Wössner

Banken am digitalen Scheideweg

Udo Milkau, Banken am digitalen Scheideweg - Verharren in der Vergangenheit oder Mut zur Zukunft? Fritz Knapp Verlag, Frankfurt am Main, 2020, 168 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 978-3-8314-1239-6; auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-8314-0906-8, 15,99 Euro

Das allgegenwärtige Schlagwort unserer Zeit heißt "Digitalisierung" und dabei macht die Bank- und Finanzbranche keine Ausnahme. Was aber bedeutet "Bankdigitalisierung" und vor allem: Welche ihrer Facetten sind relevant und wo ist die Umsetzung dringlich?

Strategische Zwickmühle der Finanzbranche

Wer sich kundig machen möchte, für den ist der Mangel an Informationen das geringste Problem. Für praktisch jedes Stichwort von A wie "Algorithmus" bis Z wie "Zahlungsdienstleister" gibt es Daten, Fakten und Meinungen geradezu im Überfluss. Digitale Zukunftsvisionen werden beschworen und dringlicher Handlungsbedarf auf den verschiedensten Feldern des digitalen Entscheidungsfelds suggeriert, wobei Wortführer und Meinungsbildner nicht immer frei von Partikularinteressen sind. Der auf diese Weise verbreitete "Alarmismus" bestärkt jedoch nicht selten eher die Beharrungskräfte bei den Etablierten der Finanzbranche und leistet einer ohnehin verbreiteten Neigung zum Aussitzen Vorschub.

Dies ist die strategische Zwickmühle, in der der Verfasser die Finanzbranche verortet. Er sieht die "Banken am digitalen Scheideweg" und folgerichtig vor die Wahl gestellt, entweder den digitalen Aufbruch zu wagen oder im "Weiter so" zu verharren. Bevor die entscheidende Weichenstellung erfolgt, ist für ihn auch der rechte Zeitpunkt innezuhalten, um sich über die grundlegenden digitalen Erfolgsfaktoren Klarheit zu verschaffen.

Umgang mit Risiken als Kernkompetenz

Dabei beweist der Verfasser ein instinktsicheres Gespür für die Auswahl der wesentlichen Aspekte, die für die Bankdigitalisierung von Bedeutung sind. Sein analytischer Ausgangspunkt ist die Kennzeichnung der Bank als eine Institution der ökonomischen Risikoexpertise. Die Identifikation der Risiken des Bankgeschäfts und der richtige Umgang mit ihnen stellt für ihn die Kernkompetenz der Banken dar, in der zugleich ihre Daseinsberechtigung wurzelt. Wer mit Risiken umgeht, muss sich notwendig mit den statistischen und wahrscheinlichkeitstheoretischen Methoden und Werkzeugen auseinandersetzen, die dafür benötigt werden, und so ist diesem Bereich ein eigener Abschnitt gewidmet. Machine Learning und Artificial Intelligence sind ihrerseits Weiterentwicklungen, deren Durchbrüche erst durch die Verknüpfung von statistischen Methoden mit den Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie möglich wurden. Hier sieht der Verfasser die Banken als auffallend zögerlich, ganz im Gegensatz zu den aufstrebenden digitalen Plattformen.

Neben der Risikomanagementexpertise, den quantitativen Werkzeugen und den technologischen Komponenten zur praktischen Risikobeherrschung nimmt die Publikation als vierte Digitalisierungsdeterminante auch die Theorie der mehrseitigen Märkte und die Mechanik der Plattformökonomie in den Blick. Damit sind dann alle Ingredienzen beisammen, um daraus eine Positionsbeschreibung für die digitalen Herausforderungen, die bevorstehenden Ziele und die Aufgaben bei der Entwicklung einer Bankdigitalisierungsstrategie zu beschreiben.

Wie die Einflüsse zusammenwirken, beschreibt der Verfasser gewissermaßen schon gleich vorweg anhand des prototypischen digitalen Anwendungsfelds "Zahlungsverkehr". Wie unter einem Brennglas zeigen sich hier alle angesprochenen digitalen Einflussgrößen: das Kartengeschäft ist eines der ersten erforschten Anwendungsfelder der Theorie der mehrseitigen Märkte und technologisch scheint hier das Potenzial der Blockchain auf, deren Möglichkeiten und Grenzen wohltuend unaufgeregt und differenziert gewürdigt werden.

Den Menschen in den Mittelpunkt gerückt

Am Ende seiner Betrachtungen lässt der Verfasser dann wieder den Menschen als Entscheider und Verantwortungsträger in den Mittelpunkt rücken. Diesem wird dabei die Entscheidung darüber, welche Richtung am digitalen Scheideweg eingeschlagen werden soll, zwar nicht abgenommen, aber die Erkenntnisse der Publikation verschaffen den Protagonisten ein wesentlich schärfer ausgeleuchtetes Entscheidungsfeld, um den Schritt nach vorne erfolgversprechend zu tun.

Dem mit 150 Seiten knapp gehaltenen und doch so substanzstarken Werk ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Mit seiner langen Erfahrung und herausragenden Expertise im theoretischen und praktischen Schnittstellenbereich von Banking und Informationstechnologie ist der Verfasser prädestiniert dafür, einen ganzheitlichen Blick auf Bankdigitalisierung zu werfen. Sein Beitrag bietet Orientierung über den Tag hinaus und besitzt damit ganz zweifellos Longseller-Qualitäten.

Prof. Wolf Wössner, Leiter Studiengang BWL-Bank, Duale Hochschule Baden-Württemberg Mosbach

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