Genossenschaftsidee

Georg Scheumann, Die Abkehr von der Genossenschaftsidee - Werden die Mitglieder der Volks- und Raiffeisenbanken verraten und verkauft? 238 Seiten, union design group eG, 1. Auflage 2017.

ISBN 978-3-947-355112; 19,80 Euro

Auf dem genossenschaftlichen Buchmarkt tut sich Ungewöhnliches: Der neue Verband "igenos e.V. - Genossenschaft sind wir" (Interessengemeinschaft der Genossenschaftsmitglieder), hat in den letzten Jahren als erklärter Gegenentwurf zu den etablierten Genossenschaftsverbänden für Aufsehen gesorgt, nicht zuletzt durch scharfsinnige Streitschriften. Eine der Neuerscheinungen greift der Rezensent heraus, für Leser, die sich auch einmal für erfrischend "andere" Analysen und Thesen interessieren. Der Umfang der Besprechung ist dem Mut zur Auseinandersetzung mit brisanten Fragen des genossenschaftlichen Bankwesens geschuldet.

Bereits mit seinem Buchtitel provoziert Scheumann ganz bewusst und widmet sich der Genossenschaftsidee, deren Bewahrung er bei den etablierten Verbänden vermisst. Er vertritt die These, dass statt dem obersten gesetzlichen Gebot der Mitgliederförderung seit Langem eine Sinnentleerung des Begriffs, schleichen der Verlust der Mitbestimmung und eine verkappte Enteignung der Genossenschaftsmitglieder stattfinde. Der Verfasser sieht mit kritischem Blick die Problemfelder: Regionalförderung statt Mitgliederförderung, Kapitaldividende, genossenschaftliche Rückvergütung und Beteiligungsfonds gemäß § 73 Abs. 3 GenG. Bei dem "Fonds für allgemeine Bankrisiken" stellt der Autor die Frage, inwieweit der Gewinn der Bank durch überhöhte Zuweisungen rechnerisch gemindert und damit die Förderleistung reduziert wird.

Bei der Thematik "Fusionen" bringt Scheumann die Fragen der Selbstauflösung genossenschaftlicher Banken mit Wert- und Förderverlust der Anteilseigner aufs Tapet. Brisanz ergibt sich für Organmitglieder, die aufgrund unterschiedlichster Motive, etwa Druckfusion oder Gehaltssprung, die Selbstauflösung vollziehen. Stichworte: Haftung, § 266 StGB "Untreue". Der Abschnitt kristallisiert die eigentlichen Pflichten der Beteiligten (Prüfungsverband, Vorstand) bei Erstattung des Fusionsgutachtens und Verschmelzungsberichts heraus.

Hart ins Gericht geht die Schrift mit der Sicherungseinrichtung des BVR: Das derzeitige System sei eine gegenseitige Absicherung der Genossenschaftsbanken und baue Kapital zugunsten der genossenschaftlichen Bankengruppe auf, das der Förderung und Solidarität aller Genossenschaftsmitglieder nicht mehr zur Verfügung stünde. Letztlich hafteten die Mitglieder aufgrund der Unterzeichnung der "Beitritts- und Verpflichtungserklärung zur "BVR-Institutssicherungs-GmbH" indirekt für die Geschäfte anderer Genossenschaften. Deshalb, so Scheumann, sei für diese weitreichende unabdingbare Erklärung die Generalversammlung zustimmungsbedürftig. In diesem Zusammenhang stehen die Überlegungen zu den Sorgfalts- und Treuepflichten der Genossenschaftsorgane, denen bei der Beachtung des § 1 GenG "Mitgliederförderung", keinerlei Spielraum zur Verfügung stehe. Dabei wird auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 9.12.2009 - I 6 W 45/09) hingewiesen. Scheumann sieht die Notwendigkeit eines expliziten Förderberichts als Rechenschaftsbericht des Vorstands zur Ergänzung des Lageberichts nach HGB.

Eine kritische Selbstbetrachtung

Bestandsaufnahme und Kritik des genossenschaftlichen Prüfungswesen, einem "Relikt aus dunkelster Zeit", bilden einen weiteren Hauptabschnitt. Der Verfasser kritisiert die Verletzung der Garantenpflicht von Genossenschaftsverbänden, denen eine besondere Sorgfalt bei der Prüfung der Erfüllung der Förderpflicht und in den zusammenfassenden Schlussbemerkungen des Prüfungsberichts zukomme (so bereits: Glenk, Von Macht und Ohnmacht im Genossenschaftswesen - Zwangsmitgliedschaft in Dienstleistungsbetrieben? NJW 1997, 110; Genossenschaftsrecht - Systematische Darstellung und Praxis des Genossenschaftswesens, 2. Auflage 2013, Verlag C.H. Beck).

Insgesamt hat Scheumann einen Band verfasst, der den Finger in die zahlreichen Wunden des genossenschaftlichen Bankwesens legt. Er zeigt sich als erfahrener Praktiker, der scharfzüngig und auf den Punkt gebracht formuliert. Seine Thesen unterlegt er mit Zitaten aus Materialien, Rechtsprechung und Literatur. Wer die Auseinandersetzung mit der Frage: Genossenschaftswesen - wohin? ebenso wenig scheut wie die kritische Selbstbetrachtung, dem kann man die streitlustige Schrift nur ans Herz legen.

Hartmut Glenk, Direktor, Institut für Genossenschaftswesen und Bankwirtschaft (IGB), Siegen/Berlin

Hartmut Glenk , Direktor, Institut für Genossenschaftswesen und Bankwirtschaft (IGB), Siegen/Berlin
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