Wahlfreiheit des Bürgers beim Bezahlen?

Philipp Otto im Gespräch mit Yves Mersch, Carl-Ludwig Thiele, Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio und Dr. Fritz Zurbrügg (v.l.n.r.) Foto: Deutsche Bundesbank/Nils Thies

Bargeld ist umstritten: Während es für die einen ein störender Anachronismus ist, der verhindert, möglichst vollständige Informationen über alles und jeden zu erhalten, ist es für die anderen das letzte Stückchen Anonymität. Bargeld ist aber auch unersetzbar: Gut 50 Prozent der Bezahlvorgänge erfolgen in bar. Bei einer derartigen Dominanz muss natürlich gefragt werden, was zur Sicherung einer effektiven Bargeld-Infrastruktur notwendig ist, wo die persönliche Freiheit beim Bezahlen beginnt und endet und welche Aufgaben hoheitlich und damit von einer Notenbank zu erfüllen sind. (Red.)

Philipp Otto: Herr Mersch, sind Sie ein typischer Bargeldnutzer, wie er in der heute vorgestellten Studie beschrieben wird: Beträge bis 50 Euro in bar, darüber mit Karte?

Yves Mersch: Ich bin da vielleicht ein bisschen altmodisch, denn ich zahle auch Beträge über 50 Euro häufig in bar und nicht mit Karte. Das Bargeld hat eine ganze Reihe von Vorteilen. Einer davon ist die bessere Kontrolle über die eigenen Ausgaben. Das ist für viele Menschen sehr wichtig.

Philipp Otto: Herr Thiele, wie sieht es bei Ihnen aus?

Carl-Ludwig Thiele: Natürlich benutze ich auch ab und an die Karte. Aber ähnlich wie Yves Mersch zahle ich ebenfalls viel in bar, darunter auch Beträge über 50 Euro. Ein anderes und sicher auch auf mich zutreffendes Ergebnis der Zahlungsverhaltensstudie der Deutschen Bundesbank ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger ein Minimum an Bargeld im Portemonnaie halten wollen. Sonst besteht wahrscheinlich die Sorge, Einkäufe nicht bezahlen zu können, wenn das Bezahlen mit Karte nicht möglich ist.

Philipp Otto: Aber die Möglichkeit des Bezahlens mit Karte gibt es doch weitestgehend.

Carl-Ludwig Thiele: Das stimmt so nicht ganz. Beispielsweise an Zeitungskiosken oder in Bäckereien haben Sie diese Zahlungsmöglichkeiten häufig nicht. In meiner Heimatstadt Osnabrück können Sie in den Bäckereien in der Regel überhaupt nicht mit Karte zahlen.

Philipp Otto: Herr Di Fabio, wie ist es bei Ihnen?

Udo Di Fabio: Ich entspreche ganz dem Durchschnitt und führe ebenfalls immer einen gewissen Bestand an Bargeld mit. Denn ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, was passiert, wenn Kartenzahlung plötzlich nicht mehr funktioniert. So beim Jahreswechsel 2009/2010 in Prag, wo Kreditkartenzahlungen und EC-Karten versagten. Ich hatte damals umgerechnet in tschechischen Kronen rund 150 Euro in bar dabei, hatte meine Familie zum Abendessen eingeladen und musste vom Kellner das Trinkgeld wieder zurückfordern, um die Rechnung überhaupt bezahlen zu können. Der Rückweg zum Hotel musste zu Fuß erfolgen und ich überlegte die ganze Zeit, ob ich am nächsten Tag zur Deutschen Botschaft müsste, um meine Hotelrechnung begleichen zu können. Seitdem fühle ich mich wohler, wenn ich im Urlaub mit einem gewissen Bargeldvorrat unterwegs bin.

Weil Herr Zurbrügg heute hier ist: Die Scheine in der Schweiz finde ich besonders ästhetisch ansprechend und irgendwie werthaltig. Hinzu kommt, dass die Schweizer mit Negativzinsen arbeiten und die Inflation entsprechend nicht so stark ausfallen dürfte. Da erfüllt das Bargeld bei allen sonstigen Nachteilen dann auch die Wertaufbewahrungsfunktion besser.

Philipp Otto: Herr Zurbrügg, Sie haben vorhin schon gesagt, Bargeld fühlt sich gut an, führen Sie entsprechend viel mit?

Fritz Zurbrügg: Ich freue mich natürlich sehr, dass die Qualität, die Hochwertigkeit und die Wertkonsistenz der Schweizer Banknoten auch so wahrgenommen werden. Vielen Dank. Aber zurück zur Ursprungsfrage typisch oder nicht. Ich bin eher technikaffin und bekomme daher schon das ein oder andere Mal geraten, mehr Bargeld mitzunehmen. Bei uns in der Schweiz haben die Bürger im Durchschnitt etwa 150 Franken im Portemonnaie, da liege ich deutlich drunter.

Philipp Otto: Herr Thiele, wenn ich das Podium und die Antworten als beispielhaft nehme, hat Bargeld doch immer noch eine hohe Bedeutung für die Menschen. Trotzdem wird über die Abschaffung diskutiert: Wo kommt diese Diskussion her, ist es eine rein politische Diskussion oder eine geldpolitische?

Carl-Ludwig Thiele: Der Ursprung dieser Diskussion stammt vom US-amerikanischen Ökonomen Kenneth Rogoff und hat in erster Linie einen geldpolitischen Hintergrund. Rogoff und manche seiner Kollegen befürchten, gesamtwirtschaftliche Phasen mit sehr niedrigen Zinsen und sehr niedriger Inflation, die in der Vergangenheit eher selten waren, könnten, so die Wissenschaftler, in Zukunft häufiger auftreten. Die Professoren argumentieren vor dem Hintergrund dieser Befürchtung, dass Bargeld als zinsloses Wertaufbewahrungsmittel den geldpolitischen Handlungsspielraum zur Belebung wirtschaftlicher Aktivität zu sehr einschränke, vor allem in Bezug auf die Durchsetzung negativer Zinsen. Ich glaube aber, die angeregte Abschaffung des Bargelds kann keinen Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Krise leisten.

Rogoff selbst ist aus meiner Sicht ebenfalls schon zurückgerudert. Denn in einem Interview sprach er kürzlich von den Schwierigkeiten der Bargeldabschaffung, wie den langen Vorlaufzeiten oder der eingeschränkten Wirkung einer solchen Maßnahme, wenn nicht alle Länder gleichermaßen mitmachten. Solange das Thema von den Medien aber immer wieder hochgespielt wird, bleibt es uns vorerst noch erhalten.

Philipp Otto: Aber die Reaktionen auf solche Berichte zeigen doch, dass die Menschen voller Sorge sind.

Carl-Ludwig Thiele: Ja, natürlich. Die Diskussion hat zu einer breiten und unnötigen Verunsicherung geführt. Mir ist kein einziger Abgeordneter der mittlerweile sechs im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien bekannt, der tatsächlich die Abschaffung des Bargeldes fordert. Aus meiner Sicht ist diese Forderung eher eine virtuelle Diskussion unter einzelnen Volkswirten. Negativzinsen sollten auf keinen Fall ein Dauerzustand werden. Interessant ist, dass es weder in den USA noch in Japan negative Zinsen gibt, allein die Eurozone als zweitgrößter Wirtschaftsraum der Welt experimentiert mit diesem fragwürdigen geldpolitischen Instrument. Ich wünsche mir, dass dieses Experiment der EZB demnächst ein Ende findet.

Philipp Otto: Herr Zurbrügg, die Schweiz als kleine Volkswirtschaft setzt ebenfalls negative Zinsen ein. Aber wie stehen Sie zur Diskussion um die Bargeldabschaffung. Macht das Sinn?

Fritz Zurbrügg: Ich bin hier ganz pragmatisch. Notenbanken haben den gesetzlichen Auftrag zur Bargeldversorgung, und den erfüllen wir. Die Diskussionen, was zukünftig möglich ist oder nicht, lasse ich mal offen. Ich bin aber der Meinung, dass wir als Notenbanken genug geldpolitische Instrumente haben. Die Notwendigkeit der Abschaffung von Bargeld, um möglichst tief in den Negativbereich gehen zu können, ist für mich kein Argument.

Philipp Otto: Herr Mersch, die Durchsetzung von Negativzinsen ist nur ein Argument, weitere Kritikpunkte am Bargeld sind beispielsweise die hohen Kosten, die es verursacht, oder die Intransparenz, die Steuerhinterziehung oder Terrorismusfinanzierung begünstigen soll. Stimmt das so?

Yves Mersch: Ich habe Zweifel, dass es gelingt, Steuerhinterziehung oder Terrorismus zu bekämpfen, indem das Bargeld abgeschafft würde. Die entsprechenden Akteure würden dann andere Mittel und Wege finden.

Zu den Kosten: Zahlungssysteme müssen in erster Linie effizient sein. Wir leben heute in einer Welt, in der wir per Mausklick etwas einkaufen und die Ware binnen weniger Stunden bei uns zu Hause ist. Für das Bezahlen brauchen wir in der Regel immer noch mehr als einen Tag, trotz der technischen Fortschritte. Zu den Kosten: Wir versuchen permanent, die Produktion von Bargeld günstig zu halten. Und auch wenn die Kosten für die reine Produktion in jüngerer Vergangenheit durch verbesserte Sicherheitsmerkmale leicht angestiegen sind, ist Bargeld nicht zu teuer. Immerhin hat sich etwa auch die Haltbarkeit der Banknoten deutlich verlängert. Zweitens versuchen wir auch, durch ein effizientes Bargeldumlaufverfahren Kosten für die Gesellschaft so niedrig wie möglich zu halten. Auch das gelingt meiner Meinung nach sehr gut.

Philipp Otto: Sie sagen, ein großer Vorteil des Bargelds ist die sofortige Verfügbarkeit und der sofortige Abschluss des Bezahlvorgangs für alle Parteien. Soll mit Instant Payments nicht genau das Gleiche im Bereich des bargeldlosen Bezahlens erreicht werden? Verliert das Bargeld nicht in einer Welt, in der Instant Payments überall und perfekt funktioniert genau diesen Vorteil?

Yves Mersch: Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu. Perfekte Instant Payments wären eine Gefahr für den Bedarf an Bargeld. Denn sie sind einfach, sie sind schnell, eine Ausführung dauert nur wenige Sekunden, und sie sind günstig, die Kosten einer Transaktion liegen bei etwa 0,2 Cent. Aber wir wissen nicht, inwieweit Instant Payment das "new normal" werden wird. Es ist schwer vorherzusagen, wie eine Gesellschaft auf einen technologischen Umbruch reagiert. Im Bereich der Videotechnik hat sich schließlich auch nicht die beste Technologie durchgesetzt, sondern die, die sich am besten verkaufen ließ. Der große Vorteil ist, dass die Verrechnung von Instant- Überweisungen über das Target Instant Payment Settlement (TIPS) in Zentralbankgeld abgewickelt wird. Das ist ein großer Unterschied zu all den virtuellen Währungen wie zum Beispiel Bitcoin. Zudem ist Bitcoin deutlich teurer, eine Transaktion kosten zwischen 25 und 30 Euro und dauert immer noch länger.

Philipp Otto: Herr Di Fabio, wie ist eine mögliche Bargeldabschaffung juristisch beziehungsweise verfassungsrechtlich zu beurteilen?

Udo Di Fabio: Eine vom Staat verfügte Abschaffung des Bargeldes würde ich zwar nicht für einen Eigentumseingriff halten, wenn die Werthaltigkeit nicht entzogen wird, wohl aber für einen Verstoß gegen die Pflicht des Staates, eine geeignete Infrastruktur zum Schutz von Persönlichkeitsrechten zu erhalten. Da bin ich mir mit Herrn Mersch und Herrn Thiele absolut einig. Der Staat darf den Bürger nicht in ein System zwingen, in dem er ununterbrochen Spuren hinterlässt.

Ich habe gerade eine Kommission zur Ethik des automatisierten und vernetzten Fahrens geleitet. Hier sind wir zu ganz ähnlichen Ergebnissen gelangt, die unserer grundrechtlichen Werteordnung entstammen. Die freiheitliche Rechtsordnung darf die Menschen nicht in vollständig ihrer Kontrolle entzogenen automatisierte und vernetzte Fahrzeuge zwingen, auch weil dann zu jedem Zeitpunkt sichtbar wird, wo sie gerade sind, was sie gerade tun und womöglich noch, in welchem Gesundheitszustand sie sich gerade befinden. Denn diese Fahrzeuge beobachten auch permanent, ob die Technik übernehmen muss, weil der Mensch nicht mehr fähig ist, selbst zu fahren. Es geht bei dieser Diskussion also gar nicht so sehr um die Abschaffung des Bargelds allein, sondern um viel mehr, nämlich den Umgang mit der digitalen Verwandlung der Welt und den Konsequenzen daraus.

Mich würde aber noch ein Punkt interessieren. Herr Mersch, Sie sagten gerade, wenn man das Bargeld dadurch verdrängen will, indem man Gebühren für den Bargeldeinsatz erhebt, dann ist das ein Verstoß gegen geltendes Recht, denn Bargeld ist gesetzliches Zahlungsmittel. Das sehe ich ganz genauso. Was ist aber, wenn der Verzicht auf Bargeld und der Einsatz bargeldloser Zahlungsmittel durch bestimmte Rabattsysteme begünstigt wird? Prämien für den Kreditkarteneinsatz gibt es bereits. Ich meine, der Staat hat gegenüber solchen gesellschaftlichen Tendenzen womöglich die Pflicht, alternative Bezahlwege offenzuhalten und dabei vielleicht auch die Aufgabe, übermäßige Prämierungen zu untersagen. Da stellt sich für mich die Frage: Liegt das im Kompetenzbereich der Europäischen Zentralbank?

Yves Mersch: Wir müssen aufpassen, dass wir weder einen Zwang zur Nutzung von Bargeld noch zur Nutzung unbarer Zahlungsmittel schaffen beziehungsweise zulassen. Notenbanken wie die EZB tragen über ihr Mandat die Sorge für eine Infrastruktur, die auf einem vom Staat beziehungsweise dem Gesetzgeber vorgegebenen Rechtsrahmen aufbaut. Wenn sich dieser Rechtsrahmen ändert, muss man dem Folge leisten. Beispiel: Digitales Zentralbankgeld als Antwort auf virtuelle Währungen wie Bitcoin. Wenn die Bürger dies fordern und der Gesetzgeber die Schaffung digitalen Zentralbankgelds als Aufgabe von Notenbanken ansieht, dann werden wir das zur Verfügung stellen. Ich glaube aber, dass sich dann die Frage stellt, ob diese Bereitstellung einer solchen neuen Infrastruktur noch im Rahmen des Mandats erfolgen kann oder ob es einer Änderung der Verträge bedarf, weil es zu sehr von der ursprünglichen Aufgabe abweicht.

Philipp Otto: Herr Thiele, Notenbanken müssen immer neutral sein, das habe ich verstanden. Aber reicht es aus, sich auf diese Neutralität zu berufen, wenn man doch den Fortschritt begleiten will, begleiten muss? Es gäbe heute keinen Euro, keine neuen Postleitzahlen in Deutschland, kein SEPA mit IBAN und BIC, wenn man sich immer nach dem Wunsch der Menschen gerichtet hätte. Ist die Neutralität beim Thema Bargeld noch zeitgemäß? Instant Payments wird ja auch durchgesetzt, ob die Menschen es nun wollen oder nicht.

Carl-Ludwig Thiele: Diese Neutralität ist absolut notwendig und auch richtig, denn wir als Deutsche Bundesbank arbeiten wie alle anderen Notenbanken auch auf Basis eines gesetzlichen Auftrages. Dieser mag für uns etwas anders formuliert sein wie beispielsweise in der Schweiz, umfasst aber im Kern immer den Sorgeauftrag für den baren und unbaren Zahlungsverkehr.

Strikte Neutralität ist aber nicht gleichzusetzen mit einer antifortschrittlichen Haltung. Wenn ich mir nur einmal die vergangenen acht Jahre anschaue, in denen ich hier im Vorstand der Deutschen Bundesbank die Bereiche Bargeld und Zahlungsverkehr verantwortete: Mit SEPA wurde ein einheitlicher Zahlungsverkehrsraum für bargeldloses, grenzüberschreitendes Bezahlen in ganz Europa geschaffen. Die Zeiträume einer Überweisung sind von bis zu fünf Tagen auf einen Tag deutlich gesunken. Instant Payment steht vor der Tür. Die Deutsche Bundesbank hat gemeinsam mit der Deutschen Börse einen funktionsfähigen Prototyp für die auf der Blockchain-Technologie basierenden Abwicklung von Wertpapiertransaktionen entwickelt.

All diese Themen haben eine enorme Geschwindigkeit aufgenommen. Es wurde ein gewaltiger Fortschritt im Zahlungsverkehr erreicht. Gleichzeitig nimmt die Nutzung von Bargeld weiterhin zu; ich hatte die Zahlen in meinem Vortrag erwähnt. So stelle ich mir die weitere Gestaltung der Zukunft auch vor. Die Entwicklungen genau beobachten, analysieren und begleiten, aber gleichzeitig die Neutralität der Bundesbank bewahren.

Dabei darf ein zentraler Punkt nicht vergessen werden: Die Zentralbanken stellen das Geld als Mittel zur Verfügung. Es ist nicht das Geld der Zentralbanken, sondern das Geld der Bürger. Mit diesem Gut muss man sorgsam umgehen und die Interessenlage der Menschen beachten. Denn das Vertrauen der Menschen in die Währung ist essenziell. Das heißt, vor jeder Veränderung muss man sich nicht nur die Frage stellen, was technisch möglich ist, sondern ob das Ganze vertrauensfördernd oder eher kontraproduktiv ist. Es war für mich in der Diskussion um die Einführung digitalen Zentralbankgeldes sehr interessant zu sehen, dass gerade die Notenbankgouverneure südlicher Länder des Eurosystems hier sehr vorsichtig waren und zur Zurückhaltung geraten haben. Diese haben teils selbst miterlebt, welche Folgen Zahlungsverkehrsbeschränkungen haben und welche Reaktionen und Sorgen das bei den Menschen hervorgerufen hat, die plötzlich nicht mehr auf ihre Bankguthaben zugreifen konnten.

Philipp Otto: Herr Di Fabio, noch eine Nachfrage an Sie: Ist das Abschaffen bestimmter Stückelungen wie beispielsweise 500-Euro-Scheine oder 1- und 2-Cent-Münzen nicht auch schon ein Eingriff des Staates. Wie ist das zu bewerten?

Udo Di Fabio: Da sollte man die Kirche im Dorf lassen. Der Gesetzgeber hat einen erheblichen Gestaltungsspielraum und kann festlegen, dass keine 1- und 2-Cent-Münzen mehr als Stückelung vorgesehen sind oder dass der 500-Euro-Schein abgeschafft wird. Darin würde ich keinen Verfassungsverstoß sehen. Aber auch diese Gestaltungsfreiheit hat natürlich ihre Grenzen. Angenommen, der 10-Euro-Schein wäre die größte Stückelung und der 5-Euro-Schein die kleinste, dann wäre der Gestaltungsspielraum überschritten. Denn dann kann Bargeld seine Funktion nicht mehr erfüllen. Geschäfte könnten nicht mehr rechnungsgenau abgerechnet werden. Aber es würde für mich keine verfassungsrechtlichen Fragen aufwerfen, wenn das - ohnehin ja nicht aus Kupfer bestehende - Kupfergeld verschwinden würde.

Yves Mersch: Das im Übrigen nicht geschützt ist. Das Kupfergeld gehört als Münzgeld den Staaten und ist nicht Teil des "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union", in dem nur Banknoten im Währungsgebiet als unbeschränktes gesetzliches Zahlungsmittel festgelegt sind.

Philipp Otto: Herr Di Fabio, Sie haben vorhin gesagt, niemand dürfe Menschen in Systeme zwingen, in denen sie permanent Spuren hinterlassen. Aber gerade im Bereich des unbaren Zahlungsverkehrs hinterlassen wir doch alle Spuren. Was geschieht mit all diesen Informationen und wer kontrolliert eigentlich diejenigen, die all diese Informationen besitzen und was sie damit machen? Sie haben das Buch "The Circle" von Dave Eggers in Ihrem Vortrag vorhin angesprochen.

Udo Di Fabio: Wenn es der Staat ist, der diese Daten sammelt, dann ist er dabei als Rechtsstaat sehr limitiert, denn er unterliegt Sorgfalts- und Geheimhaltungspflichten. Schwierig wird es im Bereich der privaten Datensammlung, -verwertung und -vernetzung, die meist in anderen Rechtsräumen stattfindet. Daten werden in einem Rechtsraum (zum Beispiel in Deutschland) gesammelt und in einem anderen (zum Beispiel den USA oder China) genutzt. Hier meine ich, dass der Gesetzgeber eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht hat.

Die Europäische Union versucht diese Schutzpflicht jetzt mit ihren Gesetzgebungsakten auch wahrzunehmen. Das halte ich für richtig und wichtig, auch wenn darauf geachtet werden sollte, dass nicht neue Bürokratien und Wettbewerbshindernisse geschaffen werden. Ich glaube aber nicht, dass das ausreicht. Wir müssen global agieren, darauf drängen, keine abschottende Ordnung zu errichten, sondern auf faire Wettbewerbsbedingungen achten. Da heißt Transparenz vor allen Dingen die Transparenz derjenigen Geschäftsmodelle sicherzustellen, die mit Daten handeln und die ihre wirtschaftliche Wertschöpfung mit Daten generieren. Denn nichts ist so intransparent wie diese Geschäftsmodelle.

Das Netz wird uns als großes Transparenzmedium versprochen, aber mit welchen Algorithmen eigentlich meine Daten analysiert, in welchem geschäftlichen Kontext sie genutzt werden und welchen Wert unsere Daten haben, das bleibt völlig verborgen. Licht in dieses Dunkel zu bringen, ist eine ernst zu nehmende Aufgabe. Das heißt, wir müssen die Transparenzanforderung gegenüber großen Oligopolen oder Monopolen erhöhen, während die Transparenz der Privatsphäre eher abgeschirmt werden muss, manchmal auch gegen den Willen der Nutzer. Das kann über Bildung und Aufklärung bis hin zu strikten Vorgaben gehen.

Fritz Zurbrügg: Bargeld hat immer auch eine emotionale und eine psychologische Komponente. Von daher würde ich so weit gehen zu sagen, Bargeld wird es auch übermorgen noch geben. Aber natürlich spielen auch kulturelle Aspekte eine Rolle. Manche Menschen sind bereit, sehr viele Informationen von sich preiszugeben und sich dessen auch bewusst sind.

Jeder von uns, der ein Smartphone benutzt, das mit Lautsprechern und Mikrofonen ausgestattet ist, weiß, dass damit Daten aufgezeichnet werden können, über den Standort, über die Mikrofone und wahrscheinlich noch vieles mehr. Aber für die Bequemlichkeit nehmen wir das in Kauf. Andere Menschen wollen dies nicht. Von daher kann ich Herrn Thiele und Herrn Di Fabio nur zustimmen, was die verschiedenen Bezahlverfahren und den Umgang mit Daten angeht. Wir müssen neutral und auch sehr vorsichtig sein, denn wir als Notenbanken stellen mit dem Bargeld fast ein öffentliches Gut dar.

Zur Sorge der Menschen noch ein Beispiel aus meiner Heimat, der Schweiz. Wir sind ziemlich hintendran, was die Nutzung von Kreditkarten angeht. Obwohl vieles online eingekauft wird, erfolgt die Zahlung häufig noch über Rechnung. Die Menschen wollen keine Kreditkarte benützen, weil sie dem Netz diese Daten nicht zur Verfügung stellen wollen. Sogar die Schweizerischen Bundesbahnen mussten in einer neu entwickelten, hoch innovativen App, mit der man Tickets und andere Dienstleistungen kaufen kann, eine Änderung programmieren und den Kauf auf Rechnung akzeptieren. Das zeigt, es gibt Möglichkeiten für die Benutzer, sich zu positionieren und die Dinge nicht als gegeben hinzunehmen.

Und selbst wenn, wie bereits diskutiert, über die Einführung von Instant Payment ein Charakteristika des Bargelds wegfällt, weil die Finalität nun auch mit unbaren Zahlungsmitteln zu erreichen ist, so bleiben vor allem noch zwei andere. Nämlich die vollständige Unabhängigkeit der Infrastruktur und die Funktion des "Backups", das immer funktioniert, selbst wenn technische Zahlungssysteme ausfallen. Beides gewinnt für mich angesichts der steigenden Bedrohung durch Cyberattacken an Bedeutung.

Philipp Otto: Lieber Herr Zurbrügg, das war eine schöne Zusammenfassung und vor allem noch einmal ein gutes Plädoyer für das Bargeld auf diesem "Vierten Bargeldsymposium 2018". Meine Herren, Ihnen allen vielen Dank für die angeregte Diskussion.

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