich durch den bereits erwähnten Börsengang der Telekom. Der phänomenale Aufstieg der Telekom-Aktie beflügelte weitere Börsengänge mit sogenannten Volksaktien. Im Jahre 2000, als die Börsen-Hausse ihren Höhepunkt erreichte, ging es Schlag auf Schlag: Den Anfang machte Infineon im März 2000, im April folgte T-Online und im November wurden die Aktien der Deutsche Post AG, die sogenannte "Gelbe Aktie" unter das Volk gebracht. Zwischenzeitlich wurde der Begriff Volksaktie zu einem Modewort, das Vorstandsvorsitzende gerne in den Mund nahmen, um ihre Aktien anzupreisen. Gleichgültig, ob Fraport, die Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens (Börsengang Juni 2001), oder die weithin unbekannte Freiburger S. A. G. Solarstrom AG (Aktienemission August 2000)2), alle erklärten ihre Aktien kurzum zu Volksaktien, um den potenziellen Aktionären die Aussichten auf eine Erfolgsstory à la Telekom zu suggerieren.

Auf und Ab des Begriffs

Mit dem Sinken der Aktienkurse wurde dann der Begriff Volksaktie eher als Belastung denn als Werbeträger empfunden. So erklärte Ron Sommer, der frühere Vorstandsvorsitzende der Telekom, im Februar 2002: "Volksaktien haben wir noch nie verkauft, auch die T-Aktie ist keine Volksaktie. Volksaktie ist ein Begriff aus anderen Zeiten und für andere Unternehmen."3) Auch die Tui AG sah ihre Aktien schon bald nicht mehr in der Tradition der Volksaktien, sondern vermarktete sie als die "erste Urlaubsaktie". Trotz der negativen Erfahrungen mit der Telekom wurde der Begriff Volksaktie im Rahmen der geplanten (Teil-) Privatisierung der Deutschen Bahn erst kürzlich wieder hervorgekramt. Der Vorschlag, stimmrechtslose Vorzugsaktien mit garantierter Dividende auszugeben, erinnert an die Anfänge der Volksaktie in Österreich.

Die Teilprivatisierung der Volkswagenwerk AG4)

Wenn auch die Preussag-Aktie schließlich die erste deutsche Volksaktie wurde, so konzentrierten sich die Privatisierungsbestrebungen doch zunächst auf das Volkswagenwerk, das mit dem "Käfer" das "Epochensymbol" der jungen Bundesrepublik geschaffen hatte.5) Bereits kurz nachdem die britische Militärregierung das Volkswagenwerk 1949 in die Treuhänderschaft des Bundes übergeben hatte, kursierten erste Gerüchte über eine Teilprivatisierung. Konkrete Form nahm dieses Vorhaben aber erst Mitte der fünfziger Jahre an, als die Deutsche Partei (DP) im Sommer 1956 einen Antrag auf Privatisierung der Volkswagenwerk GmbH in den Bundestag einbrachte. Obwohl der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard diese Idee sofort aufgriff und einen entsprechenden Gesetzesentwurf entwickelte, zogen sich die parlamentarischen Debatten bis 1960 hin und waren ein Thema in zwei aufeinander folgenden Bundestagswahlkämpfen.

Die Bundesregierung musste zunächst langwierige Streitigkeiten über die Eigentumsverhältnisse mit den ehemaligen sogenannten "KdF-Wagen-Sparern" sowie mit dem Land Niedersachsen beilegen. Daneben gab es auch erheblichen politischen Widerstand, und zwar nicht nur von der SPD und den Gewerkschaften, sondern auch aus den eigenen Reihen. Gegner der Privatisierung befürchteten einen "Ausverkauf von Bundesvermögen an private Interessenten" oder gar an ausländische Investoren. Das Volkswagenwerk sollte im Dienst des Gemeinwohls geführt werden, und diesem Zweck entsprechend einen billigen Volkswagen anbieten, den auch Bezieher kleiner Einkommen erwerben können. Den Versuch, öffentliches Vermögen durch Ausgabe von Volksaktien breit zu streuen, hielt man für verfehlt und verspottete diese Idee als "Kleinaktienzauber". Arbeitnehmer - so die Kritik - wollen weder Aktien erwerben noch haben sie das hierfür nötige Einkommen.

Dass es trotz dieser Widerstände doch noch zu einer Privatisierung und der Ausgabe von Volksaktien kam, liegt vor allem an zwei Umständen. Die für die CDU erfolgreiche Bundestagswahl 1957 bewirkte eine Stärkung der Privatisierungsbefürworter innerhalb der Partei. Auch SPD und Gewerkschaften gaben ihre grundsätzliche Ablehnung auf und befürworteten nun die Umwandlung der Volkswagenwerk GmbH in eine gewerbliche Stiftung. Ein weiterer Meilenstein in der Privatisierungsdiskussion war ein Artikel in der Wochenzeitung "Christ und Welt", der im Sommer 1957 erschien und in dem zum ersten Mal die Idee entwickelt wurde, eine Nationalstiftung zu gründen, die 30 Prozent des Aktienkapitals erhalten sollte. Ziel der Stiftung sollte es sein, "Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre" zu fördern. Der Vorschlag, eine Stiftung zu gründen, brachte Bewegung in den festgefahrenen Privatisierungsstreit, da alle sonstigen Ansprüche auf das Volkswagenwerk angesichts dieser auf das Gemeinwohl bedachten Lösung nun egoistisch und kleinkariert erschienen, sodass alle Beteiligten letztlich auf eine gemeinsame Linie einschwenkten.

Politisch Gewolltes

Kaum war eine grundsätzliche Einigung über die Privatisierung des Volkswagenwerks erreicht, entbrannten neue Streitigkeiten über die Details des geplanten Börsengangs. Von Seiten der Politik wurde vorgeschlagen, das Aktienkapital auf 600 Millionen DM und den Ausgabekurs auf 350 Prozent festzulegen, um den Eindruck, öffentliches Vermögen zu verschleudern, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Heinrich Nordhoff, der damalige Generaldirektor, sah darin eine "Überbemessung des Kapitals" und fürchtete, die Dividendenansprüche der Aktionäre würden nicht genug Finanzmittel im Unternehmen belassen, um die für die Zukunft geplanten Investitionen durchführen zu können. Er konnte sich mit diesen betriebswirtschaftlich motivierten Argumenten jedoch nicht gegen das politisch Gewollte durchsetzen.

Die Frist für die Zeichnung der ersten VW-Aktien begann im Januar 1961. Der Ausgabekurs von 350 DM je 100 DM Nennwertaktie war offensichtlich so niedrig bemessen, dass eine erhebliche Wertsteigerung auch auf kurze Sicht nahezu sicher erschien. Entsprechend groß war der Ansturm auf die neuen Aktien. Bis zum Ende der Zeichnungsfrist im März 1961 meldeten sich über 1,5 Millionen Interessenten, darunter knapp 65 000 Belegschaftsangehörige. Die Emission war mit 85 Prozent überzeichnet, so dass die neuen Aktien zugeteilt werden mussten. Bevorzugt bei der Zuteilung wurden Haushalte mit einem geringen Jahreseinkommen von bis zu 8 000 DM für Alleinstehende beziehungsweise bis zu 16 000 DM für Verheiratete. Jede Person konnte maximal fünf Aktien erwerben.

Soziale Komponente

Um auch einkommensschwache Bevölkerungskreise für die Aktie zu begeistern, wurden je nach Einkommen und Kinderzahl noch Sozialrabatte zwischen zehn Prozent und 25 Prozent auf den Ausgabekurs gewährt. Wurden Sozialrabatte beim Erwerb in Anspruch genommen, unterlag der Verkauf dieser Aktien einer zweijährigen Sperrfrist. Um zu verhindern, dass die Aktien von Investoren, die die Kontrolle über das Volkswagenwerk anstreben, aufgekauft werden, wurde ein Höchststimmrecht festgesetzt. Demnach ist das Stimmrecht auf den 10 000. Teil des Grundkapitals beschränkt und niemand darf in der Hauptversammlung das Stimmrecht für mehr als zwei Prozent (des dort vertretenen) Grundkapitals ausüben.

Das Ziel, die Geldanlage in Form von Aktien breiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, wurde - so ist die vorherrschende Meinung in der Literatur - nicht erreicht.6) Da der Ausgabekurs bewusst niedrig angesetzt wurde, setzte noch vor Ablauf der Zeichnungsfrist ein lebhafter Handel in VW-Aktien "per Erscheinen" ein. In diesem Terminhandel wurden Kurse von über 600 DM für die VW-Aktie geboten, ein Preis der angesichts der weiteren Kursentwicklung noch viel zu niedrig war. Bereits im Juni 1961 überschritt der Kurs der VW-Aktie die 1 000-DM-Marke, sank dann aber kontinuierlich ab. Viele Ersterwerber nutzten die Gunst der Stunde und veräußerten ihre Aktien unmittelbar nach Zuteilung oder aber nach Ablauf der Sperrfrist, eine Entscheidung, die sich mittelfristig angesichts des weiteren Kursverfalls in den sechziger Jahren als richtig erwies.

Während sich die Debatte um die Privatisierung von Volkswagen in die Länge zog, wurde die Teilprivatisierung eines anderen Unternehmens, das sich im Staatsbesitz befand, vorgezogen.7) Die Preussische Bergwerks- und Hütten-AG (Preussag), damals eine hundertprozentige Tochter der bundeseigenen Veba, benötigte Mitte der fünfziger Jahre dringend Kapital. Die Mutter, die einige Jahre später selbst wegen dringendem Kapitalbedarf die Kapitalmärkte anzapfen musste, konnte die Finanzmittel nicht aufbringen, und der Bund als Eigentümer der Veba wiederum stellte sich auf den Standpunkt, dass Haushaltsmittel für solche Zwecke nicht zur Verfügung gestellt werden sollten. Eigentumsstreitigkeiten waren bei der Preussag nicht zu befürchten und der zuständige Schatzminister Dr. Hermann Lindrath befürwortete eine Privatisierung, um den "Graben zwischen Kapital und Arbeit [zu] überwinden."

Die Teilprivatisierung der Preussag

Die Bundesregierung beschloss im Frühjahr 1959, das Grundkapital der Preussag von 75 Millionen auf 105 Millionen zu erhöhen, wobei die Veba auf das ihr zustehende Bezugsrecht verzichten sollte. Geplant war zunächst, dass Aktien im Nennwert von 30 Millionen DM von einem Bankenkonsortium übernommen werden sollten mit der Maßgabe, diese einem breiten Publikum zum Kauf anzubieten. Da die Nachfrage schon nach wenigen Tagen ein Mehrfaches des zur Verfügung stehenden Betrages erreichte, entschloss sich die Bundesregierung, weitere Aktien aus dem Bestand der Veba zum Kauf anzubieten. Insgesamt wurden Aktien mit einem Nennwert von 81,5 Millionen DM ausgegeben, der Anteil der Veba an der Preussag reduzierte sich damit auf rund 22,4 Prozent (23,5 Millionen DM).

Auch mit der Teilprivatisierung der Preussag war eine soziale Komponente verbunden. Aufgrund der großen Nachfrage wurden bei der Zuteilung nur Haushalte mit einem Jahreseinkommen bis zu 16 000 DM berücksichtigt, die die Aktie im Nennwert von 100 DM zu einem Ausgabekurs von 145 DM erwerben konnten. Ausnahmen galten für Belegschaftsangehörige. Die Zeichnung war auf höchstens fünf Aktien beschränkt, zugeteilt wurden schließlich vier Aktien je Interessent. Insgesamt erhielt die Preussag zirka 220 000 Aktionäre, davon rund 2 000 Belegschaftsangehörige, und wurde damit das Unternehmen mit den meisten Aktionären. Dies blieb aber nur so bis zur Teilprivatisierung von VW. Das Stimmrecht wurde auf ein Tausendstel des Grundkapitals beschränkt, diese Beschränkung galt auch für die Veba, die damit ihren beherrschenden Einfluss auf die Preussag verlor.

Den Erfolg der Preussag-Privatisierung feierte eine Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 6. April 1959 mit den folgenden Worten: "Das wahrhaft großartige Zeichnungsergebnis für die sozial privilegierten Preussag-Aktien hat in eindeutiger Weise bestätigt, dass die auf eine immer breitere Einkommensstreuung hinzielende gesellschaftspolitische Konzeption der Bundesregierung ebenso volks- wie lebensnah ist. Umgekehrt kann der Versuch, die große Masse der Sparer von einer Interessennahme am volkswirtschaftlichen Produktivkapital fernzuhalten, schon heute als kläglich gescheitert angesehen werden."8)

Der Börsengang der Veba

Ähnlich wie bei der Preussag war auch bei der Veba die Kapitalknappheit der Auslöser für eine Teilprivatisierung.9) Da das Bundesfinanzministerium es ablehnte, dem Unternehmen neues Kapital zur Verfügung zu stellen, kam man schnell auf den Gedanken der Teilprivatisierung durch Ausgabe von Volksaktien, zumal man mit diesem Modell wie die Beispiele Preussag und VW zeigten, gute Erfahrungen gemacht hatte. Auch die Pläne zur Teilprivatisierung der Veba stießen auf den Widerstand von SPD und Gewerkschaften, wobei die Argumente sich kaum von denen bei der Privatisierung von VW unterschieden. Der DGB prangerte die "Verschleuderung bundeseigenen Vermögens" an und die SPD bemängelte, dass durch die Privatisierung der Veba an der einseitigen privaten Vermögensbildung in großen Kapitalgesellschaften nichts geändert werde. Auch das Management der Veba stand den Privatisierungsplänen skeptisch gegenüber, es konnte sich aber mit seinen Bedenken nicht durchsetzen, ebenso wenig wie SPD und Gewerkschaften.

Auf der ordentlichen Hauptversammlung am 12. April 1965 wurde beschlossen, das Grundkapital der Veba von 450 Millionen DM auf 825 Millionen DM im Wege einer Kapitalerhöhung gegen Einlage heraufzusetzen. Die neuen Aktien im Nennwert von 375 Millionen DM wurden als Serie Lit. B gekennzeichnet, die im Besitz des Bundes verbliebenen Aktien im Gesamtnennwert von 450 Millionen DM erhielten die Serienbezeichnung Lit. A. Beide Aktiengattungen unterschieden sich durch ihren Dividendenanspruch und durch das Stimmrecht. Die Aktien der Serie B, die als Volksaktien ausgegeben wurden, erhielten eine 1,5 Prozent höhere Dividende als die Aktien der Serie A, die beim Bund verblieben. Um zu verhindern, dass ein Großaktionär die neuen Aktien aufkaufen könnte, wurde das Stimmrecht bei den Volksaktien (Serie B) auf ein Zehntausendstel des Grundkapitals beschränkt. Die Sozialkomponente bestand darin, dass nach den Belegschaftsangehörigen Interessenten aus einkommensschwachen Haushalten bevorzugt bei der Zuteilung berücksichtigt wurden.

Das Interesse an den Veba-Volksaktien war wiederum überwältigend, die Emission war mehrfach überzeichnet. Ähnlich wie bei dem Börsengang von VW setzte auch hier sofort ein "Handel per Erscheinen" ein, auf dem Kurse von 240 DM für die Veba-Aktie geboten wurden.10) Knapp drei Millionen Interessenten waren an dem Erstbezug der Aktien interessiert, davon entfielen mehr als 85 Prozent auf die niedrigste Einkommensgruppe. Unter dem Eindruck der großen Nachfrage wurde auf einer außerordentlichen Hauptversammlung beschlossen, dass zusätzliche Aktien im Nennwert von 153 Millionen DM aus dem Besitz des Bundes in solche der Serie B umgewandelt und zur Zeichnung angeboten werden.

Die Kapitalerhöhung spülte Finanzmittel in Höhe von knapp einer Milliarde DM in die Kassen der Veba. Dieses Geld wurde hauptsächlich für den Erwerb des Hugo Stinnes Konzerns sowie für den Ausbau der beiden Tochtergesellschaften Preußenelektra und Hibernia verwendet. Darüber hinaus wurde der Anteil an der Preussag, der nach deren Teilprivatisierung auf unter 25 Prozent gesunken war, wieder aufgestockt, um in den Genuss des Schachtelprivilegs zu kommen.

Merkmale einer Volksaktie

Die Freude der neuen Volksaktionäre über ihre vermeintlich günstig erworbenen Aktien währte nicht lange. Der Kurs stieg zwar unmittelbar nach der Börsenzulassung am 9. August 1965 auf bis zu 228 DM an, lag damit aber schon deutlich unter dem zuvor gebotenen Terminkurs von 240 DM und in der Folge geriet der Aktienkurs sehr schnell unter erheblichen Druck und drohte bereits im September unter den Ausgabekurs zu sinken. Um den Kurs zu stützen, begann die Veba eigene Aktien kurzzeitig aufzukaufen, eine Maßnahme, die nach dem (damaligen) Aktiengesetz verboten war und später noch die Staatsanwaltschaft beschäftigen sollte. Obwohl die Diskussion um die Privatisierung weiterer Untenehmen im Bundesbesitz durch die Ausgabe von Volksaktien auch in den siebziger und achtziger Jahren nie ganz abriss, endete mit der Teilprivatisierung der Veba vorerst die Emission von Volksaktien, bis dieses Instrument 1996 bei der Teilprivatisierung der Telekom wieder neu bemüht wurde.

Wie kann nun aufgrund der oben geschilderten Börsengänge der Begriff Volksaktie näher beschrieben werden, was unterscheidet die Volksaktie von einer "normalen" Aktie? Obwohl es Anfang der sechziger Jahre durchaus Überlegungen gab, die Volksaktie als eigene Aktiengattung in das Aktiengesetz aufzunehmen11), hat man doch davon abgesehen. Ohne eine Legaldefinition bleibt jede Begriffsfassung etwas unscharf und muss sich auf die wesentlichen Merkmale, die bei den Börsengängen der fünfziger und sechziger Jahre eine Rolle spielten, konzentrieren. Solche charakteristischen Merkmale sind:

Breite Streuung: Es wird eine breite Streuung der Aktien angestrebt. Um dies zu erreichen, wird die Anzahl der Aktien, für die ein Interessent zeichnen kann, nach oben begrenzt. Um zu verhindern, dass die Aktien nach kurzer Zeit wieder von wenigen Investoren gehalten werden, wurde ein Höchststimmrecht eingeführt.

Hoher Anteil an Privatanlegern und Börsenneulingen: Mit der Emission von Volksaktien wird angestrebt, vor allem Privatanleger und Börsenneulinge als Käufer zu gewinnen. Um das Papier auch solchen Anlegern schmackhaft zu machen, die bislang nicht für die Aktie als Form der Geldanlage zu gewinnen waren, wurden Volksaktien bevorzugt an Haushalte mit geringem Einkommen ausgegeben, bei VW wurden zusätzlich noch Sozialrabatte gewährt.

Günstiger Ausgabekurs: Die Volksaktien wurden zu einem Kurs ausgegeben, der weit unter dem geschätzten Marktpreis lag. Hierdurch sollten Bevölkerungskreise erreicht werden, die sich bislang für das Aktiensparen nicht interessiert hatten. Alle Emissionen von Volksaktien waren mehrfach überzeichnet und die neuen Aktien wurden zum Teil schon vor Zuteilung "per Erscheinen" zu deutlich höheren als den Ausgabekursen gehandelt. Alle Aktien verzeichneten unmittelbar nach der Emission enorme Kursgewinne, die aber nicht immer dauerhaft waren.

Stetige Wertsteigerung: Mit dem Begriff Volksaktie ist die Vorstellung verbunden, dass das Papier eine stetig steigende Wertentwicklung aufweisen und der Kurs nur geringen Schwankungen unterliegen soll. Die Volksaktie soll zur langfristigen Vermögensanlage und zur Risikovorsorge dienen, das heißt, sie soll gegen die negativen Folgen von Konsumrisiken eine Absicherung ermöglichen. Ein volatiler Kursverlauf dagegen würde die Aktie als Spekulationspapier interessant machen, sie wäre also für solche Anleger geeignet, die versuchen, aus den Kursschwankungen kurzfristig Gewinne zu erzielen. Mit dem Spekulationsmotiv verbunden wäre natürlich das Eingehen großer Risiken, das Ziel einer Risikoabsicherung würde somit genau in das Gegenteil verkehrt. Das Ziel einer stabilen Wertentwicklung wird wohl der Grund gewesen sein, warum die österreichischen Volksaktien mit einer Dividendengarantie versehen waren. Bei den deutschen Volksaktien hat man auf eine ähnliche Konstruktion verzichtet, möglicherweise deshalb, weil man die Wirtschaftsentwicklung und die Wachstumsaussichten für so stabil hielt, dass diese Rahmendaten eine stetige Wertentwicklung zu garantieren schienen.

Stabile Wertentwicklung nicht garantierbar

Nimmt man die Kursentwicklung der VW-Aktie in den letzten 40 Jahren als Beispiel, so wird deutlich, dass eine Volksaktie das Versprechen einer stabilen Wertentwicklung nicht einlösen kann. Auf Jahre mit hohen positiven Renditen folgten nicht selten Jahre mit stark negativen Renditen. So betrug zum Beispiel die Rendite (Kurs- und Dividendenrendite) im Zeitraum 1985 bis 1986 plus 82 Prozent, in der darauf folgenden Periode 1986/1987 lag sie bei minus 30 Prozent.12)

Trotz dieser eindeutigen Erfahrungen wird auch heute noch von einer Volksaktie ein stabiler Kursverlauf erwartet: Dies zeigen die Schlagzeilen, die den Kursverfall der deutschen Telekom-Aktie beziehungsweise den geplanten Börsengang der österreichischen Telekom kommentieren: "Von der Volksaktie zum Risikopapier"; "Auf Nummer sicher mit der Volksaktie", "Analysten sehen zu großes Risiko für echte Volksaktie", "Volksaktie für Zocker; Hat ein solches Unternehmen das Zeug zur Volksaktie?", "Die Volksaktie ist zu einem Zockerpapier verkommen". Dies sind nur einige Beispiele, die man bei einem kursorischen Streifzug durch das Internet findet, die aber dennoch belegen, dass eine stabile Kursentwicklung als ein wichtiges Kriterium angesehen wird, das eine Aktie erfüllen muss, wenn sie sich als Volksaktie qualifizieren möchte. Auch im derzeit laufenden Prozess gegen die Telekom wird vorgebracht, den Aktionären sei durch die Verwendung des Begriffs Volksaktie der wahre Risikogehalt der Geldanlage verschleiert worden.

Hierin liegt das große Problem, das dem Konzept der Volksaktie anhaftet. Eine Aktie verkörpert eine Anwartschaft auf den Unternehmensgewinn, der keine sichere oder vom Staat in irgendeiner Weise garantierbare Größe ist, sondern Schwankungen unterliegt. In Zeiten einer kontinuierlichen Wirtschaftsentwicklung fällt dies nicht so auf, wohl aber, wenn rezessive Tendenzen wirksam werden und wenn der Emittent ein Unternehmen wie die Telekom ist, das sich auf äußerst dynamisch entwickelnden Märkten unter erheblichem Wettbewerbsdruck behaupten muss. Alleine der Begriff Volksaktie kann an diesen Tatsachen nichts ändern.

Warum ist an eine Volksaktie die - eigentlich widersinnige - Erwartung eines stetigen Kursverlaufs geknüpft? Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass die Volksaktie der Vermögensbildung breiter Bevölkerungsschichten dienen soll. Gelder, die zu diesem Zweck angelegt werden, sollen sicher sein. Diese politisch motivierte Forderung durchzieht alle Bereiche von Finanzinstitutionen, seien es Banken - man denke hier an die inzwischen aufgehobenen Vorschriften über den Sparverkehr, an den § 10 KWG sowie an die Einlagensicherung - oder aber seien es Versicherungen, insbesondere Lebensversicherungen.

Motive für die Emission von Volksaktien Da die Aktie als Beteiligungstitel Kursschwankungen ausgesetzt ist, stellen sich zwei Fragen:

Ist die Aktie als Instrument der privaten Risikovorsorge grundsätzlich ungeeignet?, und warum ist man Ende der fünfziger Jahre auf die Idee gekommen, ausgerechnet die Aktie als Instrument der Vermögensbildung breiter Bevölkerungsschichten auszuwählen?

Der Chronologie entsprechend soll zunächst die zweite Fragestellung erörtert werden. Man kann sicher davon ausgehen, dass Ludwig Erhard, der zwar nicht der Erfinder, aber doch einer der Promotoren der Volksaktie war, sehr genau wusste, welche Merkmale eine Aktie kennzeichnen. Die Motive, die Ludwig Erhard dazu bewogen, den Gedanken der Volksaktie aufzugreifen und gegen Widerstände - auch aus den eigenen Reihen - durchzusetzen, gehen aus einer Rede hervor, die er auf dem zehnten Bundesparteitag der CDU im April 1961 in Köln gehalten hat:

"Wenn der Parteitag vor den Bundestagswahlen 1957 unter dem Zeichen 'Wohlstand für alle' stand und darüber das Ziel 'Eigentum für jeden' aufleuchtete, so bedeutete das selbstverständlich kein Vier-Jahres-Programm kommunistischer Prägung, sondern ein Bekenntnis des guten Willens, den Weg der Befreiung des Individuums auch über die immer breitere Streuung frei verfügbaren Eigentums zu beschreiten. [...] Der Begriff der Volksaktie stammt wohlverstanden nicht von der Opposition, sondern entspringt unserem politischen Wollen, der allenthalben unentbehrlichen Konzentration des Produktivkapitals eine Dekonzentration des Eigentums entgegenzusetzen und für die Zukunft auch im Bereich privater Aktiengesellschaften bei der Zuteilung von Bezugsrechten und bei Neu-Emissionen dahin zu streben, einem breiten Publikum in kleinen Stückelungen Beteiligungsmöglichkeiten zu eröffnen. Wir sind willens, alle Arten und Formen der privaten Spartätigkeit zu fördern, aber wir lehnen die sozialistische Methode der Vermögensenteignung zum Zwecke machthungriger Einflussnahme auf die private Wirtschaft durch Massenkollektive, die am Ende zu deren Beherrschung führen müsste, mit Entschiedenheit ab."13)

Spezielle Situation Deutschlands

Diese Rede ist sicherlich vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage und insbesondere auch der speziellen Situation Deutschlands zu sehen. Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre war der kalte Krieg noch in vollem Gange, die Berliner Blockade war noch nicht vergessen und der Bau der Berliner Mauer stand unmittelbar bevor, kurzum von der Entspannungspolitik der siebziger Jahre war noch nichts zu spüren. Als die ersten Volksaktien emittiert wurden, standen Marktwirtschaft und Kommunismus noch in einem heftigen Wettbewerb miteinander und es war noch keineswegs für jedermann klar abzusehen, wer das Rennen gewinnen wird. Die Erfolge, die die Sowjetunion im Weltraum verbuchen konnte, lieferten den Beweis, dass kommunistische Staaten durchaus in der Lage waren, technologische Höchstleistungen zu vollbringen. Als Ludwig Erhard die oben erwähnte Rede hielt, lag der erste bemannte Weltraumflug durch den sowjetischen Kosmonauten Jury Gagarin gerade einmal 14 Tage zurück.

Hinzu kam die Opposition im eigenen Land, von der Ludwig Erhard in der Rede, aus der hier zitiert wurde, argwöhnte, dass sie "die Eierschalen ihrer marxistischen Vergangenheit nie völlig abstreifen" werde. Zu dieser Zeit bestand zumindest aus Sicht der CDU die Notwendigkeit, dem kommunistischen Modell des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, das auch in West-Deutschland seine Anhänger hatte, eine andere Idee gegenüberzustellen, eine Idee, die auch als Volkskapitalismus bezeichnet wurde. Ähnlich wie der Kommunismus strebt auch der Volkskapitalismus nach einer Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am Eigentum von Produktionsmitteln, im Gegensatz zum Kommunismus aber nicht durch eine Verstaatlichung der Produktionsmittel, sondern durch breit gestreute Besitzanteile an marktwirtschaftlich organisierten Unternehmen.

Als 1996 die Volksaktie mit dem Börsengang der Telekom wiederbelebt wurde, war der Antagonismus zwischen Kommunismus und Kapitalismus längst Geschichte, und es bestand keine Notwendigkeit mehr, die Emission von Volksaktien in einen gesellschaftspolitischen Kontext einzubetten. Bei der Telekom ging es ausschließlich um die Umsetzung ordnungspolitischer Ziele, das Ziel einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung spielte keine Rolle mehr. Entsprechend gab es auch keine Bevorzugung einkommensschwacher Bevölkerungskreise bei der Zuteilung, geschweige denn Sozialrabatte. Die auf Initiative der EU in Deutschland umgesetzte Liberalisierung des Telekommunikationssektors, deren Kernstück die Aufhebung des Monopols für Telekommunikationsdienstleistungen war, verlangte Unternehmensformen, die in Konkurrenz mit künftigen Mitanbietern Wettbewerbsfähigkeit gewährleisteten.

Der Glaube daran, dass eine staatliche Behörde diesen Herausforderungen gewachsen sein werde, war Mitte der neunziger Jahre längst verflogen, die einzige Lösung bestand darin, ein Unternehmen zu schaffen, das nach marktwirtschaftlichen Richtlinien geführt wird. Der Erlös aus der Börsenemission sollte dazu dienen, den enormen Schuldenberg von 107 Milliarden DM deutlich zurückzuführen. Als Zielgröße für den künftigen Schuldenstand gab der Verkaufs- und Börsenzulassungsprospekt einen Betrag von 65 Milliarden DM oder weniger bis zum Ende des Jahres 2000 an.14) Einen ähnlichen Hintergrund wie bei der Telekom hatte auch der Börsengang der Deutschen Post. Das Motiv für die Ausgliederung von Infineon aus Siemens und T-Online aus der Telekom bei gleichzeitiger Börseneinführung der Unternehmen war ebenfalls durch marktwirtschaftliche Überlegungen geprägt. Durch die Börsennotiz von nun eigenständigen Unternehmen, die zuvor Teil eines Konzerns waren, sollten diese in stärkerem Maße der Kontrolle durch die Kapitalmärkte unterworfen werden.

War die Emission von Volksaktien erfolgreich?

Konnten die Ziele, die mit der Emission von Volksaktien verfolgt wurden, erreicht werden? Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, welches Kriterium man als Erfolgsmaßstab zugrunde legt. Die Börsengänge waren sicherlich insoweit erfolgreich, als die Emissionen mehrfach überzeichnet waren, sodass der Platzierungserfolg nie gefährdet war. Die drei Unternehmen Preussag, VW und Veba haben sich als wettbewerbsfähig erwiesen, wenn zwischenzeitlich durchaus auch krisenhafte Entwicklungen überstanden werden mussten. Alle drei Aktien sind im Dax-30 vertreten, dies zeigt die ungebrochene Bedeutung dieser Werte für den deutschen Aktienmarkt. Preussag und Veba haben den Strukturwandel im Bergbau und in der Stahlindustrie erfolgreich bewältigt und sich rechtzeitig auf neue Wachstumsmärkte eingestellt. Die durchschnittliche jährliche Rendite der VW-Aktie betrug über die 41 Jahre ihrer Börsennotiz hinweg 5,5 Prozent. Dies liegt unter der Durchschnittsrendite des Dax im vergleichbaren Zeitraum.

Was die Idee des Volkskapitalismus anbelangt, so wurden die hochgesteckten Ziele und die gesellschaftlichen Ideale, die Ludwig Erhard anlässlich der Preussag-Privatisierung formulierte, nicht erfüllt: "Wir stehen somit an einem neuen Anfang, der zugleich das Ende eines jahrzehntelangen Klassenkampfes bedeutet, der Kapital und Arbeit feindlich zu zerspalten besorgt war. Wenn mit steigendem Wohlstand des deutschen Volkes die Pflege, Verbesserung und Ausweitung des Produktionskapitals nicht mehr der alleinigen Sorge bestimmter Volksschichten, sondern der Verantwortung aller Staatsbürger obliegt und damit jeder einzelne den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Leistungskraft der Volkswirtschaft einerseits und seiner materiellen Lebensführung wie auch seiner sozialen Sicherheit andererseits erkennt, wird sich das Welt- und Gesellschaftsbild des deutschen Volkes grundsätzlich wandeln."15)

Kein Volk von Aktionären

Der angekündigte Wandel im Welt- und Gesellschaftsbild des deutschen Volkes fand nicht statt, jedenfalls nicht in der Weise, wie Ludwig Erhard sich das 1959 vorgestellt hat. Aus den Deutschen wurde auch kein Volk von Aktionären, die Idee des Volkskapitalismus hat sich nicht durchgesetzt. Viele Anteilseigner verkauften ihre Aktien noch vor Ausgabe derselben oder nach Ablauf der Sperrfrist und legten ihr Geld anderweitig an. Die Zahl der Aktionäre in Deutschland ging durch die Börsengänge der Preussag, von VW und Veba zwar kurzzeitig hoch, der Effekt verpuffte aber schnell wieder. Bis 1960 besaßen 835 000 Personen überhaupt Aktien, darunter alleine 216 119 Aktionäre der Preussag. Durch die Privatisierung des Volkswagenwerkes erhöhte sich die Zahl der Aktionäre kurzzeitig auf etwa zwei Millionen, sank dann aber wieder ab.

Die Wirkung der Volksaktien auf die Vermögensbildung ist ebenfalls nur kurzfristig geblieben: Die Ausgabe der Preussag-Volksaktien vermochte den Trend einer rückläufigen Bedeutung der Aktie als Instrument der Geldvermögensbildung in den fünfziger Jahren umzukehren. Im Jahre 1959 stieg der Anteil des Aktienvermögens am Geldvermögen der privaten Haushalte kräftig an (siehe Abbildung 1), und die Volkswagen-Emission verstärkte diesen Trend noch einmal erheblich, danach aber verlor die Aktie zunehmend an Boden, auch die Teilprivatisierung der Veba konnte daran nichts ändern, ebenso wenig wie die Wiederbelebung des Volksaktiengedankens durch die Telekom.

Weiterhin Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten

Von Loesch konstatiert, dass die Volksaktien letztlich in die Hände derer gelangten, die ohnehin einen Teil ihres Vermögens in Aktien anlegen, wohingegen die breiten Bevölkerungsschichten vom Aktienbesitz weiterhin ausgeschlossen blieben.16) Auch wenn die soziale Komponente sicherlich bei Weitem nicht die Bedeutung erlangte, die die optimistischen Erklärungen Erhards Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre prophezeiten, so sind zumindest Spuren der sozialpolitischen Wirkungen, die von den Volksaktienemissionen ausgingen, auch Ende der sechziger Jahre noch nachweisbar. Der Anteil der Arbeiterhaushalte, die Aktien hielten, stieg von 2,4 Prozent Anfang der sechziger Jahre, dem ersten Zeitpunkt, zu dem diese Daten erhoben wurden, auf immerhin sechs Prozent Ende der sechziger Jahre an (siehe Abbildung 2). Dies ist zumindest teilweise auf die Begebung von Volksaktien zurückzuführen, denn das Verhältnis Volksaktien zu "anderen" Aktien betrug 1969 bei den Arbeiterhaushalten zirka zwei zu eins, bei den Selbstständigen dagegen lag die Relation bei eins zu eins.17)

Von den Volksaktien der fünfziger und sechziger Jahre ging - anders als 30 Jahre später bei der Telekom - keine Initialzündung aus, die die Aktienkultur in Deutschland in irgendeiner Weise nachhaltig verändert hätte. Es kam zu keiner weiteren Emission von Volksaktien, auch das Volumen anderer Aktienemissionen stieg nicht an (siehe Abbildung 3). Dies liegt zum einen daran, dass die Aktienkurse Mitte der sechziger Jahre massiv unter Druck gerieten und die Geldanlage in Aktien wenig attraktiv erscheinen ließ, zum anderen gab es auch nicht genügend Unternehmen in Staatsbesitz, die für eine Privatisierung geeignet waren.

Auch wenn sich die Idee des Volkskapitalismus nicht hat durchsetzen können, so fand der Klassenkampf, auf den Ludwig Erhard in seiner Pressemitteilung verwies, dennoch nur in den Debattierzimmern von Intellektuellen und in den Hörsälen der Hochschulen statt, nicht aber in den Werkshallen der Unternehmen. Dass vom Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital nichts zu sehen war, lag vor allem an zwei Dingen: Hohe Lohnzuwächse in den sechziger und siebziger Jahren sowie ein massiver Ausbau der Sozialleistungen sicherten den Arbeitnehmern zwar keine Beteiligung am Produktivvermögen selbst, wohl aber an den Erträgen, die damit erzielt wurden, und dies - anders als bei den Aktien - in stetig steigender Höhe und scheinbar ohne Risiko. Sofern unter Eigentum an den Produktionsmitteln die Verfügungsgewalt über die Unternehmensressourcen gemeint ist, gab die Mitbestimmung, die in den sechziger Jahren flächendeckend eingeführt wurde, den Arbeitnehmern ein Instrument an die Hand, mit dem sie ihre Interessen weit besser durchsetzen konnten als der Kleinaktionär einer Publikumsaktiengesellschaft.

Die Volksaktienemissionen der neunziger Jahre haben zwar das Interesse größerer Bevölkerungskreise an der Aktie geweckt und die positive Kursentwicklung Ende der Neunziger hat dazu geführt, dass die Zahl der Aktionäre im Jahre 2000 auf über sechs Millionen anstieg, seitdem ist die Zahl aber wieder kontinuierlich gesunken und liegt zurzeit bei vier Millionen. Diese Zahlen machen deutlich, dass die Volksaktie keinen nachhaltigen Einfluss auf die Verbreitung der Aktien in Deutschland hatte.

Mögliches Instrument zur Altersvorsorge?

Da die Volksaktien die in sie gesetzten Erwartungen als Instrument zur Vermögensbildung breiter Bevölkerungsschichten nicht erfüllen konnten, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Aktie als Instrument zur Vermögensbildung - und vor dem aktuellen Hintergrund der Rentenreform - insbesondere als Instrument der Altersvorsorge überhaupt geeignet ist? Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst zu fragen, welche Kriterien für die Auswahl eines Anlageportefeuilles zur Altersvorsorge wichtig sind.18) Als Zielgrößen sind die Langfristigkeit, die Sicherheit und die Rentabilität einer Anlage zu nennen, darüber hinaus besteht ein Bedürfnis nach Absicherung gegen fundamentale Lebensrisiken.

Es ist offensichtlich, dass nicht alle Ziele mit einem einzigen Wertpapier, etwa einer "Volksaktie" erreicht werden können, es sind noch nicht einmal alle Ziele überhaupt gleichzeitig erreichbar. So stehen in der Regel das Streben nach Sicherheit und Rentabilität in einem Zielkonflikt, eine Absicherung gegen fundamentale Lebensrisiken ist mit Finanztiteln im Allgemeinen überhaupt nicht erreichbar, sondern durch das Pooling vieler unabhängiger Einzelrisiken, wie es in der Versicherungsbranche geschieht. Ein je nach Präferenzen und persönlicher Lebenssituation optimales Anlageportefeuille zur Altersvorsorge ist nur durch eine Kombination verschiedener Anlage- und Versicherungskomponenten zu erreichen. Es ist daher zu erwarten, dass neue komplexe Produkte und Absicherungsinstrumente entstehen werden und mit ihnen Institutionen, die diese Produkte schaffen und managen.

Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass mit der Gewichtsverlagerung zugunsten einer kapitalgedeckten Rente die Geldanlage zunehmend institutionalisiert wurde.19) Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Struktur der Geldvermögensbildung.

Während private Haushalte in hohem Maße Bankeinlagen halten, bilden Aktien und Anleihen die Hauptkomponenten in den Anlageportefeuilles von Lebensversicherungen, Kapitalanlagegesellschaften und Pensionsfonds (siehe Abbildung 4).20) Da Pensionsverpflichtungen langfristig sind, investieren diese Institutionen vor allem in langfristige Anlagen, um Zinsänderungsrisiken zu minimieren. Diese Anlagepolitik kam bislang vor allem den Aktien zugute, deren Anteil über die Zeit hinweg zugenommen hat, während Darlehen und Anleihen an Bedeutung verloren haben (siehe Abbildung 5).

Rolle der kapitalgedeckten Altersvorsorge

Speziell in Deutschland finden wir zurzeit folgende Situation vor. Die kapitalgedeckte Altersvorsorge ist dabei - verglichen mit anderen Ländern - noch sehr unterentwickelt, sie hat aber durch die im Jahre 2001 verabschiedete Rentenreform, die eine Förderung der privaten Altersvorsorge durch Zulagen und Steuervergünstigungen einführte, erheblich an Bedeutung gewonnen. Um in den Genuss der Förderung zu gelangen, muss der Altersvorsorgevertrag eine Reihe von Anforderungen erfüllen, die die Merkmale Langfristigkeit, Sicherheit, Rentabilität und Absicherung gegen fundamentale Lebensrisiken berücksichtigen und sicherstellen sollen, dass die Anlage auch wirklich zur Sicherung eines ausreichenden Einkommens im Alter geeignet ist.

Durch die Einführung der kapitalgedeckten Altersvorsorge in Deutschland wird sich der Anteil der institutionellen Investoren an der Geldvermögensbildung in Deutschland erhöhen. Dies liegt ohnehin im Trend, der schon seit Jahren dahin geht, dass Aktien immer weniger unmittelbar von den Haushalten gekauft werden, sondern indirekt über den Erwerb von Fondsanteilen oder Investmentzertifikaten gehalten werden. Wenn man davon ausgeht, dass sich im Kontext eines international verschärften Wettbewerbs die Zusammensetzung der Anlageportfolios institutioneller Investoren angleichen wird, dann kann man für Deutschland, wo institutionelle Investoren bislang im Vergleich zu anderen Ländern wenig in Aktien investiert haben, ein kräftiges Wachstum der Vermögensbildung durch Aktienerwerb prognostizieren. Denn nur so lassen sich langfristig die Renditen erzielen, die notwendig sein werden, um im Wettbewerb bestehen zu können. Dies ist wohlgemerkt eine langfristige Prognose, der aktuelle Trend kann hiervon abweichen.

Aussterben eines Mythos

Den Zusammenhang zwischen Volksaktie und Altersvorsorge fasst ein Zitat von Rüdiger von Rosen, zwar etwas provokativ, aber doch sehr prägnant zusammen: "Wenn deren Mythos (gemeint ist die Volksaktie) irgendwann ausstirbt, ist es auch ein Zeichen für eine gewachsene Aktienkultur. Diese brauchen wir dringend für das Thema Altersvorsorge und die Eigenkapitalausstattung unserer Unternehmen. Die Deutschen müssen zu einem Volk von Aktionären werden, nicht aber zu Volksaktienbesitzern."21)

Univ.-Prof. Dr. Thomas Hartmann-Wendels , Direktor, Seminar für ABWL und Bankbetriebslehre, Universität zu Köln, Köln, geschäftsführender Direktor, Institut für Bankwirtschaft und Bankrecht, Forschungsinstitut für Leasing
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