Ära der Transformation: Reise durch unbekanntes Terrain

Andrew Balls, Foto: PIMCO

Die Autoren rechnen damit, dass sich Anleger und politische Entscheidungsträger auf lange Sicht mit einem völlig neuen gesamtwirtschaftlichen Umfeld auseinandersetzen müssen, da das Zeitalter der "neuen Normalität" weiter "im Rückspiegel verblasse". Vor allem die Corona-Pandemie habe vier langfristige Störfaktoren deutlich intensiviert. Dazu zählen Balls, Fels und Ivascyn die Rivalität zwischen China und den USA, den Populismus, die Technologie und den Klimawandel. Für die künftige Veränderung der Weltwirtschaft und der Märkte würden vor allem drei Treiber sorgen: Der Übergang von "braun" auf "grün", die schnellere Einführung neuer Technologien und eine breitere Verteilung von Wachstumsgewinnen. Als Folge erwarten die Autoren ungewissere Wachstums- und Inflationsaussichten für die nächsten fünf Jahre und steigende Volatilitäten. Doch für aktive Anleger sehen sie auch durch die Veränderungen gute Chancen und Gelegenheiten auf Alpha-Gewinne. (Red.)

Anleger wie politische Entscheidungsträger werden sich auf lange Sicht mit einem ganz neuen gesamtwirtschaftlichen Umfeld auseinandersetzen müssen, da die "Neue Normalität" - das Jahrzehnt nach der Finanzkrise und vor der Pandemie, das sich durch ein unterdurchschnittliches, aber stabiles Wachstum, eine Inflation unter der Zielvorgabe, eine gedämpfte Volatilität und satte Anlageerträge auszeichnete - zusehends im Rückspiegel verblasst. Es steht ein ungewisseres und uneinheitlicheres Wachstums- und Inflationsumfeld bevor, das viele Fallstricke für politische Entscheidungsträger birgt. Inmitten von Umbrüchen, Unstimmigkeiten und auseinanderlaufenden Entwicklungen dürften die Kapitalmarktrenditen insgesamt niedriger und volatiler ausfallen. Aktive Anleger, die durch dieses schwierige Terrain navigieren können, sollten dennoch in der Lage sein, aussichtsreiche Alpha-Chancen aufzuspüren.

Die Ausgangssituation

Die Entwicklungen während des vergangenen Jahres haben nahegelegt, dass die Pandemie vier entscheidende langfristige Störfaktoren intensivieren würde: die Rivalität zwischen China und den USA, den Populismus, die Technologie und den Klimawandel.

Seither haben die Entwicklungen diese Erwartungen bestätigt. So halten die Spannungen zwischen China und den USA nicht nur an, sie haben sich unter der Biden-Regierung sogar noch verstärkt. Populismus und Polarisierung sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch und werden durch politisch aufgeladene Meinungsverschiedenheiten bezüglich Lockdowns und Impfstoffen weiter angeheizt. Die Digitalisierung und die Automatisierung wurden durch die Pandemie erst so richtig ins Rollen gebracht. Und die extremen Witterungsverhältnisse haben vielen Regionen der Welt schwere menschliche und wirtschaftliche Verluste beschert und heftige Schwankungen an den Energiemärkten nach sich gezogen. Jeder dieser langfristigen Störfaktoren wird seine Wirkung auf absehbare Zeit weiter entfalten.

Eine weitere wichtige Ausgangsbedingung für den langfristigen Ausblick ist der unverändert heftige Aufwärtstrend der öffentlichen und privaten Verschuldung, ausgelöst durch die pandemiebedingte Rezession und die politischen Reaktionen. Dabei stellt die rekordhohe Schuldenlast an sich kein unmittelbares Problem dar, wenn man die rekordniedrigen oder fast rekordniedrigen Kreditkosten bedenkt. Der höhere Verschuldungsgrad impliziert jedoch, dass die Bilanzen des öffentlichen und des privaten Sektors anfälliger für negative Wachstumsschocks und positive Zinsschocks sind, wodurch das Risiko destabilisierender Ausfälle staatlicher und privater Schuldner gestiegen ist. Darüber hinaus dürften die umfangreiche Verschuldung und die ausgeprägte Finanzialisierung der Volkswirtschaften, gemessen am Verhältnis zwischen Vermögen und Einkommen, die Zentralbanken in ihrer Fähigkeit einschränken, energische Zinserhöhungen vorzunehmen, ohne dass die Wirtschaft merklich darunter leidet.

Zudem hat die Pandemie viele Menschen dazu gezwungen oder ermutigt, innezuhalten und ihre Lebensweise und die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben zu überdenken. Aktuell lässt sich zwar noch nicht sagen, ob und wie sich die Präferenzen ändern und von welcher Dauer etwaige Änderungen sein werden. Zugleich ist es gut möglich, dass sich die Präferenzen maßgeblich von der Arbeit auf die Freizeit, vom Büro auf das Homeoffice und auf Tätigkeiten in bestimmten Branchen oder an bestimmten Orten verlagern werden. Darüber hinaus könnten sich die Konsummuster nachhaltig ändern, da viele Menschen womöglich auch nach dem Ende der Pandemie nicht mehr gern reisen oder an Massenveranstaltungen teilnehmen möchten. Entsprechend ist bei der längerfristigen Prognose der wirtschaftlichen Entwicklungen ein größeres Maß an Bescheidenheit nötig.

Langfristige Treiber

Es lassen sich drei weitreichende Trends identifizieren, die die Weltwirtschaft und die Märkte nachhaltig verändern sollten.

  • Der Übergang von braun auf grün: Durch den zunehmenden Fokus der Wähler und der Verbraucher in vielen Teilen der Welt intensivieren Regierungen, Regulierungsbehörden und der Unternehmenssektor ihre Bemühungen, die CO2-Emissionen zu senken und bis 2050 einen Zustand der Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Entsprechend erhalten sowohl private als auch öffentliche Investitionen in erneuerbare Energiequellen über einen langfristigen Horizont einen kräftigen Impuls. Auch wenn hier vor allem der Privatsektor gefragt ist, tragen sowohl das parteiübergreifende Infrastrukturgesetz in den USA als auch der Next-Generation-Fonds der EU mit umfangreichen Ausgaben für "grüne" Infrastruktur in den nächsten fünf Jahren zum Wandel bei.

Selbstverständlich werden die höheren privaten und öffentlichen Ausgaben für saubere Energie vermutlich zum Teil, wenn auch nicht vollständig, durch geringere Investitionen und Kapitalvernichtung in braunen Energiesektoren wie Kohle und Öl ausgeglichen. Ferner kann es während der Umstellung zu Versorgungsunterbrechungen und Energiepreisanstiegen kommen, die das Wachstum bremsen und die Inflation anheizen, wie die jüngsten Ereignisse in China und Europa veranschaulichen. Außerdem bringt der Prozess Gewinner und Verlierer hervor und könnte eine politische Gegenreaktion bewirken, um den Arbeitsplatzverlusten in der Kohle- und Ölindustrie zu begegnen, ebenso wie eine Erhöhung der CO2-Steuern und-Preise oder Mechanismen des CO2-Grenzsteuerausgleichs, die Importe verteuern. Während das Ziel einer klimaneutralen Welt aus vielen Gründen wünschenswert ist - auch aus wirtschaftlichen -, wird der Weg dorthin wohl nicht einfach sein.

  • Schnellere Einführung neuer Technologien: Im vergangenen Jahr kam die Erwartung auf, dass die Pandemie die Digitalisierung und die Automatisierung vorantreiben würde. Dies wird durch die bisher verfügbaren Daten bestätigt, die einen deutlichen Anstieg der Unternehmensausgaben für neue Technologien zeigen. In der Vergangenheit, etwa während der 1990er-Jahre in den USA, gingen derartige Investitionssteigerungen stets mit einer Beschleunigung des Produktivitätswachstums einher. Wie die Entwicklungen des vergangenen Jahres nahelegen, könnte dies abermals der Fall gewesen sein: Die Produktivität machte einen Sprung, was eindeutig auch auf die konjunkturelle Erholung zurückzuführen war. Noch ist unklar, ob die jüngste Zunahme der Technologieinvestitionen und des Produktivitätswachstums eine einmalige Entwicklung oder der Beginn eines ausgeprägten Trends ist; bislang stützen die Daten aber die Annahme, dass die Pandemie eine schnellere Einführung neuer Technologien begünstigt hat.

Die Digitalisierung und die Automatisierung werden die Wirtschaftsentwicklung im Großen und Ganzen vorantreiben, neue Arbeitsplätze schaffen und vorhandene Arbeitsplätze produktiver gestalten. Zugleich werden sie erschütternd für all jene sein, die vom Stellenabbau betroffen sind und womöglich nicht über die nötigen Fertigkeiten verfügen, um in anderen Bereichen unterzukommen. Ähnlich wie bei der Globalisierung dürften sich die Schattenseiten der Digitalisierung und der Automatisierung in einem Anstieg der Ungleichheit und einer stärkeren Unterstützung für populistische Tendenzen an beiden Enden des politischen Spektrums zeigen.

  • Breitere Verteilung der Wachstumsgewinne: Der dritte potenziell transformative Trend der Gegenwart ist der verstärkte Fokus der politischen Entscheider und der breiten Gesellschaft auf die zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheit sowie auf die Herstellung eines integrativeren Wachstums. Als jüngstes Paradebeispiel ist an dieser Stelle die neue Ausrichtung der chinesischen Staatsführung auf den "gemeinsamen Wohlstand" zu nennen - mit dem Ziel, private Vermögens- und Einkommensunterschiede zu verringern.

Unterdessen konzentrieren sich viele Unternehmen auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Lohnsysteme und der Vielfalt der Belegschaft. Die begründet sich zum einen durch den Druck vonseiten der Anleger, die ihr Augenmerk zunehmend auf ESG-Aspekte richten, und zum Teil durch Eigeninteresse. Wie zahlreiche Beispiele belegen, verlagert sich das Machtverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in vielen Unternehmen allmählich auf Letztere, wodurch sich deren Verhandlungsposition verbessert. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Tendenz anhält oder ob der Trend zum Homeoffice mithilfe neuer Technologien die Unternehmen schließlich in die Lage versetzt, mehr Arbeitsplätze an günstigere in- und ausländische Standorte auszulagern, wodurch sie ihre Verhandlungsmacht erhalten oder sogar steigern könnten.

Makroökonomische Konsequenzen

In einer Ära der Transformation, die durch Störquellen und eine interventionistische Politik gekennzeichnet ist, könnten die Konjunkturzyklen von kürzerer Dauer und heftigerem Ausmaß sein und mit uneinheitlicheren Entwicklungen der Länder einhergehen. So wären investitionsgetriebene Aufschwünge denkbar, beflügelt durch einen Anstieg arbeitsintensiver Umweltinvestitionen und Bemühungen zur Diversifikation der Liefer ketten oder zur Erschließung näher gelegener Lieferketten, um potenzielle Lieferengpässe zu umgehen, gefolgt von Wirtschaftsflauten, die durch Stopandgo- Fiskalpolitik, Energiepreisschocks oder überambitionierte und unvermittelte regulatorische Änderungen verursacht werden.

Dabei werden die zyklischen Unterschiede zwischen einzelnen Regionen und Ländern vermutlich zunehmen, während der Wandel mit unterschiedlichem Tempo voranschreitet und die Fiskalpolitik - häufig bestimmt von Wahlzyklen, die in den einzelnen Ländern asynchron verlaufen - zu einer dominanteren Triebkraft der Nachfrage wird. Hinzu kommt, dass sich China immer autarker aufstellt und sich das chinesische Wirtschaftswachstum angesichts der Altersstruktur, des Schuldenabbaus und der Senkung der Kohlenstoffemissionen über den langfristigen Anlagehorizont weiter verlangsamen dürfte, wodurch ein wichtiger gemeinsamer Treiber des Exportwachstums für viele Schwellen- und Industrieländer an Zugkraft verliert.

Ebenso wie das Wirtschaftswachstum dürfte auch die Inflation in der Ära der Transformation schwankungsanfälliger sein und sich von Region zu Region stärker unterscheiden. In Sachen Inflation sind beide Enden der Wahrscheinlichkeitsverteilung inzwischen stärker ausgeprägt, was Phasen mit deutlich höherem sowie deutlich geringerem Preisauftrieb wahrscheinlicher macht. Inflationsüberraschungen könnten sich etwa aus dem Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft und seinen Auswirkungen auf die Kohlenstoffpreise ergeben, ebenso wie aus der Deglobalisierung, dem fiskalpolitischen Aktivismus und einem möglichen "Verzetteln" der Zentralbanken mit Blick auf Umweltziele. Eine rückläufige Inflation wäre dagegen denkbar, wenn die Unternehmen lernen, mithilfe verbesserter Technologien produktiver zu werden. Hinzu kommt, dass die rekordhohen Schuldenniveaus und Fremdkapitalquoten das Risiko einer Schuldendeflation für den Fall eines negativen Wachstumsschocks erhöhen. Festzuhalten ist, dass das vor der Pandemie herrschende Jahrzehnt der Neuen Normalität mit einem unterdurchschnittlichen, aber stabilen Wachstum, einer Inflation unter der Zielvorgabe einer gedämpften Volatilität und satten Anlageerträgen zusehends im Rückspiegel verblasst. Vor uns liegt eine Ära der Transformation mit einem ungewisseren und uneinheitlicheren Wachstums- und Inflationsumfeld, das zahlreiche Fall stricke für die politischen Entscheidungsträger birgt.

Konsequenzen für die Anlage

Wie dargelegt bedeutet die Ära der Transformation ungewissere Wachstums- und Inflationsaussichten für die nächsten fünf Jahre - sowohl für einzelne Länder als auch zwischen verschiedenen Regionen. Eine Welt der Umbrüche und der auseinanderlaufenden Entwicklungen wird mehr Herausforderungen für die Anleger mit sich bringen als das Umfeld der Neuen Normalität, das im vergangenen Jahrzehnt vorherrschte. Zugleich hält sie gute Alpha-Möglichkeiten für aktive Anleger bereit, die gerüstet sind, um eine Phase auszunutzen, die aller Erwartung nach von einer höheren Volatilität und ausgeprägteren Extremrisiken gekennzeichnet sein wird als die übliche Glockenkurve der Normalverteilung.

Eine höhere Volatilität sowohl auf gesamtwirtschaftlicher Ebene als auch an einzelnen Märkten wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit geringeren Renditen an den Anleihen- und Aktienmärkten einhergehen. Die Ausgangsbewertungen - niedrige reale und nominale Renditen an den Anleihenmärkten und historisch hohe Kurs-Gewinn-Verhältnisse bei Aktien - bestärken diese Erwartung.

Die Notenbanker haben die Vermögenspreise als Nebeneffekt ihrer makroökonomischen Interventionen in die Höhe getrieben. Während die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen der Industrieländer zur Bekämpfung der Corona-Krise dazu beigetragen haben, die schlimmsten wirtschaftlichen Entwicklungen abzuwenden, könnten sie die Anfälligkeit der Finanzmärkte mittelfristig erhöht haben. Angesichts der weltweit gestiegenen öffentlichen und privaten Verschuldung bleibt weniger Spielraum für Fehler, sodass ein entschiedener Fokus auf den Kapitalerhalt angebracht ist.

Der niedrige Zinspfad

Die langfristigen Faktoren, die für das niedrigere Niveau der neutralen Leitzinsen verantwortlich sind - darunter die demografische Entwicklung, das Gleichgewicht zwischen Sparraten und Investitionen sowie die hohen Schuldenniveaus -, bleiben aller Voraussicht nach weiter in Kraft. Während eine potenzielle Belebung des Investitions- und Produktivitätswachstums dem neutralen Zins in den nächsten Jahren Auftrieb verleihen könnte, wäre es auch denkbar, dass dieser Druck durch ein vermehrtes Vorsorgesparen der privaten Haushalte zum Teil oder vollständig ausgeglichen wird. Die Unsicherheit bezüglich der Wachstums- und Inflationsaussichten bedeutet, dass sich die Leitzinsen über den langfristigen Anlagehorizont hinweg ganz unterschiedlich entwickeln können. Dennoch bleibt die Grundannahme bestehen, dass die neutralen Leitzinsen niedrig bleiben und auch das endgültige Zinsniveau im nächsten Zyklus niedriger ausfallen könnte. Schließlich konnten sich die Zentralbanken im letzten Zinsanhebungszyklus maßgeblich von ihrer Untergrenze entfernen, was wegen der Anfälligkeit der Finanzmärkte für steigende Zinsen nun nicht mehr der Fall ist.

Zum Beispiel die US-Notenbank: Ende 2018 war die Fed in der Lage, ihren Leitzins auf einen Zielkorridor von 2,25 bis 2,5 Prozent anzuheben, und hegte die Erwartung, noch deutlich weitergehen zu können. Risse an den Finanzmärkten zwangen sie jedoch dazu, einen Umkehrschwung einzulegen und ihren Leitzins im Jahr 2019 wieder auf 1,5 bis 1,75 Prozent zu senken - noch vor Beginn der Pandemie und den daraus resultierenden Notfallmaßnahmen. Diese Dominanz der Finanzmärkte könnte es der Fed und anderen Zentralbanken in den nächsten fünf Jahren abermals erschweren, einen deutlich restriktiveren Kurs einzuschlagen. Sollte das Inflationsrisiko steigen, stünden schwierige Entscheidungen bevor, begleitet von einer höheren Volatilität - und Chancen für aktive Anleger.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit bleiben die Leitzinsen niedrig und geben den weltweiten Anleihenmärkten Halt. Die Wachstums- und die Inflationserwartungen dürften wegen der Unsicherheit, mit der die Entscheidungsprozesse der Politiker und der Marktteilnehmer im postpandemischen Umfeld behaftet sind, mal optimistischer, mal pessimistischer ausfallen - exakt so wie im vergangenen Jahr.

Die Realrenditen sind gering, in den Industrieländern sogar negativ. Auch die nominalen Renditen sind niedrig und in bestimmten Kernländern der Eurozone sowie in Japan sogar negativ. Die Märkte dürften weitgehend verankert bleiben und Kernanleihen-Engagements niedrigere, aber positive Renditen einbringen. Trotz der Möglichkeit kurzfristiger Zinsanstiege im Zuge der fortschreitenden Wirtschaftserholung ist davon auszugehen, dass die Zinsen auf lange Sicht in einer gewissen Bandbreite bleiben werden.

Anleihen sollten auch weiterhin mit Diversifikationsvorteilen für die Gesamtallokation aufwarten, und während die Renditeerwartungen über alle Anlageklassen hinweg gedämpft sein dürften, könnten Anleihen in manchen Staaten der Welt besser abschneiden als Aktien - insbesondere, wenn man die Rendite pro Einheit Volatilität betrachtet. Und während ein längerer Zeitraum mit hoher Inflation nicht besonders wahrscheinlich ist, erscheinen inflationsindexierte US-Staatsanleihen (TIPS) sowie Rohstoffe und andere Sachwerte nach wie vor sinnvoll, um sich vor Inflationsrisiken zu schützen.

Schwellen- und Industrieländer

Investoren werden sich in einem Anlageumfeld bewegen, in dem makroökonomische Trends, Störfaktoren und treibende Kräfte, kombiniert mit erhöhten Schuldenniveaus, wesentliche Unterschiede zwischen einzelnen Regionen, Ländern und Sektoren entstehen lassen. Die unterschiedlichen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen werden Gewinner und Verlierer hervorbringen. In Asien dürften sich wegen der Aussicht auf ein kräftigeres Wachstum und sich entwickelnde Kapitalmärkte aussichtsreiche Anlagechancen auftun, und zwar trotz der Risiken, die mit einem schleppenden Wachstum in China und den fortdauernden geopolitischen Spannungen verbunden sind. Ganz allgemein gilt, dass eine Reihe von Schwellenländern zwar langfristig vor Schwierigkeiten steht, es aber wie immer wichtig ist, die Anlagegattung als breit gefächertes Chancenspektrum und nicht als passive Beta-Anlage zu betrachten. Tatsächlich könnten sich für Investoren in den Schwellenländern exzellente Gelegenheiten auftun.

Was die Industrieländer betrifft, ist angesichts der niedrigen Zentralbankzinsen davon auszugehen, dass die Fiskalpolitik in Zeiten der Wirtschaftsflaute eine bedeutendere Triebkraft sein wird. Auch wenn nicht mit einer Rückkehr zu dem "Kriegszustand" zu rechnen ist, der während der schlimmsten Phase der Pandemie herrschte, dürfte die Fiskalpolitik bei Konjunkturflauten aktiver eingesetzt werden als in der Ära der Neuen Normalität, als sämtliche Maßnahmen von den Zentralbanken ausgingen.

Dabei werden die USA und andere englischsprachige Länder wohl eher willens und in der Lage sein, fiskalpolitische Hebel umzulegen als die Euroländer, die mit einer Gemeinschaftswährung und einer Vielzahl von Finanzbehörden zu kämpfen haben. Denn während die Eurozone eine Staatsschuldenkrise abwenden konnte und schwächeren Akteuren infolge der Corona-Rezession wohl kaum Sparmaßnahmen abverlangen wird, dürften Deutschland und seine nördlichen Nachbarstaaten fiskalpolitisch auf einem konservativen Kurs bleiben, ganz gleich, wie gering - oder sogar negativ - die Kreditkosten sind. Dennoch eröffnen die europäische Reaktion auf die Pandemie und die Einrichtung des Next-Generation-Fonds der Europäischen Union zur gemeinsamen Finanzierung der postpandemischen Erholung die Aussicht auf weitere gemeinschaftliche Hilfsprogramme in Phasen der Konjunkturschwäche sowie zur Finanzierung der EU-Umweltziele. Dies ist die erste EU-Finanzierung, die grenzüberschreitende Transferzahlungen in Form von Zuwendungen und Darlehen beinhaltet. Die europäische und vor allem die italienische Politik - wegen der Systemrelevanz des italienischen Anleihenmarkts - werden eine Quelle von Unsicherheit und potenziellen Spannungen bleiben. Zumindest aber besteht die Aussicht auf eine stabilere Eurozone und Investoren sollten bemüht sein, die sich bietenden Anlagechancen zu ergreifen.

Die Investment-Implikationen

Der Übergang von brauner auf grüne Energie, die schnellere Einführung neuer Technologien und die postpandemische Veränderung der Lieferketten und der Präferenzen werden eine Reihe von Gewinnern und Verlierern hervorbringen und die Bedeutung eines aktiven Managements an den Märkten für Unternehmensanleihen unterstreichen. Anpassungen der Umweltgesetze bedeuten Unsicherheit und Komplexität, aber auch Chancen. Besonders besorgniserregend sind die hohen Schuldenniveaus im Fall von Ländern oder Unternehmen, die zu den Verlierern der Energiewende zählen. Daher ist es unerlässlich, ESG-Aspekte in alle Anlagestrategien und nicht nur in spezielle ESG- und Klimaportfolios einzubeziehen.

In einem Umfeld einer fortwährenden Unterstützung der Zentralbanken, einer möglichen antizyklischen Fiskalpolitik im Fall eines Abschwungs sowie negativen oder niedrigen Realrenditen erscheint es sinnvoll, in gemischten Portfolios weiterhin auf Aktien zu setzen. Wie erwähnt, hat die zwischenzeitliche Erholung von der Pandemie die Notwendigkeit von Investitionen in die physische Infrastruktur - nach Jahren der Unterinvestition - aufgezeigt. Das ist dem Trend zur Digitalisierung und Automatisierung sowie dem Drängen in Richtung Umweltschutz zu verdanken. Während das vergangene Jahrzehnt softwarebasiert war, wird sich das nächste in Verbindung mit diesen Trends eher durch Hardware-Investitionen auszeichnen. Die Themen Risikostreuung sowie Gewinner und Verlierer des Aufschwungs werden für alle Länder und Sektoren sowie für die Aktienauswahl eine entscheidende Rolle spielen. Vor allem Halbleiterhersteller, Anbieter von Fabrikautomatisierungsanlagen sowie Unternehmen im Bereich grüne Energie und Mobilität sollten davon profitieren.

In einer Ära der Transformation, in der die realen und die nominalen Zinsen vermutlich auf niedrigem Niveau verankert bleiben, erscheint es sinnvoll, die Möglichkeiten traditioneller Anleihestrategien mithilfe flexibler Mandate zu maximieren, die darauf ausgerichtet sind, das gesamte globale Chancenspektrum auszuschöpfen. Ebenfalls sinnvoll erscheint, nach Alternativen jenseits traditioneller festverzinslicher Wertpapiere zu suchen und unter anderem Privatfinanzierungen und sich entwickelnde globale Kapitalmärkte einzubeziehen. Investoren werden sich auf lange Sicht mit einem ganz neuen gesamtwirtschaftlichen Umfeld auseinandersetzen müssen - gleichzeitig sollten sich für aktive Manager, die in der Lage sind, sich auf die schwierigen Umstände einzustellen, in den kommenden Jahren gute Gelegenheiten auftun.

Andrew Balls Chief Information Officer, Global Fixed Income, PIMCO LLC, London
Joachim Fels Chefvolkswirt, PIMCO LLC, Newport Beach (Kalifornien)
Dan Ivascyn Group CIO, PIMCO LLC, Newport Beach (Kalifornien)
Andrew Balls , Chief Information Officer, Global Fixed Income , PIMCO LLC, London
Joachim Fels , Chefvolkswirt , PIMCO LLC, Newport Beach (Kalifornien)
Dan Ivascyn , Group CIO , PIMCO LLC, Newport Beach (Kalifornien)

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